VISION:INCLUSiON - Gute Praxis

Inklusive Freiwilligendienste im Ausland

„Jetzt einfach machen!

Rebecca Daniel, Koordinatorin „Kompetenzzentrum für Inklusives Auslandsengagement“, Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V. (bezev)

bezev-Modellprojekte für inklusives Auslandsengagement

„Jetzt einfach machen!“ – lautet das Motto, unter dem „Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V.“ (bezev) inklusive Freiwilligendienste im Ausland fördert. 2012 startete bezev das Pilotprojekt „weltwärts alle inklusive!“, mit dem zwölf Freiwillige mit Beeinträchtigung/Behinderung gemeinsam mit zahlreichen weiteren Freiwilligen am entwicklungspolitischen Freiwilligendienst weltwärts teilnahmen. Seitdem wächst die Zahl der Teilnehmenden mit Beeinträchtigung/ Behinderung im weltwärts-Programm rapide: Bereits knapp 70 Freiwillige waren es, die seit Beginn des Pilotprojekts ins Ausland gingen. bezev wird seit dem Ende des Pilotprojekts 2015 vom weltwärts-Programm (BMZ) als „Kompetenzzentrum für Inklusion von Freiwilligen mit Beeinträchtigung/Behinderung“ gefördert. Seit April 2017 führt bezev ein neues Modellprojekt durch, mit dem auch die Inklusion von Menschen mit Behinderung/Beeinträchtigung in weiteren Angeboten des Auslandsengagements gefördert werden soll. Erfahrungen mit dem inklusiven Arbeiten im weltwärts-Programm sollen so auf andere Programme übertragen werden. Ein Auslandsfreiwilligendienst richtet sich an Personen, die sich für wenige Wochen, einige Monate oder auch für ein ganzes Jahr als Freiwillige engagieren möchten. Die Freiwilligen reisen in andere Länder, sowohl des Globalen Südens als auch des Globalen Nordens, um sich vor Ort in die gemeinnützige Arbeit unterschiedlicher Partnerorganisationen einzubringen. In der Regel reisen sie alleine, manchmal auch im Zweierteam mit anderen Freiwilligen. Einsatzbereiche können beispielsweise Waisenhäuser, Schulen, Krankenhäuser, Umweltorganisationen oder andere Nichtregierungsorganisationen sein.

Schritt für Schritt auf dem barrierearmen Weg ins Ausland

Ungefähr neun Monate vor der Ausreise der Freiwilligen beginnt die Vorbereitung: Der Flug und die Unterkunft müssen organisiert werden, das Visum wird beantragt und Impfungen werden durchgeführt. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Freiwilligen mit dem Projekt im Zielland in Kontakt treten, damit sie sich über ihre Aufgaben im Klaren sind und die Bedingungen – zum Beispiel in Bezug auf Barrierefreiheit vor Ort – kennen. Dabei ist auch die Entsendeorganisation behilflich. bezev unterstützt die Freiwilligen bei allen Fragen rund um die Organisation und Finanzierung ihrer Mehrbedarfe: Spezielle Versicherungstarife werden abgeschlossen, Medikamentenvorräte angeschafft und deren Kühlung sichergestellt, eine weitestgehend barrierefreie Unterkunft und angemessene Vorkehrungen an der zukünftigen Einsatzstelle werden organisiert, eine Mobilitätsbegleitung für Wege zur oder aber auch innerhalb der Einsatzstelle gefunden und vieles mehr. Das mag erst einmal nach viel Arbeit klingen – muss es aber nicht sein. Viele Freiwillige mit Beeinträchtigung/Behinderung haben nur kleinere Mehrbedarfe – und nicht alle sind aufwändig zu erfüllen. Wichtig ist, viel zu kommunizieren und offen über Bedarfe und Barrieren zu sprechen – auch wenn das manchmal ungewohnt und sehr persönlich ist. Fotos, Videos und Skype-Gespräche mit den Partnerorganisationen im Ausland können dabei helfen und auch Gespräche mit ehemaligen Freiwilligen, die im gleichen Projekt waren. Dabei sind eine gute Netzwerkarbeit und das entsprechende Wissen zu Barrierefreiheit und angemessenen Vorkehrungen hilfreich. Ebenso Fachpersonen im Ausland und weitere Ressourcen – je nach Bedarf der Freiwilligen. Was alle Beteiligten davon lernen können: Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung im In- und Ausland kennen ihre Bedarfe und die Möglichkeiten vor Ort selbst am besten. „Nichts über uns ohne uns!“ sollte also auch bei der Organisation des Auslandsfreiwilligendienstes oberstes Leitprinzip sein.

