Länderinformation China

Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen

Im Zuge der Reform- und Öffnungspolitik hat sich in China seit 1978 ein rasanter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel vollzogen. Die ausgelösten Veränderungsprozesse werden im Folgenden anhand von ausgewählten Begriffen dargestellt, welche die gesellschaftliche Entwicklung maßgeblich geprägt haben und noch immer Auswirkungen auf gesellschaftliche Strukturen bzw. auf Aufgabenbereiche im sozialen Bereich bzw. im Kinder- und Jugendbereich haben.

Transformation

Die Reform- und Öffnungspolitik hat einen Transformations-Prozess ausgelöst, d.h. einen Übergang von einem planwirtschaftlichen System hin zu einer sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischen Merkmalen. Auf der einen Seite steht der Zentralverwaltungsstaat mit der planwirtschaftlichen Steuerung der Volkswirtschaft – auf der anderen Seite der liberale Wirtschaftsstaat mit marktwirtschaftlichen Prozessen. Auch Elemente der traditionellen Kultur wie der des Konfuzianismus sind in China in den Transformationsprozess eingeflossen.

Stadt-Land-Disparitäten

Die Privatwirtschaft, welche sich zunächst in so genannten Sonderwirtschaftszonen entwickeln sollte, wurde zum Motor für Wachstum und Beschäftigung. Dabei wurde die wirtschaftliche Entwicklung zunächst gezielt in ausgewählten Gebieten (v.a. in der Küstenregion) vorangetrieben – die Entwicklung weiterer Regionen sollte folgen. Abseits der Küstenregionen ist von dem wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand in den ärmeren und ländlich geprägten Regionen insbesondere im Landesinneren zunächst weniger angekommen. Dies hat zu erheblichen Ungleichgewichten zwischen Küste und dem Landesinneren sowie zwischen Stadt und Land geführt. Aufgrund der vergrößerten Kluft zwischen Reichen (in den Städten) und Armen (im Landesinneren) wird auch von Stadt-Land-Disparitäten gesprochen. Mit Strategien der weiteren Urbanisierung ist die chinesische Regierung bemüht, dem entgegenzuwirken.

Migration

Durch die Privatisierung der Staatsunternehmen und durch die Dekollektivierung der Landwirtschaft sind viele überschüssige Arbeitskräfte freigesetzt worden. Die schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen in den ländlichen und östlichen Regionen haben eine Wanderungsbewegung in die Ballungszentren der Küstenregionen ausgelöst. Diese Binnenmigration ist durch den Begriff der „Wanderarbeiter/-innen“ geprägt. Diese Wanderarbeiter/-innen haben maßgeblich zum chinesischen Wirtschaftswachstum beigetragen. Vor allem junge Menschen sind aus den ländlichen Gebieten abgewandert, um sich in den Ballungszentren eine Anstellung zu suchen. Das hat teilweise zurVergreisung in den Dörfern in den ländlichen Regionen geführt. Während ländliche Wanderarbeiter/-innen anfangs ihre Kinder überwiegend bei der Verwandtschaft auf dem Land zurückgelassen haben, sind die jüngeren Migrantengenerationen gemeinsam mit ihren Kindern in die Städte gezogen. So ist insbesondere auch die Integration der Wanderarbeiter/-innen und deren Kinder in städtische Bildungsstrukturen zu einer großen Herausforderung geworden.

Haushaltsregistrierungssystem (Hukou)

Bei der Integration der Wanderarbeiter/-innen und deren Kindern in städtische Bildungsstrukturen gab es bedingt durch das sog. „System der staatlichen Haushaltsregistrierung“ bzw. die „Wohnsitzkontrolle“ strukturelle Herausforderungen. Das Haushaltsregierungssystem weist jedem Menschen einen festen Wohnsitz mit einem Stadt- oder Land-Status zu. Wanderarbeiter/-innen konnten sich aufgrund ihrer offiziellen Bindung an einen anderen Ort nicht an ihrem neuen Wohnort melden. Ein offizieller Umzug in eine Stadt war daher nicht möglich. Da der Zugang zu Sozialleistungen und Bildung an den Ort des offiziellen Wohnsitzes gebunden war, ist mit den Wanderarbeiter(inne)n und ihren Kindern eine Gruppe von inoffiziellen Bürger(inne)n entstanden, die gegenüber der gemeldeten Bevölkerung benachteiligt war.

Einzelne Städte führten ab 2010 erste Lockerungen ein, indem sie die Unterscheidung zwischen städtischem und ländlichem Status abschafften und damit auch der ländlichen Bevölkerung Zugang zu besserer städtischer Bildung, Krankenversorgung und Sozialversicherung verschafften. Ende Juli 2014 wurde von der chinesischen Regierung eine Neuordnung des Systems vorgestellt, die bis 2020 umgesetzt werden soll. Dies soll u.a. auch die weitere Urbanisierung voranbringen. So soll in Gemeinden und Städten mit weniger als einer Million Einwohner(inne)n die Anmeldung als Bürger/-in freigegeben werden und damit auch ein Anspruch an alle kommunalen Leistungen einhergehen. Anmeldungen in größeren Städten sollen in angemessenem Umfang ermöglicht werden. In Peking und Shanghai soll unterdessen ein Punkte-System eingeführt werden, welches die streng reglementierten Anmeldemöglichkeiten basierend auf Beschäftigungsdauer, Wohnverhältnissen und sozialer Absicherung vergeben soll.

