Der Offene Kunstverein Potsdam e.V. ist seit 1997 Teilnehmer und Initiator zahlreicher internationaler Kooperationen sowohl im Theaterbereich als auch in der Bildenden Kunst. Ziele der Internationalen Kinder- und Jugendkunstprojektarbeit sind die Förderung von Toleranz und interkultureller Kompetenz durch die künstlerische und pädagogische Arbeit mit Jugendlichen sowie der Methodenaustausch und die Erweiterung von künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Jugendlichen und der anleitenden Künstler/-innen. Der Austausch mit China besteht seit 2009.
Projektart: Jugendaustausch
Partnerorganisation: Technische Universität Wuhan
Wieso betreibt der Offene Kunstverein Potsdam einen Austausch mit China? Wo liegen dessen Ursprünge?
Eva Kowalski: 2004 sind wir von Kunststudent(inn)en aus China, die in Berlin waren, angefragt worden, ob sie bei uns ausstellen könnten. Wir sind keine Galerie in dem Sinne, dass wir Künstler/-innen promoten und Werke verkaufen, aber wir wollen jungen Menschen Perspektiven eröffnen und ihre Projekte fördern. Daher sind wir auf die Anfrage eingegangen und haben uns auf das Experiment eingelassen. Die Student(inn)en haben alles selbst finanziert, d. h. sie kamen aus entsprechenden Verhältnissen.
Der Kontakt zu den Student(inn)en ist dann geblieben?
Eva Kowalski: Ja, mit einzelnen Künstler(inne)n ist der Kontakt geblieben und mit der Dolmetscherin haben wir uns angefreundet. Über diese Personen ist schließlich auch der Kontakt zur Technischen Universität Hubei-Wuhan entstanden. Ohne diesen persönlichen Kontakt hätten wir das Austauschprojekt nicht entwickeln können. Nach 2004 hat es eine Weile gedauert, bis der Austausch anlaufen konnte. Im Jahr 2009 ist erstmalig eine deutsche Gruppe nach China gereist. Seit 2013 hat dann jährlich ein Austausch stattgefunden.
Was zeichnet den Austausch aus? Welche Inhalte und Themen stehen bei Ihnen im Mittelpunkt?
Eva Kowalski: Wir haben eine Vision: Wir wollen Jugendliche aus aller Welt in der gemeinsamen künstlerischen Arbeit zusammenbringen. Als Kunstverein wollen wir mit der Gruppe zu einem bestimmten Thema im Rahmen eines Workcamps künstlerisch arbeiten. Dabei interessieren uns auch aktuelle soziale Themen, aber primär beschäftigen wir uns mit Kultur, Geschichte, Mythen, Entwicklungen und Parallelen der unterschiedlichen Kulturen und blicken auf Kunst, Demokratieverständnis, Religion, Tradition, Moderne und Rituale.
Das erste Thema mit der chinesischen Gruppe war das Thema "Drachen". Das war sehr spannend, weil der Drache in China vom mythologischen Gesichtspunkt her eine völlig andere Bedeutung hat als in Deutschland. Der Drache wird in China positiv gesehen als jemand, der auch beschützt. In Deutschland hingegen ist der Drache traditionell und vor allem durch die Nibelungensage nicht so positiv belegt. Bei der Themenwahl sind die Chines(inn)en auf unsere Vorschläge eingegangen. Sie interessieren sich dafür, aber für sie ist das eigentliche Thema nicht so wichtig wie das Ergebnis. Wir haben gelernt, dass für die Chinesen am Ende immer etwas Repräsentatives stehen muss. Bei den chinesischen Teilnehmenden entwickelte sich ein unheimlicher Ehrgeiz. In Wuhan wurden ein chinesischer und ein deutscher Drachen gebaut, die dann zusammen ausgestellt wurden. Der Bau der Drachen war jedoch auch konfliktgeladen. Eine der deutschen Teilnehmerinnen hat das Innere des Drachens gezeigt. Es war kein langes Objekt wie die großen Drachen, die wir aus dem Fernsehen kennen und die in China an Neujahr durch die Straßen getragen werden. Es waren eher Scheiben, die die Gedärme zeigten und als Teilstücke einzeln getragen werden konnten. Das man so mit einem Thema umgehen kann, war für die chinesische Seite erst einmal etwas ungewöhnlich. Für die chinesischen Teilnehmenden ist eher serielles Arbeiten charakteristisch, d. h. die Wiedergabe traditioneller Muster und Formen. Es geht nicht um die Suche nach dem individuellen Ausdruck, sondern um das Ergebnis als Ganzes. Die Deutschen sind eher geneigt zu experimentieren.
