VISION:INCLUSiON - Gute Praxis

Das Fachkräfteprogramm Kreisauer Modell

Elżbieta Kosek, Bildungsreferentin für Inklusion bei Kreisau-Initiative e.V.

Das Projekt Kreisauer Modell wurde im Jahr 2006/2007 zum ersten Mal durchgeführt. Das dahinterliegende Konzept verknüpft die Durchführung von inklusiven internationalen Jugendbegegnungen und internationalen Fachkräfteprogrammen. Dabei dienen die jeweiligen Angebote füreinander als Ressource bei der inhaltlichen Weiterentwicklung und beeinflussen sich gegenseitig. Die im Rahmen der Jugendbegegnungen gesammelten Erfahrungen sind grundlegend für die Inhalte der Fachkräfteprogramme und werden dort gemeinsam reflektiert, gleichzeitig fließen die in diesen Trainings neu erworbenen Erkenntnisse und Kompetenzen wieder in die Konzeption und in die Programmplanung der Jugendbegegnungen ein.

Unsere inklusive internationale Bildungsarbeit richtet sich an junge Menschen im Alter von 14-30 Jahren, die aus drei, vier oder manchmal sogar mehr europäischen Ländern kommen. Da wir bei unserer Arbeit den Inklusionsbegriff weit denken, sind die Projekte offen für alle, die Lust haben, mitzumachen, unabhängig von ihren gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen, ihren Bildungserfahrungen, von Sprachkompetenzen, von körperlichen Beeinträchtigungen oder Lernschwierigkeiten*. Je heterogener die Zusammensetzung der Gruppen ist, umso intensiver ist die Erfahrung für alle Beteiligten. Die Arbeit mit heterogenen Gruppen bringt die Notwendigkeit zum Neudenken, zum Umdenken und zur Veränderung der bisher bekannten und bewährten methodischen und pädagogischen Ansätze und genau darin liegt eine wichtige Zielsetzung des Fachkräfteprogramms Kreisauer Modell.

Die Trainingsreihe Kreisauer Modell ist aufgeteilt in zwei Module – das Basistraining und das Kreisauer Modell advanced. Beide adressieren europäische Fachkräfte der nationalen und internationalen, formalen und non-formalen Bildungsarbeit, die ihre Aktivitäten inklusiver gestalten und/oder in diesem Bereich mehr Kompetenzen erlangen möchten. Dabei versuchen wir bei der Auswahl der Partner und bei der Teilnehmendenakquise Menschen zu erreichen, die aus verschiedenen Bereichen der Jugendarbeit kommen (Internationale Jugendarbeit, Behindertenhilfe, Selbstvertretungsorganisationen, Jugendhilfe etc.), um so in unseren Trainings die Perspektiven unterschiedlichster Zielgruppen einbinden zu können.

Gemeinsames Ziel der Kreisauer Modell-Trainings ist es, methodische Kompetenzen der inklusiven non-formalen Bildungsarbeit zu vermitteln, gemeinsame Lernprozesse zu initiieren und europäische Akteur*innen der Jugendarbeit zu vernetzen. Das wichtigste Ziel ist es aber, die inklusive Bildungsarbeit in Europa zu stärken und zu verbreiten, um auf diese Weise junge Zielgruppen mit den Bildungsaktivitäten zu erreichen, die bisher noch wenig oder gar nicht in der Jugendarbeit berücksichtigt werden.

Das Basismodul dient der Grundlagenvermittlung. Hier erfolgt zunächst eine Verständigung über einen gemeinsamen Inklusionsbegriff. Das ist besonders wichtig, da die Diskurse um das Thema Inklusion in den europäischen Partnerländern unterschiedlich geführt werden. Auf diese Weise wird eine gemeinsame Grundlage für Diskussionen und Lernprozesse geschaffen. In den folgenden Tagen des fünftägigen Basistrainings lernen die Fachkräfte Methoden kennen, die in den verschiedenen Phasen der gruppendynamischen Prozesse internationaler Begegnungen eine wichtige Rolle spielen. Um selbst im Bereich der inklusiven internationalen Bildungs- und Jugendarbeit aktiv zu werden und mit solchen, durch Vielfalt geprägten, Gruppen zu arbeiten, müssen die Fachkräfte über methodisches, pädagogisches Wissen und entsprechende Qualifikationen verfügen. Im Basismodul erfolgt eine Sensibilisierung dafür, wie ein vertrauensvolles und sicheres Umfeld, barrierefreie Rahmenbedingungen und die Verwendung von entsprechend angepassten Methoden die Integration, den respektvollen Umgang miteinander und den Erfolg internationaler inklusiver Jugendbegegnungen positiv beeinflussen können.

Das ebenfalls fünftägige Modul Kreisauer Modell advanced baut auf dem Basismodul auf. Auch hier ist zu Beginn immer wieder die Verständigung über einen gemeinsamen Inklusionsbegriff wesentlich für die Lernprozesse. In diesem Modul geht es um die Vermittlung methodischer Ansätze und wichtiger Aspekte für die inklusive Bildungsarbeit. Dabei werden immer wieder neue inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, die sich einerseits an den Bedürfnissen der jugendlichen Zielgruppen und dem Wissensbedarf der Fachkräfte orientieren, andererseits aber auch durch uns erfolgreich erprobte Ansätze und für die Programmdurchführung relevante Aspekte in den Mittelpunkt stellen. So wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel Kreisauer Modell advanced-Trainings mit Schwerpunkten wie Sprache und Kommunikation oder Visualisierung angeboten sowie theater-, kunst-, zirkus-, sport- und bewegungspädagogische Ansätze vorgestellt und vermittelt.

