Was macht den Jugend- und Fachkräfteaustausch mit China für deutsche Fachkräfte und Jugendliche attraktiv? Wenn man deutschen und chinesischen Teilnehmer(inne)n der Trägerkonferenz in Potsdam zuhörte, wurden immer wieder die großen „Unterschiede“ zwischen beiden Ländern beschrieben. Beide Länder sind unterschiedlich groß, haben verschiedene politische Systeme, unterschiedliche Sprachen, Schriftzeichen und kulturelle Hintergründe. Die Schilderung einer deutschen Teilnehmerin, über die Schwierigkeiten ihrer Jugendgruppe, mit den chinesischen Frühstücksgewohnheiten zurecht zu kommen, löste bei den chinesischen Gästen spontane Heiterkeit aus – denn sie kennen dieses Problem aus der umgekehrten Perspektive. Von den Kompetenzen, die durch solche Perspektivwechsel entstehen, war die Rede, aber auch von den fachlichen Aspekten, die damit verbunden sind. Uwe Finke-Timpe, Leiter des Referates „Europäische und Internationale Jugendpolitik“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), formulierte es so: „Viele Fachkräfte haben uns nach einem Fachkräfteprogramm berichtet, dass der Informations- und Erfahrungsaustausch nicht nur zu einer besseren Kenntnis der jeweils anderen Konzepte und Herangehensweisen beigetragen hat, sondern auch zu einem verbesserten Verständnis der eigenen Ansätze und Praxis.“
Die Deutsch-Chinesische Trägerkonferenz in Potsdam umfasste zwei Aspekte:
- Einen jugendpolitischen Anteil, der dem 10-jährigen Jubiläum und dem während der Konferenz tagenden deutsch-chinesischen Fachausschuss angemessen war. So fanden parallel zur Trägerkonferenz die deutsch-chinesischen Fachgespräche statt. Am Ende dieser Gespräche konnte ein gemeinsames Protokoll zur jugendpolitischen Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Allchinesischen Jugendverband für die Jahre 2016 und 2017 unterzeichnet werden.
- Eine Fachveranstaltung, die bisherige Partner zusammenführte aber ebenso für Neueinsteiger offen stand und eine Plattform zur Vernetzung und Sichtbarmachung des Erreichten anbot. Die Trägerkonferenz bot den Teilnehmer(inne)n folgerichtig eine bunte Mischung aus Impulsreferaten, Workshops und Fachbesuchen – aber auch Besuche in der Botschaft der Volksrepublik China in Berlin, dem Brandenburger Landtag und dem Bundeskanzleramt. Ziel der Konferenz war es, die folgenden Fragen zu beantworten: „Wie haben sich die Kooperationen im Jugendbereich in zehn Jahren entwickelt und welche Perspektive bietet der deutsch-chinesische Jugend- und Fachkräfteaustausch für die Zukunft?“
Wie haben sich die Kooperationen entwickelt?
Besonders die Workshops und Fachbesuche boten gute Möglichkeiten zu Einblicken in die Praxis der deutsch-chinesischen Kooperation im Jugend- und Fachkräfteaustausch. Hier waren die Praktiker versammelt, diejenigen, für die der Austausch zwischen beiden Länder das tägliche Handwerk ist. In einigen Bereichen hat sich ein gemeinsames Verständnis entwickelt: Der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen wird hohe Priorität eingeräumt – beide Länder können es sich nicht leisten, junge Leute zurückzulassen. In China sind dies zum Beispiel die Kinder von Wanderarbeitern, die in den Dörfern zurückgelassen werden, während die Eltern auf der Suche nach Arbeit und einer Perspektive in die Städte drängen. Im Regierungsbericht von 2002 war erstmalig von Benachteiligten die Rede, seither übernehmen Jugendorganisationen Patenschaften und bauen das Netz der Jugendzentren aus.
Immer wieder beschreiben Vertreter/-innen beider Seiten das Anliegen, jungen Menschen eine Stimme zu geben. „Wie können Jugendliche eine eigene Stimme zum Ausdruck bringen, damit sie das Land und die Welt ein bisschen verändern?“, fragte Cui Jing, Direktorin der internationalen Abteilung der Beijing Municipal Youth Federation. Und Gunnar Grütner vom Deutschen Jugendherbergswerk stellt fest: „Uns eint der Wunsch, jungen Menschen die Verantwortung für unseren Planeten nahezubringen“.
