Fotografie eines Graffiti auf einer Backsteinwand mit dem Text "Until debt tear us apart" Fotografie eines Graffiti auf einer Backsteinwand mit dem Text "Until debt tear us apart"
Stimmen aus dem DAP

Student Debt Crisis und der HEROES Act

Joe Biden und die Studienkreditkrise in den USA

Franziska Romahn ist Masterstudentin im Fach Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und hat von Mai bis Juli 2023 ein durch das DAP gefördertes Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington D. C. absolviert. In ihrem Beitrag wirft sie ein Schlaglicht auf die student debt crisis, deren Auswirkungen auf junge US-Amerikaner*innen und die Lösungsversuche von US-Präsident Joe Biden.

24.01.2024 / Franziska Romahn

“I will stop at nothing to find other ways to deliver relief to hard-working middle-class families. My administration will continue to work to bring the promise of higher education to every American,” sagte US-Präsident Joe Biden am 30.06.2023 – kurz nachdem der Supreme Court seinen Vorstoß zum Teilerlass von staatlichen Studienkrediten kassiert hatte. Bidens Administration wollte auf Grundlage des HEROES Acts Millionen Menschen Studienkrediten in Höhe von bis zu 20.000 Dollar erlassen – doch sie scheiterte am höchsten Gericht.

Der HEROES Act

Der sogenannte „Higher Education Relief Opportunities for Students Act“, kurz auch HEROES Act, wurde in seiner ursprünglichen Form nach dem Terrorangriff am 11. September 2001 erlassen, um Opfer und Betroffene, die einen Studienkredit abzuzahlen hatten, zu entlasten. Kern des HEROES Acts ist, dass das US-amerikanische Bildungsministerium befugt ist, für die benannten Personengruppen die Verpflichtung zur Rückzahlung ihres staatlichen Studienkredits zu verringern oder aufzuheben. Ziel ist es, sicher zu stellen, dass die Betroffenen nicht finanziell schlechter gestellt sind durch den Anschlag. Das Programm sollte eigentlich 2003 auslaufen, wurden dann aber vom Kongress verlängert und erweitert, sodass der HEROES Act nun auch in Fällen von Kreditnehmenden, die von einem Krieg, einer militärischen Operation oder einem nationalen Notfall betroffen sind, Anwendung finden kann. Der HEROES Act wurde über die Jahre immer wieder angewandt. 2003 wurden in seinem Rahmen beispielsweise Sonderregelungen für Betroffene erlassen, durch welche unter anderen Darlehnsaufschiebungen erleichtert wurden und zu viel ge­zahlte Mittel nicht zurückgezahlt werden mussten. In den folgenden Jahren wurde das Programm fortgesetzt und zwischenzeitlich in 2007 und 2012 nur aktualisiert.

Im März 2020 nutzte der damalige US-Präsident Donald Trump den HEROES Act, um die Zahlungsverpflichtungen von Studierenden auszusetzen. Er argumentierte, dass die COVID-19 Pandemie einen nationalen Notfall darstellt und das Gesetz daher auch in diesem Fall Anwendung findet. Nach dem Regierungswechsel Ende 2021 führte der nun amtierende US-Präsident Joe Biden dies fort. Nach offiziellen Angaben hat die Aussetzung der Zahlungsverpflichtungen rund 100 Milliarden Dollar gekostet.

2022 gab die Biden-Administration allerdings bekannt, dass sie die Zahlungspause beenden und anstelle ihrer einkommensabhängige Teilschuldenerlasse initiieren will. Demnach sollten Personen, die ein geringeres Jahreseinkommen als 125.000 Dollar als Individuum bzw. 250.000 Dollar Haushaltseinkommen haben, 10.000 Dollar Studienschulden erlassen bekommen. Personen, die einen sogenannten „Federal Pell Grant“ für Familien mit geringem Einkommen erhalten haben, sollten sogar 20.000 Dollar erlassen bekommen. Insgesamt sollten rund 43 Millionen US-Amerikaner*innen hiervon profitieren.

Das Vorhaben fand allerdings nie Anwendung, da es zunächst durch mehrere Klagen vor dem Supreme Court, dem obersten Bundesgericht der USA, auf Eis gelegt wurde und schließlich von den Richter*innen für verfassungswidrig erklärt wurde. Nach dem richterlichen Urteil hat die Regierung ihre Kompetenzen überschritten, da das Vorhaben der Zustimmung durch den Kongress bedarf. Bidens Plan war also gescheitert.

Bühne frei für Plan B

Wie das eingangs angeführte Zitat jedoch deutlich macht: Joe Biden wird trotz des Urteils des Supreme Courts nicht aufgeben. Schließlich waren die Studienkrediterlasse ein zentrales Thema seines Wahlkampfs und betreffen Millionen von US-Amerikaner*innen. Studierende in den USA nehmen nämlich durchschnittlich 30.000 Dollar Schulden auf, um ihren Bachelorabschluss zu erlangen. Die Hälfte aller Kreditnehmer*innen schuldet 20 Jahre nach ihrer Immatrikulation immer noch 20.000 Dollar.

