VISION:INCLUSiON - Gute Praxis

Dabei sein ist alles – Inklusive Ferienfreizeiten

Herbert Swoboda, Vorstand Wilde Rose e.V. – Interkulturelles Jugendnetzwerk

Am Anfang unserer inklusiven Arbeit stand die Frage der Mutter eines körperlich behinderten Sohnes, warum er nicht an den Ferienlagern seiner nicht behinderten Brüder teilnehmen könne. Die Antwort mündete in einer weiteren Frage: Warum eigentlich nicht?

So einfach erklärt sich der Ursprung unserer Motivation, unser Freizeitangebot auf inklusive Arbeit zu erweitern. Der Weg dahin erwies sich als eine Kette von Lernprozessen, da wir keine ausgebildeten Ferienfachbetreuer*innen waren.

Nichts ist unmöglich?

Getreu unserem Konzept "Nichts ist unmöglich, es muss sich nur jemand finden, der oder die die Idee in die Tat umsetzt", begannen wir, rollstuhlfahrende Jugendliche in unsere Vorbereitungen einzubeziehen. Als Förderquelle bot sich das neu aufgelegte Programm "Kultur macht stark" an. Konzeptionell war schnell klar, dass wir inklusive Arbeit machen wollten und keine Freizeiten für Behinderte.

Da wir von bereits bekannten Jugendlichen mit Behinderung ausgingen, waren auch die Bedürfnisse an Betreuung vorgegeben und definiert. Tatsächlich hatten wir zu Beginn nur vier männliche Jugendliche mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen, die aber alle im Rollstuhl saßen und jeweils eine persönliche Assistenz brauchen. Ehrenamtliche Assistent*innen zu finden, die letztendlich die "harten" Arbeiten der Pflege verrichten, war nicht einfach.

Gemeinsam gestalten – miteinander leben

Zum Glück hatten wir Zugang zu einer Schule, die Pfleger*innen ausbildet, so dass die engagierten Helfer*innen nur wenig älter waren als ihre zu Betreuenden. Aufgrund gleicher altersspezifischer Interessen war dann z.B. ein Discobesuch für alle Beteiligten ein Spaß und keine lästige Pflicht. Auch Singerunden am nächtlichen Lagerfeuer wurden gemeinsam genossen und die gute Zeit extensiv ausgekostet, ohne dass es eine festgelegte Zubettgehzeit gab.

Unsere Camps sind so konzipiert, dass sie den Bedürfnissen der Teilnehmenden entsprechen und in Abhängigkeit vom Wetter und anderen Rahmenbedingungen in Absprache mit der Gesamtgruppe weitgehend selbstbestimmt sind.

Die im Plenum beschlossenen Tagesabläufe werden durch groß und deutlich geschriebene Aushänge kommuniziert, aber auch während der "Morgen-Runde“ nochmals bekannt gegeben. Das Tagesgeschehen läuft während der Ferienzeit in anderen Bahnen, als während der Schulzeit. Dies betrifft vor allem unsere Freizeiten, die wir in Griechenland durchgeführt haben. Wegen des heißen Klimas verlagert sich der Tagesablauf stark in den Abend und die Nacht. Das bedeutet langes Ausschlafen anderntags, sehr spätes Frühstück und Siesta während der Mittagszeit. Solche Modifizierungen machen die Jugendlichen mit Behinderung durchaus mit.

Selbstbestimmung für alle

Oft läuft man Gefahr, Jugendliche mit Einschränkungen wie unmündige Kinder zu behandeln, statt sie als gleichberechtigt anzusehen. Sofern es das Jugendschutzgesetz zulässt, konsumieren sie auf ihren Wunsch hin genauso Bier wie ihre Altersgenoss*innen. Für Außenstehende ist das manchmal gewöhnungsbedürftig. Ebenso gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass sie manchmal in ihrem Rollstuhl alleine sitzen und lediglich das Geschehen um sie herum wahrnehmen, ohne dass eine ständige „Betreuung" passiert. Wieso haben sie nicht das Recht, auch mal allein sein zu können, statt ständig „betüttelt“ zu werden? Jede*r andere nicht behinderte Jugendliche kann fragen: Bist du ok? Oder willst du mit uns am Tisch sitzen und uns zuschauen, wie wir Karten spielen?" Dass die anderen Jugendlichen beim Essen mithelfen und die Behinderten füttern, die nicht alleine essen können, ist mittlerweile selbstverständlich geworden. Auch wenn es anfangs eine Ekelschranke zu überwinden galt, wenn zwischendurch Speichel vom Mund weggewischt werden muss.

Als sinnvoll erwies es sich, unsere kleine Gruppe von zehn Teilnehmenden in größere Zusammenhänge von 30 bis 50 Teilnehmenden unterschiedlichen Alters einzubringen. Das erweitert nicht nur unseren inklusiven Wirkungskreis, sondern ermöglicht es Teilnehmenden, die über die Förderaltersgrenze von 18 Jahren im Programm "Kultur macht stark" hinausgewachsen sind, weiter mitzumachen.

Was haben wir gegenseitig gelernt?

  1. Im Zusammensein mit behinderten Jugendlichen ist viel mehr möglich als man vorher gedacht hat.
  2. Das unmittelbare Erleben von Behinderung setzt bei den Nichtbehinderten Bewusstseinsprozesse frei (siehe das Gedicht von Imad Karim).
  3. Behinderte haben die gleichen Rechte wie die Anderen. Sie können schlafen gehen und frühstücken, wie sie wollen. Sie können überall dabei sein, sie dürfen auch mal ein Bier trinken oder allein sein.
  4. Wir müssen uns vergegenwärtigen, was die Alternativen sind, wenn sie nicht mit uns in die Ferien fahren: geregelter Tagesablauf, Abende vor der Glotze, früh ins Bett. Schließlich haben die professionellen Betreuer*innen (zurecht!) ein Recht auf den schonenden Umgang mit ihrer Arbeitskraft.

Gedicht von Imad Karim, Korfu, April 2014

Für Felix

Ich nehme deine Hand in meine
Nicht weil du behindert bist
Behindert sind wir beide
Jeder auf seine Weise

Du bist mir ein Ebenbild
Ein Bruder des Lebenswegs
Auch wenn ich meine Leiden verberge
Und du deine zu Schau trägst

Dein Lächeln ist mir eine Weide
Dein Lachen ein Urquell
Kommt dein Rad in Bewegung
Kommen meine Lebensgeister in Fahrt

Weitere Praxisbeispiele kennenlernen!
Zurück zur Hauptseite
VISION:INCLUSiON

Ansprechperson
Ulrike Werner
Referentin
Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit
Tel.: 0228 9506-230