Wie sehen die Rahmenbedingungen für den Austausch aus?
Eva Kowalski: In der Regel kommen ca. 13 - 14 Personen aus China und in etwa ebenso viele fahren nach China. In diesem Jahr haben in Deutschland mehr junge Menschen Interesse gezeigt und deshalb haben wir die Zahl auf etwa 20 erhöht. Bei den Begegnungen in China sind die jungen Menschen meistens im Alter von 17 oder 18 Jahren.
Wenn unsere Gäste in Deutschland ankommen, bringen wir sie zunächst in Potsdam für 2 - 3 Nächte in Gastfamilien unter. In dieser Zeit besichtigen wir Museen und das Schloss Sanssouci und besprechen das Projekt. Im Anschluss fahren wir dann hinaus aufs Land nach Strodehne, wo wir in die praktische Arbeit einsteigen und etwa 10 Tage zusammenbleiben. Strohdehne ist ein Künstlerdorf in der Ost-Prignitz in einem Naturschutzgebiet. Wir kooperieren dort mit einem Verein, der ein Kunsthaus aufgebaut hat. Dieser Ort mitten auf dem Land hat den großen Vorteil, dass alle da sind und nicht mal eben schnell nach Berlin fahren können.
Wie setzt sich die Finanzierung zusammen?
Eva Kowalski: Wir erhalten für die Projekte eine Förderung aus den Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes über die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Darüber hinaus erheben wir noch einen Teilnehmerbeitrag von den deutschen Teilnehmenden. Daraus finanzieren wir die Honorare für eingeladene Künstler/-innen, Fahrtkosten, Material, Aufenthaltskosten. Als Verein haben wir zudem eine Grundfinanzierung über die Stadt, die auch mitbedacht werden muss. In diesem Projekt spielt diese Finanzierung direkt zwar keine Rolle. Aber ein Großteil der mitarbeitenden Personen ist über die Stadt finanziert. Ohne diese Grundfinanzierung wäre die Projektarbeit so nicht möglich.
Welche nachhaltigen Veränderungen können Sie bei den Jugendlichen beobachten?
Eva Kowalski: Für unsere Jugendlichen ist es immer erhellend, wenn sie merken, dass die Dinge woanders anders funktionieren und die Menschen anders denken. Sie leben hier in einer geschützten Welt, in der viele Dinge selbstverständlich sind. Hier spüren wir die nachhaltige Veränderung. Die Jugendlichen denken nachher über viele Dinge differenzierter. Dies ist auch bei den chinesischen Jugendlichen der Fall. Wenn wir in China sind und ehemalige Teilnehmende treffen, erfahren wir, dass sie positiv an ihre Begegnung zurückdenken. Die Erfahrung von Freiheit und Demokratie wird von den chinesischen Teilnehmenden als wesentlich dargestellt. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass chinesische Jugendliche zweimal teilnehmen dürfen, das gilt auch für die Lehrer/-innen. Dadurch kommt bislang keine richtige Kontinuität zustande. In Deutschland sind die Jugendlichen, die in China waren, sehr interessiert daran, im darauffolgenden Jahr am Projekt in Deutschland mitzuwirken.
Wo sehen Sie Perspektiven? Wie schätzen Sie das zukünftige Potential ein?
Eva Kowalski: Der Austausch fügt sich gut in unser Gesamtprogramm ein. Grundsätzlich möchten wir den Austausch deshalb weiterführen, aber dies ist auch immer eine Frage der Kapazität. Wir sind ein kleiner Verein und wir führen regelmäßig auch noch einen deutsch-russischen Austausch und Theaterprojekte durch. Deshalb müssen wir immer schauen, dass wir alles mit den vorhandenen Kapazitäten schaffen. Der Austausch mit China ist der wichtigste außereuropäische Baustein. In 2016 ist wieder eine Begegnung in Wuhan geplant. Die Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Wuhan funktioniert mit der Dolmetscherin als Verbindungsfrau gut. Wir sind daran interessiert, auch neue Orte einzubinden.
Langfristig sind die internationalen Projekte außerordentlich bereichernd. Wir haben über die Begegnungen hinaus bei uns Freiwillige aus verschiedenen europäischen Ländern. Leider ist der Freiwilligendienst mit China bisher schwierig zu realisieren und nicht zustande gekommen. Das wäre etwas, das wir in Zukunft gern umsetzen möchten.
Weitere Informationen unter: http://okev.de/china/
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