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Von links nach rechts: Jaana Fedotoff, Miriam Teuma, Edgar Schlümmer und Andriy Kolobov
Digitale Jugendbildung

Lassen sich internationale Erfahrungen zu Hause sammeln?

IJAB fragt internationale Partner

In der Coronakrise haben viele internationale Partner Erfahrungen mit digitalen Formaten gesammelt. Ihre Einschätzungen dazu reichen von pragmatisch bis prophetisch. In einem Punkt sind sie sich jedoch einig: Die Digitalisierung wird auch die (Internationale) Jugendarbeit verändern und COVID19 hat sich dafür als Verstärker erwiesen. IJAB hat bei Jaana Fedotoff (Finnland), Miriam Teuma (Malta), Edgar Schlümmer (Estland) und Andriy Kolobov (Ukraine) nachgefragt.

11.02.2021 / Christian Herrmann

Mobilität ist ein Recht junger Menschen

Jaana Fedotoff ist Präsidentin des europäischen Jugendinformationsnetzwerks ERYICA und Entwicklungsmanagerin von Koordinaatti, Finnland.

Die Coronapandemie hat die internationalen Aktivitäten definitiv in digitale Umgebungen verlagert. Ich vertraue darauf, dass die internationale Zusammenarbeit und der Jugendaustausch weitergehen werden, aber es ist klar, dass sich die Art und Weise, wie wir gewohnt sind zu handeln, andern wird. Die Unvorhersehbarkeit der Situationen hat dazu geführt, dass einige Austauschmaßnahmen abgesagt werden mussten. Die Auswirkungen der Pandemie haben sicherlich uns alle betroffen, aber wir waren besonders besorgt um jene jungen Menschen, die keine Chancengleichheit haben oder die nicht über die Mittel verfugen, digital zu handeln. Meine Frage lautet also: Kann man internationale Erfahrungen auf die gleiche Art und Weise in seinem Heimatland sammeln?

Verantwortung war schon immer ein Schlüsselfaktor für den Austausch, und in der gegenwärtigen Situation wurde ihre Bedeutung nur betont. Die Projektmitarbeiter/-innen mussten schnell reagieren, um innovative Losungen zu finden, um Austausch und Aktionen in digitalen Räumen umzusetzen. Heute wird internationale Mobilität als wichtig empfunden, sogar noch wichtiger als früher. Aber auch die Neupositionierung hat mehr Arbeit erfordert. Die Jugendbetreuer/-innen mussten mehr und mehr junge Menschen online und über soziale Medien erreichen, und wir hörten auch Kritik, warum Ressourcen in virtuelle, digitale Mobilität investiert werden sollten.

Ich schätze die Tatsache, dass das Wissen über verschiedene Orte und Kulturen, Peer-Learning und internationale Begegnungen nach wie vor als wichtig angesehen werden. Eine im Frühjahr unter Jugendbetreuer(inne)n durchgeführte Umfrage hat einen Schlüsselfaktor bei den Austauschmaßnahmen aufgezeigt. Der Austausch von Ideen in internationalen Arbeitsumgebungen, auch in digitalem Format, wird nach wie vor als wichtig erachtet. Es wurden auch neue Arten von Partnerschaften mit neuen Formen der Umsetzung entwickelt. Mit der Pandemie sind auch wichtige Themen wie die Ökologie des internationalen Austauschs in die Diskussion gekommen.

Ich glaube, dass uns diese Ära eine neue Denkweise hinterlässt. Internationalität bedeutet nicht immer, dass man von einem Land ins andere reist, sondern die Welt öffnet sich dort, wo man ist. Das ist auch eine wirtschaftliche Frage. Zwar werden noch immer Mobilitätsprojekte gefördert, aber wir müssen anfangen, darüber nachzudenken, ob es in Zukunft genügend Mittel geben wird. Werden sie ausreichen, so dass wirklich alle jungen Menschen die Möglichkeit haben, an den internationalen Mobilitätsprojekten und Austauschmaßnahmen teilzunehmen? Auf der anderen Seite müssen wir überlegen, ob etwas in der Erfahrung fehlt, wenn es nicht von Angesicht zu Angesicht geschieht. Für einige internationale Austausche ist das virtuelle Format besser geeignet als für andere.

