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Digitale Jugendbildung

Digitales Lernen - kann Lernen digital sein?

Digitale und analoge Kompetenzen einbeziehen

Gerade in diesen Tagen der COVID-19-Krise erfahren Schüler/-innen und Studierende, aber auch Lehrkräfte eine Digitalisierung der Lehre in unvorhersehbarem Ausmaße. Mehr oder weniger über Nacht wurden Bildungseinrichtungen gezwungen die analoge, traditionelle Präsenzlehre einzustellen und auf „digitale Formate“ umzusteigen. Was für die formale Bildung gilt, gilt in diesem Fall auch für die non-formale Bildung sowie für Fort- und Weiterbildungen von Fachkräften der Jugendarbeit. Gelingen kann der digitale Umstieg nur mit einer Herangehensweise, die digitale und analoge Komponenten einbezieht. Ein Beitrag aus dem aktuellen IJAB journal.

18.08.2020 / Dr. Martin Ebner

Für die meisten Beteiligten ist die Digitalisierung ein neuer und anstrengender Schritt, hatte man über viele Jahre hinweg teilweise erfolgreich die zunehmende Digitalisierung und ihren Einfluss auf Bildung schlichtweg wegdiskutiert. Doch schon früh wurde auf die Bedeutung von Technologien, eben auch zum Zwecke des Lehrens und Lernens, hingewiesen (1). Auch das Forschungsgebiet der Bildungsinformatik zeigt durch zahlreiche Arbeiten rund um den Einsatz von informatischen Systemen und Werkzeugen die Notwendigkeit der Digitalisierung (2).

Unbestritten scheint, dass die Welt sich zunehmend digitaler Technologien bedient, diese in unseren Alltag sich fast selbstverständlich mehr integrieren, doch vor den Mauern der Bildungsinstitutionen machten sie bis dato halt. Warum? Das liegt daran, dass die Komplexität von Lehr- und Lernprozessen sehr hoch ist und so der bloße Einsatz von Tablets im Unterricht zu keiner Lernsteigerung führt, wenn aus didaktischer Sicht diese nicht integriert werden oder aus informatischer Sicht keine entsprechenden Inhalte vorhanden sind. Oftmals scheitert es schon daran, dass die vorhandene Infrastruktur nicht reicht, um mehrere Geräte gleichzeitig in ein WLAN-Netz zu schalten. Kurzum, wir können genau jetzt in dieser COVID-19-Krise beobachten, woran es scheitert – es wird sichtbar, dass die Themenfelder Medieninformatik, Mediendidaktik und Medienkompetenz bei weitem nicht ausreichend vorhanden sind, um einen entsprechenden Unterricht flächendeckend anzubieten. Dies stellt auch den grundsätzlichen Leitsatz dieses kurzen Artikels dar: Um gute digitale Lehre umsetzen zu können, ist immer eine ganzheitliche Betrachtung aller Komponenten notwendig – die beste Infrastruktur nützt nichts, wenn man nicht weiß, wie man didaktisch gut den Unterricht damit gestalten kann oder wenn jemand noch so kompetent digitale Werkzeuge einsetzen kann, ist dies nur möglich, wenn auch die Infrastruktur passt. Das ist beliebig austauschbar und führt dazu, dass eine zunehmende Verwendung digitaler Technologien einfach Zeit braucht, um alle Einflussfaktoren entsprechend zu bedienen.

Digital ersetzt nicht analog

Eines der Hauptargumente gegen die Digitalisierung des Unterrichts ist, dass Technologien niemals die traditionelle, „analoge“ Lehre wird ersetzen können, da der Kontakt mit Lernenden sehr wesentlich im Lernprozess sei. Und ja, das stimmt. Gerade jetzt sehen wir wie wichtig es ist, dass Lernende in Gruppen gemeinsam mit Lehrpersonen Dinge erarbeiten. Aber, ich behaupte gerne unentwegt an dieser Stelle, dass es uns Expert(inn)en niemals darum ging, etwas zu ersetzen. Wir woll(t)en digitale Technologien immer dazu verwenden, um den bisherigen Unterricht bestmöglich zu unterstützen, neue innovative Formate einzuführen oder schlicht und einfach zu helfen, Lernprobleme einfacher oder anschaulicher darzustellen. Es geht also primär um die Unterstützung durch Technologien genau dort, wo sie Vorteile bieten, die mit herkömmlichen Medien nicht abdeckbar sind.

