China

Umweltbildung in der Kinder- und Jugendarbeit

Fachkräfteprogramm in Berlin

Seitdem die schwedische Schülerin Greta Thunberg vor einem knappen Jahr ihren Protest begonnen hat, mobilisiert Fridays for Future weltweit Millionen von vor allem jungen Menschen. Themen wie Umweltschutz und Umweltbildung sind aus keinem gesellschaftlichen Bereich mehr wegzudenken – auch nicht aus der deutschen Kinder- und Jugendarbeit. Doch wie gelingt es den sozialen und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Jugendarbeit, dieses Thema zu implementieren? Wie schafft man es, Jugendliche in die Verbandsarbeit miteinzubeziehen und wie können ihre Interessen vertreten werden? Diese und weitere Fragen ließen sich drei chinesische Fachkräfte des China Youth and Children Research Center (CYCRC) in Berlin beantworten.

08.10.2019 / Annika Gehring

70 Jahre zählt die Volksrepublik China seit Oktober 2019. 2020 feiert die Kommunistische Partei zudem ihr 100-jähriges Bestehen. Die Bilanz lässt sich von chinesischer Seite durchaus positiv ziehen: Millionen von Bürger(inne)n wurden aus der Armut gehoben, die wachsende Mittelschicht kann sich immer mehr leisten, und China wird auf dem Parkett der Weltpolitik als ebenbürtiger Ansprechpartner wahrgenommen.

Doch Chinas rasanter Aufstieg der vergangenen Jahre zur neuen Wirtschaftsmacht begründet sich nicht nur in seinen schier unerschöpflichen Quellen an Landmasse, billigen Arbeitskräften oder wertvollen Erden. Der Klimawandel und der notwendige Klimaschutz haben die Volksrepublik inzwischen eingeholt. Vier Milliarden Tonnen CO² stößt China momentan jährlich in die Atmosphäre – und somit mehr als der Rest der Welt zusammen.

Durchatmen in China

Seitdem der Smog in Peking 2014 jedoch gesundheitsgefährdende Werte erreichte, nimmt sich die Kommunistische Partei Chinas der Problematik an und setzte sie als zentrales Thema auf ihre Agenda. Durch die zentrale Machtposition der Partei sind umweltpolitische Weisungen und Maßnahmen unkomplizierter und wesentlich schneller umzusetzen: die vier Kohlekraftwerke Pekings sind inzwischen stillgelegt und nordwestlich der Stadt entsteht die größte Solaranlage der Welt. Doch muss die Jugend bei all diesen Vorhaben mitgenommen und für die Thematik sensibilisiert werden. Schließlich beeinflussen solche Weichenstellungen und die Haltung der jungen Chines(inn)en zu ihnen maßgeblich die Zukunft und das Überleben der Volksrepublik China.

Durch den auch in China einsetzenden demographischen Wandel und die damit einhergehende alternde Bevölkerung entwickelt sich die Jugend immer mehr zum Schlüsselfaktor für einen anhaltenden Wohlstand und ein wachsendes China. Staatspräsident Xi Jinping hat daher in den letzten Jahren der Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit einen höheren Stellenwert eingeräumt. An potenziellen jungen Teilnehmenden mangelt es dabei nicht: 70 Millionen Jugendliche haben über eine „Freiwilligen-App“ bereits ihr Interesse an freiwilliger Arbeit bekundet. Nur fehlen vielerorts noch die Strukturen, in denen sie solche Freiwilligendienste leisten können. Dabei herrscht dringender Bedarf und Millionen motivierter junger Menschen könnten insbesondere im Westen Chinas, der aufgrund ausbaufähiger Infrastruktur den Sprung in den Wohlstand noch nicht geschafft hat, erfolgreich eingesetzt werden.

Kinder- und Jugendarbeit im internationalen Vergleich

Hier lohnt sich für China nun ein Blick über den Tellerrand, zum Beispiel nach Deutschland, das mit seinen klar gegliederten, jedoch auch anpassungsfähigen Strukturen in der Kinder- und Jugendarbeit als wichtiger Orientierungspunkt für die weitere Ausgestaltung in China dient.

Um den chinesischen Teilnehmenden ein grundsätzliches Verständnis für die Besonderheiten der deutschen Kinder- und Jugendhilfe zu vermitteln, gab IJAB zu Beginn des Fachkräfteprogrammes einen ersten Einblick in die Strukturen und Aufgaben dieses Arbeitsbereiches. Besonders interessant war für die Fachkräfte dabei die Unterteilung in die drei Ebenen Bund, Länder und Kommunen, mit der in Deutschland im Sinne des Subsidiaritätsprinzips gearbeitet wird. Die Vorstellung, dass die verschiedenen Ebenen klare eigene Zuständigkeiten, Finanzierungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume haben, stellte für die chinesischen Besucher/innen eine ganz neue Sichtweise dar – in China wird im Vergleich dazu in viel stärkeren Hierarchien mit wesentlich engeren Abstimmungsprozessen und weniger Gestaltungsfreiheiten gearbeitet.

