Griechenland

Ein Diakonisches Jahr in Athen

Als Freiwillige 10 Monate in Griechenland

100 Teamerinnen und Teamer aus Griechenland und Deutschland haben sich am 30. Mai 2018 während der Konferenz „es war einmal.heute. – Jugend im Fokus der deutsch-griechischen Beziehungen“ für diesen besonderen Erfahrungsbericht der 18-jährigen Nadine Müller interessiert, die im Rahmen des Themenblocks „Zukunftsweisende Kooperationen“ berichtete, wie sie Griechenland und seine Menschen erfahren hat. Differenziert und fundiert, wohlwollend und kritisch. Denn Nadine Müller hatte die Möglichkeit, zehn Monate während ihres Diakonisches Jahres in Athen (DJiA) als junge Deutsche mit Griechen in Athen zu leben und zu arbeiten, zu geben und anzunehmen.

13.08.2018 / Nadine Müller

Nadine Müller, 18 Jahre alt, war vom 15. September 2017 bis zum 15. Juli 2018 im Rahmen des Programms ElanDe in Griechenland.

In der 11. und 12. Klasse kam meine Entscheidung, nach dem Abi erst mal ein Jahr im Ausland zu verbringen. Ich wollte vor dem Studium noch ein Abenteuer erleben und mich sozial engagieren. Was eignet sich da besser als ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland! Da ich erst 17 war, musste ich in Europa bleiben. Sobald ich das wusste, fiel mir die Entscheidung für das Land ziemlich leicht. 2016 war ich nämlich in Griechenland auf einer Jugendfreizeit, organisiert vom Förderkreis Ferienzentren e.V.  (Föfe) und Trekking Hellas: Ca. zwanzig Griech(inn)en und zwanzig Deutsche kamen zusammen in den griechischen Bergen – wandern, zelten, unter freiem Himmel schlafen, klettern, raften und jede Menge Spaß. Es war eine wunderschöne Zeit! Während dieser zehn Tage habe ich Griechenland entdeckt, ein Land, von dem ich zuvor noch nicht viel gehört hatte, außer von seiner Mythologie und Antike. Das Zusammenleben mit den Griech(inn)en meines Alters hatte mich neugierig gemacht und schnell war ich entschlossen, nach Griechenland zu gehen, um das Land besser kennen zu lernen.

So bin ich dazu gekommen, ein Diakonisches Jahr in Athen zu machen (www.dija.de). Träger des DjiAs ist die Evangelische Freiwilligendienste GmbH mit Sitz in Hannover. Dieses Jahr sind neun Freiwillige von dieser Organisation in Griechenland, fünf in Athen und vier weitere auf Rhodos. Das Programm, an dem wir fünf in Athen teilnehmen, heißt ElanDe (Ελλάδα/ Griechenland an Deutschland). Die Partnerorganisation vor Ort ist die Evangelische Kirche Deutscher Sprache in Griechenland. Nun bin ich schon seit dem 15. September 2017 in Athen und meine Zeit dort geht langsam dem Ende zu.

Gleich am ersten Tag hat mich die Stadt begeistert: so viel Altes und Neues direkt nebeneinander und ineinander verstrickt. So viele Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. In meinem Heimatdorf gibt es ca. 500 Einwohner/-innen,  währen in Athen vier Millionen Menschen leben Wir wohnen mitten in der Innenstadt und man kann fast alles zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Toll finde ich auch unseren „Hausberg“. Wir haben direkt hinter dem Haus einen grünen Hügel, den Lykavittos, von dem aus man rundum Athen bestaunen kann. Da oben sieht man, wie riesig die Stadt überhaupt ist, ein Meer aus weißen Häusern, wunderschöne Sonnenuntergänge und nachts ein Meer aus Lichtern. Mittendrin die Akropolis. Untergekommen bin ich in der Gemeinde. Ich arbeite in der Gemeinde und im Epanendaxi (gr. Επανένταξη). Das ist eine Einrichtung von der griechisch-orthodoxen Apostoli für psychisch kranke Menschen.

