Im Rahmen des TECE-Fellowships haben wir seit Juli 2021 außerschulische politische Bildner*innen aus den USA und Deutschland in digitalen und persönlichen Austausch gebracht und dabei zahlreiche Organisationen aus beiden Ländern einbezogen. Unser Ziel war und ist es, herauszufinden, ob die Herausforderungen und Strukturen der politischen Bildung in beiden Ländern für einen fruchtbaren Austausch kompatibel sind und welche Formate und Themen sich am besten für einen deutsch-amerikanischen Wissens- und Erfahrungstransfer eignen. Unsere konkreten Ziele waren dabei:
- gesellschaftlichen Trends und den Stand der politischen Bildung, d. h. Strukturen, Themen und Besonderheiten in den USA und Deutschland besser verstehen.
- Pool von transatlantischen Multiplikator*innen und konkreten Partnerschaften für zukünftige Projekte aufbauen.
- und Lerntransfer durch Peer-Learning und Austausch von Good Practice für die entsendenden Organisationen ermöglichen.
Nach fast einem Jahr Projektlaufzeit können wir ein erstes Zwischenfazit über unsere Erkenntnisse ziehen.
Primetime für politisches Lernen
Die politische Bildung bzw. civic education in den USA erlebt derzeit einen sog. „Sputnik- Moment“. Neue Gesetze auf Bundes- und Landesebene und neue Finanzierungsmöglichkeiten sprießen nunmehr aus dem Boden, da politische Entscheidungsträger*innen und die Öffentlichkeit die Bedeutung politischen Lernens für eine gesunde Demokratie erkannt haben. Mit der erhöhten Aufmerksamkeit geht jedoch auch eine zunehmende Hinterfragung politischer Bildung einher. In einer Gesellschaft, die mit einer starken politischen Polarisierung kämpft, wird politische Bildung vermehrt in parteipolitische Debatten verwickelt, in denen es darum geht, wie man z. B. Race und Aufarbeitung unterrichtet, welche Rolle Neutralität in der Bildung spielt und welche Methoden akzeptabel sind, um junge Menschen für Partizipation zu gewinnen. Ähnliche Herausforderungen drohen auch politischen Bildner*innen in Deutschland. Da politische Bildung in beiden Ländern derzeit im Rampenlicht steht, ist die Möglichkeit, voneinander zu lernen, umso wichtiger.
Kompatibilität der Strukturen
Im Vergleich zum deutschen Bereich der außerschulischen politischen Bildung, könnte man den US-amerikanischen Bereich als dezentralisierten „Wild Wild West“ bezeichnen. Da es keine nationale Jugendpolitik gibt, sind Politik und Praxis auf regionaler, bundesstaatlicher und lokaler Ebene sehr unterschiedlich. Verglichen mit der soliden öffentlichen Finanzierung und den öffentlich geförderten Einrichtungen in Deutschland stützt sich die Finanzierung in den USA eher auf private Stiftungen und Einzelspenden. Während in Deutschland vielschichtige Netzwerke bestehen, die das Feld organisieren, stecken Bemühungen um den Aufbau eines vernetzten Berufsfeldes in den USA noch in den Kinderschuhen.
Ein weiterer entscheidender Unterschied, der auch im Rahmen des TECE-Projekts oft deutlich wurde, ist die Fokussierung auf die formale Bildung als Ort des civic learning in den USA, während non-formale Lernumgebungen weit weniger im Mittelpunkt stehen. Civic education wird weitgehend als Aufgabe der Schulen gesehen – ein Erbe der Gründerväter der USA und deren Ideen über öffentliche Bildung. Sicherlich spielen die Grundsätze der non-formalen Bildung auch in formalen Bildungskontexten eine Rolle, der Begriff „non-formal“ wird jedoch nicht verwendet und es gibt keine klare Trennung zwischen formalem, non-formalem und informellem Sektor. Viele NGOs aus dem Feld politischer Bildung arbeiten eng mit Schulen zusammen. Maßnahmen politischer Bildung, die außerhalb des formalen Bildungsbereichs stattfinden, nehmen dann verstärkt handlungsorientiertere Formen an, z. B. in den Bereichen Forschung (youth participatory action research), Jugendorganisation und Interessensvertretung (youth organizing) und Lernen durch Engagement (service learning).
Diese strukturellen Unterschiede im Feld selbst geben Raum für Inspiration und neue Ideen, aber sie schaffen auch Komplikationen bei der Entwicklung von Austauscherfahrungen. Mit TECE wollten wir eine Gelegenheit speziell für außerschulische Bildner*innen schaffen – eine Gruppe, die im Vergleich zu Lehrpersonal nur begrenzten Zugang zu transatlantischen Austauschmöglichkeiten hat. Im deutschen Kontext hatten wir eine klare Vorstellung davon, wer zu dieser Gruppe gehört und wie wir dies in der Ausschreibung kommunizieren konnten. Auf amerikanischer Seite war das weniger klar. Durch die Aufnahme von „civic educators“ in den Projekttitel erweckten wir ungewollt den Eindruck, das Projekt sei für Lehrer*innen gedacht. Die Hinzufügung von „non-formal“ oder „out-of-school“ in der Beschreibung trug wenig zur Klärung bei, so dass wir schließlich zu einer allgemeinen Beschreibung von „professionals working toward the civic development of young people (ages 14 – 29)“ übergingen. Auch wenn dies ein kleines oder unbedeutendes Detail in unserem Rekrutierungsprozess zu sein scheint, zeigt es doch, wie wichtig es ist, inmitten unterschiedlicher Strukturen auch wirklich kompatible Partner zu identifizieren.
