Ingrid Müller und Heike Zimmermann Ingrid Müller und Heike Zimmermann
Ingrid Müller und Heike Zimmermann, JUGEND für Europa
Förderinformationen

Virtuelle und hybride Formate sind das große Thema

Europäische Förderung reagiert auf Coronakrise

Die Coronakrise stellt auch die Fördermittelgeber vor besondere Herausforderungen. Die Antragsteller hoffen auf Flexibilität. Mittel müssen anders eingesetzt werden, als bisher kalkuliert. IJAB hat mit Heike Zimmermann und Ingrid Müller von JUGEND für Europa über ihre Erfahrungen gesprochen.

22.09.2020 / Christian Herrmann

ijab.de: Heike, Ingrid, lasst uns mal versuchen, eine Chronologie der Ereignisse während der Corona-Pandemie zu entwerfen. Als im März der Lockdown kam und klar war, dass reale Begegnungen und Austausche nicht mehr so ohne weiteres möglich sein werden, was ist euch da durch den Kopf gegangen?

Heike Zimmermann: In den ersten Wochen ging es darum, schnell auf die vielen Anfragen von Trägern, jungen Menschen und Eltern zu reagieren und möglichst flexibel mit den Problemen umzugehen. Je nachdem, ob es um Jugendbegegnungen, den Austausch von Fachkräften, Freiwilligendienste oder um die Strategischen Partnerschaften geht, stellen sich Probleme anders dar und brauchen unterschiedliche Lösungen. Die Frage nach den längerfristigen Konsequenzen stellten sich in dieser ersten Phase noch nicht.

Ingrid Müller: Wie nahezu alle anderen auch sind wir ganz zu Beginn davon ausgegangen, dass es im Sommer, spätestens im Herbst, weitergeht. Wir haben also versucht, den Schaden für die Träger kurzfristig finanziell aufzufangen, indem wir bei unmittelbar betroffenen Aktivitäten alle nicht vermeidbaren Extrakosten gedeckt haben und ansonsten geraten haben, Maßnahmen zeitlich zu verschieben. Nach einer Weile wurde klar: Das geht länger und wir müssen etwas anders machen.

ijab.de: Was habt ihr anders gemacht und wie flexibel könnt ihr eure Förderung anpassen?

Heike Zimmermann: Wir sind ein europäisches Programm und Änderungen müssen auf europäischer Ebene entschieden werden. Seitens der Europäischen Kommission wurde relativ schnell reagiert. Für unmittelbar von der Pandemie betroffene Projekte wurden weitreichende Möglichkeiten geschaffen, Projekte unter Bezug auf Force Majeure in geänderter Form durchzuführen und unvermeidbare zusätzliche Kosten abrechnen zu können Außerdem wurden nach und nach weitere Möglichkeiten eröffnet. Zum Beispiel wurde es den Trägern ermöglicht, ihre Projekte um bis zu einem Jahr zu verschieben. Solange die coronabedingten Reisebeschränkungen anhalten, können wir auch Projekte fördern, die virtuelle und physische Projektphasen miteinander kombinieren. Das ist bisher einer der umfänglichsten Lösungsansätze, die von der Europäischen Kommission angeboten werden.

Ingrid Müller: Ich war wirklich überrascht, wie schnell Träger reagiert haben und die Umstellung hin zu digitalen Aktivitäten vollzogen haben. Sie hatten sehr schnell erste Ideen und zu diesem Zeitpunkt war das ja auch die einzige Möglichkeit, den Austausch aufrechtzuerhalten – solange eben nichts Anderes möglich ist.

ijab.de: Ihr habt die Umstellung auf digitale Formate angesprochen. Zu welchen weiteren Themen sind die Träger noch mit euch ins Gespräch gekommen?

Ingrid Müller: Ja, virtuelle und hybride Formate, das war und ist tatsächlich eines der großen Themen. Ein weiteres Thema war das Verschieben von Einzelmaßnahmen innerhalb von Projektzeiträumen. Einzelne Projekte können bis zu drei Jahren dauern – mit zahlreichen Einzelmaßnahmen, Hin- und Rückbegegnungen. Da gibt es natürlich Spielräume. Die Träger laufen allerdings dabei auch Gefahr, eine Bugwelle aufzubauen, wenn sie Einzelmaßnahmen von 2020 auf 2021 verschieben und dann noch zusätzlich neue Projekte für 2021 beantragen. Was mich überrascht hat: Es hat kaum Absagen, kaum Abbrüche gegeben.

