2021 brachte das German-American Sister Cities Youth Forum Jugendvertreter*innen aus Deutschland und den USA zusammen. Was ist die Idee hinter dem Projekt?
Hauptzweck des Projekts war es, Vertreter*innen lokaler Jugendringe und Youth-Leadership-Programme von fünf deutsch-amerikanischen Städtepartnerschaften zusammenzubringen, um über Fragen, mit denen ihre Kommunen konfrontiert sind, einen transatlantischen Dialog zu führen. Wir haben gehofft, nicht nur größeres gegenseitiges Verständnis und mehr Kooperation zwischen Jugendlichen aufzubauen, sondern auch unsere Beziehungen und Verbindungen zwischen den Partnerstädten zu stärken, so dass die nächste Generation in diesen Kommunen künftige Austausche pflegen kann.
Wer hat diese Jugendbegegnung initiiert?
Diese Begegnung ist das direkte Ergebnis der Transatlantic Town-Hall Meetings, die 2020 zwischen deutschen und amerikanischen Bürgermeister*innen derselben Partnerstädte stattfanden. Bei diesen Gesprächen haben sich Teilnehmende darüber ausgetauscht, wie sich ihre Städte an die Pandemie angepasst haben und wie ihre Kommunen Zukunftspläne für verschiedene Themen entwerfen, darunter die städtische Entwicklung, der Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und Kohäsion, das Engagement zwischen Staat und Bürger*innen sowie die Kommunikation mit Bürger*innen. Bei jedem Gespräch erwähnten die Bürgermeister*innen spezifisch die Notwendigkeit, die Jugendlichen in ihren Gemeinschaften enger in diese Fragen einzubeziehen, und daher bot sich das Jugendforum als Projekt an.
Jugendliche sind im Leben mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, je nachdem wo sie leben und aufwachsen. Trotzdem scheinen Rassenungleichheit, Klimawandel und Diversität die wichtigsten Fragen zu sein, die junge Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks bewegen. Warum ist es so wertvoll, wenn junge Menschen einen Blick auf das zivilgesellschaftliche Leben und Engagement außerhalb ihres eigenen Landes werfen?
Jede Gemeinschaft für sich mag vor ihren eigenen Herausforderungen stehen, aber Fragen wie der Klimawandel und Diversität, Gleichheit und Inklusion haben eine viel größere Dimension. Zu lernen, wie verschiedene Orte und Länder versuchen, diesen Problemen zu begegnen (oder auch nicht), zu verstehen, was die wichtigsten Herausforderungen sind, und zu sehen, welche Ähnlichkeiten zwischen unseren Gesellschaften bestehen – dadurch können junge Menschen voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen. Solche Begegnungen fördern auch das gegenseitige Verständnis, dass die Auseinandersetzung mit diesen Fragen nicht nur eine amerikanische oder deutsche Herausforderung ist, sondern etwas, wofür wir alle verantwortlich sind, egal wo wir leben.
Begriffe wie Rassismus, Diversität und Inklusion werden im deutschen und amerikanischen Kontext oft anders aufgefasst und verwendet, und die Diskussion dieser Begriffe kann schwierig sein. Wurde das im Jugendforum offensichtlich, und wie ist es Teilnehmenden gelungen, für offene Gespräche zu diesen Themen einen sicheren Raum zu schaffen?
Da Worte unterschiedlich verwendet werden, haben wir ein Glossar von Begriffen zu Diversität, Gleichheit und Inklusion geteilt, in dem Worte aufgeführt waren, die sowohl im amerikanischen als auch im deutschen Kontext verwendet werden. Das hat Teilnehmende bei der Kommunikation unterstützt, weil sie die Bedeutung dieser Begriffe besser verstanden haben. Während unserer Gespräche wollten wir, dass sich alle in einem sicheren Raum fühlen, um diese Themen zu diskutieren und Informationen offen zu teilen, denn es war uns bewusst, dass diese Themen teilweise sehr sensibel sind und es manchen schwerfallen kann, darüber zu sprechen. Da die Community dieses Projekts Jugendliche mit verschiedenem Hintergrund und aus verschiedenen sozialen Schichten repräsentiert hat, war es außerdem entscheidend, dass jede*r die Meinungen und Perspektiven anderer respektiert. Der Jugendbeirat für das Projekt hat deshalb schon früh ein Dokument mit „Richtlinien für die Kommunikation“ erarbeitet, das für alle Diskussionen Standards vorgab. Hierzu gehörte das Konzept eines safe words oder Signalwortes, um Gespräche zu beruhigen, falls es zu Anspannungen käme oder sich jemand attackiert oder beleidigt fühlen sollte. Ich fand es beeindruckend, dass die Jugendlichen derartige Richtlinien wollten, um einen zuverlässig sicheren Raum zu schaffen. Letztendlich waren jedoch alle unsere Gespräche konfliktfrei, sehr offen und transparent und unglaublich respektvoll.
Wenn wir uns das zivilgesellschaftliche Engagement junger Menschen ansehen, was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen der Arbeit junger Führungspersönlichkeiten in Deutschland und den USA?