Letztendlich umfasst die Gruppe US-amerikanischer Teilnehmender nun eine Vielfalt von Fachkräften, die in unterschiedlichen Funktionen an Universitäten arbeiten, solchen aus nationalen NGOs, solchen die Lehrpersonal ausbilden und Methoden entwickeln, sowie Fachkräften aus lokalen gemeinnützigen Organisationen, die sich mit sog. community organizing, also dem Aufbau von Bürger*innenplattformen befassen. Trotz der unterschiedlichen Arbeitsumgebungen, Formate, Themen und sogar Zielgruppen gibt es eine klare gemeinsame Basis: Die Arbeit über diese strukturellen Kontexte hinweg kann für alle Beteiligten von Vorteil sein, dadurch dass sie über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Dass die bestehenden Unterschiede gesehen und verstanden werden, ist dabei Voraussetzung.
Eine gemeinsame Sprache finden
In jedem mehrsprachigen internationalen Austausch ist die Kommunikation ein zentraler Faktor. Dies gilt umso mehr, wenn die Programmsprache die offizielle Sprache eines der beteiligten Länder ist, was zu einem Machtungleichgewicht führen kann. Die Suche nach einer gemeinsamen Sprache geht jedoch über die Frage nach Herkunfts- und Fremdsprache hinaus.
Anders als in der europäischen Jugendarbeit muss eine gemeinsame transatlantische Arbeitssprache und Terminologie dahingehend, wer wir als Fachkräfte sind und was wir im Bereich der Jugendarbeit und descivic learning tun, erst noch entwickelt werden. Um sich mit Themen in der Tiefe auseinandersetzen zu können, müssen die Teilnehmer*innen zunächst Begrifflichkeiten und Konzepte klären, sich mit derem jeweiligen Verständnis auseinandersetzen und, wenn nötig, neues Vokabular entwickeln. Das bloße Erlernen von Vokabeln und Definitionen reicht nicht aus, um Denkmuster und Vorurteile zu überwinden, die auf dem basieren, was unsere Sprache uns zu kommunizieren erlaubt. Darüber hinaus ist es erforderlich, einen eigenen Raum für derartigen Austausch und Erfahrungsprozesse zu schaffen.
Obwohl wir in den jeweiligen Online-Sitzungen mit den Teilnehmenden Zeit für die Erkundung der Terminologie aufgewendet haben, wurden einige Unterschiede und Konzepte doch erst im Laufe des 10-tägigen Treffens in Weimar, Erfurt und Berlin deutlich. So konnte man beispielsweise beobachten, wie das Konzept non-formaler Bildung den amerikanischen Teilnehmenden immer eingängiger wurde und sie schließlich in die Lage versetzt wurden, eigene Überzeugungen zu hinterfragen und somit spannende Gespräche über die Praxis non-formaler Bildung für die gesamte Gruppe zu eröffnen. Darüber hinaus wurde deutlich, wie wichtig ein vertrauensvolles und geduldiges Umfeld bei sensibleren oder emotional aufgeladenen Themen wie z. B. Identität ist, wenn Menschen mit unterschiedlichem Wissenshintergrund und unterschiedlichem Sprachgefühl in das Gespräch gehen.
Ein Austauschformat sollte sich bewusst darum bemühen, die Sprache in den Mittelpunkt zu stellen, um zu verstehen, wie Sprache unser Verständnis einschränkt und gleichzeitig helfen kann, unsere Denkweise zu erweitern. Andernfalls besteht dauerhaft die Gefahr unklarer Gespräche und Verwirrung darüber, wie man kontextübergreifend arbeiten kann.
Logistische Herausforderungen
Auf praktischer Ebene sind bei der Umsetzung des deutsch-amerikanischen Austauschs objektive Hürden zu überwinden: die Entfernung und die Reisekosten, die Zeitzonen und der Mangel an institutioneller Unterstützung und Finanzierungsmöglichkeiten. Angesichts dieser Herausforderungen müssen wir über den transatlantischen Austausch neu nachdenken. Seit März 2020 muss der Bereich der Internationalen Jugendarbeit nach neuen Modellen und Ansätzen für seine Arbeit suchen. Anstatt zu versuchen, unser traditionelles Konzept der Internationalen Jugendarbeit in den deutsch-amerikanischen Kontext einzupassen, können wir diese Gelegenheit nutzen, um Formate Internationaler Jugendarbeit neu zu überdenken und nachhaltigere, kosteneffizientere und zunehmend digital vernetzte Ansätze im transatlantischen Raum zu identifizieren und zu testen.
Blick in die Zukunft
Ein „negativer“ transatlantischer Wissenstransfer, bei dem teils im Verborgenen, teils ganz offen rechtes Gedankengut und Ideen weißer Vorherrschaft ausgetauscht werden, hat sich über die Jahre längst etabliert. Eine Teilnehmerin am TECE-Fellowship merkte treffend an, dass wir dringend einen entgegenwirkenden, „positiven“ Wissenstransfer im Bereich der politischen Bildung und Jugendarbeit brauchen, um dem einen dazu passenden Gegenpol zu setzen. Es gibt viel voneinander zu lernen: über unterschiedliche thematische Schwerpunkte und Strukturen, über unterschiedliche gesellschaftliche Selbstverständnisse, über Vorstellungen von der Rolle des Staates und Ideen darüber, was es heißt ein*e gute*r Bürger*in zu sein. Uns hat die Erfahrung im TECE-Fellowships in unserer Überzeugung bestärkt, dass der Dialog unbedingt fortgesetzt werden muss. Der deutsch-amerikanische Austausch auf dem Gebiet der politischen Jugendbildung bietet uns diese Möglichkeit.