Dass es nicht immer leicht ist, den Blick fürs Internationale zu öffnen, ist nicht nur eine Erfahrung der deutschen, sondern auch der chinesischen Akteure. Austausch benötigt Ressourcen und Kompetenzen auf vielen Ebenen und auch politische Unterstützung. „Man muss die Unterstützung der Partei für internationale Projekte bekommen, damit Jugendliche davon profitieren können“, wusste Sheng Le, stellvertretender Generalsekretär der Zhejiang Provincial Youth Federation, zu berichten.
Die Partner, die auf eine längere Zusammenarbeit zurückblicken können, haben inzwischen ein Vertrauensverhältnis entwickelt. „Wir mussten erst einmal etwas über die Sprache unserer deutschen Partner lernen“, erzählte eine chinesische Teilnehmerin. „Sie drücken sich sehr direkt aus und auf Chinesen kann das unhöflich wirken – inzwischen wissen und verstehen wir, wie das gemeint ist.“
Unterschiede tun diesem Vertrauensverhältnis keinen Abbruch, sie bereichern sie. Der Offene Kunstverein Potsdam pflegt seit längerem eine Partnerschaft mit einer chinesischen Kunstschule. „Unsere Jugendlichen sind spontan und impulsiv im kreativen Prozess“, erzählte Projektleiterin Eva Kowalski, „die Chinesen arbeiten diszipliniert und auf hohem technischen Niveau. Erst haben wir gedacht, das funktioniert nicht, aber es ist gerade diese Mischung, die es interessant macht.“
Welche Perspektiven?
Um solche vertrauensvollen Kooperationen herzustellen und zu halten ist Kontinuität und langfristige Planung notwendig. Das Thema „Nachhaltigkeit“ im Austausch treibt viele Teilnehmer/-innen der Trägerkonferenz um. „Die Leute treffen sich, aber es dauert, bis der Austausch Tiefe gewinnt“, so gab Yang Jianzhong, stellvertretender Generalsekretär der Shanxi Provincial Youth Federation seine Erfahrungen wieder.
Für Nachhaltigkeit Grundlagen zu legen, auch dieser Aufgabe widmete sich die Trägerkonferenz. Gerade den neuen Akteuren auf beiden Seiten müssen immer wieder Basics über ihr Gegenüber im Austausch vermittelt werden. Was bedeutet es, wenn Jugendarbeit und -politik im Wesentlichen in den Händen eines staatlichen Jugendverbandes liegen? Wie funktioniert das komplexe System der Kinder und Jugendhilfe in Deutschland, was ist das Subsidiaritätsprinzip und warum werden viele Aufgaben freien Trägern übergeben? Wissen ist die Voraussetzung für Verständnis, Vertrauen, Nachhaltigkeit…
Das Jahr 2016 bietet sich dazu an, über solche Fragen nachzudenken. 2016 ist das Deutsch-Chinesische Jahr für den Schüler- und Jugendaustausch. Das gemeinsame Jahr wurde am 21. März durch Bundespräsident Gauck und Staatspräsidenten Xi Jinping unter dem Motto „Austausch, Freundschaft, Zukunft“ in Peking eröffnet. Damit haben beide Seiten bekräftigt, dass sie den Austausch von jungen Leuten, das gegenseitige Verständnis sowie das Voneinander lernen unterstützen wollen. Dieser Wille findet sich auch in dem Protokoll über die Gespräche zur jugendpolitischen Zusammenarbeit, welches am 20. April von Bettina Bundszus, Abteilungsleiterin für Kinder und Jugend im BMFSFJ und Jia Bo, stellvertretender Generalsekretär des Allchinesischen Jugendverbandes unterschrieben wurde. Bettina Bundzus unterstrich: „Jugendpolitik ist ohne Jugendaustausch nicht vorstellbar. Jugendpolitik muss international sein, muss von der gegenseitigen Erfahrung der Jugendlichen in den unterschiedlichen Ländern leben. Deswegen hat der Jugendaustausch für unsere Überlegungen zur Jugendpolitik eine ganz herausragende Bedeutung“. Und Bundzus weiß, was junge Menschen an China fasziniert: „Die Beschäftigung mit dem Global Player China übt einen besonderen Reiz aus, die Konzentration auf die eigene Stärke fasziniert junge Menschen“. Delegationsleiter Jia Bo zeigte sich mit dem Verlauf und den Ergebnissen der Trägerkonferenz zufrieden. „Wir haben gut gearbeitet und alle Ziele erreicht“, so lautete seine Bilanz.