Transparent mit der Aufschrift "Act to Change!" und den Logos der Veranstalter Transparent mit der Aufschrift "Act to Change!" und den Logos der Veranstalter
Nordafrika

Wofür brauchen wir Jugendaustausch?

Interviews mit Partnern von „Act to Change!“

Warum eine Veranstaltung zum deutsch-nordafrikanischen Jugendaustausch? Vertreter/-innen der vier Partnerorganistionen, die Act to Chance! in Casablanca gemeinsam geplant und durchgeführt haben, geben dazu Auskunft, warum internationaler Jugendaustausch für ihre Länder wichtig ist und was sie mit der Veranstaltung erreichen wollten.

19.08.2020 / Dr. Anneli Starzinger

Ali Belhcen (Marokko), Sami Essid (Tunesien), Ahmed Bastawy (Ägypten) und Marie-Luise Dreber (Deutschland) sprechen darüber, was ihre Organisationen zur Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Jugendarbeit motiviert, warum sie die internationale Begegnung junger Menschen gerade in Zeiten von Globalisierung und Klimawandel für ein wichtiges Instrument der Bildung zukünftiger Generationen halten und welche Ergebnisse sie von dieser dritten Netzwerkkonferenz erwarten.

Was waren Ihre Erwartungen an die Konferenz?

Sami Essid: Meine Erwartungen an die Konferenz war, den Jugendaustauch weiter zu entwickeln, sich über Qualifikationen für Jugendarbeiter auszutauschen und zu netzwerken, was eines der wichtigsten Ziele ist. Seit 2015 bereiten wir diese Konferenzen vor und ich sehe gute Ergebnisse. Es gibt viele neue Teilnehmende aus allen vier Ländern. Ich habe viele angeregte Diskussionen wahrgenommen, viele neue Ideen und den Willen, Dinge zu konkretisieren.

Marie-Luise Dreber: Ich hatte drei wesentliche Erwartungen: die erste war, sich gegenseitig darüber zu informieren, was in den jeweiligen Ländern im Bereich der Jugendpolitik, der Jugendarbeit und der Zivilgesellschaft passiert. Die zweite Erwartung war, die Diskussion zu Themen zu vertiefen wie Radikalisierung, Extremismus, Umwelt und Partizipation (die 4 Schwerpunktthemen der Konferenz). Die dritte Erwartung war, den Jugendaustausch weiterzuentwickeln, neue Kontakte aufzubauen zu Organisationen und das Netzwerk zu stärken.

Ahmed Bastawy: Ich habe diese (multi-)nationale Konferenz als Plattform zum Vernetzen mit Partnerorganisationen und anderen teilnehmenden Organisationen aus vier Ländern angesehen, und zwar auf der menschlichen Ebene, auf der alles noch einmal anders und wesentlich reflektierter ist.

Eine weitere Erwartung, die sich erfüllt hat, war, Raum für eingehende Diskussionen zu spezifischen Themen wie Umwelt- und Klimanotstand, Digitalisierung und menschliche Beziehungen zu schaffen und die Ergebnisse vor Ort zu bewerten, um nur einige zu nennen. Die Geschichten, die dabei herauskamen, und die Erfahrungen, die unter den Teilnehmern ausgetauscht wurden, waren sehr ehrlich und bereichernd.

Wie kann Internationaler Jugendaustauch die Situation von Jugendlichen in den beteiligten Ländern positiv beeinflussen?

Marie-Luise Dreber: Wir haben 2015 in Bonn eine multilaterale Konferenz durchgeführt mit vielen Trägern, die im Rahmen der Transformationspartnerschaften des Auswärtigen Amts mit nordafrikanischen Ländern im Jugendaustausch aktiv sind. Dabei ging es um die Frage der Wirksamkeit von internationalem Jugendaustausch auf Demokratie und Zivilgesellschaft. Am Ende der Konferenz resümierten die Teilnehmenden aus Ägypten, Deutschland, Marokko und Tunesien gemeinsam, dass der internationale Jugendaustausch „ein wichtiges Instrument zur Förderung der Zivilgesellschaft und zur Unterstützung von demokratischen Strukturen ist. Der Austausch ermöglicht neue Perspektiven und ein besseres gegenseitiges Verständnis. Junge Menschen erlangen neue Einsichten, gewinnen an Selbstvertrauen und werden in ihrer Persönlichkeit gestärkt. Sie erwerben interkulturelle Kompetenzen und lernen den Umgang mit Vielfalt. Sie können sich in die Programme einbringen und aktiv beteiligen. Die Teilnehmenden aus Nordafrika beschreiben eindringlich die Dynamik aus Chancenlosigkeit junger Menschen in ihren Heimatländern, Emigration, gescheiterter Zuwanderung und Radikalisierung. Sie benennen Extremismus als gemeinsames Problem der arabischen Welt und Europas, das einer gemeinsamen Lösung bedarf. Dabei stellen alle Beteiligten fest, dass der Jugendaustausch ein wirksames Mittel darstellt, um Partizipation zu fördern, Extremismus und Radikalisierung vorzubeugen und jungen Menschen neue Chancen zu eröffnen.