Unsere pädagogische Arbeit ist prozess- und erfahrungsorientiert ausgerichtet. Der strukturelle Aufbau der Trainings folgt den gleichen dynamischen Prozessen wie sie auch bei internationalen Jugendbegegnungen vorhanden sind. Um ein erfolgreiches Training durchzuführen, müssen viele der Aspekte berücksichtigt werden, die auch bei der Planung und Umsetzung von Begegnungsprogrammen für Jugendliche wesentlich sind. Diese wichtige Tatsache wird für die Lernprozesse im Training genutzt. In beiden Modulen erfolgt der Bildungsprozess auf zwei Ebenen: Die Fachkräfte erleben die Dynamik und Abläufe internationaler Begegnungen durch die Teilnahme am Training, an den Methoden und praktischen Workshops aus der Teilnehmendenperspektive und reflektieren diese dann gemeinsam auf der Metaebene. Der Transfer des neu erlangten und erweiterten Wissens in den Arbeitsalltag der beteiligten Akteur*innen ist ein wichtiger Teil des Fachkräfteprogramms Kreisauer Modells, durch den die beteiligten Fachkräfte Handlungskompetenzen erlangen.

Bei den Trainings sind die Fachkräfte nicht nur Teilnehmende. Sie sind Expert*innen auf ihrem Gebiet und somit eine wichtige Ressource für die Lernprozesse und die Fachdiskurse. Bei der Reflexion der Methoden bringen sie die Perspektiven und Erfahrungen aus ihren Arbeitsfeldern und auch Ländern ein und ermöglichen so weitreichende Diskussionen, Perspektiven, Erkenntnisse und auch Lernerfolge. Um dieses Potential nutzen zu können, wird bei der Programmgestaltung unserer Fachkräfteprogramme ausreichend Raum für Austausch, Diskussionen und Reflexionsprozesse eingeplant.

Die Arbeit mit heterogenen Gruppen, ob nun im Bereich der Jugend- oder der Erwachsenenbildung, bringt auch Herausforderungen mit sich. Die verschiedenen internationalen Sichtweisen der teilnehmenden Fachkräfte sind von Vorteil für den Prozess. Gleichzeitig treffen je nach Ländersetting der jeweiligen internationalen Maßnahme auch unterschiedliche Verständnisse von Inklusion, von Bildungssystemen und weiteren Aspekten aufeinander, die es zu vereinbaren gilt. Das ist ein Prozess, der einer intensiven Begleitung, vor allem aber Austausch und Offenheit aller beteiligten Personen bedarf, um andere Blickwinkel zulassen zu können. Damit dies erreicht werden kann, ist es Aufgabe des Leitungsteams, die Prozesse durch entsprechende Methoden zu begleiten und zu unterstützen. Am Ende ist es genau diese Multiperspektivität, die einen Mehrwert für die Fachkräfteprogramme hat.

Wie bereits zu Anfang erwähnt, sind unsere inklusiven internationalen Jugendbegegnungen und die Fachkräftetrainings eng miteinander verknüpft und stellen jeweils die inhaltliche Qualität des anderen Projekts sicher. Indem Fachkräfte, die an den Kreisauer Modell-Trainings teilgenommen haben, mit Jugendgruppen zu den inklusiven Begegnungsprogrammen wiederkommen, tragen sie zur Qualitätsverbesserung dieser bei. Sie können die jungen Teilnehmenden nicht nur besser vorbereiten und in den Lern- und Erfahrungsprozessen während der Projekte unterstützen, sondern sie leisten durch ihre Qualifikationen einen Beitrag zur nachhaltigen Wirkung der Maßnahmen, indem sie auch nach der Begegnung Ansprechpartner*innen und Prozessbegleiter*innen für die Jugendlichen bleiben.

Neben diesem Mehrwert, den die Qualifizierung der Fachkräfte für die inklusive Internationale Jugendarbeit hat, sind solche Trainingsmaßnahmen wichtig für die Vernetzung der Partner in Europa. Um hochwertige internationale inklusive Bildungs- und Begegnungsprogramme anbieten zu können und die Idee von Inklusion sowohl in der Bildung als auch auf gesellschaftlicher Ebene zu verbreiten, wird ein europaweites Netzwerk mit kompetenten Partnern gebraucht, die für ein gemeinsames Ziel handeln und Multiplikator*innen erfolgreicher inklusiver Programme, Methoden und Bildungsansätze sind. Durch das Kreisauer Modell konnten wir in den vergangenen Jahren ein Netzwerk von europäischen Partnern im Bereich der Inklusion aufbauen. Mit jeder neuen Trainingsmaßnahme und auch Jugendbegegnung kommen neue Partner dazu. Um inklusives Denken in unserer Gesellschaft zu verankern, braucht es noch viel Arbeit, den weiteren Ausbau von internationalen Netzwerken und Überzeugungsarbeit.

Vor allem aber dürfen wir keine Angst haben Fehler zu machen und auf Herausforderungen und Hindernisse zu stoßen. Die inklusive internationale Bildungsarbeit ist ein noch neues Feld für uns alle und nur wenn wir es immer wieder versuchen, können wir inklusive Denkansätze verbreiten und etablieren. Einen kleinen Beitrag dazu leistet unsere Trainingsreihe Kreisauer Modell.

*„Wir wollen nicht "geistig behindert" genannt werden. Wir sind Menschen mit Lern-Schwierigkeiten!“. http://www.menschzuerst.de/ (abgerufen 12.10.2017).

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Ansprechperson
Ulrike Werner
Referentin
Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit
Tel.: 0228 9506-230