Integration und Inklusion in Japan Integration und Inklusion in Japan
Länderinformation Japan

Integration und Inklusion

Die Geschichte Japans ist – auch durch die Insellage bedingt – durch eine lange Phase der Abschottung zum Ausland geprägt. Die ersten europäischen Seefahrer, zunächst 1534 Portugiesen und Spanier, später auch die Niederländer, wurden nach Sorge um eine zu starke ausländische Einflussnahme in den 1630er Jahren vertrieben. Erst 200 Jahre später, 1853, wurde Japan durch die Ankunft des englischen Seefahrers Matthew Perry zwanghaft wieder geöffnet und im Zuge der nächsten Jahrzehnte modernisiert.

Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund

Auch aufgrund der späten internationalen Begegnung und einer immer noch strikten Einwanderungspolitik hat Japan im internationalen Vergleich mit derzeit 2,6 Millionen Einwohner(inne)n mit ausländischem Hintergrund (bzw. ohne japanische Staatsbürgerschaft) einen relativ geringen ausländischen Bevölkerungsanteil von circa 2,1% (Stand 2019, Vergleich Deutschland: 12%). Jede/-r fünfte ausländische Einwohner /-in lebt dabei in der Hauptstadt Tokyo.

Für Japan stellt die 2%-Marke jedoch einen neuen Rekord dar, spielte das Thema der Integration – auch von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund – doch bisher eher eine untergeordnete Rolle. Aufgrund des demographischen Wandels, mit dem eine kontinuierlich schrumpfende Bevölkerung und somit auch ein zunehmender Arbeitskräftemangel einhergehen, lockerte die japanische Regierung im April 2019 mit dem Immigration Control and Refugee Recognition Act daher ihre Gastarbeiterregelung. Es erlaubt ausländischen Fachkräften aus 14 ausgewählten Industriezweigen bis zu fünf Jahre in Japan zu leben und zu arbeiten. Wenn ein Arbeitsvertrag mit einer japanischen Firma und ein bestandener Sprachtest vorliegen, kann auch die Familie nachziehen und der Aufenthaltsstatus periodisch verlängert werden. Da Stand August 2019 jedoch erst 119 dieser neuen Visa ausgestellt worden sind, bedarf es weiterer Gesetze und Maßnahmen zur Integration. Eingebettet sind diese Bemühungen in die Strategie Japan’s Plan for Dynamic Engagement of All Citizens (EN; PDF 1,59 MB).

Weiterhin wurde die Integration von ausländischen Einwohner(inne)n bisher vor allem auf Präfektur- und Kommunalebene realisiert. Die japanische Regierung wies ab 2006 zwar die Ermöglichung und Umsetzung einer „multikulturellen Gesellschaft“ an, stellte jedoch keine zusätzlichen Mittel oder umfassenden Aktionspläne zur Verfügung.

Im Gegensatz zu japanischen Kindern besteht für Kinder ausländischer Herkunft keine Schulpflicht. Sofern sie jedoch an einer japanischen Grund- oder Mittelschule eingeschrieben werden möchten, ist diese kostenlos. Der Einstieg für Kinder nichtjapanischer Herkunft in das japanische Schulsystem gestaltet sich jedoch oft als schwierig, da der Unterricht fast vollständig auf Japanisch stattfindet und das ohnehin schon hohe Lernpensum ggf. nachgeholt werden muss. Auch fehlende Sprachkenntnisse bei den Eltern erschweren einen Schuleinstieg, da viele Informationsbroschüren zum Thema nur auf Japanisch verfasst sind. 65% aller Gemeinden sind durch finanziell enge Budgets außerdem so eingeschränkt, dass sie keine weiterführenden Maßnahmen für eine besser schulische Integration in die Wege leiten können. Einige dieser Umstände führten dazu, dass im Dezember 2019 bei knapp 20.000 der zur Einschreibung berechtigten 124.000 ausländischen Kinder der regelmäßige Schulbesuch nicht sichergestellt werden konnte.

