Griechenland

Krise? Chance! Radio!

Radioprojekt im Jugendaustausch zwischen Köln und Thessaloniki

„Hey, macht euch bereit für eine Stunde Deutsch-Griechischer Freundschaft. Wir haben zusammen ein kleines Programm vorbereitet: Das ist eine Sendung vom Adolf-Kolping Berufskolleg und dem YMCA aus Thessaloniki in Griechenland. Wir legen jetzt die Finger in die Wunde: Können Deutsche und Griechen zusammenarbeiten – und leben? Oder sind wir einfach viel zu unterschiedlich?“ So keck beginnt die Radiosendung „Wie bitte – Pos ine?“, die deutsche und griechische Jugendliche während einer intensiven Projektwoche gemeinsam in Köln produziert haben.

13.08.2018 / Jutta Lauth Bacas

Jutta Lauth Bacas ist promovierte Sozialanthropologin mit Arbeitsschwerpunkten in den Bereichen Migration/Asyl sowie der politischen Kultur in Griechenland. Von 1994 - 2012 ständiger Wohnsitz in Athen; ab 2004 an der Wissenschaftsakademie Athen in der Sozialforschung tätig. Seit 2013 wieder in Deutschland und z.Zt. freiberuflich in Bildungsprojekten und als Autorin/Referentin tätig, sowie in internationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaften aktiv.

Diese Jugendbegegnung im Kontext der Städtepartnerschaft zwischen Köln und Thessaloniki fand im November 2017 statt. Sie startete mit der Ankunft von zehn griechischen Jugendlichen und zwei Bildungsreferentinnen, von denen alle zum ersten Mal nach Deutschland kamen, im regnerischen Köln. Die Jugendlichen aus den beiden Partnerstädten wollten bei einer gemeinsamen Begegnung viel Neues erfahren und in Austausch über ihre Vorstellungen vom jeweils anderen Land, ihre möglichen Gemeinsamkeiten und ihre Träume und Zukunftsperspektiven treten. Zur Vorbereitung hatten sich deutsche und griechische Partnerorganisationen bereits seit Mai 2017 vernetzt: auf deutscher Seite FILIA e.V, der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln und Thessaloniki, sowie die Organisation Arbeit & Leben NRW. Auf griechischer Seite war der Verein Y.M.C.A. of Thessaloniki  (Christlicher Verein Junger Menschen in Thessaloniki) bei der Planung und Durchführung der Jugendbegegnung beteiligt.

Das Konzept für diese Jugendbegegnung mit dem Thema Radioprojekt hatte mehrere Mütter und Väter. Einer der Initiator(inn)en war der Kölner Verein FILIA, der sich seit 2015 dafür einsetzt, die Beziehungen zwischen Thessaloniki und Köln mit frischem Wind zu beleben, und informative und kulturelle Veranstaltungen über das heutige Griechenland organisiert. Mit dem „Sonderprogramm zur Förderung des deutsch-griechischen Jugendaustauschs“ bot sich die Chance, eine Jugendbegegnung zwischen jungen Menschen aus Thessaloniki und Köln zu initiieren - ganz im Sinne von FILIA,  dem griechischen Wort für Freundschaft.

Das gegenseitige Kennenlernen junger Menschen aus den beiden Partnerstädten und den Gedankenaustausch über ihre Zukunft, auch die berufliche Zukunft, methodisch unter den Schirm eines Radioprojekts zu stellen, war eine Idee, die vom Bildungsträger „Arbeit und Leben NRW e.V.“ als weiterem Projektpartner stammt. „Oh, cool!“, war die spontane Reaktion vieler Jugendlicher, als sie vom geplanten Radioprojekt hörten. Denn Jugendliche in Griechenland wie in Deutschland sind in hohem Maße Technik-affin; die meisten besitzen ein Smartphone, mit dem sie im Internet surfen, Musik downloaden, Chats austauschen. Dies alles sind Interessen und Kenntnisse, an die das Radioprojekt anknüpft. Dabei haben die Veranstalter einen Fokus gesetzt: Unter dem Motto „Krise? Chance! Radio!“ sollen junge Erwachsene aus Köln und Thessaloniki über eine Frage diskutieren, die viele junge Menschen in beiden Ländern gleichermaßen bewegt: der Übergang von der Schule zum Beruf und der persönliche Berufseinstieg.

Austausch über Zukunftsperspektiven junger Menschen in Deutschland und in Griechenland

Die gemeinsame Produktion einer Radiosendung über dieses Thema sollte dabei eine Chance für Jugendliche aus den beiden Ländern bieten, sich nach kritischen Jahren zwischen Deutschland und Griechenland ein eigenes Bild vom anderen Land zu machen und dabei viel Neues kennenzulernen. Ein wichtiger Erfahrungshorizont im heutigen Griechenland, nämlich die Finanzkrise und ihre Folgen für junge Menschen, konnte und sollte dabei nicht ausgeblendet werden. In der Begegnung konnte den jungen Menschen aus Thessaloniki und Köln verständlich werden, dass die wirtschaftliche Situation in Deutschland derzeit zwar besser ist als aktuell in Griechenland, aber die Zukunftsperspektiven junger Menschen hier ebenfalls stark von ihrem jeweiligen Umfeld bzw. den sozialen Lagen abhängen. Den Beteiligten konnte deutlich werden, dass hier wie dort junge Menschen Eigeninitiative und Engagement benötigen, um für sich aussichtsvolle Lebens- und Berufsperspektiven zu entwickeln und diese auch früher oder später umsetzen zu können.

