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Länderinformation Türkei

Partizipation und Citizenship

Jugendpartizipation in der Türkei

Im Rahmen der Inanspruchnahme demokratischer Rechte ist es jedem Kind, das das 15. Lebensalter vollendet hat und im Besitz seiner Urteilsfähigkeit ist, in der Türkei erlaubt, mit schriftlichem Einvernehmen seiner gesetzlichen Vertreter/-in einen Verein für Kinder zu gründen oder Mitglied in einem Kinderverein zu werden.

In allen Bereichen, die für Kinder relevant sind, gibt es Einrichtungen wie Komitees für Kinderrechte, Kinderbeiräte in den Stadträten und Schüler(innen)vertretungen, deren Aufgabe es ist, die Teilnahme junger Menschen an Entscheidungsmechanismen zu fördern.

Vom Ministerium für Familie und Sozialpolitik wurden auf Ebene der Provinzdirektionen Komitees für Kinderrechte in den Regierungsbezirken gegründet. Die Anstrengungen in diesen und ähnlichen Einrichtungen zielen darauf ab, die Akzeptanz von Kinderrechten und die Partizipation von Kindern am gesellschaftlichen Leben auszuweiten und zu verbessern. Was die Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen diesen Einrichtungen betrifft, gibt es keine intakte Struktur, weshalb die Notwendigkeit besteht, in diesem Bereich entsprechende Maßnahmen zu treffen.

Untersuchungen verweisen jedoch auf eine hohe Politikverdrossenheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Türkei. Sie zeigen auf, dass dies an fehlenden Partizipationsmöglichkeiten liegt. Engagierte Jugendliche und junge Erwachsenen haben in den seltensten Fällen Mitspracherechte in politischen Entscheidungsprozessen auf lokaler oder überregionaler Ebene haben (Lüküslü 2010a; Akyüz et al. 2016). Insbesondere traditionelle Vereine zeigen sich in den Erfahrungen der Jugendlichen häufig als Orte der Tradierung sozialer Ordnung und der Kontrolle seitens der Erwachsenen (Yücel 2005).

Jugendliche müssen häufig Anpassungsleistungen im Kontext hierarchischer generationaler Ordnungen und traditioneller Geschlechterordnungen vollbringen. Lüküslü etwa identifiziert bei Jugendlichen Anpassungs-praktiken an die Normen und Erwartungen der Elterngeneration als eine weitverbreitete Praxis in unterschiedlichen sozioökonomischen Kontexten (Lüküslü 2013b, S. 96–97, 2009, 2010a). Ihre Forschung zeigt, dass Heranwachsende distinktive Entwürfe und Orientierungen entwickeln, diese aber von der Erwachsenengeneration nicht anerkannt werden. Die Unterbindung jugendlicher Entwürfe zugunsten tradierter Vorstellungen führt zur Praxis des „notwendigen Konformismus“ (gerekli konformizm) (Lüküslü 2013b). Eigenständige Praktiken werden vor der Erwachsenengeneration und Familienmitgliedern verheimlicht und heimlich realisiert (vgl. ebd.).

Forschung zu Ehrenamt und zivilgesellschaftlicher Partizipation junger Erwachsener in der Türkei unterstützen die Annahme von partizipationsorientierter Zivilgesellschaft als Anerkennungsraum. So berichten junge Erwachsene davon, dass in Vereinen bislang für sie unbekannte Möglichkeiten der Artikulation und Anerkennung von eigenen Ideen existieren (Warth 2011, S. 133; Neyzi und Darıcı 2015; Bee und Kaya 2016). Das Engagement in Vereinen oder der Besuch von Jugendzentren kann unter Umständen zur Erweiterung von Anerkennungsräumen bis in das familiäre Umfeld hineinreichen. Ergebnisse zeigen, dass Familien die im Rahmen zivilgesellschaftlicher Arbeit ermöglichten Praktiken des Engagements und der Verantwortungsübernahme ihrer Kinder unter Umständen anerkennen und unterstützen (Warth 2011, S. 138; Şenyuva und Göksel 2014, S.102-103).

Quellen:

Akyüz, Ali Alper; Gümüş, Pınar; Yılmaz, Volkan; Çakaloz, Ferhat Mahir; Yentürk, Nurhan (2016): Youth Exclusion and the Transformative Impact of Organized Youth in Turkey (Power2Youth Working Paper, 21). Online verfügbar unter http://www.iai.it/sites/default/files/p2y_21.pdf (PDF, 530 KB), zuletzt geprüft am 04.06.2020.

Bee, Cristiano; Kaya, Ayhan (2016): Youth and active citizenship in Turkey. Engagement, participation and emancipation. In: Southeast European and Black Sea Studies, S. 1–15. DOI: 10.1080/14683857.2016.1232893.

Lüküslü, Demet (2013b): Necessary Conformism: An Art of Living for Young People in Turkey. In: New Perspectives on Turkey 48 (1), S. 79–100, zuletzt geprüft am 19.06.2016.

Lüküslü, Demet (2010a): Gençlik Örgütlenmelerindeki Gençlerin Sorunları, İhtiyaçları, İstekleri ve Önerileri Temelinde Türkiye’de Gençlik Politikaları Göstergelerinin Oluşturulması Araştırma Projesi. İstanbul Bilgi Üniversitesi. Online verfügbar unter http://genclik.bilgi.edu.tr/wp-content/uploads/2019/03/Genclik-Orgutlenmelerindeki-Genclerin-Sorunlari-ihtiyaclari-istekleri-ve-Onerileri_.pdf (PDF 1,0 MB), zuletzt geprüft am 25.09.2020.

