Eine Gruppe von Menschen sitzt um einen Tisch und diskutiert Eine Gruppe von Menschen sitzt um einen Tisch und diskutiert
Nordafrika

Storytelling

Geschichten aus der Jugendarbeit

Ganz wichtig für die Konferenzteilnehmerinnen und –teilnehmer aus Marokko, Ägypten, Tunesien und Deutschland war der Austausch über ihre eigenen Erfahrungen in der Jugendarbeit national und international. Die Methode des Storytelling stieß anfangs auf einige Irritation.

19.08.2020 / Dr. Anneli Starzinger

Storytelling ist eine Erzählmethode, mit der explizites, aber vor allem implizites Wissen in Form von Leitmotiven, Symbolen, Metaphern oder anderen Mitteln der Rhetorik weitergegeben wird. Das Publikum konsumiert die Story nicht nur durch Zuhören, Lesen oder Anschauen, sondern kann aktiv als Prosumer in die Umsetzung auf News-Portalen, Blogs, Streaming-Plattformen und in der Virtual Reality eingebunden werden. Der Begriff Storytelling ist eng mit dem des Narrativ verbunden.

Die Methode des Storytelling war für die allermeisten Teilnehmenden unbekannt und stieß zunächst auf eine gewisse Irritation. Das aktive Erleben und Ausprobieren führte aber bei vielen zu einer regelrechten Begeisterung.

Einige Teilnehmende hatten Erfahrungen aus der Jugendarbeit in Form einer Geschichte guter Praxis zu den Schwerpunktthemen der Konferenz vorbereitet. Im Plenum wurden die Geschichten kurz vorgestellt und die Teilnehmenden konnten sich dann einer Arbeitsgruppe ihres Interesses zuordnen. Die Aufgabe war es, mit unterschiedlichen „Ohren“ zuzuhören. Den Ohren waren jeweils Buchstaben zugeordnet wie folgt:

A – Was hat zum Erfolg beigetragen?

B – Was waren Herausforderungen – Hindernisse?

C – Was waren Wendepunkte?

D – Was inspiriert zur Nachahmung?

E – Freies Zuhören

Entsprechend des gewählten Ohres war nach den Arbeitsgruppen ein gemeinsamer Austausch zu den Leitfragen vorgesehen, der zu einem lebendigen Abgleich von Geschichten und Erfahrungen führte.

Thema Extremismus und friedliche Koexistenz

Tunesien: Folgt mir, ihr gewinnt

An vielen Stellen der Konferenz wurde darüber gesprochen, dass im Rahmen des Kampfes gegen Gewalt und Extremismus die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eine wichtige Rolle spielt. Anis Mansour von der Association des Etudiants beschrieb als « Geschichtenerzähler » seinen Werdegang durch verschiedene internationale Begegnungen und Projekte. Ausführlich schilderte er, wie das vom Institut Français de Tunisie organisierte Jugendforum zum Thema „Nachhaltige Entwicklung“ ihn zur Gründung eines Projekts inspirierte, um der Arbeitslosigkeit in Tunesien zu begegnen. In einem Verbund von 14 Verbänden aus sieben tunesischen Gouvernements wurde eine Initiative gegründet, die junge Hochschulabsolventen oder andere Arbeitslose über berufliche Möglichkeiten informiert und bei der Arbeitssuche unterstützen. Dieses Projekt wird vom Institut Français finanziert und zielt darauf ab, ein Netzwerk zu schaffen, das Arbeitsplätze schafft und junge Menschen in Arbeit bringt.

Marokko: Ein partizipativer Ansatz hat mich stark gemacht

Auch die Chancenlosigkeit von jungen Menschen aus benachteiligten Gebieten kann zu Radikalisierung beitragen. Tarik Oubendaoud von der Association Mouvement Twiza erzählte in seiner Arbeitsgruppe mit Teilnehmenden aus Deutschland, Tunesien, Ägypten und Marokko seine eigene Geschichte. Durch die Teilnahme an einer internationalen Jugendbegegnung kam er zum ersten Mal in Kontakt mit partizipativen Methoden der sozialen Arbeit. In diesem Projekt ging es darum, die tatsächlichen Bedürfnisse der jungen Menschen in dieser Amazigh-Region zu verstehen und mittels partizipativer Methoden auf sie einzugehen.