Zur Vorbereitung dieser deutsch-griechischen Jugendbegegnung hatte bereits im September 2017 eine erste Fachkräftebegegnung zwischen den beteiligten Organisationen stattgefunden. Mitarbeiter/-innen aus Köln reisten für drei Tage nach Thessaloniki, um das geplante Programm mit Referentinnen des YMCA Thessaloniki zu besprechen. Von Programmdirektor Vassilis Ioannou wurde ihnen das YMCA in Thessaloniki als eine gemeinnützige Organisation vorgestellt, die über langjährige Erfahrung in der Durchführung von Freizeit-, Kultur- und Bildungsprojekten für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene verfügt.

Im Gespräch erläuterten die griechischen Projektpartner die besondere Situation junger Menschen in Griechenland: Im Alter von achtzehn bis zwanzig Jahren haben die meisten griechischen Jugendlichen die Schule in der Regel abgeschlossen, viele sind entweder bei privaten Ausbildungsträgern oder an einer Hochschule  – in oft ungeliebten Fachrichtungen – eingeschrieben, erst wenige sind bereits auf Jobsuche. Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland ist nach wie vor hoch und ein konkreter Berufseinstieg liegt oft in später Zukunft.  Von vielen jungen Menschen wird dieser Berufsstart als hürdenreich und schwierig antizipiert – vor allem angesichts der desolaten Arbeitsmarktlage für junge Menschen in Griechenland. Von daher, so Programmdirektor Ioannou vom YMCA Thessaloniki, bedeutet eine internationale Jugendbegegnung eine große Chance für Jugendliche aus Thessaloniki: „It can change their life“, meinte er, weil sie ein anderes Land, eine andere Sprache und Kultur aus erster Hand kennen lernen und die Thematik der Berufsorientierung und Zukunftsplanung unter einer ganz neuen Perspektive betrachten lernen.

Wie bitte? Pos ine? – eine deutsch-griechische Radiosendung

Das gemeinsame Radioprojekt unter  dem Motto „Krise? Chance! Radio!“ dient in diesem Zusammenhang als didaktische Klammer. Angeleitet von einem professionellen Radiocoach konnten die Jugendlichen mit der hochmodernen technischen Ausstattung des Adolf-Kolping Berufskollegs lernen, selbständig Sendeelemente zu produzieren (Interviews, Musikausschnitte, Dropper für die Sendung) und modernes Radio-Equipment zu bedienen. Dazu haben sie zunächst themenbezogene Gruppendiskussionen geführt (auf Englisch), von denen Ausschnitte in die Radiosendung übernommen wurden. Weil ein wesentliches Element der Radiosendung neben dem Text auch die Musikbeiträge sind, haben die Teilnehmenden sich mit viel Spaß über verschiedene Musiktrends und ihre persönlichen Vorlieben ausgetauscht und dabei eine deutsch-griechische Musikauswahl zusammengestellt. Zum Schluss lag das Tonmaterial für eine einstündige Sendung vor, die am letzten Projekttag in einen professionellen Radiostudio in zwei Versionen, auf Deutsch und Griechisch, eingespielt wurde. Für alle Beteiligten, einschließlich der Teamer/-innen und des Radiocoachs, hatte die intensive Endspurt bei der Produktion von zwei Sprachversionen das Ziel, die Sendung mit dem Titel „Wie bitte - Pos ine? “ über das Internet einem Hörerkreis sowohl in Deutschland als auch in Griechenland bekannt zu machen.

Berufliche Bildung im Jugendaustausch

Die Jugendbegegnung in Köln hat den griechischen Teilnehmenden neben dem interkulturellen Austausch, der für viele an sich schon eine neue Erfahrung bedeutet, auch erste Einblicke in andere bisher unbekannte Strukturen und Einrichtungen der Berufsbildung in Deutschland geben. Schon die Ausstattung des Adolf-Kolping Berufskollegs mit seinem modernen technischen Equipment hat die Jugendlichen aus Thessaloniki fasziniert. Die verschiedenen in Deutschland möglichen Einstiege in den Beruf über das duale System der Berufsbildung, über eine Ausbildung an einem Berufskolleg oder das Fachabitur waren den griechischen Teilnehmenden ungekannt. Viele waren erstaunt, welche klaren Vorstellungen die jungen Deutschen über ihre Wege in die Arbeitswelt bereits entwickelt hatten. Durch die Hintergrundgespräche mit den Kölner Jugendlichen wurde den jungen Griechinnen und Griechen auch deutlich, wie dezidiert die Anforderungen an die schulischen und beruflichen Qualifikationen beim Eintritt in die Arbeitswelt in Deutschland sind.

