Das Landesjugendpfarramt ist eine Dienststelle der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Diese vertritt die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Kirche und Gesellschaft und unterstützt und vernetzt die Jugendarbeit in den Kirchenbezirken, berät und bildet ehren- und hauptamtliche Akteure und übernimmt stellvertretend Dienste in Arbeitsgebieten, die die besonderen Möglichkeiten der Landesebene brauchen. Landesweit werden im Dialog mit anderen Trägern Ideen, Projekte und Konzepte entwickelt, die durch Angebote, Veranstaltungen und Veröffentlichungen verwirklicht werden. Das Landesjugendpfarramt ist ein originärer Bestandteil der Struktur evangelischer Jugendarbeit in Sachsen. Es dient der Identifikation mit und der Beheimatung in der Evangelischen Jugend. Das Landesjugendpfarramt stellt die Verbindung her zu Partnern und Netzwerken, die für die evangelische Jugendarbeit wichtig sind. Dazu gehören die Gestaltung ökumenischer Zusammenarbeit und die Pflege internationaler Kontakte. Die Kontakte nach China bestehen seit 2008.
Projektart: Jugendbegegnungen, Fachkräfteaustausch
Partnerorganisation: YMCA Shanghai
Wie ist es zum Kontakt zwischen dem Landesjugendpfarramt und dem YMCA Shanghai gekommen?
Rolf Schmidt: Begonnen hat alles mit Begegnungen auf dem Deutschen Jugendhilfetag in Essen 2008. Ein Kollege von mir knüpfte dort Kontakte zum YMCA. 2009 fand die erste Begegnung in Shanghai statt. Wir haben mit dem Fachkräfteaustausch als Multiplikatoren-Seminar begonnen, denn es ist gut, die Fachkräfte auf Landesebene zu erreichen, die wiederum ihre Jugendlichen erreichen. Aus diesen Fachkräfteaustauschen haben sich dann ein oder zwei Jugendbegegnungen entwickelt.
Welche Themen und Inhalte sind Ihnen im Austausch mit China wichtig?
Rolf Schmidt: Die Faszination für das Fremde, das Unbekannte, für einen anderen Kontinent und eine andere gesellschaftliche Situation zeichnet unsere Motivation sehr stark aus. Aber auch die vielen Bilder, die man über China hat, alte traditionelle oder furchterregende moderne, das kommunistische Gesamtbild – all das ist für uns als Ostdeutsche gerade wieder interessant, für die Älteren, die den DDR-Kommunismus miterlebt haben, noch mehr als für die Jugendlichen.
Außerdem ist es für uns interessant zu erfahren, wie stark der Konfuzianismus noch eine Rolle spielt und wie stark der kommunistische Einfluss auf das Zusammenleben in der Gesellschaft ist. Spannend ist auch der Transformationsprozess zwischen Tradition und Moderne, den China schon seit langem durchmacht. Für uns als Christen ist es zudem interessant zu schauen, wie stark das Christentum in China ist.
Diese Themen spielen in unterschiedlicher Ausprägung sowohl bei den Fachkräften als auch bei den Jugendbegegnungen eine Rolle. Die Fachkräfte beziehen sich sehr stark auf Jugend- und Sozialarbeit, auf Vergleiche zwischen dem gesellschaftlichen Engagement des YMCA und unserem Jugendverband. Bei den Jugendbegegnungen standen andere Fragen im Mittelpunkt, zum Beispiel: Wie gelingt das Leben? Im Rahmen der Jugendbegegnung haben wir gemeinsam einen Erste-Hilfe-Kurs mit ehrenamtlichen Jugendlichen gemacht. Die Chines(inne)en fanden das sehr interessant und spaßig, da sie so etwas aus China nicht kennen. Wichtig ist immer, dass man neben der Sprache noch eine andere Ausdrucksart hat, beispielsweise eine künstlerische Perspektive.
Besonders wichtig ist auch die Sprachanimation, also zumindest eine Einführung in die Grundsprache. Wenn es irgendwie geht, lege ich Wert darauf, dass die Muttersprache zum Zuge kommt. Das ist zwar anstrengender, ermöglicht aber eine tiefere Begegnung, stärkeres Nachfragen, Hinterfragen. Die englische Sprache regt lediglich zum Informationsaustausch an. Der Begegnungsaspekt ist in der Muttersprache viel größer.
Wie wird mit politisch sensiblen Themen umgegangen?
Rolf Schmidt: Direkt ist dies kein Thema. Aber wir hatten zum Beispiel das Thema Refugees in Germany. Ein Teilnehmer, der sich ehrenamtlich in diesem Bereich sehr engagiert, hielt einen Vortrag zu diesem Thema. Das hat die Chines(inne)en sehr bewegt. Die chinesische Seite hat uns auch die Ein-Kind-Politik oder die Situation der Wanderarbeiter-Kinder erklärt. Wir haben uns verständigt, dass wir aus Respekt vor der Kultur und der Politik Themen wie Tibet nicht ansprechen, aber informell reden wir über vieles. Das kennen wir aus DDR-Zeiten auch: Es gibt eine offizielle Sichtweise und es gibt den informellen Bereich. Bei jungen Menschen ist es wichtig, das zu respektieren. Wir haben den Jugendlichen gesagt, dass sie fragen dürfen, was sie interessiert, aber dass sie an einer ausweichenden Antwort ablesen können, ob die Frage problematisch war.
Können Sie uns eine konkrete Austauschmaßnahme vorstellen?
