Griechenland

Freiwillige Praktika als Chance für beruflichen Austausch

Erfahrungen aus dem deutsch-tschechichen Austausch

TANDEM – Koordinierungszentrum deutsch-tschechischer Jugendaustausch bietet seit dem Jahr 2000 ein Programm an, das junge Auszubildende aus Tschechien und Deutschland zusammenbringt. Damit erreicht Tandem eine Zielgruppe, die vergleichsweise selten an internationalen Jugendbegegnungen partizipiert. Die Frage steht im Raum, ob ein gleichgerichtetes oder ähnliches Förderprogramm im Rahmen der deutsch-griechischen Zusammenarbeit sinnvoll wäre. Darüber haben Teilnehmer/-innen am Fachtag Berufliche Orientierung im deutsch-griechischen Jugendaustausch im März in Bonn gesprochen.

13.08.2018 / Thomas Rudner

Thomas Rudner ist Leiter von Tandem Regensburg (seit 2006), Politikwissenschaftler und seit 1992 hauptberuflich in der Jugendarbeit tätig.

Worum geht es beim deutsch-tschechischen Programm „Freiwillige Berufliche Praktika“?

Jugendliche in der beruflichen Erstausbildung, die in der Regel nicht in der ersten Reihe der Teilnehmer/-innen sind, wenn wir von Jugendaustausch sprechen, dürfen mit dem Zuschuss von Tandem für ein paar Wochen im Nachbarland Praxisluft schnuppern. Und da beginnen schon die Fragen. „Ich habe früher gedacht, dass die Leute in Tschechien nicht sehr freundlich sind. Neu gelernt – die Menschen dort sind doch nett“, so ein deutscher Praktikant an der Fachschule für Ernährung und Landwirtschaft in Klatovy. Weshalb sollen also junge Deutsche während ihrer Ausbildung zwei oder drei Wochen in Tschechien einen Auslandsaufenthalt einschieben bzw. umgekehrt?

Ein wichtiges Ziel der "Freiwilligen Beruflichen Praktika" war und ist es, Jugendliche, die von den internationalen Angeboten der Jugendverbände und -initiativen oder anderer Träger nicht erreicht werden, für eine Maßnahme zu gewinnen, die ihnen eine internationale Erfahrung ermöglicht. Der Clou dabei, das Praktikum im Nachbarland bringt eine zusätzliche Qualifikation. Zu erfahren, wie im Nachbarland gelernt wird, gilt allgemein als zusätzlicher Trumpf bei der Bemühung um einen Arbeitsplatz nach Abschluss der Ausbildung. Die Mobilität über Ländergrenzen hinweg hat inzwischen einen eigenen Wert gewonnen, der die zusätzlichen Sprachkenntnisse, welche die Azubis zwangsläufig mit zurück bringen aus dem Praktikum, optimal ergänzt. Praktikant(inn)en stellen unter Beweis, dass sie mobil sind, bereit sind, ihren Horizont zu erweitern. Potentielle Arbeitgeber/-innen gewinnen Mitarbeiter/-innen, die in der Lage sind, über ihren Tellerrand hinauszuschauen, die ihre Schlüsselkompetenzen über den Aufenthalt im Nachbarland ausbauen konnten.

Wer nimmt an den „Freiwilligen Beruflichen Praktika“ teil und warum?

Wie sieht es nun in der Praxis aus? Wer beteiligt sich an diesem Programm? Über die mehr als 17 Programmjahre ist das Verhältnis von jungen Männern und Frauen, die an dem Programm teilgenommen haben, exakt ausgeglichen. Von den etwa 6000 jungen Leuten kommen 57% aus Tschechien, 43% aus Deutschland. Die beliebtesten Branchen bzw. Berufsgruppen sind (in beide Richtungen des Austauschs) Gastronomieberufe, Metallbau, soziale Berufe sowie Verwaltungs- und Büroberufe. Aber auch fast alle anderen Branchen sind vertreten: von der Landwirtschaft über Gesundheitsberufe bis hin zu traditionellen handwerklichen Berufsbildern.
 
Bei einem Programm, das zwischen unmittelbaren Nachbarn durchgeführt wird, liegt die Vermutung einer Konzentration auf die Grenzbundesländer (in diesem Falle Bayern und Sachsen) und die gegenüberliegenden Bezirke nahe. Klar ist die Zahl der Praktika aus den beiden genannten Bundesländern höher, aber das Programm „Freiwillige Berufliche Praktika“ hat derzeit beispielsweise in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen Berufsschulen als Partner, die mehrmals im Schuljahr Jugendliche zum Praktikum nach Tschechien entsenden bzw. aus Tschechien aufnehmen.

Was bewegt die Jugendlichen zu einem Praktikum in einem fremden Land? Hierzu äußerte sich eine tschechische Praktikantin, die in Bernau in Brandenburg aufgenommen wurde: „Mein Ziel war es, kennenzulernen, wie deutsche Einrichtungen mit Menschen mit Handicap umgehen. Ich wollte wissen, welche Unterschiede es zwischen den deutschen und tschechischen Einrichtungen gibt. Ich habe erwartet, dass ich neue Methoden im Umgang mit behinderten Menschen kennenlerne und meine Sprachkenntnisse verbessere.“ Im Bericht eines deutschen Praktikanten heißt es: „Es ist ein Land, das Deutschland ähnlich ist, es gibt aber trotzdem kulturelle Unterschiede, welche ich kennenlernen wollte.“ Damit der Einstieg in das Praktikum gelingt, bietet Tandem Vorbereitungstage an. An diesen ersten zwei Tagen vor Ort wird über die Methode der Sprachanimation eine Annäherung an die Fremdsprache versucht. Genauso wichtig ist aber die Einstellung der Praktikant(inn)en auf das ungewohnte Umfeld und die Bedingungen im Nachbarland. „Ohne die Sprachanimation hätte ich es in Deutschland nicht geschafft! Wir bereiteten ein ‚Wörterbuch für die Erste Hilfe‘ vor …“, sagte ein weiterer Praktikant aus Tschechien.