Empfehlung Nr. 5 des Papiers Engage, Inform, Empower. von ERYICA, Eurodesk und EYCA, Mobilität für alle jungen Menschen zugänglich zu machen, ist eine starke Botschaft. Die Publikation betont, dass Mobilität ein Recht junger Menschen ist und dass sie allen jungen Menschen in Europa zugänglich gemacht werden sollte. In Finnland gibt es viele junge Menschen, die in Randregionen leben. Dies sind Regionen, in denen weniger junge Menschen leben als in anderen Teilen unseres Landes. Ich halte es für wichtig, gerade diesen jungen Menschen Mobilität zu ermöglichen. Und die digitale Umsetzung wird wahrscheinlich auch die Schwelle zur Teilnahme an diesen Projekten senken. Die Kompetenzen derjenigen, die mit Jugendlichen arbeiten, um internationale Jugendbegegnungen durchzuführen, müssen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene unterstützt werden.

Ich fördere die Jugendinformations- und Beratungsarbeit für junge Menschen in Finnland und in Europa und ich halte es für besonders wichtig, dass die digitalen Möglichkeiten für den internationalen Jugendaustausch flexibel und an die aktuelle Situation anpassbar sind. Es ist wichtig, schon jetzt Informationen, Erfahrungen und Ergebnisse über die langfristigen Auswirkungen zu sammeln.

Meine Organisation Koordinaatti wird zusammen mit dem Nationalen Bildungsrat am 9. Dezember in Finnland ein nationales Online-Seminar darüber organisieren, wie sich die Pandemie auf unsere Arbeit in der Jugendinformation und -beratung ausgewirkt hat und wie sich der Jugendaustausch seit dem letzten Frühjahr verändert hat. Das Thema ist sehr relevant und für uns alle in Europa von entscheidender Bedeutung.

Neue Wege, miteinander in Kontakt zu treten

Miriam Teuma ist Geschäftsführerin von Aġenzija Żgħażagħ, Maltas Nationaler Jugendagentur.

Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind auf der ganzen Welt zu spüren. Für junge Menschen, aber auch für alle anderen, hat sie zu einem restriktiveren Lebensstil, einem eingeschränkten Zugang zu Bildung, Arbeit und Dienstleistungen sowie zu Selbstisolierung und sozialer Distanzierung geführt.

Während die regulären Jugenddienste, -programme und -initiativen in Malta, wie auch anderswo in Europa, durch die Abriegelung negativ beeinflusst wurden, bot sie uns auch eine einzigartige Gelegenheit, mit jungen Menschen online und über soziale Medien zu arbeiten und auf sie zuzugehen. Aġenzija Żgħażagħ setzte ihre Arbeit fort und unterstützte und ermutigte junge Menschen während dieser Pandemieperiode, während wir gleichzeitig unsere Kapazität für digitale Jugendarbeit weiterentwickelten und ausbauten. Wir setzten auch die Digitalisierung unserer Dienste fort und unterstützten Jugendorganisationen bei der Neugestaltung und Anpassung ihrer Programme und Projekte.

Trotz der sozialen Distanzierung und Isolation eröffneten die sozialen Medien neue Wege für junge Menschen und Jugendbetreuer/-innen, miteinander in Kontakt zu treten. Es wurden zahlreiche Online-Sitzungen durchgeführt, an denen junge Menschen teilnahmen, um aktuelle Themen zu diskutieren, sich an Online-Aktivitäten zu beteiligen und Kontakte zu Gleichaltrigen zu knüpfen, die von professionellen Jugendbetreuer(inne)n vermittelt wurden. Viele der Sitzungen ermöglichten es jungen Menschen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund, neue Beziehungen aufzubauen und ihre Werte, Ideen, Bestrebungen und Anliegen zu teilen und zu diskutieren.