Als Alternative kann eine der 40 anerkannten internationalen Schulen besucht werden, die sich jedoch vor allem in den Großstadträumen bzw. Ballungsgebieten befinden und somit nicht für alle erreichbar sind. Weiterhin sind die Schulen mit umgerechnet ca. 12.000-19.000 Euro pro Jahr im Vergleich zu öffentlichen Schulen nicht sonderlich günstig. Andererseits wird hier zu großen Teilen auf Englisch unterrichtet und die Klassen sind aufgrund der finanziellen Exklusivität wesentlich kleiner als die öffentlicher Schulen. Es existieren allerdings noch wesentlich mehr internationale Schulen, die jedoch nicht offiziell anerkannt sind, wodurch auch die Abschlüsse nicht als gleichwertig angesehen werden. Weitere Informationen finden Sie u.a. auf der Webseite International Schools and the Education System in Japan.

Inklusion

Laut dem Jahresbericht des MHLW von 2018 (EN; PDF 2,22 MB) leben schätzungsweise 9,635 Millionen Japaner/-innen mit einer körperlichen, intellektuellen oder einer geistigen Beeinträchtigung. Dies entspricht einem Gesamtbevölkerungsanteil von 7,6%. Der größte Teil der Menschen mit Behinderung lebt zu Hause (93,3%) und wird von der Familie unterstützt. Der restliche Anteil ist in Heimen untergebracht.

Im Januar 2014 ratifizierte Japan die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Um die geforderten Bedingungen zu erfüllen, wurden von der japanischen Regierung bereits seit 2007 Maßnahmen eingeleitet. 2009 wurde ein Ministerialausschuss zur Reformierung der Behindertenpolitik gegründet. Aus diesem heraus entstand 2011 eine Überarbeitung des Basic Law for Persons with Disabilities, das die gleichberechtigte Teilnahme von Personen mit Behinderung in der Gesellschaft ermöglicht und ihre Wünsche und Rechte respektiert. Der Mensch mit Behinderung wurde damit nicht mehr als rein zu „beschützendes Objekt“, sondern mehr als „berechtigtes Subjekt“ betrachtet, das sich in einer inklusiven Gesellschaft verwirklichen können soll.

2013 wurde zudem der Act on the Elimination of Discrimination against Persons with Disabilities verabschiedet, der jegliche Form der Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderungen verbietet und die Regierung zu der Errichtung angemessener Einrichtungen verpflichtet. Weiterhin wird gefordert, in Beratungen Konflikte zu lösen, in sozialen Netzwerken multiprofessionell zusammenzuarbeiten und umfassende Aufklärungsarbeit für die Bevölkerung zu betreiben. Für die weitere Umsetzung wurde 2015 die Basic Policy for Eliminating Discrimination against Persons with Disabilities (EN; PDF 296 KB) verankert.

In den vergangenen Jahren wurden bereits verschiedene Möglichkeiten (bspw. die Errichtung von Telearbeitsplätzen oder der auf die Bedürfnisse ausgerichtete Ausbau von Arbeitsplätzen in der Firma) zur Inklusion von Menschen mit Behinderung in den Berufsalltag eingeführt. Diese wurden jedoch eher von einzelnen Unternehmen oder Präfekturen anstatt von der japanischen Regierung selbst initiiert. Laut dem Jahresbericht 2018 des MHLW (s. oben) sollen für eine inklusivere Gesellschaft daher zukünftig mehr Hilfe- und Ausbildungszentren sowie neue Modelle für einen erleichterten Übergang in das Arbeitsleben eingeführt werden. Ein erstes Zeichen für eine bessere Inklusion in Japan wurde durch den Einzug von Eiko Kimura und Yasuhiko Funago in das japanische Oberhaus gesetzt, die die ersten schwerbehinderten Abgeordneten im japanischen Parlament sind.

In Bezug auf die Gruppe der Kinder und Jugendlichen lassen sich einige Ansätze der japanischen Regierung zur (Re-)Integration in die Gesellschaft beobachten. Auf die Gruppe der hikikomori (s. "Junge Menschen und Social Media in Japan"), unter die auch junge Menschen fallen, wird ein besonderes Augenmerk bezüglich der herausfordernden Wiedereinführung in die Gesellschaft und die Arbeitswelt gelegt. Außerdem lassen sich intensive Bemühungen beobachten, die Inklusion voranzubringen.