Ausgehend von diesem Startpunkt erwarb er neue Fähigkeiten, die ihn beruflich und persönlich weiterbrachten, wie die einfache Kommunikation sowohl mit der lokalen Bevölkerung im Rahmen von Projekten und Aktivitäten seines Vereins „Mouvement Twiza“ als auch vor allem mit Menschen aus anderen Ländern. Trotz aller Unterschiede in Sprache, Religion und Herkunft teilt er mit diesen Menschen die gemeinsame Basis einer Ablehnung aller Formen von Extremismus und die Vermeidung von Vorurteilen gegenüber anderen.

Thema Umweltschutz

Deutschland: Urban-Gardening-Projekt für ökologisches Bewusstsein und soziales Engagement

Jörg Restemeyer vom Projekt Jardinage Communautaire Tunis Cologne erzählte seiner Arbeitsgruppe davon, wie er durch die eher zufällige Teilnahme als Experte für Schulgärten an einem Austausch zwischen den Partnerstädten Köln und Tunis für den internationalen Austausch Feuer fing und in der Folge selbst mehrere Begegnungsprojekte mit Tunesien auf die Beine stellte.

Ganz praktisch konnte Jörg Restemeyer in diesem ersten Austausch erleben, wie groß trotz aller Unterschiede die Gemeinsamkeiten zwischen ihm und seinen Lehrerkollegen in Tunesien waren und wie vertraut das Geschehen an der besuchten Berufsschule auf ihn wirkte.

In nur 4 Jahren wuchs aus dieser ersten Begegnung mit Land und Menschen eine sehr positive Zusammenarbeit von deutschen und tunesischen Partnern aus den Bereichen Schule, Zivilgesellschaft und Kommune. Neben dem Schulaustausch führte die Initiative auch zu einer Fortsetzung des städtepartnerschaftlichen Urban-Gardening-Projektes. Ziel des Projektes ist es, über partizipative Gartenprojekte in Schulen und Jugendzentren das ökologische Bewusstsein und das soziale Engagement vor Ort zu fördern .

Ägypten: Yes we can

Mary Awad von der Caritas Alexandria beschrieb in ihrer Arbeitsgruppe, wie ein Umweltprojekt zur nachhaltigen Stärkung des freiwilligen Engagements von jungen Menschen führen kann. Die Caritas in Ägypten setzt sich für menschliche Entwicklung und die Stärkung von Zivilgesellschaft ein. In Kooperation mit der Regierung entwickelte sie ein Beteiligungsprojekt in einer neugegründeten Siedlung von Kleinbauern in der Region Nubareya. Solche Siedlungen werden an verschiedenen Orten in der Wüste geschaffen, um die Überbevölkerung auf dem wenigen fruchtbaren Land entgegenzuwirken, das Ägypten zur Verfügung steht.

Zur Entwicklung des Projekts setzte sich das Caritas-Team mit allen Akteuren vor Ort zusammen. Gemeinsam mit der lokalen Verwaltung, dem Frauenverein, dem Dorfrat und den verschiedenen lokalen NGOs wurde ein plan of action entwickelt. Während der Projektvorbereitungsphase war das Projekt der Caritas-Freiwilligen zusammen mit der ausgewählten Gruppe von Umweltschützern aus den Dörfern daran beteiligt. Ihre Rolle bestand darin, einen Aktionsplan aufzustellen, der aus umweltbezogenen Aktivitäten wie der Organisation von Aufklärungskampagnen, Workcamps, sowie Pflanz- und Müllsammelcamps bestand.

Mary Awad beschrieb anschaulich, auf welche Weise dieses Projekt sowohl bei den Dorfbewohnern zu Verhaltensänderungen führte als auch den jungen Freiwilligen die praktische Erfahrung ermöglichte, dass sie mit ihrem Einsatz etwas erreichen konnten.

Thema Beteiligungsstrukturen junger Menschen in Politik und Gesellschaft

Marokko: Erfolgreiche Mädchen

Zugang zu Bildung ist eine Vorbedingung für die Beteiligung junger Menschen, dies machte Hassan Akhaouad von Transnational Corridors in seiner Projektdarstellung deutlich. Er stellte dar, dass in vielen ländlichen Gebieten in Marokko die Entfernung zur Schule für viele Kinder und Jugendliche sehr groß ist. Trotz der Bemühungen des Staates, Sekundarschulen mit angeschlossenen Internaten und Schülerwohnheimen zu bauen, setzten vor allem Mädchen ihre Ausbildung nicht fort, weil die Schulen zu weit von ihrem Wohnort entfernt waren. In einigen Orten seien dies bis zu 60 % aller Grundschulabsolventinnen, deren Eltern nicht akzeptieren, dass ihre Töchter in einem Internat oder Schülerwohnheim übernachten.