Demographische Entwicklung

Die chinesische Gesellschaft ist durch eine zunehmende Überalterung gekennzeichnet. Bedingt ist die Überalterung der Gesellschaft durch die höhere Lebenserwartung – in China liegt sie heute bei 76,7 Jahren. Von Relevanz ist ebenso die bis 2015 geltende Ein-Kind-Politik, welche viele Jahre die Geburtenrate gedrückt hat. Die Ein-Kind-Politik wurde 1979 eingeführt, um dem explosionsartigen Bevölkerungswachstum nach 1949 entgegenzuwirken und die Stagnation der Bevölkerungszahl zu erreichen. Ursprünglich war vorgesehen, die Ein-Kind-Politik nach 30 Jahren auszusetzen; Ende Oktober 2015 wurde sie dann offiziell für beendet erklärt. Ziel ist es insbesondere auch der demographischen Entwicklung entgegenzuwirken. Während 1950 Kinder von 0 bis 19 Jahren noch 45% der Bevölkerung ausmachten, sieht die Prognose für 2050 einen Anteil von nur noch 21% voraus. Es gibt also immer weniger junge Menschen und somit auch Arbeitskräfte. Unternehmen haben teilweise schon heute Schwierigkeiten, freie Stellen insbesondere für geringer qualifizierte Beschäftigungen zu besetzen. Aus Umfragen geht allerdings hervor, dass Eltern – vor allem in städtischen Gebieten – aufgrund der finanziellen Belastungen gar nicht mehr Kinder haben wollen.

„China wird alt, bevor es reich wird.“ Diese Aussage macht mit Blick auf die demographische Entwicklung die besondere Herausforderung Chinas deutlich. Chinas Altersstruktur entspricht der eines entwickelten Landes, aber China hat kein ausgereiftes soziales Sicherungssystem. Somit steht China in bevölkerungspolitischer Hinsicht vor besonderen Herausforderungen. Die Überwindung der extremen Armut und die umfassende Umsetzung eines sozialen Sicherungssystems sind somit für China von besonderer Bedeutung.

Generationenkonflikt

Der Familie fällt in China traditionell bei der Unterstützung älterer Menschen eine zentrale Rolle zu. Menschen im Alter wurden entsprechend der konfuzianischen Tradition in China von ihren Kindern betreut und gepflegt. Daher gibt es auch weniger Seniorenheime in China. Zudem leben viele ältere Menschen in Armut, da sie mit ihren Arbeitsleistungen im alten bzw. Übergangssystem noch keinen vollen Anspruch auf Leistungen im neuen System erworben haben. Sie sind somit auch auf die finanzielle Unterstützung der Kinder angewiesen.

Mit einer zunehmenden Abwanderung und Mobilität der jüngeren Generation greift das traditionelle Prinzip der Versorgung der älteren Menschen durch die jüngere Generation immer weniger. Teilweise kehrt sich die jüngere Generation auch bewusst von der traditionellen Verpflichtung für die ältere Generation aufzukommen ab. Einzelkinder fühlen sich bei der Pflege der Eltern teilweise überfordert. In diesem Zusammenhang wird auch vom „4-2-1 Phänomen“ gesprochen: Ein Einzelkind muss sich teilweise um zwei Eltern und vier Großeltern sorgen. Die Betreuung der vielen älteren Menschen wird so zu einer großen Herausforderung. Unterdessen kommt der Revitalisierung ländlicher Regionen daher eine noch zentralere Bedeutung zu.

Auch gilt es, die sehr unterschiedlichen Erfahrungen der Generationen zu bedenken. Die Großelterngeneration ist von den Erfahrungen der „ideologischen Gesellschaftsexperimente“ wie der großen Hungersnot (in Folge des „Großen Sprungs“, 1958-1961) und der eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten (im Zuge der Kulturrevolution, 1966-1976) geprägt. Die Elterngeneration, die nach der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik 1978 geboren wurde, ist mit ständig wachsendem Wohlstand in einer aufstrebenden Marktwirtschaft aufgewachsen. Aufgrund der Einführung der Ein-Kind-Politik 1979 ist die Elterngeneration zumeist als Einzelkind aufgewachsen. Da sie so in der Regel im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihrer Eltern und zweier Großelternpaare standen und stehen, ist für diese Generation der „Post-Achtziger-Generation“ auch der Ausdruck „Kleine Kaiser“ geprägt worden. Mit Blick auf die hohe Bereitschaft zum freiwilligen Engagement anlässlich der Olympischen Spiele 2008 in Peking ist für diese Generation als positiver Begriff „Generation Vogelnest“ (das Nationalstadion/Olympiastadion wird umgangssprachlich aufgrund der Architektur auch Vogelnest genannt) zu finden.

Mittlerweile wächst schon die nächste Generation der Post-Neunziger-Kinder heran. Sie sind inzwischen im Teenageralter und werden bald ihren Platz in der Lebens- und Arbeitswelt suchen. In China wird bei dieser Generation von „neuen Leuten“ gesprochen, da ihnen durch das gleichzeitige Aufwachsen mit der Entwicklung des Internets ein hohes Maß an Individualismus zugesprochen wird. Für diese Generation bedeutet es mehr denn je ein Gleichgewicht zwischen Selbstverwirklichung und gesellschaftlichen bzw. systemischen Druck zu finden.

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