China

„Wir alle haben Freundschaften geschlossen“

Jugendzentrum aus Hamm reist regelmäßig nach Dalian

Wie lernen und arbeiten Jugendliche in China? Was machen sie in ihrer Freizeit? Und was steckt eigentlich hinter einer traditionellen chinesischen Teezeremonie? Antworten auf diese und viele andere Fragen suchen und finden junge Menschen zwischen 16 und 18 Jahren bei den internationalen Jugendbegegnungen des Jugendzentrums „Casino“ in Hamm. Seit 2008 reisen regelmäßig Jugendliche in die nordchinesische Hafenstadt Dalian. Dabei treten sie nicht nur in Dialog mit einer aufregenden fremden Kultur, sondern entdecken immer auch neue Facetten ihrer eigenen Persönlichkeit. Über den Austausch berichtet Karl Luster-Haggeney, Leiter des Jugendzentrums "Casino".

15.04.2016 / Verena Münsberg

Das Jugendzentrum „Casino“ wurde 1985 vom Jugendamt der Stadt Hamm gegründet und bietet im Rahmen der Offenen Jugendarbeit Freizeitaktivitäten sowie Beratung, Coaching und Trainings zur Sozialen und Interkulturellen Kompetenzbildung an. Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Beruf können an einem „Catering“-Projekt teilnehmen und berufliche Qualifikationen erlangen. Das Jugendzentrum ist offizielle Beratungsstelle von eurodesk Deutschland und informiert die Jugendlichen über die verschiedenen Formate internationaler Jugendmobilität. Ein wichtiger Baustein im Angebot des „Casinos“ sind internationale Jugendbegegnungen, die mit den USA, Ägypten, Israel, Palästina, Spanien und Österreich durchgeführt werden. Der Austausch mit China besteht seit 2007.
Projektart: Jugendbegegnung
Partnerorganisation: Dalian Shahekou District Government Education Department (seit 2014)

Auch im Frühjahr 2015 machten sich wieder Jugendliche auf den Weg nach Dalian – voller Neugier auf das große ferne Land China. Das „Casino“ hatte zuvor in allen 9er-Abschlussklassen der Stadt über das Austauschangebot informiert und kräftig Werbung gemacht. Und so ist das Interesse denn auch groß: Viele Jugendliche wollen gerne ein Land kennenlernen, dass sich sehr stark von Deutschland unterscheidet. Und sie erkennen die „einmalige Chance, mehr über das Leben von Jugendlichen in anderen Ländern zu erfahren“, Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen und dadurch ganz nah an China heranzukommen.

Intensive Vorbereitung

Das Jugendzentrum legt großen Wert darauf, die Jugendlichen vor der Reise auf die Besonderheiten des Gastlandes vorzubereiten und Vertrauen innerhalb der Gruppe zu schaffen. Vor dem Abflug steht deshalb ein siebentägiges interkulturelles Training auf dem Programm. In Kleingruppen bereiten die Jugendlichen kurze Referate vor und informieren sich gegenseitig über Denkweisen und Traditionen, Kommunikation und Essgewohnheiten in China – sogar das Essen mit Stäbchen wird unter viel Gelächter ausprobiert. Auch eine Einführung in die chinesische Sprache und Schrift gibt es, und die Jugendlichen pauken gemeinsam die wichtigsten Alltagsvokabeln und sprechen miteinander Chinesisch. Diese intensive Vorbereitung überzeugt letztlich auch jene Eltern, die zunächst Zweifel an einem Austausch mit China hegen.

Lernen hier und dort

In Dalian besuchen die Jugendlichen verschiedene Schulen und Universitäten sowie eine Ausbildungsstätte für angehende Krankenschwestern. Im Gespräch mit jungen Chinesinnen und Chinesen erfahren sie dabei trotz aller Sprachbarrieren viel über Lern- und Arbeitsmethoden in China und berichten ihrerseits über die Situation in Deutschland. Dieser unkomplizierte Kontakt überrascht viele der deutschen Jugendlichen: „Als wir in China ankamen und den ersten Kontakt mit Schülern hatten, waren alle Befürchtungen umsonst gewesen. Die Chinesen waren sehr offen und haben sehr viel erzählt und nachgefragt, so dass es immer etwas zu reden gab“, berichtet eine Teilnehmerin.