Auch die Beteiligung der Jugendlichen über Formate wie Trainee-Programme oder das Freiwilli-ge Soziale/Ökologische Jahr sorgten für viele interessierte Nachfragen. Die Fachkräfte waren davon begeistert, wie gut diese Strukturen in Deutschland schon ausgebaut sind und vor allem, wie engagiert die Jugendlichen sie annehmen und sich auf diese Weise an der gesamtgesell-schaftlichen Gestaltung beteiligen.

Schnell stellte sich jedoch eine neue Frage: Was bedeutet es eigentlich, sich zu engagieren und zu partizipieren? Dass es hier auf deutscher und chinesischer Seite unterschiedliche Definitionen und ein voneinander abweichendes Verständnis des Begriffes gibt, wurde schnell deutlich. In China ist Partizipation dabei wesentlich weniger verbreitet und tritt im Sinne der aktiven Teilhabe von Bürger(inne)n an politischen und zivilgesellschaftlichen Prozessen eher selten auf.

Kinder und Jugendliche erreichen und integrieren

Umso wichtiger war aufgrund dieser Unterschiede daher der Besuch bei bipar, dem Berlin Institut für Partizipation, das aus der Deutschen Umweltstiftung heraus entstanden ist. Über ein Netzwerk von größtenteils ehrenamtlichen Mitarbeiter(inne)n setzt es sich für die Weiterentwicklung der Partizipation ein, um über Informations-, Konsultations- und Evaluationsangebote die repräsentative Demokratie in Deutschland zu stärken. Hier konnten sich die chinesischen Fachkräfte nicht nur ein Bild von Partizipationsformaten in Deutschland machen, sondern auch ihre jeweiligen Erfahrungen austauschen, wie Jugendliche und ihre Anliegen in die eigene Arbeit integriert werden können. Dabei war für beide Seiten klar, dass man sich dem jüngeren Publikum stärker über die digitalen Kanäle zuwenden muss. In China versucht man daher beispielsweise seit einiger Zeit, Erhebungen und Umfragen über WeChat (der chinesischen Form von WhatsApp) an die jungen Leute zu verschicken.

Über digitale Medien junge Menschen für eine Sache zu begeistern – das sog. Online Campaigning –  setzt der World Wide Fund For Nature (WWF) unterdessen bereits erfolgreich um. Bei einem Besuch in der Geschäftsstelle Berlin wurde den chinesischen Teilnehmenden mittels einer breiten Palette von Beispielen gezeigt, wie jungen Menschen der Natur- und Umweltschutz nahegebracht werden kann und sie sich beteiligen können. Von Schülerakademien und der WWF Jugend bis hin zu Livestream-Botschaften vor dem Kanzleramt oder einem mit Kinderzeichnungen versehenen Buch zum Thema „Klimawandel“. Klar ist: Kinder und Jugendliche sind die Multiplikatoren, Hoffnungsträger und Sinnstifter von morgen und müssen über alle Kanäle in allen Altersstufen involviert sein.

Freiwillige, Trainees, Ehrenamtliche: Die Jugend in der Kinder- und Jugendarbeit

Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, mit der die deutsche Kinder- und Jugendarbeit ihr Potenzial und das der Kinder und Jugendlichen ausschöpft, überraschte und begeisterte die chinesischen Fachkräfte an vielen Stellen und war Thema vieler Diskussionen. Vor allem bei den Konzepten der Trainee-Programme und des Freiwilligen Sozialen/Ökologischen Jahres, aber auch bei den Strukturen im Bereich der hauptamtlichen Arbeit sowie des ehrenamtlichen Engagements herrschte auf chinesischer Seite großes Interesse. Solche Strukturen im Sinne des „Voneinander-Lernens“ kennenzulernen und sich mit deutschen Trägern über die eigene Arbeit auszutauschen sei besonders wichtig für Verbesserungen und Weiterentwicklungen, erklärten die chinesischen Teilnehmenden später.

Kinder, Jugendliche und Freiwillige erreichen, ihnen in ausdifferenzierten Angeboten das Thema Umweltbildung nahebringen, über alle Ebenen hinweg für eine erfolgreiche Kinder- und Jugendarbeit kooperieren. Alle diese Punkte wurden noch einmal in einem gemeinsamen Termin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit der Naturschutzjugend (NAJU) zusammengefasst und vertieft. In einem intensiven Gespräch wurde hier nicht nur anschaulich die Zusammenarbeit von öffentlichen und freien Träger erklärt – eine Unterscheidung, die in China aufgrund der Regierungsnähe vieler Träger sehr schwierig ist. Das BMFSFJ informierte darüber hinaus über die Idee der Gremienarbeit und wie wichtig dort die Mitwirkung von Jugendlichen ist. Der Vertreter von NAJU zeigte weiterhin auf, wie intensiv die Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN (SDGs) von und mit Kindern und Jugendlichen umgesetzt werden können – ein Themenbereich, der in China außerhalb der Forschungsebene bisher kaum ein Begriff ist.