So wurde 2006 ein Projekt entwickelt, um dem Schulabbruch von Mädchen entgegenzuwirken. Mit Unterstützung französischer Partnerorganisationen wurden 200 Mädchen im Alter zwischen 12 und 13 Jahren, die auf dem Land lebten und weniger als 5 km von der nächstgelegenen Sekundarschule entfernt wohnten, mit Fahrrädern ausgestattet, um damit zur Schule zu fahren. Transnational Corridors stellte ihnen zusätzlich Schulmaterial und Kleidung zur Verfügung, organisierte Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten und begleitete die Mädchen bis zum Abschluss ihres dreijährigen College-Studiums. Auch die berufliche Laufbahn dieser Mädchen verlief sehr erfolgreich. Einige engagieren sich inzwischen auch in zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für die Rechte von Frauen in ländlichen Regionen einsetzen.

Deutschland: Eine Braut mit Puppe

Wer sich in Politik und Gesellschaft für Veränderungen einsetzt, muss daran glauben, dass er etwas verändern kann. Aus diesem Grund spielt für Martin Kaiser vom Gustav-Stresemann-Institut in Bad Bevensen bei seiner Bildungsarbeit das praktische Erleben demokratischer Grundprinzipien eine wichtige Rolle. Die Teilnehmenden werden dazu ermutigt, etwas von sich mitzuteilen, den anderen zuzuhören, mit Emotionen umzugehen und Unterschiede auszuhalten.

Die Geschichte, die Martin Kaiser in seiner Arbeitsgruppe erzählte, handelte von einer der intensivsten Seminarsituationen, die er in seinen internationalen Austauschprojekten je erlebt hatte. Eine Gruppe von jungen Erwachsenen aus Tunesien, Ägypten, Jordanien, Deutschland, Polen und Litauen setzte sich in einem internationalen Austausch zum Thema Demokratie nach einigen Programmtagen mit Beispielen von Menschenrechtsverletzungen auseinander. Für Aufruhr sorgte das Beipiel der jordanischen Gruppe. Sie thematisierte ein Gesetz in ihrem Land, nach dem jeder Mann, der eine Frau vergewaltigt hat, straffrei ausgeht, wenn er sein Opfer innerhalb von fünf Jahren heiratet. (Dieses Gesetz ist inzwischen abgeschafft worden.) Es gab heftige Reaktionen, Schuldzuweisungen und Pauschalisierungen. Empörte Fragen wie: Wie können Frauen so entrechtet sein? Ist das der Islam? und schnelle Reaktionen: Das ist ein kulturelles Problem. Bei uns ist das so. Das könnt ihr nicht verstehen.

Anhand dieses Beispiels beschrieb Martin Kaiser, wie aus einer solch aufgeheizten Stimmung mit Methoden der Menschenrechtsbildung ein intensives Lernerlebnis für alle wurde. Mit Methoden der non-formalen Bildung leitete er die Gruppe an, sich zu öffnen, einander zuzuhören, andere Meinungen stehen zu lassen – all das beruhigte die Situation in diesem speziellen Austausch und schafft eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre. Dies sei ein „magic moment“ gewesen, so Martin Kaiser, wie sie in internationalen Austauschen passieren können. Und diese Erlebnisse führten nicht selten dazu, dass die Teilnehmenden mit Mut und der Zuversicht, etwas verändern zu können, nach den Seminaren Folgeprojekte entwickeln, die zu positiven Veränderungen im eigenen Land beitragen.

Thema Empowerment, soziale Gerechtigkeit und berufliche Integration

Tunesien: Sociordi

Hichem Mnassar von der Organisation Pensée Nationale Libre sprach über sein Projekt Sociordi "l'ordinateur solidair" (solidarischer Computer). Er erläuterte, dass die zunehmenden Digitalisierung für mehr als die Hälfte der Tunesier/-innen aufgrund von fehlenden Kompetenzen und Möglichkeiten eine neue Quelle für Ausgrenzung und soziale Instabilität darstellt. Im Jahr 2017 verfügten weniger als 50 % der tunesischen Haushalte über einen Computer und einen Internetanschluss. Zusätzlich zu den Zugangsschwierigkeiten ist die digitale Kluft in Tunesien auch durch Schwierigkeiten bei der Nutzung gekennzeichnet. Weniger als 20 % der Tunesier nutzen neue Informations- und Kommunikationstechnologien, um eine Arbeitsstelle zu suchen, nur 7 % profitieren von Online-Banking oder nutzen Kommunikationstechnologien für den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen.