Kalligraphie und Kochkunst

Mit großer Begeisterung tauchen die Jugendlichen während des dreiwöchigen Aufenthalts auch in die Kultur Chinas ein, besuchen Museen, buddhistische Klöster und Tempel und erfahren etwas über Kalligraphie und Papercuts. Die begleitenden Stadtführer stellen ihnen dabei nicht nur das heutige, sondern auch das traditionelle China vor: „Somit konnten wir sehen, wie sich China im Laufe der Jahre entwickelt und verändert hat“, sagt eine Teilnehmerin fasziniert. Selbstverständlich steht auch eine Teezeremonie auf der Agenda, und in einer Kochschule greifen alle zu Topf und Pfanne. Die vielen ungewohnten Speisen stellen die Jugendlichen immer wieder auf eine harte Probe. Doch mit der Zeit habe sie gelernt, „nicht mehr engstirnig zu denken und bei chinesischem Essen nicht gleich angewidert zu gucken, sondern dem Fremden eine Chance zu geben und neuen Dingen gegenüber offen zu sein“, berichtet eine Teilnehmerin.

Herausforderungen und Stolpersteine

Es sind vor allem diese positiven Erlebnisse, die Karl Luster-Haggeney am Austausch mit China festhalten lässt – trotz aller Schwierigkeiten in der Kooperation. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Besuche der Chinesen in Deutschland ohne nachvollziehbare Gründe abgesagt. Häufig entsprach die chinesische Gruppe in Altersstruktur und Sprachkenntnissen nicht der vorab getroffenen Vereinbarung. Auch deshalb entschied sich das Jugendzentrum im Jahr 2014, den chinesischen Partner zu wechseln. Für die Zukunft wünscht sich Karl Luster-Haggeney eine größere Offenheit, mehr Vertrauen und vor allem größtmögliche Transparenz auf beiden Seiten. Wenn diese Bedingungen gegeben seien, habe der Austausch ein großes Potenzial: „Inzwischen schätzen wir dieses Land und seine Jugendlichen, weil es an jeden Tag einer Begegnung zig Erlebnisse gibt, die absolut unerwartet und fremd sind, die für das Lernen von interkulturellen Kompetenzen und vor allem das Kennenlernen der eigenen Kultur fruchtbar gemacht werden können“, erklärt der Sozialpädagoge.

Zu Gast bei Freunden

Ein besonders faszinierendes Erlebnis, „das absolute Highlight“ ist für die Jugendlichen aus Hamm die Übernachtung in einer chinesischen Gastfamilie. Hier erleben sie den Alltag der chinesischen Jugendlichen hautnah und müssen mitunter Unsicherheit und starke Fremdheitsgefühle bewältigen. Beeindruckt von der großen Gastfreundschaft und Offenheit ihrer chinesischen Austauschpartner, fühlen sich jedoch viele Jugendlichen schnell wohl. Das Gespräch über Freizeitgestaltung, Interessen und Hobbys schult ihr Englisch und zeigt ihnen nicht nur die großen Unterschiede zwischen beiden Kulturen, sondern offenbart auch immer wieder überraschende Parallelen. Auch nach der Begegnung wollen die Jugendlichen in Kontakt bleiben, so die einhellige Meinung: „Wir alle haben Freunde gefunden, obwohl wir verschiedene Sprachen, Glauben und Nationalitäten haben. Wir haben gelernt, andere Kulturen zu schätzen und zu mögen.“

Mutig in die Zukunft

Nicht nur bei der Essensauswahl sind die Jugendlichen nach dem Aufenthalt in China mutiger geworden – sie fühlen sich insgesamt selbständiger und sicherer, weil sie „einmal ganz weit weg“ waren und ohne ihre Eltern 19 Tage lang in einem fernen Land zurechtgekommen sind. Das macht stark für die Zukunft: Viele wollen nun mehr reisen und unbedingt eine Zeitlang im Ausland studieren – das Unbehagen vor dem Unbekannten ist gewichen: „Eine schüchterne Person bin ich zwar nie wirklich gewesen, aber seit dem Jugendaustausch gehe ich noch mehr auf Fremde zu“, sagt eine Jugendliche. Und von der Gelassenheit der Chinesen wollen sie sich auch eine Scheibe abschneiden: Dem Leben mit mehr Ruhe begegnen, mit dem Gegebenen zufrieden zu sein und immer wieder auch eine andere Perspektive einnehmen, das haben sich die Jugendlichen fest vorgenommen. Zusammen mit Neugier und Offenheit sicher eine gute Grundlage für den weiteren Lebensweg.

Weitere Informationen unter: http://www.casinodasjugendzentrum.de/casino-international/berufsorientierung-in-china/

Stimmen von Jugendlichen, die am Chinaaustausch des „Casino Hamm“ teilgenommen haben

Interview mit Luzie Mundthal

Warum ich an dem Jugendaustausch mit China teilnehmen wollte…

Luzie: Ich wollte teilnehmen, weil mich andere Sprachen und Kulturen sehr interessieren und China ein großes Land ist, das sich von Deutschland stark unterscheidet und von welchem man sonst bloß schlecht einen Eindruck bekommen kann. Außerdem wollte ich gerne Chinesen kennenlernen und etwas mit ihnen unternehmen.