Neben der direkten Arbeit am Radioprojekt in den Räumen des Adolf-Kolping-Berufskollegs gab es beim gemeinschaftlichen Rahmenprogramm weitere Aktivitäten, die auch den jugendlichen Teilnehmer/-innen aus dem Kölner Raum etwas Neues boten: etwa eine Turmbesteigung des Kölner Doms, ein Besuch im NS- Dokumentationszentrum (EL-DE Haus) sowie ein offizieller Empfang durch den Bürgermeister im Historischen Rathaus der Stadt Köln.

Der Gegenbesuch von zehn deutschen Jugendlichen in Thessaloniki wird im September 2018 stattfinden. Die Vorbereitung dieses Rückbesuchs wird im Rahmen einer weiteren Fachkräftebegegnung im Juni 2018 in Thessaloniki erfolgen. Für die folgende Projektwoche in Thessaloniki sind die deutschen Jugendlichen hochmotiviert, nachdem sie die griechische Gruppe bei gemeinsamen Aktivitäten in Köln bereits kennengelernt haben. Von daher sind alle Teilnehmenden gespannt darauf, ein neues Medienprojekt in Thessaloniki und die griechische Kultur und Lebensart hautnah selber zu erleben.

Gute Praxis im Fachtag „Berufliche Orientierung im Deutsch-Griechischen Jugendaustausch“

Auf dem Fachtag zur „Beruflichen Orientierung im Deutsch-Griechischen Jugendaustausch“, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 22. März 2018 in Bonn durchgeführt wurde, war das Radioprojekt „Krise? Chance! Radio!“ eines der vorgestellten Projektbeispiele. Bei der Diskussion dieses und anderer Projekte zur beruflichen Bildung im deutsch-griechischen Jugendaustausch wurde auch thematisiert,  wie griechische Jugendliche, die kein Deutsch sprechen, und deutsche Jugendliche, die kein Griechisch sprechen, im Projekt zusammenfinden. Einerseits dient das Englische als Brückensprache, über die junge Leute aus beiden Ländern direkt in einen intensiven Austausch treten. Andererseits wurde in dem Kölner Radioprojekt gute Erfahrung mit einer Sprachanimation gemacht, in der es über das spielerische Einprägen der neuen und für die Teilnehmenden ungewohnten Namen von A wie Alfons bis CHI wie Chrysanthi auch um Kontakte und ein erstes Kennenlernen ging.

Mit der Wahl des Mediums Radio knüpft das Projekt „Krise? Chance! Radio!“ an den Erfahrungen, Bedürfnissen und Interessen von Jugendlichen an. Das altbekannte Medium Radio erlebt gerade unter jungen Menschen in Deutschland ein überraschendes Revival, besonders in der technisch neuen Form von Podcasts, die „on demand“ im Internet abgerufen werden können. Mit überschaubarem Aufwand können interessierte Akteure und Akteurinnen inzwischen eigene Radiosendungen gestalten, Informationen aufbereiten und Meinungen präsentieren,  ihre Lieblingsmusik vorstellen und die eigene Produktion in die Öffentlichkeit der Netzwelt stellen. Die Teilnahme an dem Projekt „Krise? Chance! Radio! “ sollte die Jugendlichen aus Köln und Thessaloniki von daher auch befähigen, sich weiter an lokalen Radioproduktionen zu beteiligen, und sich damit aktiv in das Gemeinwesen ihres Sozialraums einzubringen.

Diese Nachhaltigkeit aufgrund biografischer Erfahrungen betrifft auch die sozialen Bezüge im gemeinsam „Haus Europa“. Die Begegnung zwischen einander zunächst fremden Jugendlichen aus dem Süden und dem Norden Europas stellte für die Beteiligten ein Novum mit gewissen Unsicherheiten dar. Am Ende des Projekts – das lässt sich in der Sendung „Wie bitte – Pos ine?“ nachhören – betonen alle Jugendlichen die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen. „Wir alle können Mitglieder derselben Mannschaft sein und können Freunde werden“, schreibt Thanasis Gkatzolis in seinem Rückblick auf den Jugendaustausch in Köln. Allgemeiner betrachtet können deutsch-griechische Jugendbegegnungen als ein wichtiger „Möglichkeitsraum für Jugendliche“ (Schröder 2016) verstanden werden, in dem junge Menschen ihrem Drang nach Neuem und Experimentellem nachgehen können. Mit der Vorbereitung durch Fachkräfte und der Begleitung der Jugendlichen während der Projektphase konnte es gelingen, das für sie lebensgeschichtlich bedeutsame Erlebnis einer „fremden Kultur“ zu einer interessanten und bereichernden Erfahrung werden zu lassen. Dies scheint besonders wichtig, wenn wir der wachsenden Fremdenangst oder Fremdenfeindlichkeit in Europa ein positives Bild von Gemeinsamkeiten entgegenstellen wollen.

Griechenland-Special 2018

Fakten, Förderung, Kontakte

Inklusion

Berufliche Bildung und Orientierung

Flucht und Migration

Sprachanimation

Erinnerungsarbeit

Kirchliche Jugendarbeit

Schule