Diese Eindrücke haben sich in den Berichten der unterschiedlichen Organisationen bei den folgenden multilateralen Konferenzen verstärkt. Vor allem in Deutschland stellen wir fest, dass über die gemeinsame Verständigung viele Vorurteile gegenüber dem Islam abgebaut werden können und eine größere Offenheit entsteht. Umgekehrt erleben Jugendliche aus den nordafrikanischen Ländern, dass in Deutschland das Leben auch nicht so einfach ist, wie sie es sich vorstellen, aber sie nehmen neue Formen der Beteiligung, der Mitsprache mit, was sie in ihrem Heimatland ermutigt, für ihre Interessen einzustehen.

Sami Essid: Ich kann aus 15 Jahren Erfahrung sprechen. Unsere Organisation startete mit Jugendaustausch im Jahr 2004. Seitdem haben wir so viele Austauschmaßnahmen durchgeführt, dass wir uns wirklich eine Meinung bilden können über die praktischen Auswirkungen. In der Vergangenheit hatten wir in Lafayette (Tunesien), wo unsere Organisation beheimatet ist, eine Menge Probleme mit Gewalt und Drogenmissbrauch. Heute kann man beobachten, dass die Jugendlichen in Lafayette, die wir in Austauschmaßnahmen begleitet haben, Jobs haben und Verantwortlichkeit übernommen haben. Wir zählen mittlerweile mehr als 1000 Teilnehmende, die an unseren Austauchmaßnahmen teilgenommen haben. Ich bin immer sehr positiv überrascht, wenn ich auf der Straße jemanden treffe, der an unseren Austauschprogrammen teilgenommen hat und der oder die mir erzählt, dass er oder sie in einer guten Position ist und sehr dankbar für die Erfahrung des Jugendaustausches, obwohl es viele Jahre zurückliegt. Die Auswirkungen des internationalen Jugendaustausches sind sehr deutlich und es handelt sich um direkte Auswirkungen. Ich habe selbst diese Erfahrung gemacht. Als Student habe ich an einer Austauschmaßnahme teilgenommen und bin nach Japan gereist. Ich hatte den Eindruck, mein Leben hat sich dadurch um 180 Grad gewandelt.

Ahmed Bastawy: Internationale Jugendarbeit und Jugendaustauschprogramme tragen wesentlich dazu bei, die Teilnehmenden individuell zu fördern und durch sie den Multiplikatoreffekt zu verstärken, indem sie als Netzwerk agieren und ihre Erfahrungen über ihren kleineren persönlichen Einflusskreis hinaus verbreiten.

Darüber hinaus zielen solche Programme darauf ab, den interkulturellen Austausch sowie den historischen und politischen Kontext der Austauschländer zu erweitern und jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, globale Wirtschaftsfragen und die Auswirkungen des individuellen Lebensstils miteinander zu verknüpfen.

Die internationale Jugendarbeit kommt denjenigen zugute, die in die neuen Kulturen der Gastgeberländer eingeführt werden, aber sie erstreckt sich auch darauf, Jugendlichen aus Ägypten die Möglichkeit zu geben, ihr Land anders zu sehen und sich mit anderen Akteuren aus dem breiteren Ökosystem zu vernetzen, sowie neue / kollektive Interventionen zu erforschen, um für einen schrittweisen Wandel an der Basis zu sorgen.

Die von uns organisierten Austauschprogramme waren für viele der Teilnehmenden eine einzigartige und einmalige Erfahrung, die sie weiter vertiefen wollen. Die Teilnehmenden berichteten über eine Vielzahl von Erfahrungen, die sie seither in der aktiven Jugendarbeit gemacht haben.

Auch in Bezug auf die Bildung hat der Jugendaustausch Auswirkungen auf die Entscheidungen und Interessen der Teilnehmer gehabt. Ich habe gesehen, dass einige Teilnehmer, die bereits einen Bachelor-Abschluss haben, nun motiviert sind, ihren Master-Abschluss zu beginnen, um ihr Wissen und ihre Praxis zu Themen im Zusammenhang mit den Austauschprogrammen, an denen sie teilgenommen haben, zu vertiefen. Ein weiteres Ergebnis, das beobachtet wurde, ist, dass Vorurteile und Ängste gegenüber fremden Kulturen abgebaut werden konnten.

