Eine Hand hält ein Plakat mit der Aufschrift 'Freedom for Iran' hoch. Eine Hand hält ein Plakat mit der Aufschrift 'Freedom for Iran' hoch.
Demokratie und Menschenrechte

„Sei unsere Stimme!“

Junge Iraner*innen brauchen Unterstützung

Mona Akrami ist Vorsitzende des Vereins TABU-Frauen* gegen häusliche Gewalt. Im Erwachsenenalter kam sie aus dem Iran nach Deutschland. Sie verfolgt die Proteste gegen das iranische Regime sehr genau. Die Redaktion von ijab.de hat mit ihr über die Situation junger Menschen im Iran gesprochen und wie sie unterstützt werden können.

15.11.2022 / Christian Herrmann

ijab.de: Frau Akrami, wie geht es jungen Menschen in diesen Tagen im Iran?

Mona Akrami: Sie sind hoffnungsvoll. Das merkt man vor allem bei den Student*innen der Universitäten. Sie sagen, „wir nehmen uns unser Land zurück“. Bisher gab es für ein freies Leben nur Auswanderung als Lösung. Iraner*innen sind so zu Expert*innen für Migration geworden. Uns findet man in der ganzen Welt. Jetzt gibt es Hoffnung auf ein Leben im Iran.

ijab.de: Das iranische Regime ist für seine Grausamkeit bekannt. Frauen werden öffentlich gesteinigt, Homosexuelle wurden an Baukränen aufgehängt. Was hat jetzt das Fass zum überlaufen gebracht?

Mona Akrami: In der Vergangenheit hat es immer wieder Proteste gegeben. Dabei sind die Abstände immer kleiner geworden. Etwas wichtiges hat sich geändert: Früher waren es nur die Frauen, die für die Frauen auf die Straße gingen, oder die Rentner für die Rentner, nur die Mittelschicht oder nur die Unterschicht. Die Solidarität, die alle Teile der Gesellschaft umfasst, ist neu. Außerdem sind die Proteste nicht mehr auf die großen Städte begrenzt. Im ganzen Land wird protestiert. Früher haben viele Oppositionelle Hoffnungen auf die „Reformer“ im Regime gesetzt, weil sie glaubten, so den Frieden in der Gesellschaft bewahren zu können und Gewalt zu vermeiden. Diesen „Frieden“ wollen die Menschen nicht mehr. Hoffnung auf Reformen innerhalb des Regimes gibt es nicht mehr. Jetzt haben wir eine neue Generation, in der alle Erfahrungen der Vergangenheit zusammenkommen.

ijab.de: Warum sind es ausgerechnet die Frauen, von denen die Proteste ausgehen?

Mona Akrami: Die Frauen leiden seit 40 Jahren unter der Geschlechter-Apartheid. Es geht nicht nur um das Kopftuch, es geht darum, dass wir in der Verfassung des Iran keine Rechte haben. Frauen haben am meisten gelitten, das Regime hat Mahsa Amini wegen ihres Kopftuchs ermordet. Es geht um unsere Rechte, es geht um Selbstbestimmung. Frauen verdienen weniger, Männer müssen zu Reisen oder zu einer Arbeitsstelle ihre Zustimmung geben. Aber auch die Männer haben immer schlechtere Perspektiven. Das ist ein Grund, warum sie nicht mehr schweigen und warum Frauen und Männer gemeinsam kämpfen.

Die deutsche Unterstützung reicht nicht aus

ijab.de: Der Iran sorgt seit Jahren auch international für negative Schlagzeilen. Er finanziert Terrororganisationen und droht Israel mit Vernichtung, jetzt liefert er Waffen an Russland. Spielt Außenpolitik bei den Protesten eine Rolle?

Mona Akrami: Die westlichen Sanktionen sind natürlich ein Thema. Das Regime hat immer behauptet, alle Probleme des Landes seien auf die Sanktionen zurückzuführen. Das glauben die Menschen nicht mehr. Jetzt rufen sie: „Die USA sind nicht unser Feind, ihr seid unser Feind!“ Der Iran unterstützt zum Beispiel die Hisbollah. Die junge Menschen auf der Straße sagen aber laut: „Wir wollen nicht, dass dafür unser Geld ausgegeben wird.“

ijab.de: Welche Aussicht auf Erfolg haben die Proteste?

Mona Akrami: Das Regime weicht nicht zurück. Es heißt, es werde kein Referendum über den Hijab geben. Aber die Menschen weichen auch nicht zurück. Seit 50 Tagen sind die Iraner*innen auf der Straße. Vielleicht wird es zwischendurch etwas ruhiger werden, aber die Proteste werden weitergehen. Früher hatten die Menschen Angst, das liegt auch an der Todesstrafe, die ihnen drohen kann. Die neue Generation hat keine Angst. Sie ist bereit zu sterben, wenn das nötig sein sollte, damit sie ihr Land zurückbekommen. Es gibt keinen Weg zurück. Europa und die USA müssen das Regime unter Druck setzen, um uns zu unterstützen.

ijab.de: Das nimmt schon fast die nächste Frage vorweg. Welche Unterstützung ist von außen nötig?

Mona Akrami: Es gibt einfache Dinge, die wir alle tun können. Das Regime hat den Zugang zum Internet eingeschränkt. Trotzdem gelingt es jungen Menschen immer wieder, Videos von den Protesten in soziale Netzwerke hochzuladen. Die kann man teilen, damit die Menschen erfahren, was geschieht. Junge Menschen sagen mir immer wieder: „Sei unsere Stimme!“
Außerdem können wir Druck auf unsere Politiker*innen ausüben. Es hat fünf Wochen gedauert, bis sich der Bundeskanzler endlich zu den Protesten öffentlich geäußert hat. Die Bundesaußenministerin, die uns eine neue, feministische Außenpolitik versprochen hat, hat eine volle Woche bis zu einer öffentlichen Stellungnahme gebraucht. Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner des Iran. Wir hätten also durchaus Möglichkeiten, Druck auszuüben. Aber das Geld ist für die deutsche Regierung scheinbar wichtiger, als Menschenrechte. Andere Länder sind da weiter. Kanada hat zum Beispiel viel schneller und umfassender mit Sanktionen reagiert, als Europa. Das ist enttäuschend. Das iranische Regime ist über Lobbyisten zudem ziemlich erfolgreich damit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. So wird zum Beispiel das Märchen verbreitet, das Land könne im Chaos versinken oder so werden, wie der Islamische Staat. Das ist Unsinn, aber es wirkt. Nichts davon wird passieren, aber das Regime versucht durch seine Propaganda dieses Bild zu verbreiten, um sein Existenz zu sichern.
Die jungen Menschen im Iran sind sehr mutig. Sie gehen auf die Straße, obwohl sie mit der Angst aufgewachsen sind. Sie gehen auf die Straße, obwohl man ihnen immer gesagt hat, „rede nicht öffentlich über Politik“. Das müssen die jungen Menschen in Deutschland wissen.

Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
Über Demokratie und Menschenrechte

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