Insgesamt stand am Ende aber auch hier fest: Erfolgskontrolle, d.h. ob und wenn ja, wie, die Kinder und Jugendlichen erreicht wurden, stellt immer noch eine der größten Herausforderun-gen der Kinder- und Jugendarbeit dar.

Skaterpark und Gartenoase – Von Kindern für Kinder

Wie man Jugendliche erreicht musste sich der Verein, der die Teilnehmenden zum letzten Fachbesuch empfing, aufgrund seiner Praxisnähe gar nicht erst stellen. „Gelingende Partizipation umsetzen“ war schon zur Gründung von Kids & Co e. V. eines der wichtigsten Ziele und ist seitdem ein stetiger Wegbegleiter gewesen. In Berlin-Hellersdorf sollen aus den Ideen der Kinder und Jugendlichen heraus die Betreuungsangebote entstehen. Im weiteren Verlauf sollen sie den Planungs- und Umsetzungsprozess aktiv begleiten und sich beteiligen. So entstehen bei circa 5.000 erreichten Kindern und Jugendlichen, sowie 95 – teils an Schulen tätigen – Mitarbeiter(inne)n neue Ideen und Projekte wie zum Beispiel eine Holz- und Malerwerkstatt zur beruflichen Orientierung, ein Gemeinschaftsgarten oder ein Skaterpark, dessen Rampen von den Jugendlichen selbst gebaut wurden. Diese Angebote, von deren Umfang und Ideenvielfalt die chinesischen Fachkräfte sehr beeindruckt waren, sollen Jugendlichen eine Anlaufstelle bieten, in der sie sich spielerisch weiterentwickeln können. Eine spannende Idee der Kinder- und Jugendbetreuung, die es so in China noch nicht gibt, jedoch dort im ländlichen Raum genutzt werden könnte, um Kinder aufzufangen, denen es aufgrund der mangelnden Infrastruktur an Bezugspersonen fehlt.

Umweltbildende Jugendarbeit in Deutschland und China – Zwischen Vision und Wirklichkeit

Zurück zum Anlass des Fachprogrammes und der anfänglichen Fragestellung: Wie gelingt es den sozialen und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Jugendarbeit, Umweltbildung zu implementieren? Zwar gibt es hier keinen goldenen Weg oder eine einfache Antwort, aber dafür eine breite Palette an Gestaltungsmöglichkeiten. So ist es insgesamt erfolgreich gelungen, den chinesischen Fachkräften während ihres kurzen Aufenthaltes einen Einblick in die komplexen und vielseitigen Strukturen der deutschen Kinder- und Jugendhilfe zu geben und ihnen Ideen zur Umweltbildung mit auf den Weg zu geben.

Grundlegend könne sich die deutsche Kinder- und Jugendhilfe in ihren Bemühungen viel freier gestalten und entfalten, reflektierten die chinesischen Fachkräfte am Ende des Programmes. In China sind aufgrund der zentralistischen Strukturen viele Maßnahmen eng an Weisungen aus Peking geknüpft. So lassen sich Vorgaben zwar sehr schnell umsetzen, allerdings ist es auch wesentlich schwieriger, neue und kreativere Wege abseits der bestehenden Strukturen zu gehen, wie sie die chinesischen Teilnehmenden in diesem Fachkräfteprogramm kennengelernt haben. Dass eine vielfältige Ausgestaltung der Kinder- und Jugendarbeit viel Potenzial hat und dass Umweltbildung intensiv vermittelt werden muss, darin waren sich beide Seiten immer wieder einig.

Übrigens: Greta Thunberg und Fridays for Future kannten die chinesischen Fachkräfte noch gar nicht. Diese Form der Beteiligung Jugendlicher, wie auch viele weitere Eindrücke der deutschen Kinder- und Jugendarbeit, werden sie und ihre Arbeit sicherlich noch lange begleiten.

Menschen sitzen an einem Tisch und essen.
Über die Zusammenarbeit mit China

In Zusammenarbeit mit dem All-Chinesischen Jugendverband, dem zentralen jugendpolitischen Akteur Chinas, setzt IJAB Fachkräfteprogramme im Auftrag des Bundesjugendministeriums um. Erfahren Sie mehr über diese Kooperation und wie Sie daran teilhaben können.

Ansprechpartnerinnen
Annika Gehring
Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-101
Elke Metzner
Sachbearbeitung
Kompetenzstelle Sprache
Tel.: 0228 9506-106