Reformbewegungen
Luthers Thesen
Der ehemalige Mönch Martin Luther (1501-1546) stellte den Status der Kirche als alleinige Mittlerin des Glaubens in Frage. Nicht die Kirche, sondern die Beziehung zwischen Gott und Mensch steht für ihn im Mittelpunkt. Sein Protest begann 1517. In einer Erklärung (Veröffentlichung von 95 Thesen an der Kirche in Wittenberg) kritisierte er, dass es in der Kirche möglich war, sich mit so genannten Ablassbriefen von Sünden freizukaufen. Luthers Überzeugung zufolge können keine Leistung, keine Werke die Gnade Gottes erzwingen. Gottes Gnade erfährt man allein durch den Glauben (sola fide). Die guten Werke sind nicht die Voraussetzung für die Gnade Gottes, sondern die Folge seiner Gnade.
Luther sieht zudem das Evangelium als den größten und einzigen Schatz der Kirche an. Damit die Bibel für alle Gläubige verständlich wurde, übersetzte er sie aus dem Lateinischen ins Deutsche. Damit wurde allen Gläubigen der Zugang zum Evangelium ermöglicht - notfalls auch ohne Kirche als Mittlerin. Konsequent predigte er das „Priestertum aller Gläubigen“ und vertrat die Auffassung, dass nicht nur die amtlichen Würdenträger, sondern alle getauften Christ(inn)en auf einer geistlichen Ebene stehen, da sie alle eine Taufe, ein Evangelium und einen Glauben haben. Demnach war der geistliche Stand dem weltlichen gleichgestellt und nicht mehr wie bisher überlegen.
Die Entstehung der evangelischen Kirche
Luther wurde von der Kirche mit dem Vorwurf der Ketzerei ausgeschlossen, nachdem er nicht bereit war, seine reformatorischen Gedanken zurückzunehmen. Im Selbstbewusstsein, auch außerhalb der Kirche ein guter, rechtmäßiger Christ zu sein, vertrat er weiterhin unbeirrt seine Thesen und gewann immer mehr Anhängerinnen und Anhänger. Die Verbreitung seiner Thesen wurde auch durch die Entwicklung der Buchdruckkunst begünstigt.
Als alle Einigungsversuche innerhalb der Kirche scheiterten, kam es zu erbitterten Glaubenskämpfen, wobei nicht nur geistige, sondern auch weltliche Motive eine Rolle spielten. Erst 1555 kam es zu einem Friedensabkommen in Augsburg. Die Fürsten behielten das Recht, die Konfession ihrer Untertanen zu bestimmen („wessen Land, dessen Religion“). Die konfessionelle Spaltung zwischen katholischer und evangelischer Kirche war damit besiegelt, und die evangelische Kirche als eigenständige Glaubensrichtung anerkannt.
Wesentliche Merkmale der Evangelischen Kirche sind:
- Zugang zu Gott ist allen Gläubigen möglich allein durch Glauben (lateinisch sola fide) und allein durch die Heilige Schrift (lateinisch sola scriptura).
- Der Mensch findet allein durch seinen Glauben Gnade vor Gott (lateinisch sola gratia) und muss dafür keine Werke vollbringen.
- Ausrichtung der Gottesdienste an der Heiligen Schrift (Predigt ist zentral). Verkündigung des Wortes Gottes steht gleichrangig neben den Sakramenten.
- Es gibt nur zwei Sakramente (statt sieben wie in der katholischen Kirche). Als Sakrament gelten nur die Handlungen, die von Jesus von Nazareth selbst ausgeführt wurden. Dies sind die Taufe und das Abendmahl. Diese Sakramente verdeutlichen das den Menschen zukommende Heil.
- Abendmahl: Christus ist „in, mit und unter“ Brot und Wein gegenwärtig. Eine wirkliche Verbindung zwischen Brot und Wein und dem Leib Christi gibt es nicht. Die beiden Substanzen „erinnern“ an das letzte Abendmahl Jesu mit den Jüngern vor seiner Kreuzigung. Alle Gläubigen bekommen Brot und Wein (vgl. Katholische Kirche).
- Abschaffung der Beichte (sie ist keine Voraussetzung für die Gnade) und der Staffelung der Sünden (keine Todsünde). Es gibt auch keine Vorstellung von ewiger Verdammnis.
- Rolle der Laien: Sie haben das Recht, Sakramente zu spenden.
- Kein Mönchtum.
- Priesterehe ist möglich (Abschaffung des Zölibats).
- Keine Heiligen- und Marienverehrung. Die Reformatoren hielten die bisherige Form der Marienverehrung für übertrieben, schätzten ihre Person aber weiterhin sehr.
- Pluralität: verschiedene evangelische Kirchen sind möglich
- Frauen dürfen das Priesteramt ausüben (Frauenordination).
Nach der katholischen und der orthodoxen Kirche bilden die lutherischen Kirchen die größte Fraktion innerhalb der Christenheit.
Neben der lutherischen gibt es noch andere protestantische Kirchen (zum Beispiel Calvinisten, unierte Kirche).
Protestantische Theologie im Wandel der Zeit
Der Protestantismus hat sich im Lauf seiner Geschichte wesentlich stärker als die anderen christlichen Konfessionen mit den geistigen und kulturellen Strömungen der jeweiligen Epoche auseinander gesetzt und jeweils versucht eine Sprache zu finden, die die Gläubigen der jeweiligen Zeit erreicht.
So wurde der Sündenbegriff im 20. Jahrhundert zum Beispiel in Anlehnung an den Philosophen Hegel als „Entfremdung des Menschen von Gott, vom Nächsten und von sich selbst“ verstanden, „als das aktive sich Wegwenden von dem, wozu man gehört“. Der Begriff Erbsünde wurde neu interpretiert und bringt den „universalen, schicksalhaften Charakter der Entfremdung zum Ausdruck“ (Paul Tillich). In Theologien, die sich mit ihrem politischen Kontext auseinander setzen, wird die strukturelle Ungleichheit als Sünde bezeichnet.
Anglikanische Kirche
Die anglikanische Kirche (lateinisch ecclesia angelicana: Kirche von England) ist heute eine weltweite christliche Kirchengemeinschaft. Zu der englischen Kirche mit ihren Tochterkirchen zählen heute 80 Millionen Gläubige.
In ihrer Tradition vereint die anglikanische Kirche sowohl katholische als auch evangelische Elemente, wobei die katholischen Elemente in der Liturgie und die evangelischen Elemente in der Lehre bzw. der Theologie bestimmend sind.
Die anglikanische Kirche ist im 16. Jahrhundert nicht durch eine Reformation entstanden, sondern durch einen persönlichen Bruch des englischen Königs Heinrich VIII mit dem Papst. Die Anglikanische Kirche versteht demnach die Reformation nicht als Bruch, sondern als notwendige Reform der katholischen Kirche. Damit ist die anglikanische Kirche sowohl katholische als auch reformatorische Kirche.