Länderinformation China

Integration und Inklusion

Das System der sozialen Sicherung musste im Zuge der Reform- und Öffnungspolitik ab 1978 erheblichen angepasst werden. Zuvor lag die Verantwortung für Kinderbetreuung, Bildung, Arbeitsvermittlung, Wohnen, Lebensunterhalt, Gesundheitsfürsorge und Altenpflege bei den Staatsbetrieben bzw. landwirtschaftlichen Kollektiven. Nach der Reform waren lediglich Arbeitsnehmer/-innen von Staatsbetrieben sozial abgesichert; Arbeitnehmer/-innen von anderen Unternehmensformen und die Landbevölkerung erhielten nur rudimentäre Sozialleistungen. Um eine von Unternehmen unabhängige Sozialversicherung zu schaffen, war der Aufbau eines Sozialversicherungssystems notwendig.

So ist in den 1990er Jahren die Sozialversicherung der VR China mit den fünf Zweigen Renten-, Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung eingeführt worden. Für Arbeiternehmer/-innen in Städten ist die Sozialversicherung obligatorisch. Für die ländliche Bevölkerung besteht eine freiwillige Sozialversicherung für die Risiken Krankheit und Alter. Mit einem Sozialversicherungsgesetz wurde im Jahr 2010 die rechtliche Grundlage für alle Versicherungszweige geschaffen.

Was 1993 als Versuch in Shanghai gestartet ist, wurde 1999 auf städtische Bewohner/-innen landesweit und 2007 auf ländliche Haushalte landesweit ausgeweitet: Das „Minimum Living Standard System“ ermöglicht Haushalten unterhalb einer festgelegten Armutslinie, finanzielle Unterstützung als Sozialleistungen zu erhalten. Mittlerweile können alle Bürger/-innen von Sozialleistungen profitieren und bspw. auch Sozialhilfe bei einem zu geringen Einkommen beantragen. Trotz dieser finanziellen Unterstützung sind insbesondere Bildungs- und Gesundheitsaufgaben für Familien in Armut eine Herausforderung. So wurde 2014 eine „Interim Measure for Social Assistance“ verabschiedet, auf Grundlage welcher Familien in Armut bzw. Familien, die Sozialleistungen beziehen, auch einen Bildungszuschuss beantragen können. Mit einem Verfassungszusatz von 2014 im Artikel 14 wurde festgeschrieben, dass der Staat „ein ausgewogenes soziales Sicherungssystem, das mit dem Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung in Übereinstimmung steht“, aufzubauen hat. Die chinesische Regierung veröffentlichte im 13. Fünfjahresplan das Ziel, bis zum Jahr 2020 die vollständige Beseitigung absoluter Armut zu erreichen.

Traditionell war der chinesische Staat nur für die Unterstützung von Waisen, sowie Kindern und Jugendlichen mit Behinderung verantwortlich, d.h. für Menschen im Sinne von "Drei Keins" (keine familiäre Unterstützung, keine Arbeitsfähigkeit, keine Mittel zur Lebensexistenz). In den vergangenen Jahren sind Kinder von Wanderarbeiter(inne)n in den Blick geraten, welche auch durch staatliche Maßnahmen erfasst werden mussten. Durch die Veröffentlichung der „Opinions on Strengthening Care and Protection of Children in Difficulty” durch den Staatsrat im Jahr 2016 wurde allen Kindern mit Schwierigkeiten (d.h. sowohl Kindern aus Familien in Armut wie auch Kindern mit Behinderung und Kindern, deren Fürsorge durch die Familie nicht gewährleistet werden kann) Zugang zu Unterstützungsleistungen zugesprochen.

Um Kindern und Jugendlichen eine Anlaufstelle in Problemfällen zu bieten, betreibt der All-Chinesische Jugendverband landesweit die Beratungshotline „12345“.

Kinder von Wanderarbeiter(inne)n

Besondere Aufmerksamkeit sowohl von der internationalen Gemeinschaft wie auch von der chinesischen Regierung finden die zurückgelassenen Kinder von Wanderarbeiter(inne)n. Auf der Suche nach Arbeit haben sich Eltern bzw. einzelne Elternteile auf den Weg in die Städte gemacht. Die Kinder sind häufig bei der erweiterten Familie wie Großeltern oder Freunden der Familie auf dem Land geblieben. Diese Entscheidung ist u.a. durch das Haushaltsregistrierungssystem bedingt, welches keinen Wohnortwechsel vorsieht. Da der Zugang zu sozialen Dienstleistungen (einschl. Schulbildung) an den offiziellen Wohnort gebunden ist, haben Kinder von Wanderarbeiter(inne)n keinen Zugang zur Schulbildung in den Städten.