Wie ich mich auf den Aufenthalt in China vorbereitet habe…

Luzie: Auf den Aufenthalt wurde die Gruppe vorher vom Casino lange durch Informationen über die chinesische Kultur, chinesische Vokabeln und andere nützliche Fakten vorbereitet. So haben wir uns auch untereinander schon gut kennengelernt und sind als Gruppe zusammengewachsen.

Was wir in China gemacht haben...

Luzie: In China haben wir sehr viel unternommen! Wir haben zahlreiche Schulen und Universitäten besucht und so auch chinesische Schüler kennengelernt, wir haben beispielsweise einen buddhistischen Tempel besichtigt, was ein tolles Erlebnis war und wir waren auch in einem Zoo, einem riesigen Schwimmbad und haben andere Freizeitaktivitäten genutzt. Auch die traditionelle Tee-Zeremonie war sehr interessant. Eine Nacht haben wir sogar in Gastfamilien verbracht!

Was mich am meisten überrascht hat…

Luzie: Am meisten hat mich übrigens die riesige Gastfreundschaft der Chinesen und das große Interesse an uns überrascht.

Was ich gelernt habe…

Luzie: Ich habe gelernt, das man unvoreingenommen an die meisten Angelegenheiten gehen sollte, und auch Dinge die wir nicht kennen einfach einmal probieren sollte.

Ob und wie die Begegnung meine Zukunftspläne beeinflusst hat…

Außerdem würde ich gerne in China studieren, da es ein tolles Land mit guten Möglichkeiten ist und mir die Universitäten sehr gefallen haben.

Interview mit Asmae Karrouchi

Warum ich an dem Jugendaustausch mit China teilnehmen wollte…

Asmae: Ich wollte am Jugendaustasch teilnehmen, da ich schon immer viel reisen wollte, um möglichst viel von anderen Kulturen lernen zu können. Mir war auch klar, dass das eine einmalige Chance wäre mehr über das Leben von Jugendlichen in anderen Ländern zu erfahren, denn bei einer normalen Reise mit der Familie kommt es nur öberflächlich zum Kontakt mit Einheimischen.

Wie ich mich auf den Aufenthalt in China vorbereitet habe…

Asmae: Abgesehen von den Treffen die wir im Casino hatten, bei denen wir uns mit unterschiedlichen Themen rund um China beschäftigten, habe ich einen Vortrag zum Thema "Schenken und beschenken lassen" erarbeitet. Außerdem las ich im Internet viele Beiträge über China.

Was wir in China gemacht haben...

Asmae: Wir haben sehr viel als Gruppe unternommen.Unter anderem waren wir gemeinsam Kochen und in unterschiedlichen Museen. Aber mit Abstand am besten gefallen haben mir die Schulbesuche und die Übernachtung bei einer chinesischen Familie, denn da konnte ich am meisten über den Alltag der Jugendlichen erfahren.

Was mich am meisten überrascht hat…

'Asmae: Am meisten überrascht hat mich das Essen. Ich war nie ein Fan von chinesischem Essen, aber seit der Reise nach China hat sich das total verändert. Während ich vorher aller höchstens gebratene Nudeln beim Chinesen bestellt habe bin ich jetzt bei der Wahl meines Essens viel mutiger geworden. Vor dem Jugendaustausch hätte ich nicht gedacht, dass in China eine deratrige Vielfalt an Gerichten besteht.

Was ich gelernt habe…

Asmae: Ich bin nicht nur bei der Wahl meines Essens aufgeschlossener geworden. Eine schüchterne Person bin ich zwar nie wirklich gewesen, aber seit dem Jugensaustausch gehe ich noch mehr auf Fremde zu. Vor der Reise hatte ich auch einige Probleme beim Treffen von Entscheidungen. Doch durch die Entscheidung beim Austausch teilzunehmen, habe ich dabei viel weniger Schwierigkeiten.

Ob und wie die Begegnung meine Zukunftspläne beeinflusst hat…

Asmae: Für mich steht fest, dass ich Studieren möchte. Während früher für mich feststand, dass ich in Deutschland studieren werde bin ich einem Auslandsstudium nun viel aufgeschlossener. Außerdem ist mein Wunsch die Welt zu bereisen stärker geworden. Ich würde ebenfalls gerne an weiteren Auslandsprojekten teilnehmen.

