Eine Gruppe junger Menschen auf einer Bühne Eine Gruppe junger Menschen auf einer Bühne
Junge Menschen aus Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer während eines Austauschs
Demokratie und Menschenrechte

„Wow, wir haben Freunde!“

Eine deutsch-israelische Partnerschaft nach dem 7. Oktober

Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer blicken auf eine lange Geschichte deutsch-israelischer Partnerschaft und Freundschaft zurück. Die Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 waren für beide Seiten ein Schock. Barbara Friedrich vom Kreisjugendring Siegen-Wittgenstein und Efrat Simmenhausen-Shafran von der Stadtverwaltung Emek Hefer haben der Redaktion von ijab.de erzählt, wie sie damit umgegangen sind.

22.02.2024 / Christian Herrmann

ijab.de: Barbara, Efrat, Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer haben eine Partnerschaft. Erzählt uns ein bisschen darüber.

Barbara Friedrich: Die Partnerschaft gibt es schon seit 1966 und geht auf einen Siegener Juden zurück, der sich schon in den 1950er Jahren dafür engagiert hat. Holocaust-Überlebende kamen nach Siegen und das zu einer Zeit, als Deutschland und Israel noch nicht einmal diplomatische Beziehungen hatten. Seit über 50 Jahren ist die Partnerschaft offiziell. Siegen-Wittgenstein ist ein ziemlich großer Landkreis und deswegen können wir vielfältige Austauschangebote machen, die über die Jahre mehr und mehr geworden sind. Zwischen Jugendzentren und Jugendorganisationen gibt es 6 bis 7 Austausche pro Jahr, on top kommen noch Fachkräfteaustausche und weitere Angebote für Erwachsene.

Efrat Simmenhausen-Shafran: Dazu kommen noch parlamentarische Delegationen, die auch nach weiteren Kooperationsmöglichkeiten suchen.

Barbara Friedrich: Alles das wird ehrenamtlich geleistet und das schon in der zweiten Generation. Die Eltern waren mit dabei und nun fahren deren Kinder nach Israel. Das basiert auf einer tiefen Freundschaft, die von Herzen kommt. Nur mit dem Kopf kann man das nicht leisten.

7. Oktober: „Ich habe sofort an meine Freunde gedacht“

ijab.de: Wahrscheinlich erinnert sich jeder Mensch an Ereignisse, über die er genau sagen kann, wo er zu diesem Zeitpunkt war und was er gedacht hat. Ich vermute, der 7. Oktober war für euch so ein Moment.

Efrat Simmenhausen-Shafran: Ich war mit Touristen in der Negev-Wüste unterwegs und wurde von den Geräuschen der Raketen wach. Auf dem Nachhauseweg habe ich dann die ersten Nachrichten über die Massaker und Geiselnahmen gelesen. Ich dachte: Die irren sich, das kann nicht sein. Ich konnte es einfach nicht glauben. Erst als die ersten Videos im Internet auftauchten, fing ich an, den Umfang der Katastrophe zu verstehen. In Emek Hefer bin ich dann sofort zum Stadtrat gefahren. Wir haben einen Notfallrat eingerichtet, der 24 Stunden rund um die Uhr für die Bürger*innen da war. Wir hatten tausende von Anfragen zu beantworten und sind bis heute nicht wieder zum Normalzustand zurückgekehrt. Es gab sehr ernste Fälle, um die wir uns kümmern mussten: Familien, deren Angehörige entführt wurden, deren Kinder in Gaza gefallen waren. Eine Frau aus unserer Gemeinde beging Selbstmord, weil sie die Situation nicht mehr ertragen konnte. Und natürlich haben wir pausenlos die Nachrichten verfolgt und hunderte Familien und Gemeinschaften aus den evakuierten Siedlungen im Süden Israels beherbergt.

Barbara Friedrich: Für mich war der 7. Oktober ein ganz normaler Morgen, bis die ersten Nachrichten von den Massakern im Internet auftauchten. Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte mich in Israel immer sicher gefühlt und jetzt das. Ich dachte sofort an meine Freunde und fühlte mich völlig hilflos.

ijab.de: Hilft eure Partnerschaft dabei, über das Gefühl von Hilflosigkeit hinwegzukommen?

Barbara Friedrich: Das tut sie, aber es bleibt das Gefühl, nicht genug zu tun. Dann gab es überall pro-palästinensische Demonstrationen – auch hier in Siegen. Das machte mich sprachlos, es war das zweite Mal, dass ich etwas nicht glauben konnte.