Zeit mit Menschen, die fliehen mussten

Die Aufgaben in der Gemeinde sind sehr unterschiedlich: Kirchenkaffee vorbereiten, Kindergottesdienst feiern, Küche sauber halten, zur Post gehen, Besorgungen machen, Kirche für Besucher/-innen aufschließen, Büro und Keller aufräumen und putzen, Kindernachmittage gestalten, Gästewohnung sauber halten, Gäste empfangen, in den Schlüsselschrank Ordnung bringen... Sehr viel Zeit verbringe ich auch mit Geflüchteten, die mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen sind. Unter der Kirche gibt es Zimmer, in denen zurzeit  zwölf Geflüchtete wohnen. Es ist etwas ganz anderes, so nah ihre persönlichen Geschichten mitzuerleben, als die Fakten in den Nachrichten zu sehen. Einmal habe ich mit Maha, einer geflüchteten Frau, eine alte Speicherkarte, die sie dabei hatte, in meinen Laptop gesteckt, weil sie gerne wissen wollte, was für Bilder da noch drauf waren. Wir saßen zusammen und haben sie uns angeschaut. Ihr wunderschöner Garten in Syrien, ihr Haus, das ihr Mann selbst gebaut hatte, ihre Familie und Freunde... So saßen wir zusammen und während wir die Bilder anschauten, liefen ununterbrochen Tränen über ihr Gesicht. „Das mein Haus. Mein Garten. Jetzt alles kaputt.“ An eine Nacht erinnerte sie sich noch ganz besonders gut. Alles war dunkel. Beim kleinsten Licht ließen die Flugzeuge, die am Himmel flogen, ihre Bomben fallen. Nie werde ich vergessen, wie Fatima vor meinen Augen zusammen gesackt ist, als sie die Nachricht bekommen hat, dass der Bruder von Achmad, ihrem Mann, und dessen Sohn durch eine Explosion in ihrer Heimatstadt ums Leben gekommen sind, aber auch ihre und Achmads Freude, als Achmad nach neun Jahren seine Schwester wieder gesehen hat. Man begegnet sehr vielen unterschiedlichen Menschen: Obdachlosen, Gästen, die in der Gemeinde Vorträge zu verschiedenen Themen halten wie zum Beispiel die Wirtschaftskrise, dem einzigen Orgellehrer Griechenlands, Menschen, die schon um die halbe Welt gereist sind, dem Botschafter, Archäolog(inn)en, Journalist(inn)en und noch vielen anderen. Die Arbeit in der Gemeinde gefällt mir sehr und ist super interessant.

Zeit mit Menschen, die Begleitung brauchen

Im Epanendaxi helfe ich den Pfleger(inne)n, morgens alle Bewohner/-innen aufzuwecken, anzuziehen, Blutdruck zu messen, Essen zu geben… Am Anfang bestand meine Arbeit nur daraus und es wurde auch nichts anderes erwartet, doch das reichte mir nicht. Ich habe den Kontakt zu den Bewohner(inne)n gesucht, so dass ich jetzt in meiner „freien Zeit“ mich mit den Bewohner(inne)n unterhalte, mit ihnen stricke, Memory, Mensch ärgere dich nicht, Schach und Jenga spiele, mit ihnen male, singe und Katzen zähle, die am Fenster vorbei laufen… Im Epanendaxi ist es wichtig, viel Eigeninitiative und Durchhaltevermögen zu zeigen. In dieser Einrichtung wird meistens griechisch gesprochen, aber es findet sich immer jemand, der, wenn man mit Händen und Füßen und ein bisschen griechisch nicht weiter kommt, auch englisch kann.

Das mit der Sprache...

Das mit der Sprache war schon eine Umstellung, aber ich komme auch überall ohne Probleme mit Englisch oder Deutsch weiter. Trotzdem hatten wir hier jede Woche Griechisch-Kurs, und es ist immer schön, wenn man die Griech(inn)en auch in ihrer eigenen Sprache ansprechen kann. Da hat man weniger das Gefühl, ein/e Tourist/-in zu sein, obwohl es manchmal schwierig ist, mit Griech(inn)en Griechisch zu sprechen. Die meisten merken sofort, dass man fremd ist und versuchen selbst ihr Englisch oder Deutsch zu üben.

18 bin ich auf der Akropolis geworden

In meiner Freizeit erkunde ich die Stadt, habe Orgelunterricht, lese, koche, treffe mich mit Griech(inn)en, anderen Freiwilligen oder Student(inn)en und verbringe Zeit mit den Geflüchteten beim Deutschlernen, Zusammensitzen, Kochen, Tanzen, UNO- und Basketballspielen. Einer der Orgelschüler, Grieche, war immer ganz begeistert, sich mit uns zu treffen. Er selbst war noch nie im Ausland, daher freute er sich riesig, wenn das „Ausland“ zu ihm kam. Ich habe auch einen Handballklub gefunden, in dem ich trainieren kann. Ich versuche so viele Eindrücke wie möglich von Griechenland mitzunehmen. Zum Beispiel habe ich verfolgt, wie die Olympische Flamme durch Athen getragen wurde, durfte die Fackel sogar mal halten und war im Alten Olympiastadion bei der Zeremonie der Übergabe an Südkorea dabei. 18 bin ich auf der Akropolis geworden.