Interview mit Michelle Sauer

Warum ich an dem Jugendaustausch mit China teilnehmen wollte…

Michelle: Ich wollte daran teilnehmen, um die Welt und andere Kulturen näher kennenzu lernen. Da wir ja auch so schon mit der Familie viel unterwegs sind und bei uns auch sehr viel Interesse am Reisen besteht, war dies auch eine Möglichkeit zu sehen, ob wir in einem so weit entferntem Land auch ohne Eltern 'klar zu kommen'.

Wie ich mich auf den Aufenthalt in China vorbereitet habe…

Michelle: Im Vorfeld hat sich jeder innerhalb der Gruppe ein Thema ausgesucht (z.B die Esskultur, Allgemeines über Chinas Politik etc.) und sich dazu informiert. Dies wurde daraufhin vorgetragen, was uns die Kultur und verschiedenen Lebensweisen schon etwas näher gebracht hat und wir uns somit einen kleinen Einblick verschaffen konnten. Zudem haben wir kleine Filme bzw. Videos über China und vorallem die Stadt Dalian angesehen und so hatten wir eine Vorstellung, wie es dort aussieht und konnten uns ein Bild darüber machen, was für interessante Sachen auf uns zukommen.

Was wir in China gemacht haben...

Michelle: Das Programm war sehr abwechlungsreich, jeden Tag haben wir Neues gesehen und erlebt. Wir haben sehr viele Schulen besucht und konnten uns dort ein Bild von dem Schulalltag machen. Zudem boten diese Besuche uns die Möglichkeit sich mit den Chinesen und Chinesinnen auszutauschen. Wir alle haben Freundschaften geschlossen. Zudem lernten wir die Religion kennen. Daher sind wir an einem Tag zu einem sehr eindrucksvollen Tempel gefahren. Um uns das Großstadtleben ein wenig näher zu bringen, haben wir eine Stadtrundfahrt durch Dalian gemacht und sind beispielsweise auch mehrmals mit der Gruppe und den Betreuern mit der Straßenbahn gefahren. Einen Nachmittag verbrachten wir mit dem Erlernen des dort üblichen Papercuts und der Kalligrafie. Ebenfalls durften wir selber in einer chinesischen Kochschule unser Können unter Beweis stellen. Außerdem besuchten wir die Peking Oper, die uns ebenfalls die Kultur näher brachte. Das 'Highlight' war jedoch der Aufenthalt in einer chinesischen Gastfamilie. Dort konnten alle einen eigenen Eindruck des Alltagslebens gewinnen und neue Kontakte knüpfen. Dort konnte man die Unterschiede unserer Kultur und der Kultur erfahren und selbst erleben.

Was mich am meisten überrascht hat…

Michelle: Am meisten überrascht hat uns, dass wir doch in so kurzer Zeit China so intensiv erleben und kennenlernen konnten. Das man in den Tagen, an denen wir da waren so viel erleben kann und so viel Neues lernt. China ist doch interessanter als wir es uns sowieso schon vorgestellt hatten. Man muss offen für Alles sein, es ist komplett anders als hier. Durch den Chinaaufenthalt haben womöglich alle sehr viele neue Erfahrungen gemacht.

Was ich gelernt habe…

Michelle: "Nicht über etwas zu urteilen, wenn man es nicht kennt", hieß es schon vor der Reise. Dies hat sich dann in China gezeigt. Manche mochten das Essen, manche nicht. Manche verstanden sich besser mit einigen Chinesen, manche eher weniger. Wir sollten nicht schon urteilen, bevor wir es nicht kannten, etwas Verallgemeinern (z.B.: "Das was die essen ist doch irgendwie ekelig") gar Vorurteile haben und aussprechen. Bei uns sollte es heißen "Es schmeckt mir nicht." In unserer Gruppe hat dies aber ziemlich gut geklappt.

Zudem haben uns die Besuche an Schulen gezeigt, dass wir unseren Schulalltag schätzen sollten. Wir in Deutschland haben noch sehr viel Freizeit im Gegensatz zu den chinesischen Schülerinnen und Schülern.

Ob und wie die Begegnung meine Zukunftspläne beeinflusst hat…

Michelle: Man geht viel offener mit dem Leben um und lässt mehr auf sich zukommen. Außerdem ist man selbstbewusster und selbstsständiger geworden, weil man dort gemerkt hat, dass man auch ohne die Eltern gut auskommt und auf eigene Faust eine 19-tägige Reise gemeistert hat.

China-Special

Good Practice

Fakten, Förderung, Kontakte

Menschen sitzen an einem Tisch und essen.
Über die Zusammenarbeit mit China

In Zusammenarbeit mit dem All-Chinesischen Jugendverband, dem zentralen jugendpolitischen Akteur Chinas, setzt IJAB Fachkräfteprogramme im Auftrag des Bundesjugendministeriums um. Erfahren Sie mehr über diese Kooperation und wie Sie daran teilhaben können.