Ali Belhcen: Der internationale Jugendaustauch hat einen großen Einfluss auf die Jugendarbeit hier in Marokko. Unser Verein Young United hat sehr von der Zusammenarbeit in den letzten 10 Jahren profitiert. Die Qualität der Jugendarbeit ist dadurch verbessert worden, nicht nur bei uns, sondern auch bei unseren Partnern in Deutschland, Frankreich und Polen. Es hat dazu geführt, dass mehr Toleranz füreinander entstanden ist. Vorher hatte jeder eine gewisse Angst vor dem anderen und durch die Begegnung an einem Ort wird man zu einer Familie und trennt sich nur unter Tränen. Unterschiedlichkeiten und Grenzen spielen keine Rolle mehr. Während einer 10-tägigen Begegnung verschwinden die Unterschiede. Man merkt sie gar nicht mehr und die Vorurteile werden abgebaut in dieser Zeit. Diese Begegnungen hinterlassen einen nachhaltigen und positiven Eindruck vom anderen - auch bei uns selbst, den Veranstaltern. Wir haben viele Vorurteile korrigieren können.

Was sind Ihre Wünsche für die Arbeit in diesem Kontext in der Zukunft?

Ahmed Bastawy: Ein Ergebnis dieser multinationalen Konferenz, das ich mir vorstelle, ist der Aufbau eines organischen Netzwerks von Gleichgesinnten, Partnern und Praktikern, die resilient und in der Lage sind, die öffentliche Politik zu beeinflussen sowie fundierte Aktionen an der Basis anzuleiten.

Die Zusammenarbeit auf dieser Ebene soll nicht nur einzelnen Ländern zugutekommen, sondern eher noch mehr internationale Verbindungen aufbauen, die schließlich die negativen Seiten der Globalisierung, des Kapitalismus und anderer Phänomene, die wir heute aufgrund des schnellen Wachstums beobachten, neutralisieren würden.

Demzufolge müssend diese auf Vertrauen basierenden Beziehungen und persönlichen Verbindungen in den verschiedenen Projekten und Aktivitäten, die aus dieser Zusammenarbeit und Kooperation entstanden sind, in hohem Maße gefördert und erneut gewürdigt werden.

Marie-Luise Dreber: Ich wünsche mir, dass wir noch viel mehr Organisationen für den Jugendaustausch mit diesen Ländern gewinnen können, und dadurch mehr junge Menschen beteiligt werden. Auch wäre es schön, weitere Länder einzubeziehen und das Netzwerk auszuweiten. Gemeinsam müssen wir uns im Sinne der Agenda 2030 den Herausforderungen unserer Welt stellen und uns dafür einsetzen, dass unser Zusammenleben friedlicher und gerechter wird. Junge Menschen haben dafür gute Antennen und vor allem tolle Ideen. Das merken wir, wenn es um die Auseinandersetzung mit Themen wie Gender, Umweltschutz, Partizipation oder Beschäftigung geht. Hier müssen wir junge Menschen noch viel mehr unterstützen und die Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern vertiefen.

Und schließlich brauchen wir Erleichterungen bei der Ausstellung von Visa. Diese Bürokratie und die damit verbundenen Schwierigkeiten behindern unsere Arbeit enorm.

Ali Belhcen: Mein Wunsch ist es, dass diese Arbeit weitergeführt wird und weiterhin gute Ergebnisse erzielt. Ich hoffe, dass die beteiligten vier Länder auch zukünftig gut zusammenarbeiten für eine Jugendarbeit, die eine Welt erschafft, in der alle Platz haben. Man muss den Jugendlichen zuhören in Zeiten von Globalisierung und Klimawandel, weil die Zukunft die Jugendlichen sind. Ich hoffe, dass unsere Regierungen in diesem Sinne mitarbeiten und unterstützen.

orientalische Rosette
Act to Change!
Übersichtsseite dieses Dossiers
Download der Konferenzdokumentation "Act to Change!"
Konferenz zum Jugend- und Fachkräfteaustausch zwischen Deutschland, Ägypten, Marokko und Tunesien
Act to Change!
مؤتمر تبادل الكفاءات والشباب بين ألمانيا و مصر و المغرب وتونس
!العمل من أجل التغيير
Eine Frau spricht in ein Mikrofon auf einer Bühne, fünf weitere Menschen hören ihr zu.
Über die Zusammenarbeit mit Nordafrika

IJAB vernetzt die Träger im Austausch mit Tunesien, Ägypten und Marokko. Wir bieten Interessierten Information und Beratung zum Jugend- und Fachkräfteaustausch mit Nordafrika an.

Ansprechpartnerinnen
Christiane Reinholz-Asolli
Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-112