Rolf Schmidt: In der Regel dauert ein Jugendaustausch 10 - 14 Tage und ein Fachkräfteaustausch 8 - 10 Tage. Für die Jugendlichen findet immer ein Vorbereitungstreffen statt, um sie interkulturell vorzubereiten. Jugendliche zahlen zwischen 400 und 700 € pro Person für die Teilnahme. Die Jugendlichen können sowohl in China als auch in Deutschland normalerweise sehr gut Englisch, somit sind sie sehr schnell miteinander im Gespräch. Sie vermitteln sich gegenseitig ihre kulturelle Situation durch Museumsbesuche und Stadtrundfahrten. Sie stellen das Schulsystem und ihre Schule und Jugendtreffs vor. Die Hin-Begegnung findet in einem Jahr statt und im darauffolgenden Jahr besuchen uns die Chinesen. Beim letzten Austausch haben wir ehrenamtlich engagierte Jugendliche ausgewählt und es ging um die Rolle und die Qualifizierung von Ehrenamtlichen in der Jugendarbeit. Wir haben dort ein zweitägiges Forum gemacht, bei dem sich deutsche und chinesische Jugendliche im Wechsel vorgestellt und ihre ehrenamtliche Arbeit präsentiert haben. Das war ein sehr interessanter Einblick in die chinesische, die evangelische und die deutsche Sichtweise. Bei der Hin-Begegnung finden wir immer reichlich Teilnehmende. Bei der Rückbegegnung ist es immer etwas Arbeit, die Jugendlichen zu motivieren. Wir versuchen, die gleichen Jugendlichen auch an der Rückbegegnung in Deutschland teilnehmen zu lassen, aber es gelingt meistens nur maximal bis zur Hälfte.
Welche Bedeutung hat der Austausch für das Landesjugendpfarramt?
Rolf Schmidt: Im Landesjugendpfarramt haben wir keine expliziten Mitarbeiter/-innen für den internationalen Jugendaustausch. Jede/r hat in seinem oder ihrem Arbeitsfeld so etwas wie "internationale Kontakte". Ich bin beim Landesjugendpfarramt der Fachreferent für „Jugendsozialarbeit, Offene Jugendarbeit, mobile Jugendsozialarbeit“ und versuche hier das Arbeitsfeld mit internationalen Kontakten zu beleben. Für uns als Verband ist es interessant zu erfahren, wie sich das Christentum in China darstellt, wie die Situation der Jugendlichen ist und wie sich ein christlicher Jugendverband in der chinesischen Gesellschaft engagiert. Wir möchten über den Tellerrand schauen, mit Vorurteilen umgehen lernen und suchen den interkulturellen Dialog. Besonders, weil wir in Sachsen immer wieder merken, dass bei manchen Menschen eine große Verunsicherung da ist und manche mit anders aussehenden Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund Schwierigkeiten haben. Dieser interkulturelle Aspekt hat eine hohe Bedeutung und einen hohen Wirkungsgrad, schafft Auseinandersetzung in der Begegnung und nach der Begegnung in der Reflexion bei Jugendlichen wie auch Fachkräften.
Welche Rückmeldung bekommen Sie von den Teilnehmenden?
Rolf Schmidt: Das Interesse an dem Kontinent, an China und an der Gesellschaft wächst. Das melden uns auch die Jugendlichen zurück. Bei den Jugendlichen entsteht durch das Kennenlernen der Fremde aber auch eine stärkere Identität mit der eigenen Heimat. Sie merken, dass sie sich wohlfühlen, dass sie gerne wieder nach Hause fahren und zu Hause sind. Außerdem erzählen die Jugendlichen in ihren Jugendgruppen angeregt von der Reise. Es ist sehr beeindruckend, wie der Austausch Erlebnisse schafft und das interkulturelle Lernen und die Identität verstärkt.
Wie erreichen Sie Nachhaltigkeit im Austausch?
Rolf Schmidt: Wir haben in China immer den gleichen Ansprechpartner. So konnten wir grundsätzliche Fragen verbindlich absprechen. Unsere Partnerschaft ist sehr verlässlich, sehr gewachsen und die Kommunikation ist auch per Mail sehr klar. Missverständnisse passieren eigentlich kaum noch. Wir handeln nach dem Gastgeberprinzip, das heißt der Gastgeber kümmert sich um die Unterkunft und stellt sie auch. Die Flugkosten bezahlt immer der Gast und das Programm sprechen wir ab.
Wie sehen die Perspektiven aus und wie schätzen Sie das zukünftige Potenzial des Austausches ein?
Rolf Schmidt: Finanziert wird der Austausch durch Mittel des Kinder- und Jugendplans des Bundes, durch Eigenmittel der Teilnehmenden und Eigenmittel des Verbandes. Jugendliche müssen für eine Teilnahme viel bezahlen, so dass eher Jugendliche mit höherem Bildungsgrad dabei sind. Wir haben uns verständigt, dass wir weiter machen, solange wir die Mittel über den Kinder- und Jugendplan des Bundes erhalten. Ohne diese Förderung geht es nicht. Wir planen bereits die nächste Begegnung, wissen aber noch nicht, ob wir eine Jugendbegegnung oder einen Fachkräfteaustausch machen. Sehr gelungen waren die beiden Begegnungen mit den ehrenamtlichen Jugendlichen, die schon ein gewisses Verbands- oder Organisationsverständnis haben und die mit einer gewissen Verantwortungshaltung Aufgaben übernehmen. Vielleicht machen wir das wieder. Wir schauen immer Schritt für Schritt und maßnahmebezogen. Am Ende jeder Begegnung wird überlegt, wie wir den Austausch weiter planen und gestalten wollen und es entwickeln sich dabei oft neue Ideen.
Weitere Informationen unter: http://www.evjusa.de/evjusa/projekte/deutsch-chinesische_jugendbegegnung.html
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