Aktuell arbeitet das US-amerikanische Bildungsministerium an einem Plan B. Es sucht eine neue rechtliche Grundlage, die auf der einen Seite möglichst breite Schuldenerlasse ermöglicht und auf der anderen Seite auf rechtlich sicheren Boden steht. Hierzu wird ein sogenanntes „Negotiating Rulemaking“-Verfahren angewandt – ein Verfahren, in dem betroffene Interessengruppen in die Verhandlung neuer Regelungsvorschläge eingebunden werden. Als verfahrenstechnisch notwendiger Schritt wurde ein erster Vorschlag durch das „2023 negotiated rulemaking student loan debt relief committee“ besprochen. Die Verhandlungen des Komitees gingen Mitte Dezember zu Ende. Alle Vorschläge, für die Konsens im Komitee besteht, müssen durch das Bildungsministerium übernommen werden; das Bildungsministerium kann im weiteren Verfahren aber auch eigenständig Punkte ergänzen.

Das Komitee sprach sich einstimmig dafür aus, dass Studienkreditnehmende, die bereits Anspruch auf Krediterlassungspläne haben, diese aber nicht wahrnehmen, durch den neuen Regelungsvor­schlag profitieren sollen. Auch bei Personen, die Hochschulen mit zweifelhaften Geschäftspraktiken besucht haben, soll das Programm Anwendung finden. Strittig waren die Schuldenerlasse für Personen mit sehr alten Krediten oder Krediten, die heute höher als zu Rückzahlungsbeginn infolge von Zinsen sind. Hier ging einigen Interessenvertreter*innen im Komitee der Regierungsvorschlag nicht weit genug. Außerdem bestand Unstimmigkeit über den Erlass von Krediten aus dem sogenannten „Federal Family Education Loan Program“ – ein Programm, das 2010 endete und auch private Kredite umfasste. Da es sich hierbei nicht nur um staatliche Kredite handelt, hat die Biden-Administration es zunächst aus ihrem Vorhaben rausgehalten.

Klar ist, dass die Schuldenerlasse unter dem neuen Regelungsvorschlag nicht so groß sein werden, wie sie unter dem HEROES-Act geplant waren. Wie die Details genau aussehen, bleibt abzuwarten. Es wird davon ausgegangen, dass das Bildungsministerium im Mai 2024 einen Regelungsvorschlag präsentieren wird. Die Öffentlichkeit hat anschließend 30 bis 60 Tage Zeit, um hierzu Stellung zu nehmen und zu kommentieren. Solche Kommentare werden auch noch einmal in den Regelungsvorschlag einfließen. Zuletzt bleibt abzuwarten, ob der Verwaltungsakt durch politische Gegner*innen rechtlich angefochten oder eine Missbilligung durch den Kongress angestrebt wird. Auch könnte ein zwischenzeitlicher Regierungswechsel das Vorhaben noch zum Scheitern bringen.

Der Trillion Dollar Day” ist über ein Jahrzehnt her und noch immer kämpfen Studierende gegen Studienkredite

Es bleibt also ein langer Weg, bis Studienkreditnehmende in den USA aufatmen können – und das obwohl das Thema nicht neu ist. Bereits 2012 sind Studierende in verschiedenen US-amerikanischen Städten anlässlich des sogenannten „Trillion Dollar Day“ auf die Straßen gegangen – an dem Tag, an dem die Studienkredite in den USA die Eine-Billion-Dollar-Marke überschritten haben. 2015 haben hunderttausende Studierende von mehr als 110 Hochschulen landesweit unter anderem für den Erlass von staatlichen Studienkreditschulden protestiert. Der sogenannte „Million Student March“ fand 2016 nochmals statt. Auch am 30.06.2023 – dem Tag, an dem Bidens Auslegung des HEROES Acts vom Supreme Court für verfassungswidrig erklärt wurde, standen hunderte Protestierende, viele davon Studierende, vor dem Gerichtsgebäude und machten sich stark für den Erlass von Studienschulden.

Die extrem hohen Studienkosten in den USA sind ein Thema, das enorm viele Studierende betrifft. Laut einer Studie von ThinkImpact aus 2021 haben immerhin 55% aller Studierenden Schwierigkeiten, ihr Studium zu finanzieren. 79% von ihnen verzögern ihren Abschluss aus diesem Grund. 38% aller Studierenden, die ihr Studium abbrechen, tun dies aus finanziellen Gründen.

Dabei führt ein Studienabschluss in den USA statistisch gesehen zu nachweislich mehr finanziellem Wohlstand und Sicherheit. Menschen ohne Collegeabschluss sind immerhin häufiger arbeitslos und werden schlechter bezahlt im Vergleich zu Menschen mit Collegeabschluss. 2021 brauchte man für 44% aller Jobs in den USA einen Collegeabschluss, wobei die Häufigkeit dieser Voraussetzung zuletzt abgenommen hat (Zum Vergleich: 2017 setzten 51% aller Jobs einen Collegeabschluss voraus). Gleichzeitig haben mehr als 62% aller US-Amerikaner*innen, die 25 Jahre alt oder älter sind, keinen Bachelorabschluss. Laut einer Studie von Edge Research and HCM Strategists aus 2022 bleiben die Kosten der Hauptgrund, warum junge Erwachsene kein Studium aufnehmen.

Die sogenannte „student debt crisis“ war und ist also ein Thema, das Millionen von US-Amerikaner*innen, und gerade junge Erwachsene in den USA bewegt, und vermutlich auch noch zukünftig bewegen wird. Eine nachhaltige Lösung der strukturellen Probleme des US-amerikanischen Studiensystems scheint trotz Joe Bidens neuem Gesetzesvorhaben nicht in Sicht zu sein.

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