ijab.de: Kyrylo, wie war dein Leben vor dem Krieg?
Kyrylo: Ein ziemlich normales Leben, würde ich sagen. Ich habe studiert, habe mit meiner Familie – meiner Mutter und meinen beiden Brüdern – zusammengelebt und in meiner Freizeit mit meiner Band Musik gemacht.
ijab.de: Dein Tagebuch beginnt am 4. Tag der aktiven Phase des Krieges. Offenbar sind die russischen Truppen zu diesem Zeitpunkt sehr schnell vorangekommen.
Kyrylo: Zu diesem Zeitpunkt waren sie noch nicht in der Stadt, aber die Front war zu hören. Wir haben die ganze Zeit Nachrichten gelesen und uns Messages hin und her geschickt, um zu erfahren, wie die Situation ist. Meine Stadt ist Teil eine Städtedreiecks – Sjewjerodonezk, Rubischne und Lysytschansk. Ich dachte, die Russen würden von Osten vorrücken, aber tatsächlich sind sie dann von Norden her gekommen und haben zuerst Rubischne eingenommen. Schon am Anfang war die Elektrizität abgestellt worden, um die Städte nachts zu verdunkeln. Eine Mine hat dann eine Gasleitung getroffen. Wir hatten also kein Licht und keine Heizung mehr.
ijab.de: Was hat dich dazu gebracht, Tagebuch zu schreiben?
Kyrylo: Ich habe einen Zwillingsbruder, der 10 Minuten älter ist als ich. Er lebt aber nicht mit unserer Familie sondern mit seiner Freundin. An ihn habe ich beim Schreiben oft gedacht und habe mich dann entschlossen Tagebuch zu schreiben. Außerdem war mir klar, dass wir nicht weg können, noch nicht mal in den Luftschutzkeller. Mein Großvater hatte Krebs und war bettlägerig. Bei Angriffen waren wir alle im Badezimmer, das war der sicherste Raum. Ohne Strom und Gas wird das Leben ziemlich kompliziert. Wir haben Brennholz geschnitten und auf dem Balkon gekocht. Das sind Dinge, die dich den ganzen Tag beschäftigen können und ich wollte etwas sinnvolles tun. Ich wollte nicht unbedingt Geschichte schreiben, das wäre zu viel gesagt, aber ich wollte wenigstens eine Nachricht hinterlassen.
ijab.de: Hat dir das Schreiben geholfen?
Kyrylo: Das ist eine interessante Frage. Ich habe nicht geschrieben, damit mir das hilft. Mein erstes Ziel war, meine Familie zu retten. Aber sicher hat mir das Schreiben geholfen, psychisch stabil zu bleiben. Außerdem konnte ich mit Textmessages nicht gleichzeitig allen meinen Freunden schreiben. Also habe ich Tagebuch geschrieben.
Ich möchte vor allem Musik machen
ijab.de: Du lebst jetzt in Bila Zerkwa, weit weg von der Front. Wie geht es dir dort?
Kyrylo: Ich bin irgendwie sehr müde, aber im allgemeinen geht es mir gut. Ich habe ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und ein Gefühl von Sicherheit obwohl es auch hier Drohnenangriffe gibt. Die Sozialdienste hier sind eine große Hilfe. Ich habe jetzt einen Kühlschrank. Früher konnte ich Lebensmittel nur in kleinen Mengen kaufen, sie kochen und dann direkt essen, damit sie nicht schlecht werden. Das ist jetzt viel besser geworden. Auch das Jugendzentrum ist eine große Hilfe und hilft mir, mich hier einzuleben. Außerdem möchte ich nicht passiv sein. Ich arbeite freiwillig im Jugendzentrum als und gebe Musik-Workshops. Das ist mein Projekt.
ijab.de: Was für Hoffnungen hast du für die Zukunft?
Kyrylo: Keine Hoffnungen, ich richte mich nach der jeweiligen Situation. Ich nenne das optimistischen Realismus und versuche die Dinge so gut wie möglich zu machen, auch dann wenn wir mal wieder keinen Strom hatten und für sauberes Wasser anstehen mussten. Ich besuche Freunde, wasche, koche. Natürlich hoffe ich, dass der Krieg so schnell wie möglich vorbei ist und dass wir Frieden bekommen. Das Leben in Bila Zerkwa gibt mir Hoffnung, manchmal fühle ich mich glücklich. Ich sah Glück in den Augen der Menschen, als ich hier ankam. Das ist anders als in meiner Heimatstadt. Die Menschen lächeln und sie machen sogar Witze, auch wenn die Situation schrecklich ist. Wir werden hier nicht permanent bombardiert. Ich hoffe, der Krieg endet bald, damit die Menschen nicht weiter leiden müssen und nicht das erleben müssen, was ich erlebt habe.
ijab.de: Hast du Pläne oder Träume für die Zeit nach dem Krieg?
Kyrylo: Ich versuche realistisch zu bleiben und erst mal mit der gegenwärtigen Situation klarzukommen. Ich möchte Musik machen und ich möchte reisen – ich war noch nie im Ausland. Ich möchte dann mit meiner Familie in Kontakt bleiben, vielleicht können sie mich ja dort besuchen, wo ich sein werde. Oder ich besuche sie. Ich möchte in meinem Bereich mehr tun und mit meiner Band im Ausland auftreten, vielleicht in Deutschland oder Tschechien. Wir hatten schon früher Kontakt zu anderen Bands, aber erst kam Covid und dann der Krieg. Ich möchte zu Ende studieren, ich bin jetzt im dritten Studienjahr. Aber vor allem möchte ich Musik machen.