Person läuft auf einer Wegbegrenzung hin zum Herkulesturm in La Coruña, Galizien Person läuft auf einer Wegbegrenzung hin zum Herkulesturm in La Coruña, Galizien
Nachhaltigkeit

Mobilität und Nachhaltigkeit: keine leichten Lösungen

Online-Fachtag „Let’s go green“

Beim Thema Nachhaltigkeit sind die Erwartungen junger Menschen an die Veranstalter von Austausch und Begegnungen hoch und auch die Ansprüche der Träger an sich selbst. Aber: Mobilität und Nachhaltigkeit sind nicht leicht zusammenzubringen. Wie das Arbeitsfeld Internationale Jugendarbeit dennoch umwelt- und klimafreundlicher werden kann, wurde beim Online-Fachtag „Let’s go green – Internationale Jugendmobilität nachhaltig gestalten“, den IJAB in Kooperation mit den Fach- und Förderstellen der Europäischen und Internationalen Jugendarbeit durchgeführt hat, diskutiert.

09.01.2024 / Christian Herrmann

Die Zahlen, die Neringa Tumėnaitė von der University of London und Dr. Manal Benani von der Union for the Mediterranean in ihrer Keynote präsentierten, gaben einen Einblick in das Befinden junger Menschen. 84 % der 16 bis 25jährigen sind über die Folgen des Klimawandels besorgt, 75 % sehen ihre Zukunft pessimistisch, 50 % fühlen sich hoffnungslos und ohnmächtig. Weitere Zahlen legen nahe, dass das Vertrauen junger Menschen in ihre Regierungen schwindet.

Kein Wunder, dass das Interesse am Online-Fachtag „Let’s go green – Internationale Jugendmobilität nachhaltig gestalten“ groß war. Fast 100 Teilnehmer*innen waren zusammengekommen, um gemeinsam über eine nachhaltige Internationale Jugendarbeit nachzudenken. Sie spüren die Erwartungen junger Menschen, die nicht mehr gedankenlos mit dem Flugzeug reisen wollen und denen es nicht egal ist, welches Essen auf den Tisch kommt.

„Nachhaltigkeit geht natürlich weit über die Wahl des Verkehrsmittels hinaus“, sagte IJAB-Direktor Daniel Poli in seiner Begrüßung. Wer Neringa Tumėnaitė und Dr. Manal Benani zuhörte, bekam einen Eindruck, wie komplex das Thema ist. Zwar hatten die Referentinnen viele praktische Tipps, wie Jugendaustausch nachhaltiger gestaltet werden kann – lokale Produkte kaufen, öffentlichen Nahverkehr nutzen oder „grüne“ Unterkünfte wählen beispielsweise –, aber es ging ihnen auch darum aufzuzeigen, wie Klimawandel und globale Ungleichheit miteinander verbunden sind. Der globale Süden erlebt die Folgen der Erderwärmung drastischer als der reiche Norden und es sind die vulnerablen Gruppen in der Gesellschaft, die besonders darunter leiden. Im Zentrum der Keynote stand, wie junge Menschen besser beteiligt und gehört werden können. Wenn sich 50 % der jungen Generation ohnmächtig fühlen, dann muss man sich mit mehr Partizipation auseinandersetzen. Tumėnaitė und Benani wünschen sich nicht nur Aktivismus, sie wollen auch professionelle Perspektiven für das Engagement junger Menschen. Es geht also beim Thema Nachhaltigkeit bei weitem nicht nur darum, das Reiseziel umweltfreundlich zu erreichen, es gibt auch einen starken Bildungs- und Beteiligungsanteil.

Zwischen Pragmatismus und Anforderungen an die Politik

Was das in der Praxis bedeutet, wurde in einem Panel und in Breakout-Sessions diskutiert. Viele gute Ideen stehen im Raum, aber auch viele Hindernisse, sie umzusetzen. Nachhaltige Unterkünfte sind eine schöne Sache, aber nur wenige Tagungshäuser und Jugendherbergen lassen sich zertifizieren, weil sie die hohen Kosten scheuen. Der Austausch mit dem Globalen Süden ist ein wichtiges Bildungsziel, aber ohne Flugzeug lässt er sich kaum machen. Die langsame Annäherung an das Reiseziel mit dem Zug kann ein schönes Erlebnis sein, aber auch ein teures. Vegetarische Ernährung ist nachhaltiger, aber wo beginnt die Bevormundung, wenn die Teilnehmenden einer Begegnung doch mal ein Stück Fleisch auf dem Teller haben möchten. Es ist ein weites Feld von Widersprüchen ohne leichte Lösungen. „Mobilität und Nachhaltigkeit sind nicht einfach zusammenzubringen“, stellte eine Teilnehmerin der Panel-Diskussion treffend fest. Und bei aller Begeisterung für kreative Lösungen: Die Politik und die von ihr gesetzten Rahmenbedingungen möchten viele Träger auch nicht aus der Verantwortung lassen.

Wie so oft ist Europa Vorreiter beim Schaffen besserer Rahmenbedingungen. Für Manfred von Hebel von der Nationalen Agentur JUGEND für Europa geht „green travel first“. Bei den europäischen Mobilitätsprogrammen der Nationalen Agentur gibt es daher zusätzliche Mittel, wenn ein umweltfreundlicheres Verkehrsmittel gewählt wird. Die Ausrichtung an Nachhaltigkeitskriterien soll in der Zukunft Standard werden. In der Diskussion wurde unter anderem eine entsprechende Anpassung des Kinder- und Jugendplans des Bundes, aus dem ein großer Teil der Austausche und Begegnungen gefördert werden, gefordert.

Wer auf solche Veränderungen nicht warten möchte, sondern jetzt etwas für mehr Nachhaltigkeit im internationalen Austausch tun möchte, dem kann der Leitfaden für umwelt- und klimaschonende Projektumsetzung weiterhelfen, der von JUGEND für Europa gemeinsam mit Umweltorganisationen erarbeitet und von Ronja Höfers vorgestellt wurde. Der Leitfaden gibt hilfreiche Tipps für Ortswahl, Wahl der Verkehrsmittel, Verpflegung, Programmgestaltung und einiges mehr. Er ist ein Indiz dafür – und auch das große Interesse am Online-Fachtag spricht dafür –, dass das Thema Nachhaltigkeit nach mehreren IJAB-Pilotprojekten – zuletzt LEMOCC – in der Breite der Trägerlandschaft angekommen ist.

Die in einer weiteren Breakout-Session vorgestellte Web-App DEKARBO des Deutsch-Französischen Jugendwerks kann bei der umweltschonenden Planung einer deutsch-französischen Jugend- oder Fachkräftebegegnung oder für den trilateralen Austausch genutzt werden. Sie wurde Anfang Januar 2024 online veröffentlicht. Mit der kostenlosen App lassen sich Treibhausgasemissionen schätzen und sie bietet außerdem Tipps für Ausgleichsmaßnahmen und Ressourcen, um die Planung und Durchführung klimafreundlicher Begegnungen zu fördern.

Das sind erste Schritte, die Hoffnung machen. Angesichts des schnell voranschreitenden Klimawandels wird das Thema Nachhaltigkeit bleiben und immer wieder neue Antworten verlangen.

Über das Thema Nachhaltigkeit

Die Klimadiskussion und die damit verknüpfte Frage, wie Mobilität bei Austausch und Begegnung nachhaltig gestaltet werden kann, bewegt auch IJAB.