Perspektiven wechseln auf inklusiven Seminaren

Es gibt außerdem Vorbereitungs-, Zwischen- und Nachbereitungsseminare, an denen alle Freiwillige verpflichtend teilnehmen. Für die inklusiven Gruppen werden ganz unterschiedliche Methoden angewandt. So werden z.B. Gebärdensprachdolmetschende zur Verfügung gestellt, Präsentationen angepasst und barrierefreie Räume organisiert. Manchmal finden Seminare in Leichter oder leichterer Sprache statt, damit auch lernbeeinträchtigte Freiwillige oder solche, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, alles verstehen können. Das hilft auch hörbeeinträchtigten Freiwilligen, den Gesprächen besser zu folgen. Licht- und Geräuschverhältnisse in Räumen werden – je nach Bedarf der Teilnehmenden – zuvor getestet; Energizer und Spiele, die der Auflockerung im Seminartag dienen, werden auf ihren inklusiven Charakter hin überprüft und ggf. angepasst. Auch das Thema Inklusion und der Umgang mit Beeinträchtigung/Behinderung im In- und Ausland ist Teil der Seminarinhalte. Manche Freiwilligen halten Präsentationen über ihre Beeinträchtigung oder ihren Bedarf; ehemalige, zurückgekehrte Freiwillige berichten über den Umgang mit Beeinträchtigung/Behinderung im jeweiligen Zielland. Die zentrale Grundhaltung der Seminare ist: „Es ist normal, verschieden zu sein!“ Und auch im Ausland ist im Zweifelsfall alles anders – da kann beim Seminar schon einmal geübt werden, in einer anderen Sprache zu sprechen (z.B. Gebärdensprache) oder die Welt „mit anderen Augen zu sehen“.

„Tut es einfach – Ihr schafft das!“

Die gehörlose Freiwillige Inna Shparber z.B. ging 2015 nach Buea in Kamerun, um dort an einer Gehörlosenschule zu arbeiten. Zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung wollte sie eigentlich nach Indien oder in ein südamerikanisches Land. Afrikanischen Ländern gegenüber war sie eher skeptisch, was auch an der Darstellung dieser in den Medien lag. Sie wollte zudem gerne in ein Projekt, in dem auch gehörlose Menschen leben. bezev hatte eine solche Einsatzstelle, die auch zu Innas Vorerfahrungen und inhaltlicher Motivation passte, nur in Kamerun. Zuerst war sich Inna nicht sicher, ob sie das Angebot annehmen sollte. Aber dann entschied sie sich doch dafür: „Es scheint, dass mein Weg mich nach Afrika führen sollte. Und am Ende stimmte es auch wirklich, es hat zu mir gepasst!“, erzählt sie glücklich in einem Interview nach ihrem Auslandsfreiwilligendienst. Der Mut, neue Dinge auszuprobieren und neue Wege zu gehen, gehört schon auch zu so einem Auslandsjahr. Das fällt nicht allen Menschen leicht – und das hat erst einmal nichts mit einer Behinderung/ Beeinträchtigung zu tun. Dass es möglich ist, diesen Schritt zu wagen, zeigt auch das Beispiel von Inna. Zwar musste Inna die lokale Gebärdensprache lernen, um mit den Kindern und Lehrer*innen im Projekt kommunizieren zu können – trotzdem hatte sie es im Vergleich zu hörenden Freiwilligen leichter, die in der Regel vor ihrem Freiwilligendienst noch keine Kenntnisse der Gebärdensprache haben. „Versuche es nicht – tu es einfach. Ihr schafft das!“, ermutigt der hörbeeinträchtigte Freiwillige Til, der ein Jahr zuvor an der gleichen Gehörlosenschule seinen Freiwilligendienst absolviert hatte wie Inna, andere Freiwillige mit Beeinträchtigung/Behinderung in einem Kampagnenvideo von bezev. Er ergänzt: „Ihr selbst kennt eure Beeinträchtigung und eure Zweifel am besten. Ihr wisst, welche Hilfe ihr braucht. „Weltwärts alle inklusive“ bedeutet, alle dürfen mitmachen – auch ihr.“