Wir haben während der Pandemie auch spezifische Initiativen zur Unterstützung junger Menschen ergriffen. Unsere Erfahrungen während der Pandemie lehrten uns vor allem zwei Dinge: Erstens können virtuelle oder Online-Formate zwar niemals die physische, persönliche Dimension der Jugendarbeit ersetzen, doch sollte sie auch nicht als bloße Ergänzung oder Ersatz gesehen werden, sondern eher als ein partnerschaftlicher oder gleichberechtigter Prozess. Zweitens ist digitale Jugendarbeit einfach Jugendarbeit mit anderen Mitteln. Obwohl die digitale Jugendarbeit ihre eigenen Herausforderungen und Möglichkeiten hat, ändert sie nichts an der Natur der Jugendarbeit selbst, die in der Befähigung junger Menschen zu persönlicher, sozialer und politischer Bildung besteht.

Die digitale Jugendarbeit ist wahrend der Pandemie erwachsen geworden, und wir dürfen die Chance nicht verlieren, sie in die künftige Politik und Praxis einzubetten.

Ein selbstverständlicher Teil der internationalen Zusammenarbeit

Edgar Schlümmer ist internationaler Experte für Jugendpolitik und -arbeit und Gastlektor für Jugendarbeit an der Universität Tallinn/Universität Tartu Narva College.

Da Estland ein digital fortschrittliches Land und ein Wegbereiter intelligenter Technologien ist, war es eher bereit für virtuelle Arbeit und Beteiligung. Trotzdem hatten wir jahrzehntelang einen Mangel an Ressourcen für die Entwicklung im Jugendbereich. In diesem Fall waren COVID und der Lockdown jedoch eine Art „Geschenk“ – der Jugendbereich wurde im ganzen Land und bei allen Arten von Aktivitäten, einschließlich nationaler und lokaler Dienste, in ein digitales Format umgewandelt. Die Jugendinformation und die Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen genoss große Anerkennung. Jugendbetreuerinnen und -betreuer nutzten Roblox und Discord, Videokonferenzen, digitales Wandern, Vlogs, benutzten Technologie, um die Diaspora aus dem Ausland einzubeziehen. Zusammen mit der EdTech1-Gemeinschaft wurde erreicht, dass ihre Losungen wie 99math.com, Lingvist.com, Clanbeat.com, Speakly.me, ALPA Kids während der Krise für Organisationen im Jugend- und Bildungsbereich kostenlos zur Verfugung standen.

Das estnische Zentrum fur Jugendarbeit schloss sich mit dem estnischen Startup-Unternehmen Veriff zusammen, um ein vollständig webbasiertes System mit virtueller Personenidentifizierung einzuführen, mit dem Jugendbetreuerinnen und -betreuer innerhalb von weniger als zehn Tagen nach dem Lockdown Berufsprüfungen beantragen konnten. Auf staatlicher Ebene schufen wir zahlreiche zusätzliche digitale Richtlinien mit Hilfsmitteln, digitalen Methodenbanken, die heutzutage nutzbar sind und weiterhin verwendet werden.

Natürlich erlebten wir in einigen Bereichen einen Mangel an Wissen, fehlende Technologie, eine digitale Kluft unter den Jugendlichen und manchmal auch mangelnde „Sauberkeit“ der virtuellen Treffen, also Schwierigkeiten aus datenschutzrechtlicher Perspektive. Dennoch, der vollzogene Wandel wird Bestand haben und die Telearbeit kommt vielen Aktivitäten zugute. Online-Formate können die Jugendarbeit unterstützen, und es ist entscheidend, diese Optionen nicht als kurzfristige Ad-hoc-Lösungen für eine Pandemie zu betrachten, sondern eine langfristige Perspektive einzunehmen und digitale Formen der Jugendarbeit aufzubauen, mit der Idee, dass Online und Offline sich gegenseitig unterstützen. Trotzdem ist es gerade in der internationalen

Zusammenarbeit unglaublich wichtig, Erfahrungen von Angesicht zu Angesicht zu machen und zusammenzukommen. Digital oder virtuell ist von nun an ein noch selbstverständlicherer Teil der internationalen Zusammenarbeit, er sollte aber nicht die einzige Lösung und das Ziel der Zusammenarbeit sein.

