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Demokratie und Menschenrechte

Junge Menschen können nicht vergessen

Die israelischen Pfadfinder nach dem 7. Oktober

Die Terrorangriffe der Hamas haben das Leben vieler Kinder und Jugendlicher in Israel auf den Kopf gestellt. Das Trauma sitzt tief. Aber sie haben auch eine große Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität ausgelöst. Roy Shaul von der Pfadfinderbewegung in Israel erzählt im Interview mit ijab.de davon und auch darüber, was ihm die internationale Solidarität bedeutet.

05.03.2024 / Christian Herrmann

ijab.de: Roy, wie geht es den Mitgliedern der israelischen Pfadfinder?

Roy Shaul: Ich würde sagen, das hängt von der Region ab, in der sie leben, und wie sehr sie durch die Massaker vom 7. Oktober betroffen waren. Irgendwie haben wir uns an die Situation gewöhnt, was an sich schon schlecht ist. Viele versuchen zu einer täglichen Routine zurückzukehren, aber das wird mit jedem Tag schwerer.

ijab.de: Wie steht es um ihre psychische Gesundheit?

Roy Shaul: In Israel zu leben, ist immer irgendwie mit Angst verbunden. Das trifft besonders für Orte in der Nähe des Gazastreifens zu. Jemand sagte mal: 95% der Zeit ist es der Himmel, zu 5% die Hölle. Raketenangriffe aus dem Gazastreifen gibt es ja seit vielen Jahren und wir haben eine gewisse Widerstandsfähigkeit dagegen. Daran kann man sich nie gewöhnen, aber man hat Erfahrung damit und ist vorbereitet. Aber das, was wir am 7. Oktober erlebt haben, hatten wir noch nie erlebt. Der einzige Vergleich, der mir dazu einfällt, auch wenn das politisch unkorrekt ist, ist die Schoa. Menschen die sich verstecken müssen, um nicht getötet zu werden. Mütter, die die Münder ihrer Babys zuhalten, damit sie nicht entdeckt werden. Menschen, die ermordet oder entführt wurden, dieses Trauma wirkt sich in ganz Israel aus. Die Ereignisse vom 7. Oktober haben jeden Haushalt berührt. Alle kennen jemanden, der ermordet, entführt oder verletzt wurde. Alle kämpfen darum, ins normale Leben zurückzukehren, aber niemand kann vergessen. Sogar Kinder sind betroffen, ohne sich darüber bewusst zu sein. Wenn sie Verstecken spielen, verstecken sie sich in einem Bunker. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass sie dort hin müssen. Wir haben jetzt ein Team von Therapeuten zusammengebracht, die sich um diejenigen kümmern, deren Familienangehörigen getötet oder entführt wurden, und Einzel- und Gruppentherapien für Pfadfinder und Hauptamtliche anbieten. Auch ich selbst habe noch nie so viel Angst gehabt.

Weit von Normalität entfernt

ijab.de: Hilft es euch, wenn ihr gemeinsam etwas für andere Menschen tun könnt und handlungsfähig bleibt?

Roy Shaul: Ja, das tut es ganz sicher. Ich glaube, was unsere Gesellschaft auszeichnet, ist unsere Einigkeit. Wir als Israelis haben uns sofort zusammengeschlossen und begonnen, uns für die nationalen Belange einzusetzen. Die Pfadfinder sammeln Geld für die vom Terror betroffenen Familien. Sie kochen gemeinsam für sie. Sie sammeln Schlafsäcke für die Armee. In einer unserer Kampagnen, haben wir dazu aufgerufen Kleingeld zu sammeln, das jeder zuhause rumliegen hat. Wir haben 300.000 Schekel zusammengebracht, also fast 80.000 Euro. Wir unterstützen Soldat*innen, schicken ihnen Nachschub und waschen ihre Wäsche. Wir sind im ständigen Austausch mit anderen Jugendorganisationen, um die Stärke unserer Teenager zu vervielfachen. Wir haben einen Jugendmarsch von Tel Aviv nach Jerusalem organisiert, um Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie mehr für die Freilassung der Geiseln unternimmt. Wir sind dazu auch im Internet sehr aktiv: Wir posten Videos und Informationen, die das Image von Israel verbessern und schicken Poster der Geiseln zum selbst ausdrucken an unsere internationalen Partner.

ijab.de: Wie sieht die Zukunft aus? Wann wird es wieder so etwas wie Normalität geben?

Roy Shaul: Das ist mir selbst nicht klar. Werden wir normale Sommercamps haben? Niemand weiß das. Wir haben uns auch damit auseinanderzusetzen, wie unsere Gesellschaft nach dem Krieg aussehen wird. Wie wird unsere Wirtschaft aussehen? Wo werden sich Menschen sicher fühlen? Wie wird sich das Trauma auf die nächste Generation auswirken?

Die internationalen Partner geben Kraft

ijab.de: Als Pfadfinder seid ihr international gut vernetzt. Was bekommt ihr von euren Partnern im Ausland mit?

Roy Shaul: Ich habe sehr viele Nachrichten von unseren internationalen Partnern bekommen, in denen sie fragen, wie sie uns helfen können. Unsere deutschen Partner sind für mich von besonderer Bedeutung – wegen unserer Vergangenheit. Auch sie haben gefragt, was sie tun können. Sie haben unsere Poster mit den entführten Menschen gedruckt und aufgehängt. Sie haben den Terror der Hamas verurteilt und unterstützen uns in sozialen Medien. Ich bekomme jede Menge Telefonanrufe und Textnachrichten von ihnen. Wir würden für sie das selbe tun, falls einmal etwas Schlimmes in Deutschland passiert. Als ich im Februar in Deutschland war, wurde ich sehr warm empfangen. Es hat mir das Gefühl gegeben, dass wir in dieser Situation nicht allein sind. Das hat mir Kraft gegeben.

Dieses Interview ist in Zusammenarbeit mit ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch entstanden.

Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
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