Heike Zimmermann: Das ist auch meine Beobachtung. Als der Lockdown kam, hieß es bei den nationalen Freiwilligendiensten, jetzt sofort alle Langzeitfreiwilligen nachhause. Den Freiwilligen und Organisationen im ESK wurde die Entscheidungsfreiheit gelassen, selbst die für sie beste Lösung zu wählen. Aus einer europaweiten Befragung der Träger und Teilnehmenden wissen wir: 25 % der jungen Menschen sahen sich überhaupt nicht betroffen nur 17 % mussten ihre Projekte abbrechen. 50% der Freiwilligen im Europäischen Solidaritätskorps haben sich dafür entschieden, im Aufnahmeland zu bleiben und ihren Freiwilligendienst – wenn auch unter geänderten Bedingungenwie zum Beispiel vorübergehendem Homeoffice – fortzusetzen. Bestätigt wird das auch durch die gestiegenen Antragszahlen für die nächste Programmrunde. Große Schwierigkeiten gibt es aktuell leider für Freiwillige, die ein Visum für den Schengen-Raum benötigen .

Ingrid Müller: Man muss allerdings auch einen Blick auf die Träger werfen. Diejenigen, die nur ein einzelnes Projekt über Erasmus+ finanziert bekommen, können den Ausfall eher verkraften. Schwierig ist es für diejenigen, die ihre Arbeit im Wesentlichen auf europäische Projektförderung stützen und ihre Strukturen daraus (mit)finanzieren. Die ringen um ihre Existenz, wenn Projekte entfallen, die Förderung aufgrund virtueller Aktivitäten geringer ausfällt und keine Strukturförderung möglich ist. Noch ein Punkt: Die Umplanung der Projekte ist oft mit immensem Mehraufwand verbunden. Und auch die Sicherheitsauflagen für real stattfindende Begegnungen erzeugen höhere Kosten.

ijab.de: Wie entwickeln sich die Antragszahlen im Moment?

Ingrid Müller: Bei unserer zweiten Antragsrunde im Mai hatten wir eine deutliche Steigerung. Das liegt sicher auch daran, dass die Leute durch den Lockdown Zeit hatten, sich Projekte auszudenken und Anträge zu schreiben. Vielleicht gibt es auch eine Art Jetzt-erst-recht-Mentalität. Die deutlichste Steigerung haben wir bei den Strategischen Partnerschaften, bei denen ja eher Konzepte erarbeitet werden oder gemeinsam an Broschüren und anderen Produkten gearbeitet wird. Das kann man auch tun, wenn man sich nicht persönlich trifft. Es ist zwar nicht so schön, aber es geht.

Heike Zimmermann: Auch beim Europäischen Solidaritätskorps konnten wir im Mai Zuwächse verzeichnen. Neben dem Freiwilligendienst gibt es im ESK weitere Formate, von denen die Solidaritätsprojekte ganz ohne Reisen auskommen und damit nicht von Reiseeinschränkungen betroffen sind. Junge Menschen werden hierbei gefördert, wenn sie sich in ihrem lokalen Umfeld gesellschaftlich engagieren.

Ingrid Müller: Für die kommende Antragsrunde rechnen wir weiter mit großem Interesse an den Strategischen Partnerschaften. Außerdem gibt es eine immense Nachfrage für die neuen Fördermittel für Strategische Partnerschaften für Kreativität und Kultur.

ijab.de: Muss man eigentlich in der Zukunft befürchten, dass die Europäische Kommission Mittel kürzt? Die Rechnung wäre ja einfach: Weniger Begegnungen bedeutet weniger Geld.

Ingrid Müller: Dafür sehe ich keine Anhaltspunkte. Es sind zwar nicht genutzte Mittel aus Vorjahren verwendet worden, um zusätzliche Strategische Partnerschaften zu ermöglichen, aber es gibt keine Kürzungen für die Mobilitätsprojekte. Es wäre ja bei steigenden Antragszahlen auch schwer zu vermitteln, warum ein Budget gekürzt werden sollte.

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