Für mich hat diese Jugendbegegnung vor allem herausgestellt, wie ähnlich das Engagement junger Menschen, die sich in ihren Kommunen mit Problemen auseinandersetzen, auf beiden Seiten des Atlantiks ist. In allen zehn Städten setzen sich Jugendliche leidenschaftlich für Wandel ein, informieren sich über Themen und drängen Entscheidungsträger*innen an ihren Schulen und in ihren Kommunalverwaltungen, neue Richtlinien und Politiken umzusetzen. Ein Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist vielleicht, dass viele der amerikanischen Jugendorganisationen unabhängige, gemeinnützige Organisationen sind, während die deutschen Organisationen formal Stellen der Kommunalverwaltung angeschlossen sind und von diesen finanziert werden. In manchen Fällen bedeutet diese formale Verbindung, dass Jugendliche bei der politischen Gestaltung ein größeres Mitspracherecht haben. Während der Jugendbegegnung gaben Jugendliche ihrem klaren Wunsch Ausdruck, dass ihre Perspektiven gehört werden sollen. Teilnehmenden gefiel daher das Konzept offizieller Jugendräte, die jungen Menschen eine umfassendere Beteiligung an der Entscheidungsfindung in ihren Kommunen ermöglichen.
Das Jugendforum der Städtepartnerschaften hat online stattgefunden. Welche Chancen bieten virtuelle Begegnungen wie diese?
Vor diesem Projekt hatte keine der Jugendorganisationen in den Partnerstädten miteinander Kontakt gehabt. Die virtuelle Begegnung war eine tolle Art, um Gespräche zwischen den Jugendlichen in beiden Ländern aufzunehmen, um Beziehungen zu schaffen und ein gegenseitiges Verständnis der Themen aufzubauen, mit denen junge Menschen in ihren Kommunen konfrontiert sind. Im Idealfall hoffen wir, dass die virtuelle Begegnung ein Fundament schafft, auf dem die Jugendorganisationen in den Partnerstädten nachhaltige, langfristige Beziehungen für den weiteren Austausch und einen künftigen Dialog zu diesen (und anderen) Themen aufbauen können. Außerdem dient sie als Grundlage für persönliche Begegnungen in den beiden Ländern, sobald wir die Covid-19-
Pandemie überwunden haben.
Eines der Projektziele war es, das Engagement Jugendlicher vor Ort zu fördern. Man könnte argumentieren, dass dies auch anders als mit transatlantischen Begegnungen erreicht werden kann. Was macht internationale Begegnungen für alle Beteiligten zu einer so einzigartigen zivilgesellschaftlichen Lernmöglichkeit?
Als jemand, der persönlich an Austauschprogrammen mit Deutschland teilgenommen hat, sind diese Initiativen für mich extrem wertvoll, weil man gezwungenermaßen aus dem täglichen Leben heraustritt, das man für normal hält, und sich aus einer anderen Perspektive mit Themen auseinandersetzt. Sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede können ein größeres Verständnis fördern oder dabei helfen, bewährte Praktiken herauszuarbeiten. Diese wiederum können zu besseren Ideen und Politiken führen, die die lokale Lebensqualität verbessern. Insgesamt erweitern Begegnungen den Horizont von Menschen und machen sie offener für verschiedene Perspektiven auf anstehende Themen, wenn man gleichzeitig versucht, ähnlichen Herausforderungen zu begegnen oder gemeinsame Chancen zu nutzen.
Wenn wir transatlantische Begegnungen aus der kommunalen Perspektive betrachten, können sie schwierig und überwältigend aussehen, vor allem, wenn man sie von Grund auf aufbauen muss. Sie haben das Jugendforum der deutsch-amerikanischen Städtepartnerschaften mit initiiert. Können Sie Kommunen einen Rat geben, die einen deutsch-amerikanischen Jugendaustausch auf die Beine stellen möchten?
Ich würde empfehlen, klein anzufangen und die Vorteile virtueller Begegnungen zu nutzen, um so den Grundstein für eine Beziehung zu legen, ehe man in einem nächsten Schritt größere, persönliche Begegnungen organisiert, deren Durchführung mehr Planung und Finanzen erfordert. Um Austauschpartner im anderen Land zu finden, gibt es zwischen amerikanischen und deutschen Städten 100 Partnerschaften, die als eine hervorragende Basis dienen können. Aus meiner persönlichen Erfahrung hat jede der Jugendorganisationen, die wir für dieses Projekt angesprochen haben, zu erkennen gegeben, dass diese Art von Begegnung äußerst interessant wäre und schon auf der To-Do-Liste stünde. Es brauchte nur eine Person, die das Telefon in die Hand nahm oder eine E-Mail schickte, um die Idee vorzuschlagen. Selbstverständlich bin ich sehr gern bereit, weitere Informationen zu teilen – Anruf genügt!
Wünschen Sie sich was: Was möchten Sie bei künftigen deutsch-amerikanischen Jugendbegegnungen gerne sehen?
Die Wahlen in den USA wie auch in Deutschland haben kürzlich gezeigt, dass die kommende Generation engagiert und motiviert ist, den ernsten Problemen, mit denen wir lokal und global konfrontiert sind, aktiv zu begegnen. Ich wünsche mir, dass unsere jeweiligen Regierungen Begegnungsmöglichkeiten für junge Menschen fördern, indem sie größere Ressourcen und Finanzmittel investieren, so dass Jugendliche zusammenkommen, Ideen austauschen und voneinander lernen können. Jede der 100 Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und den USA sollte Jugendbegegnungen und die dafür benötigte Infrastruktur beinhalten. Unsere Regierungen reden von besserer transatlantischer Kooperation, und wie eine der Teilnehmenden an unserer Begegnung gemeint hat: „Lebe die Veränderung, die du willst.“