Die Teilnahme an Online-Veranstaltungen muss auch für „normale“ Menschen möglich sein

Andriy Kolobov ist Koordinator von Eurodesk Ukraine.

Die ukrainischen Institutionen der Jugendarbeit konzentrierten sich hauptsächlich auf Aktivitäten, die das Zusammentreffen von jungen Menschen aufrechterhalten. Seit dem Euromaidan ist Facebook in der Ukraine zum populärsten Raum für politische Debatten geworden, zum Beispiel als Ort für Bürgerbeteiligung. Viele Leute begannen auch, Youtube für Diskussionen zu bestimmten Themen zu nutzen. Diese Erfahrung war interessant, aber all diese Tools waren nicht interoperabel und konzentrierten sich in der Regel auf eine sehr begrenzte Beteiligung des Publikums.

Eurodesk nahm seine Arbeit 2018 in der Ukraine auf. Wir hatten ein paar Jahre Zeit, um Jugendbetreuer/-innen aus Jugendzentren und aus Jugend-NGOs einzubinden, um das System des Informationsaustauschs zu vereinheitlichen und es auch in die Strukturen unserer Erasmus+-orientierten Partner aus ganz Europa zu integrieren. Jede Struktur versucht, ihren eigenen Weg zu finden, um mit der Zielgruppe zu arbeiten und Zoom-Seminare, Online-Plenarsäle oder größere Konferenzen mit verschiedenen neuen Online-Tools zu organisieren. Wir als Eurodesk betreiben Jugendinformation in der gesamten Ukraine und unterstützen prioritär die Jugendpolitik, um mit bereits aktiven Teilen der Gesellschaft in Kontakt zu treten – insbesondere während der Pandemie.

Viele neue Projekte und Kooperationen sind im Gange. Leiter/-innen von Organisationen planen zukünftige Projekte online, hoffen aber auch, dass sie sich wieder der physischen Kommunikation zuwenden werden. Auf internationaler Ebene bieten Online-Veranstaltungen mehr Möglichkeiten zur Integration, aber wir müssen dafür sorgen, dass die Teilnahme an Online-Veranstaltungen auch für „normale“ Menschen möglich wird. Wir waren stolz darauf, dass einige Aktivistinnen und Aktivisten sehr ansprechende Formate für Teambildungsaktivitäten und andere Seminare über Online-Tools entwickelt haben, deren Nutzung künftig aufgrund der technischen Entwicklung sogar noch interessanter sein könnte.

Ich glaube fest daran, dass all diese neuen Formate und Ansätze verbessert werden müssen, aber gleichzeitig konnten wir von all den Neuerungen und der Kreativität profitieren und in die üblichen nicht-formalen Bildungsprogramme Online-Komponenten, Toolkits, Tests und verschiedene interaktive Aktionen integrieren. Außerdem müssen wir uns bei der Vorbereitung internationaler Veranstaltungen viel stärker auf Online-Komponenten konzentrieren, auch um bei der Durchführung von Folgeaktivitäten mehr Wirkung zu erzielen. Online-Tools erhöhen unsere Fähigkeit, Daten zu analysieren und noch besser auf junge Menschen und ihre persönlichen Bedürfnisse reagieren zu können.

Dieser Text stammt aus dem kürzlich erschienenen IJAB journal 2/2020. Das IJAB journal kann als PDF heruntergeladen oder als Printausgabe kostenfrei bestellt oder abonniert werden.

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Mehrere junge Menschen sitzen an einem Tisch und arbeiten an Laptops.
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