Vor allem mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Unterstützung von Menschen mit Entwicklungsverzögerungen 2005 erfuhr die japanische Inklusionsdebatte eine Fokussierung u.a. auch auf Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsverzögerungen. Hierunter fallen verschiedene Bereiche wie ADHS, Lernschwächen, Autismus-Spektrum-Störungen oder emotional-soziale Störungen. Die Verzehnfachung der Diagnosen von 2006 bis 2016 deutet auf eine zunehmende Sensibilisierung für das Thema hin. Im Zuge einer Gesetzesänderung von August 2016 wird nunmehr bspw. der Schule die Entscheidung über die Feststellung einer Entwicklungsverzögerung bzw. den Förderbedarf im Unterricht überlassen. Sofern keine Diagnose vorliegt, werden die Kinder mit Entwicklungsverzögerung nicht erfasst. Lehrkräfte sehen bei ca. 6,5% der Schüler/-innen einen Förderbedarf, davon können im Moment 10% gefördert werden, der Rest verbleibt im Klassenverbund.

Momentan besuchen in Japan ca. 96% der Kinder und Jugendlichen eine Regelschule und nur ein kleiner Teil der Kinder mit Behinderung besucht eine Förderschule (0,71%) bzw. eine Förderklasse an einer Regelschule (2,18%). Individuelle Förderung an Regelschulen wird u.a. durch das Konzept des Ressource Room (nach amerikanischem Vorbild) realisiert, in dem Kinder je nach Förderbedarf einzeln oder in Kleingruppen ein bis acht Stunden die Woche ergänzend zum Regelunterricht begleitet und unterstützt werden. Förderklassen bieten Klassengrößen von etwa acht Schüler(inne)n, mit einem eigenen Lehrplan. Diese sind zum Teil an Regelschulen angebunden, die je nach pädagogischen Möglichkeiten auch 10 – 20 Stunden gemeinsamen Unterricht mit der Regelklasse vorsehen. In den Regelklassen wird auf eine angemessene Umsetzung von Universal Design geachtet.

Kinderarmut

In den vergangenen Jahren ist auch das Thema Kinderarmut in den Fokus gerückt. 2015 lag die Kinderarmut mit 13,9% (also eins von sieben Kindern) über dem OECD Mittelwert. 2013 wurde in Japan das Gesetz zur Förderung von Maßnahmen gegen Kinderarmut verabschiedet, das die ressortübergreifende Zusammenarbeit bei der Begegnung von Kinderarmut fördern will. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf Strategien und Maßnahmen für Schulen sowie zu ergänzenden Bildungsangeboten, da Schule und Bildung nicht nur den Lebensalltag von jungen Menschen prägen, sondern auch entscheidend für den weiteren Lebensweg sind. Auch die Förderung von Kinderkantinen nimmt im Gesetz einen wichtigen Stellenwert ein. Kinder und Jugendlichen aus Familien mit Unterstützungsbedarf können hier eine warme Mahlzeit bekommen und gleichzeitig im Rahmen des niedrigschwelligen Angebots Gemeinschaft mit und in der Nachbarschaft spüren.

2019 wurde das Gesetz erstmals überarbeitet. Zukünftig sollen schwangere Minderjährige stärker während und nach der Schwangerschaft in ihrer schulischen Laufbahn unterstützt werden. Außerdem sollen Schulabbrecher/-innen besser zu ihren zukünftigen Möglichkeiten informiert werden und mehr Hilfe durch lokale Beratungsstellen erfahren, um doch wieder in die jeweilige Schulform integriert werden zu können. Weiterhin sollen zuständige Stellen übergreifend miteinander kooperieren, um (ökonomische) Schwierigkeiten, die zu Kinderarmut führen können, schneller zu identifizieren. Für 2020 ist zum ersten Mal eine landesweite Umfrage geplant, um die Kinderarmutsquote und die sie begünstigenden Faktoren zu erfassen.

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