Dem steht gegenüber, dass digitale Kompetenz im Rahmen der Sustainable Development Goals als ein grundlegendes Element des lebenslangen Lernens aufgeführt wird. Gleichzeitig werden nur 20 % der gebrauchten Computer recycelt, der Rest wird in die Umwelt geworfen und verschmutzt sie.

Diese beiden Probleme, das soziale und das Umweltproblem, werden von Sociordi angepackt: „Wir erzielen eine doppelte Wirkung: Wir begrenzen die Umweltverschmutzung, indem wir den Computern ein zweites Leben geben und ermöglichen gleichzeitig einer unterprivilegierten Bevölkerung den Zugang zur digitalen Welt“ sagt Hichem Mnassar. Zum Projekt gehört eine kommunale Werkstatt, die an Wochenenden Workshops organisiert, in denen junge Freiwillige lernen, wie man Computer repariert. Diese werden dann kostenlos an Schulen, Jugendzentren und einkommensschwache Familien verteilt.

Bis heute hat Sociordi 20 Wochenendworkshops organisiert und mehr als 200 Computer verteilt.

Sociordi bietet nicht nur Computer an, sondern auch Workshops in der digitalen Bildung, kreative Programmierung für die Kleinen, ein FabLab für Jugendliche und Unterstützung für Schüler/-innen bei ihren Projekten. Bis heute haben mehr als 500 Kinder und Jugendliche von diesen Angeboten profitiert.

Ägypten: Liebe ist der Schlüssel zu verschlossenen Türen

Awatef Amin von CEOSS berichtete ihrer Arbeitsgruppe von Konzept und Umsetzung einer Initiative, die im Rahmen eines Stipendienprogramms des König-Abdullah-Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog entstanden war. Eine Gruppe von Teilnehmenden aus Ägypten, Algerien, Libanon, den Palästinensischen Autonomiegebieten und Jordanien, die im Bereich des Dialogs tätig sind, entwickelten in diesem Zusammenhang ein Austauschprojekt mit dem Ziel, den interreligiösen Dialog zu fördern, die zukünftigen Fähigkeiten von religiösen Führer zu stärken, eine Kultur des gegenseitigen Verständnisses in ihren Gesellschaften zu verbreiten und den Respekt für Pluralismus und bürgerliche Werte zu etablieren.

60 junge Führungskräfte (männlich und weiblich) aus den oben genannten Ländern nahmen an einer internationalen, interreligiösen Begegnung im Libanon teil. Ziel des Projektes war es, bei den Teilnehmenden ein Bewußtsein für die Bedeutung von friedlicher Koexistenz, Pluralismus und Akzeptanz von Unterschieden zu wecken. Andererseits sollten den jugendlichen Teilnehmenden Kenntnisse über Dialog- und Kommunikationsmechanismen und -werkzeuge vermittelt werden.

Im Anschluss an diese Begegnung entwickelten die Teilnehmenden ein digitales Dialogforum. In diesem Forum wurden beispielsweise Artikel von jungen im Dialog aktiven Gemeindemitgliedern und persönliche Geschichten veröffentlicht, die den positiven Wandel durch die Erlebnisse im Projekt darstellten. So schilderte ein christlicher „young leader“ mit eher konservativem Hintergrund, dass er Zeit seines Lebens keine Kontakte zu Muslimen gehabt habe. Nach dem Projekt habe er jetzt aber verschiedene Facebook-Freunde, weil er im Projekt den Wert gegenseitiger Akzeptanz und Respekts kennen gelernt habe.

Aufgrund seines Erfolgs wurde dieses Projekt vom Fördergeber als ständiges Jugendforum angenommen. Als Folgeprojekt ist nun sogar in der Planung, ein ähnliches Forum für junge Menschen mit Behinderungen zu schaffen.

orientalische Rosette
Act to Change!
Übersichtsseite dieses Dossiers
Download der Konferenzdokumentation "Act to Change!"
Konferenz zum Jugend- und Fachkräfteaustausch zwischen Deutschland, Ägypten, Marokko und Tunesien
Act to Change!
مؤتمر تبادل الكفاءات والشباب بين ألمانيا و مصر و المغرب وتونس
!العمل من أجل التغيير
Eine Frau spricht in ein Mikrofon auf einer Bühne, fünf weitere Menschen hören ihr zu.
Über die Zusammenarbeit mit Nordafrika

IJAB vernetzt die Träger im Austausch mit Tunesien, Ägypten und Marokko. Wir bieten Interessierten Information und Beratung zum Jugend- und Fachkräfteaustausch mit Nordafrika an.

Ansprechpartnerinnen
Christiane Reinholz-Asolli
Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-112