Zusammenarbeit des deutschen und des tschechischen Koordinierungszentrums

Das Programm „Freiwillige Berufliche Praktika“ kann nur deshalb funktionieren, weil die beiden Koordinierungszentren in Regensburg und Pilsen sowohl bei der Etablierung des Förderprogramms als auch seither eng zusammenarbeiten. Dies betrifft das Knüpfen von Kontakten, die Qualifizierung der beteiligten Fachkräfte, Lehrerinnen und Lehrer sowie die Einwerbung der Fördermittel und die Abwicklung der Förderung. Die langjährige Erfahrung zahlt sich in jedem der angesprochenen Felder der Zusammenarbeit aus. Die Internet-Kontaktbörse und die dafür zuständige Kontaktlotsin arbeiten eng mit den pädagogischen Mitarbeiter(inne)n auf beiden Seiten und der Fördersachbearbeitung zusammen. Kontakt- und Planungsseminare sind erfolgreich, weil Tandem versucht, Partner(schulen) gemeinsam zu qualifizieren und bei der Durchführung des Austauschs zu unterstützen. Auch die Aufgabe, das Programm weiterzuentwickeln und an aktuelle Veränderungen anzupassen, kann nur gelingen, weil die Kooperation zwischen Tandem Pilsen und Tandem Regensburg von Anfang an auf einer vertrauensvollen Basis grenzübergreifend bestens funktioniert.

Die Rolle der deutschen Ausbildungsbetriebe

Es wäre wünschenswert, dass ein aktuelles Problem durch die Einsicht der Betriebe gelöst wird. Die Bereitschaft deutscher Ausbildungsbetriebe, ihre Azubis für ein von der Berufsschule organisiertes zwei- oder dreiwöchiges Praktikum freizustellen, könnte höher sein. Die allgemein propagierten Ziele einer Europäisierung der Berufsausbildung, einer immer weiter wachsenden internationalen Verflechtung der Wirtschaft können nur erreicht werden, wenn sie auch als Aufgabe in der betrieblichen Ausbildung wahrgenommen werden. Die unbestreitbaren Vorteile einer internationalen Erfahrung der eigenen Auszubildenden werden zum Teil geringer geschätzt als der Einsatz der jungen Leute im eigenen Betrieb. Dieses Phänomen trifft nicht nur auf die Auszubildenden zu, denen die Chance eines Praktikums in Tschechien versagt wird, sondern auf alle jungen Menschen, die im Rahmen ihrer Berufsausbildung über die berufliche Schule eine Mobilitätserfahrung in ein europäisches Land angeboten bekommen.

Die Fördergeber

Wenn die Rede auf Europa kommt, muss natürlich erwähnt werden, wer das Förderprogramm „Freiwillige Berufliche Praktika“ erst ermöglicht. Neben dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, der in den vergangenen 17 Jahren den Löwenanteil der Fördermittel zur Verfügung gestellt hat (46% von etwa 3,6 Mio. Euro), 36% kommen aus Mitteln der EU-Programme „Leonardo da Vinci“ und Erasmus+ von der deutschen Nationalagentur. In diese Aufstellung sind die Fördermittel des BMBF (2002-2006) eingerechnet. Die restlichen 18% kommen aus den gleichen Quellen von EU-Mitteln der tschechischen Seite.

Damit wurden insgesamt 16.189 Praktikumswochen oder 311 Jahre Praktikum im Nachbarland ermöglicht. Eine stolze Zahl, die nicht der Endpunkt des Programms sein soll. Für die nächsten Jahre planen beide Tandem-Büros einen weiteren Ausbau der Praktika, im Übrigen im Einklang mit den auf europäischer Ebene formulierten Zielen zur beruflichen Mobilität. Die 28 Mitgliedsländer der EU wollen bis 2020 erreichen, dass 6% der Jugendlichen eines jeden Jahrgangs im Rahmen ihrer Ausbildung eine Mobilitätserfahrung ins europäische Ausland machen, die Bundesregierung hat sich als Ziel vorgenommen, diesen Anteil auf 10% zu steigern.

Erfahrungen des deutsch-tschechischen Programms für die deutsch-griechische Zusammenarbeit im Bereich beruflicher Mobilität nutzen

Diese Vereinbarung der EU-Mitgliedsstaaten in Bezug auf die berufliche Mobilität junger Menschen bietet auch einen ersten politischen Ansatzpunkt für ein entsprechendes deutsch-griechisches Förderprogramm. Beim Fachtag des BMFSFJ „Berufliche Orientierung im Deutsch-Griechischen Jugendaustausch“ war ein großes Interesse an der Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung sichtbar. Um ein Programm wie das der "Freiwilligen Berufliche Praktika" zu starten, kann an diese positive Grundhaltung der Träger in Deutschland und Griechenland angeknüpft werden. Eine fachliche Kooperation mit den einschlägigen Stellen ist empfehlenswert für ein wirkungsvolles Fachprogramm. Parallel dazu sollte das Programm auch von griechischer Seite vorbereitet werden. Die Gegenseitigkeit des Austauschs von Praktikant(inn)en wird nicht in jeder einzelnen der Mobilitäten herzustellen sein. Die deutsch-tschechische Erfahrung zeigt aber, dass in Beziehungen, die auf Reziprozität aufbauen, die Bereitschaft, sich auf einen Austausch einzulassen, wesentlich größer sind als bei einseitigen Austauschen.

Griechenland-Special 2018

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