Neyzi, Leyla; Darıcı, Haydar (2015): Generation in debt. Family, politics, and youth subjectivities in Diyarbakır. In: New Perspect. Turk. 52, S. 55–75. DOI: 10.1017/npt.2015.2.

Şenyuva, Özgehan; Göksel, Asuman (2014): Research Based Analysis of Youth in Action Programme, NATIONAL REPORT TURKEY.

Warth, Annegret (2011): Freiwilliges Engagement in der außerschulischen Jugendarbeit: Zur Entstehung eines neuen Sozialisationskontextes in der Türkei. In: Arnd-Michael Nohl und Barbara Pusch (Hg.): Bildung und gesellschaftlicher Wandel in der Türkei. Historische und aktuelle Aspekte. Würzburg: Ergon, S. 121–146.

Yücel, Hakan (2005): Les jeunes alévis du quartier de Gazi (Istanbul) et les associations de hemşehri: identifications croisées’. In: European Journal of Turkish Studies (2). Online verfügbar unter https://journals.openedition.org/ejts/406, zuletzt geprüft am 25.09.2020.

Lokale Jugendräte

Die Etablierung von lokalen Jugendräten geht auf die lokale Agenda 21 zurück, die 1992 mit dem UN-Gipfel in Rio ins Leben gerufen wurde. Mit dem Ziel Möglichkeiten für lokale Partizipation schaffen, wurden ab Ende der 1990er Jahren auch in der Türkei lokale Stadträte (kent konseyi) und Jugendräte (gençlik meclisi) gegründet. Seit dem im Jahr 2005 erlassenen Gemeindegesetz Nr. 5393 (5393 sayılı Belediye Kanunu) ist die Einrichtung von Stadt- und Jugendräten verpflichtend.

In fast jeder Provinz und den meisten großen Bezirken der Türkei existieren Jugendräte. ihre Funktionsweise und Wirksamkeit hängen jedoch vom Engagement und dem Partizipationsverständnis der jeweiligen Gemeinde ab. Untersuchungen verweisen darauf, dass Jugendräte entgegen ihrem ursprünglichen Ziel der lokalen Partizipation häufig Dienstleistungen anbieten oder nicht unabhängig die Interessen von Jugendlichen vertreten. Jugendliche sind sich selbst häufig nicht bewusst, dass die Jugendräte Plattformen sind, um die Interessen von Jugendlichen zu vertreten.

Gleichzeitig gibt auch lokale Jugendräte, die innovative Modelle lokale Jugendpartizipation darstellen, wie zum Beispiel der lokale Jugendrat des Stadtbezirks Nilüfer in Bursa (Nilüfer Kent Konsil Gençlik Meclisi)

Quellen:

Gökçe-Kızılkaya, Suna/ Onursal-Beşgül,Özge (2017): Youth participation in local politics: city councils and youth assemblies in Turkey, Southeast European and Black Sea Studies 17, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14683857.2016.1244239

TOG (2011): Adrese-Büyüteç. Gençlik Alanı Sivil İzleme Raporu, https://www.tog.org.tr/biz-kimiz/yayinlar/#1536552587026-260f5e82-9d8115372689697861545869380726

Freiwilliges Engagement

Die Freiwilligenarbeit wird in der Türkei zum großen Teil von Nichtregierungsorganisationen geleistet. An diesen Aktivitäten nehmen meist Jugendliche teil. Weiterhin tragen die Jugendzentren des Ministeriums für Jugend und Sport sowie die der Stadtverwaltungen dafür Sorge, dass Kinder und Jugendliche an ehrenamtlichen Aktivitäten teilnehmen.

Der Bereich Freiwilligenarbeit ist in der Türkei im Aufschwung. Es fehlt aber bisher hauptsächlich an der geeigneten Infrastruktur, der Anerkennung sowie ausreichenden Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich der Freiwilligenbetreuung. Ausgehend davon, regte das Volunteers-Programm der Vereinten Nationen (United Nations Volunteers, UNV) in der Türkei einen Diskussionsprozess an, der zur Gründung des Nationalen Gremiums für Freiwilligenarbeit führte. Die Gründungsmitglieder kommen aus den Kreisen der Zivilgesellschaft, der Regierung und den Vereinten Nationen und arbeiten inhaltlich zu den verschiedensten Themen wie Bildung, Jugend, Umwelt und Entwicklung.

2019 wurde vom Jugendministerium das Jahr des Ehrenamts ausgerufen, um bei der jungen Generation für ehrenamtliche Aktivitäten zu werben. In diesem Rahmen wurde unter anderem eine App entwickelt, worüber sich engagierte Jugendliche vernetzen können.

Literaturtipps zum Thema Freiwilligenarbeit in der Türkei

Die Stiftung für Freiwillige im Bildungsbereich (Türkiye Eğitim Gönüllüleri Vakfi, TEGV) führte drei Studien zur Freiwilligenarbeit durch, die sie 2012 in Buchform veröffentlichte. Die Themen sind: Jugend, Freiwilligenarbeit und Soziales Kapital in der Türkei (2008); Freiwilligendienste und ihre Errungenschaften (2009); Nachhaltige Freiwilligenarbeit (2010).

Das Buch Freiwilligenarbeit in der Türkei – Erkundung ihrer Rolle und Verdienste (PDF, 836 KB) wurde 2013 im Rahmen des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen Türkei vom Zentrum für Jugenddienste GSM veröffentlicht. In dem Buch werden die wichtigsten Organisationen vorgestellt, die zu Themen der Freiwilligenarbeit in der Türkei tätig sind Es beschreibt die entscheidende Rolle, die die Freiwilligenarbeit bei der Realisierung von gesellschaftlichem Fortschritt und nachhaltiger Entwicklung spielt.

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