Griechenland, aber nicht nur europäisch

In Griechenland ist so manches anders als in Deutschland. Bei Rot über die Ampel gehen/fahren ist nichts Ungewöhnliches. Das habe ich deutlich gemerkt, als vor meiner Nase zwei Polizisten ganz gemütlich bei Rot über die Straße gegangen sind. Einen Termin auszumachen und eine halbe Stunde warten zu müssen, ist auch normal, oder dass der Bus nicht kommt. Man merkt hier auch, wie viele Menschen hier stark von der Krise betroffen sind. Ich habe Menschen kennengelernt, die zwei oder drei verschiedene Jobs haben, um ihre Familie über Wasser zu halten. Viele Griech(inn)en arbeiten auch in einem ganz anderen Bereich als in dem, den sie studiert haben. Ein gut ausgebildeter Ingenieur ist jetzt Taxifahrer, eine ausgebildete Psychologin, Köchin. In unseren fünf Einrichtungen haben wir alle gemerkt, dass viele Pfleger/-innen zum Beispiel gar nicht mit dem ganzen Herzen bei der Sache sind, weil ihre Pläne früher ganz wo anders lagen.

Was auch ganz neu für mich war, ist die geschichts-politische Entwicklung Griechenlands in der Neuzeit. Man kennt Griechenland aus der Mythologie, als Wiege Europas, in der Antike, als Schuldenland. Das hatten wir im Unterricht, aber nie haben wir gesprochen über die Situation Griechenlands während der Weltkriege, Balkankriege, Bürgerkriege und der Diktaturen.

„Wie ist das denn in deinem Land?“

Inzwischen habe ich mich wunderbar in Griechenland eingelebt. Ich weiss, wann und wo Markt ist, wo ich was kaufen kann und ich habe meine Vorliebe für griechischen Joghurt entdeckt. Die griechische Kultur habe ich durch die zahlreichen Museen und Bauten kennengelernt, und auch im Alltag bekommt man viel mit, sei es auf der Straße, in der Einrichtung oder im Supermarkt. Da hatte ich vor kurzem mit einer Verkäuferin ein nettes Gespräch über Plastiktüten. Ihr war nämlich aufgefallen, dass ich immer meine eigene große Tasche mitnehme und die dünnen Plastiktüten meide. Da hatte sie mich gefragt, wie es denn in meinem Land sei, ob wir da keine Plastiktüten benutzen…  Unser Gespräch an der Kasse wurde danach auch noch für alle Kund(inn)en, die kein Englisch konnten auf Griechisch übersetzt. Jedes Mal, wenn ich in den Laden komme, werde ich freundlich von der Verkäuferin wie eine alte Bekannte begrüßt.

Gastfreundschaft

Überwältigt hat mich die Gastfreundschaft in Griechenland. Von den Griechen sowie den Nicht- Griechen. Im Handball zum Beispiel, wurde ich ganz herzlich empfangen. Dass ich am ersten Tag noch keine Sportsachen dabei hatte, war kein Problem, die anderen Mädels hatten schnell für mich alles zusammen gesucht, und das Training hat sehr viel Spaß gemacht. Sehr viel Liebe und Gastfreundschaft habe ich auch bei den Geflüchteten der Kirche erlebt. Unsere Namen hören wir schon von Weitem, der Abschied, sei es auch nur für die Nacht, zieht sich immer ein bisschen länger hin, die Entscheidung zu ihnen hinüber zu gehen dagegen ist immer sehr schnell gefällt. Es ist schön, sich mit ihnen auszutauschen und Zeit mit ihnen zu verbringen. Selbst wenn die Kommunikation ab und zu ein bisschen schwierig ist, fühle ich mich dort sehr wohl. Gesten sagen oft mehr als Worte. Ich habe in Griechenland gelernt, dass man nicht viel Materielles braucht, um ein/e gute/r Gastgeber/-in zu sein. Es liegt an den Menschen, an deren Persönlichkeit, an deren Einstellung, Offenheit und Liebe.

Griechenland hat für immer einen Platz in meinem Herzen gefunden. Ich habe so viel gesehen und trotzdem gibt es noch so viel zu erleben, dass es ganz bestimmt nicht mein letzter Besuch in Griechenland war.

Griechenland-Special 2018

Fakten, Förderung, Kontakte

Inklusion

Berufliche Bildung und Orientierung

Flucht und Migration

Sprachanimation

Erinnerungsarbeit

Kirchliche Jugendarbeit

Schule