Efrat Simmenhausen-Shafran: Die Demonstrationen haben mich auch schockiert. Ich dachte immer, Siegen sei ein sicherer Ort und jetzt dieser Hass. Aber, wow, wir haben Freunde. In den ersten Tagen gab es auch eine Solidaritätsdemonstration mit Israel. Es war für mich bewegend, alle diese Menschen zu sehen und zu hören, wie sie die haTikwa sangen [Die haTikwa ist die israelische Nationalhymne. Anm. d. Redaktion]. Unser Bürgermeister hat auch einen offiziellen Brief des Landrats und des Bundestagsabgeordneten aus Siegen-Wittgenstein erhalten. Unsere Freiwilligen teilen ihre Eindrücke im Internet mit ihren Freund*innen in Deutschland. Sie erzählen ihnen Dinge, die sie vielleicht nicht mal ihren Eltern erzählen. Es ist wichtig, dass sie das tun. Meine eigene Medien-Kommunikation ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Es gab Tage, da habe ich über 2.000 WhatsApp-Nachrichten erhalten. Es war unmöglich, das alles zu beantworten.

Wieviel wissen die Menschen in Deutschland über Israel?

Barbara Friedrich: Wir fragen uns die ganze Zeit, was wir tun können. Wir machen Demos, unsere Jugendlichen packen Pakete für ihre Freunde in Emek Hefer, wir sprechen mit den Schulen und den Lehrer*innen über Antisemitismus und was man gegen ihn tun kann. Für uns ist es auch wichtig, mit unseren Freund*innen in Kontakt zu bleiben und mit ihnen zu sprechen. Während der Corona-Pandemie haben wir alle gelernt, mit Zoom umzugehen. Das zahlt sich jetzt aus.

Efrat Simmenhausen-Shafran: Es ist wichtig, mit den Menschen in Deutschland über Israel und die israelische Gesellschaft zu sprechen. Ich habe oft den Eindruck, dass sie wenig über uns wissen. Wissen sie, dass es auch israelische Araber gibt, dass es eine Vielzahl von Religionen gibt? In meiner Nachbarschaft gibt es ein arabisches Dorf und ich habe keine Angst dort hinzugehen. Für die Hamas sind diese Araber Feinde, denn sie leben und arbeiten in Israel. Treffen oder Diskussionsabende, bei denen Wissen über Israel vermittelt wird, sind wichtig. Emek Hefer liegt an der Grenze zum Westjordanland. Israel ist hier nur 15 Kilometer breit. Was bedeutet es, an der Grenze zu leben? Zum ersten Mal habe ich ein Gefühl der Unsicherheit. Wir können die Operationen des Militärs hören, das Schießen und die Bombenangriffe. Es ist eine sehr fragile Situation und unsere Freunde in Siegen haben mehr Empathie für uns als manche Israelis, die an sichereren Orten leben.

Barbara Friedrich: Sicherheit ist immer ein Thema beim Austausch mit Israel. Am 7. Oktober hatten wir ein Mädchen aus Siegen in Emek Hefer und es war nicht leicht, sie wieder nach Hause zu bringen. Österreich hat schneller reagiert und seine Bürger*innen ausgeflogen, Deutschland nicht.

Efrat Simmenhausen-Shafran: Das ist nicht ausschließlich ein deutsches Problem. Über die britische Botschaft habe ich auch Beschwerden gehört. Ich glaube, viele Regierungen hatten Schwierigkeiten zu verstehen, wie ernst die Situation war. Das hat Zeit gebraucht.

„Wir sind naiv, aber wir sind kreativ“

ijab.de: Was plant ihr für die Zukunft? Im Augenblick ist ja kein Jugendaustausch möglich. Was denkt ihr, wann er wieder möglich sein wird?

Efrat Simmenhausen-Shafran: Vielleicht ist das dumm, aber ich bin optimistisch. Ich hoffe, dass sich die Situation im Sommer normalisiert hat. Wir haben mehrere Austausche vorbereitet und warten auf den Sommer. Außerdem ist die Lage in Deutschland sicher, wir warten nur darauf, dass unsere Regierung uns grünes Licht gibt.

Barbara Friedrich: Wir sind naiv, aber wir sind kreativ. Wir wollen mit unseren Kids reisen. Sie haben ja schon die ganze Durststrecke während der Corona-Pandemie hinter sich. Wir sind bereit loszulegen – natürlich unter Berücksichtigung aller Sicherheitsregeln.

Dieses Interview ist in Zusammenarbeit mit ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch entstanden.

Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
Über Demokratie und Menschenrechte

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