Nach Schätzungen von UNICEF sind etwa 103 Millionen Kinder von Migration betroffen: 34 Millionen sind mit ihren Eltern in die Städte gezogen während 69 Millionen auf dem Land zurückgeblieben sind.

Laut Schätzungen wachsen 1/3 der Kinder in ländlichen Regionen ohne Eltern bzw. mit nur einem Elternteil auf; mehr als die Hälfte der Kinder in ländlichen Regionen werden von beiden Elternteilen zurückgelassen.

Studien haben gezeigt, dass die zurückgelassenen Kinder besonders von psychischen Problemen wie emotionale Störungen, Hyperaktivität, Depression und Angstzuständen etc. betroffen sind. Schätzungen zu Folge leiden 57% der zurückgelassenen Kinder unter psychologischen Problemen. Die Schwierigkeiten in der Eltern-Kind-Kommunikation wirken sich auch auf die Kommunikation mit Lehrkräften und anderen Erwachsenen aus. Außerdem sind die Kinder eher anfällig für Mobbing und Schulverweigerung. Etwa 96% der zurückgelassenen Kinder besuchen die Schule in der Pflichtschulzeit. Allerdings zeigt sich bei diesen Kindern in der Regel eine geringere Bildungsmotivation und die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses der Pflichtschulbildung ist geringer. Wenn die Eltern aus dem Haus sind, müssen die Kinder teilweise im Haushalt und in der Landwirtschaft helfen, so dass sie für die schulische Laufbahn weniger Zeit haben. Durch die niedrigere Schulbildung können sie zumeist nicht aus dem Teufelskreis der Armut ausbrechen. Die Wahrscheinlichkeit von erhöhtem Medienkonsum ebenso wie die Kriminalitätsrate ist höher: 70% der Jugendkriminalitätsdelikte lassen sich zurückgelassene Kinder zurückführen. So hat die Migration der Eltern auch langfristige, negative Auswirkungen auf die Kinder. (Quelle und ausführlichere Informationen: Wikipedia: Left-behind children in China, Left behind children in China. In: CounterPunch)

In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung erste Anstrengungen unternommen, um die Situation zu verbessern. Erstmalig fand das Phänomen 2006 in offiziellen Dokumenten Erwähnung. Im “Development Program for China’s Children“ (2011-2020) wurden erste Maßnahmen u.a. mit Fokus auf Servicemechanismen, psychologischer Beratung und Elternarbeit festgeschrieben. Mit der Veröffentlichung der “Opinions on Strengthening the Care and Protection of Left-behind Children in Rural Areas” im Februar 2016 hat die Regierung erstmals eine umfassende Strategie für Fürsorge- und Schutzmechanismen für die Kinder von Wanderarbeiter(inne)n vorgelegt. Im Jahr 2017 wurde die “Guidance on how to make best use of social work professionals in the protection of rural left-behind children” veröffentlicht.

Weitere Informationen zu den Regierungsmaßnahmen der vergangenen Jahre.

Kinder und Jugendliche mit Behinderung

Die VR China hat 2008 die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert. Seither hat China Gesetze angepasst und verabschiedet u.a. im Bereich Bildung, Beschäftigung, soziale Sicherung, angemessene Vorkehrungen und Rehabilitation. Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren die sozialen Unterstützungsleistungen stetig erhöht. Weitere Informationen zu den Regierungsmaßnahmen der vergangenen Jahre sind im Weißbuch der chinesischen Regierung zu finden.

In China leben ca. 85 Millionen Frauen und Männer mit einer Behinderung, was etwa 6% der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Mehrheit (etwa ¾) der Menschen mit Behinderung lebt in ländlichen Gebieten. Für Kinder und Jugendliche mit Behinderung ist die Teilhabe an Bildung teilweise herausfordernd, da der Ansatz des gemeinsamen Lernens in China üblich ist: Etwa 50% der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung werden an regulären Schulen unterrichtet. Diese Situation bringt allerdings auch Herausforderungen mit sich, da nicht alle Lehrkräfte für das gemeinsame Lernen qualifiziert und Schulen nicht entsprechend ausgestattet sind.

Die Anzahl der Sonderschulen lag 2018 bei 2.152 mit insgesamt 665.900 Schüler(inne)n, wovon 72% im Primärbereich, 26% im Sekundarbereich I und 2% im Sekundarbereich II unterrichtet wurden. 58.700 Vollzeitlehrkräfte waren in der Sonderpädagogik tätig, wovon 75,7% eine Fachausbildung in Sondererziehung absolviert haben.