Daher stellt sich die Frage, wo liegen denn die Vorteile digitaler Technologien. Dazu kann man primär drei Bereiche erwähnen:

  1. Flexibilität: Mit digitalen Technologien ist es leichter möglich, flexibler zu werden und zwar in Hinblick auf den Lernort und auf die Lernzeit. Gerade inmitten der COVID-19-Krise zeigt sich genau dies: Es ist nicht möglich, den Präsenzunterricht zu besuchen. Mit digitalen Technologien können wir uns trotzdem weiterhin austauschen und miteinander kommunizieren. Sobald die Notwendigkeit von zeitlichen Unterschieden oder räumlichen Trennungen vorliegt, scheinen Technologien unterstützen zu können.
  2. Kollaboration: Digitale Technologien ermöglichen über Geräte hinweg Zusammenarbeit – in vielfältigster Form. So können Texte gemeinsam geschrieben werden, Whiteboards gemeinsam erstellt werden und in Gruppenchats schnell gemeinsam Gedanken, Dokumente, Videos getauscht werden. Eine Möglichkeit, die uns vor 20 Jahren einfach nicht zur Verfügung stand.
  3. Anschaulichkeit: Digitale Technologien haben den Vorteil, dass man durch entsprechende multimediale Umsetzungen Lernprobleme vielleicht anschaulicher darstellen kann. Durch Videos oder Visualisierungen ist es heute möglich, Zusammenhänge zu visualisieren. Haben wir vor vielen Jahren versucht textuell Abläufe zu beschreiben, kann dies durchaus heute durch eine kurze Videosequenz verständlicher gemacht werden.

Zukunft von digitalen Lehren

Wenn man nun konsequent weiterdenkt und vor allem hinnimmt, dass digitale Technologien integraler Bestandteil auch im Bereich der Bildung sind, scheint klar, dass jeder neue Technologiesprung in irgendeiner Weise Berücksichtigung finden wird. So sehen wir heute z. B., dass virtuelle Realitäten vermehrt Einsatz finden. In Folge werden dafür auch Beispiele in den Unterricht Einzug finden. Wichtig erscheint aber zu betonen, dass vorrangig die optimale Ergänzung steht und daher sich zukünftig hybride Formen und hybride didaktische Konzepte durchsetzen werden. Es geht schlichtweg um den optimalen Mix zwischen Präsenzunterricht und Online-Sequenzen. Didaktische Innovationen wie Flipped Classroom und Inverse Blended Learning beschreiben heute die Wege, die wir in einigen Jahren vermehrt beobachten werden können. Wir werden dort Videokonferenzen einsetzen, wo es die Distanz oder die Zeit erfordert und Videos erstellen, wo ein reiner Frontalunterricht wenig Sinn bietet. Umgekehrt werden wir vor Ort den Diskurs forcieren und gemeinsam aktiv Lernprobleme lösen. Es geht also nicht darum, dass wir digitale Technologien zwanghaft in die Lehre bringen, sondern dass Digitalisierung als völlig normal am Bildungssektor angesehen wird und selbstverständlich zum Einsatz kommt.

(1) S. Ebner, M. (2013). E-Learning - Alles nur Technologie?, merz - Zeitschrift für Medienpädagogik, 57. Jahrgang, Nr. 5, S. 39-44.
(2) Ebner, M., Leitner, P., Ebner, M., Taraghi, B., Grandl, M. (2018). Die Rolle der Bildungsinformatik für die Hochschule der Zukunft. In: Hochschule der Zukunft. Dittler, U. & Kreidl, C. (Hrsg). S. 117-128, ISBN 978-3-658- 20402-0

Kontakt:
Dr. Martin Ebner
TU Graz, Lehr- und Lerntechnologien
martin.ebner(at)tugraz.at

Dieser Beitrag erschien im IJAB journal 1/2020.

Fachkräftequalifizierung für die Internationale Jugendarbeit
IJAB journal 1/2020
Mehrere junge Menschen sitzen an einem Tisch und arbeiten an Laptops.
Über Digitale Jugendbildung

Digitale Jugendbildung ermöglicht jungen Menschen, das Internet als Kommunikations- und Kulturraum verantwortungsvoll zu nutzen und gesellschaftlich und politisch teilzuhaben.