Barrieren abschaffen – Engagement ermöglichen

In jedem Freiwilligendienst gibt es auch Herausforderungen und Konflikte. Die möglichen Lösungen sind dabei so vielfältig wie die individuellen Bedarfe der Freiwilligen und deren Umfeld.

Die Erfahrung von bezev zeigt, dass viele Freiwillige mit Behinderung/Beeinträchtigung schon gewohnt sind, Barrieren auch im „deutschen“ Alltag zu erleben und Frustrationen auszuhalten. Damit sind sie manch anderen Freiwilligen in der Vorbereitung sogar voraus.

Beim Meistern der Herausforderungen hilft, dass in einigen Programmen strukturelle Barrieren aus dem Weg geräumt wurden – im weltwärts-Programm gelang dies auch durch die kontinuierliche Gremienarbeit von bezev. Es wurde beispielweise die Altersgrenze flexibilisiert und erhöht, so dass nun auch Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung bis 35 Jahre oder darüber hinaus teilnehmen können. Die Zugangsvoraussetzungen wurden neu kommuniziert und die minimalen Voraussetzungen der „persönlichen Eignung“ bzw. eines „Förderschulabschlusses“ an erster Stelle genannt.

Die Förderrichtlinie wurde ergänzt durch eine Mehrkostenregelung, über die nicht nur klassische Mehrbedarfe wie Gebärdendolmetschdienste oder Assistenzleistungen, sondern z.B. auch zusätzliche Arbeitszeit gefördert werden kann, die durch das inklusive Arbeiten notwendig wird. Zum Beispiel für eine intensivere organisatorische und pädagogische Begleitung, die Anpassung von Methoden für inklusive Seminare oder die Organisation der angemessenen Vorkehrungen.

Zentral bei der Überwindung von Barrieren sind außerdem eine offene Kommunikation über Bedarfe und Barrieren, ein wertschätzender Umgang untereinander und vor allem die Freude, Herausforderungen mit kreativen Lösungen zu begegnen. Um diese Freude zu entwickeln, genügen häufig schon die positiven Erfahrungen, die mit dem inklusiven Arbeiten gemacht werden. Beispielsweise das positive Feedback der Auslandspartner, die sich gezielt Freiwillige mit Behinderung wünschen, da diese als „Rollenvorbild für andere Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung vor Ort“ fungieren. Dies ist auch eine der wertvollsten Erfahrungen des inklusiven Arbeitens im Auslandsengagement: Menschen mit Beeinträchtigung/Behinderung werden nicht mehr in der Rolle der unselbständigen Hilfeempfänger, sondern als aktive Bürger*innen wahrgenommen, die sich mit anderen gemeinsam weltweit für das Gemeinwohl engagieren.

Weitere Praxisbeispiele kennenlernen!
Zurück zur Hauptseite
VISION:INCLUSiON

Ansprechperson
Ulrike Werner
Referentin
Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit
Tel.: 0228 9506-230