Um die Bildung von Menschen mit Behinderung im Sinne einer inklusiven Bildung zu fördern, wurde 2017 die „Regulations on the Education of Persons with Disabilities“ verabschiedet. Ziel ist es, die Schule entsprechend mit Infrastruktur und Personal für Sonderpädagogik auszustatten. Die inklusive Bildung ist auch Bestandteil des langfristigen Entwicklungsplans für den Bildungsbereich mit dem Titel  "China's Education Modernization 2035".

Die chinesische Regierung hat verschiedene Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Rechte und Interessen von Menschen mit Behinderung zu stärken: 2015 wurden die „Opinions of the State Council on Establishing a Attendant System of Living Subsidies for Disabled Persons with Financial Difficulties and Nursing Subsidies and Living Subsidies for Persons with Disabilities“ veröffentlicht. Diese können als erstes nationales Unterstützungsprogramm für Menschen mit Behinderung verstanden werden. 2018 wurde zudem ein System etabliert, welches die Unterstützung von Rehabilitationsmaßnahmen für Kinder mit Behinderung vorsieht. Weitere Unterstützungsmaßnahmen bzw. -zusagen sind im 13. Fünfjahresplan verankert. Das 2020 verabschiedete erste Zivilgesetzbuch der VR China fokussiert u.a. auch den Schutz der Rechte und Interessen von Menschen mit Behinderung.

Die Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft ist von besonderer Bedeutung. Seitens des Freiwilligenverbandes wurden Projekte zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung initiiert. Unter dem Motto „Hand in Hand“ bzw. „Sonnenschein“ engagieren sich Freiwilligen bei diesem Programm bei Aktivitäten für und mit Menschen mit Behinderung. Beispielsweise auch anlässlich des Nationalen Tages der Behindertenhilfe am 17. Mai finden diverse Aktivitäten statt. Im Fokus stehen dabei Besuche bei Kindern mit Behinderung, um mit ihnen gemeinsam zu spielen und zu lesen, Besuche in Rehabilitationszentren zur Unterstützung beim Training ebenso wie Besuche in Sonderschulen. Durch die Aktivitäten sollen die Kinder die Wärme der Gesellschaft erfahren und somit eine gute Atmosphäre für ihr Leben und Wachstum geschaffen werden. Die Aktivitäten dienen insbesondere zur Aufklärung zum Thema „Behinderung“, zur Förderung des Bewusstseins für die Situation von Menschen mit Behinderung sowie zur Sensibilisierung für die Forderung nach der gesetzlichen Verankerung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung (Quelle: http://www.zgzyz.org.cn/node_54643.htm). 2015 wurde die China Volunteer Association for the Disabled gegründet.

Die China Disabled Person’s Federation setzt sich für die Interessen und Rechte von Menschen mit Behinderung in China ein.

Anmerkungen zur Verwendung von Begrifflichkeiten wie „Sozialen Arbeit“ bzw. „Jugendsozialarbeit“ im Kontext von China

Der Begriff "soziale Arbeit" wird in China anders verstande als in Deutschland. So gibt es im Chinesischen für die beiden Wörter "sozial" und "gesellschaftlich" nur eine Bezeichnung, die eher im Sinne von "gesellschaftlich" verwendet wird. Das bedeutet, dass sich Aspekte wie Gleichheit, Gleichberechtigung, Solidarität und Fürsorglichkeit nur mit zusätzlichen Begriffen wie zum Beispiel "Wohlfahrt" ausdrücken lassen. Somit haben zwar westliche Begriffe des Sozialwesens Eingang in die chinesische Sprache gefunden, doch werden sie nach chinesischem Verständnis (um)interpretiert.

Nach diesem Verständnis richtet sich soziale Arbeit in China nicht nur an "besondere Gruppen", sondern an die "normale" Bevölkerung und umfasst damit einen viel breiteren Bereich als in Deutschland. Zielgruppe der Jugendsozialarbeit in China sind demnach nicht nur Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen, sondern alle Jugendlichen.

Die Sozialarbeit im westlichen Sinne befindet sich in China noch in ihren Anfängen. Gesetzliche Grundlagen sind kaum vorhanden und auch die berufliche Ausbildung in dem Bereich ist noch in der Entwicklung. Darüber hinaus sind die Rahmenbedingungen stark durch das Entwicklungsgefälle zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sowie durch die regionale Unterschiede geprägt. Während in einigen Großstädten wie Peking, Shanghai und Kanton Tendenzen zu einer Professionalisierung der sozialen Arbeit zu beobachten sind, werden in anderen Regionen die Aufgaben der Sozialarbeit hauptsächlich von ehrenamtlichen Kräften wahrgenommen.

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