Prof. Wolfgang Schröer (rechts) diskutiert mit Michael Schwarz (links) und Jutta Eichhorn (mitte) Prof. Wolfgang Schröer (rechts) diskutiert mit Michael Schwarz (links) und Jutta Eichhorn (mitte)
Prof. Wolfgang Schröer (rechts) diskutiert mit Michael Schwarz (links) und Jutta Eichhorn (mitte).
Fachkräfteinitiative.International

„Wir brauchen Räume für den Austausch“

Fachkräfteinitiative.International zog in Berlin Bilanz

Vor zwei Jahren hat sich die Fachkräfteinitiative.International auf den Weg gemacht, um über Projekte auszuloten, wie sich Träger der Kinder- und Jugendhilfe internationaler aufstellen können. Vom 8. bis 9. Dezember kamen Vertreter*innen der 26 Projekte mit Forschung und übergeordneten Strukturen – wie beispielsweise Fach- und Förderstellen – in Berlin zusammen. Was für die Mehrzahl der Projekte eine Abschlusstagung war, war für andere eine Zwischenbilanz: Ein Teil der Projekte wird noch bis Ende 2023 begleitet und unterstützt.

22.12.2022 / Christian Herrmann

„Es ist das erste Mal, dass wir alle in Präsenz zusammenkommen“, stellte IJAB-Direktor Daniel Poli zu Beginn der Tagung fest. Die Fachkräfteinitiative war am Anfang der Pandemie gestartet. Lockdowns und die Sorge um die Gesundheit der Teilnehmenden machten nur virtuelle Zusammenkünfte möglich. Die Freude, nun endlich im analogen Raum zusammenkommen zu können, war den etwa 50 Teilnehmenden deutlich anzumerken. Die Gelegenheit sich über die Erfahrungen der Projekte auszutauschen, wurde weit über den Rahmen des Tagungsprogramms hinaus genutzt.

Daniel Poli erinnerte nochmal an die Ziele des Projekts. Damit allen jungen Menschen internationale Erfahrungen ermöglicht werden können, müssen sich die Träger der Kinder- und Jugendhilfe internationaler aufstellen. Dafür sind neue Formate, neue Formen der Partizipation junger Menschen und auch digitale Methoden nötig. Die 26 Projekte waren und sind ein Experimentierfeld dafür. Zugleich erkundete die Begleitforschung der Universität Hildesheim, wie die Kinder- und Jugendhilfe bisher in Sachen Internationalität aufgestellt ist und welche Potenziale für Weiterentwicklungen es gibt.

Internationalität wird positiv bewertet, findet aber kaum statt

Entsprechend breiten Raum nahmen die Forschungsergebnisse im Tagungsgeschehen ein. Dr. Agnetha Bartels und Senka Karic vom Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim stellten die Ergebnisse eine Befragung von 640 Mitarbeiter*innen von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe vor. Das erste Ergebnis: Internationalität wird grundsätzlich positiv bewertet. 80% der Fachkräfte ist es wichtig, Fachentwicklungen über den nationalen Diskurs hinaus verfolgen zu können. 71% ist internationale Mobilität wichtig.

Das steht allerdings im Gegensatz zur Wirklichkeit in den Organisationen. Die Mehrzahl der Angebote beschränkt sich auf Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. In allen anderen Handlungsfeldern ist Internationalität kaum zu spüren. Den Trägern scheint sie auch nicht übermäßig wichtig zu sein: Feste Stellen, die internationale Themen in die Arbeit der Organisation einfließen und Angebote entwickeln könnten, sind oft nicht vorhanden. Bartels und Karic machten eine „Verinselung“ der Internationalen Jugendarbeit aus. Die Gefahr dabei: Kindheit und Jugend finden heute in transnationalen Verflechtungen statt, unsere Gesellschaft ist vielfältig geworden – die Erfahrungswelten von Fachkräften und ihren Zielgruppen driften auseinander.

Einen Grund dafür machten Bartels und Karic in der Zusammensetzung des Personals aus. Die Befragten der Studie waren vorwiegend mittleren Alters, weiblich, hochqualifiziert und besaßen die deutsche Staatsbürgerschaft. „Es ist das 'Establishment' der Kinder- und Jugendhilfe“, sagte Agnetha Bartels. Die Mehrheit des Personals sieht sich selbst rassismuskritisch und thematisiert Rassismus auch in der Arbeit mit jungen Menschen. Dass es in ihrer eigenen Organisation strukturellen Rassismus geben könnte, kommt den meisten jedoch nicht in den Sinn. Damit war ein wichtiges Thema der Tagung gesetzt. Denn Internationalisierung bedeutet auch: Die Träger müssen vielfältiger werden.

Internationalisierung zwischen Wunsch und Wirklichkeit diskutierten Jutta Eichhorn vom Projekt „Chance Interkulturell“, Jürgen Reuther vom Projekt „Internationalisierung der Jugendarbeit in Nürnberg“, Michael Schwarz von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und Prof. Wolfgang Schröer von der Universität Hildesheim. Im Panel wurde deutlich, dass der politische Wille zwar vorhanden ist, die lokale Umsetzung jedoch ein dickes Brett ist, dass sich nur mühsam bohren lässt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter hat den örtlichen Jugendämtern seit langem auferlegt, Internationale Jugendarbeit verpflichtend aufzubauen. Das hat nicht zwingend Folgen. Jutta Eichhorn, Lehrerin an einer Schule in Bergheim, wusste eine Ursache: „Was steht nicht alles im Curriculum! Am Ende sind es die einzelnen Kolleginnen und Kollegen, die sich dazu entschließen, ein Thema nach vorne zu bringen – oder eben auch nicht.“ Auch Prof. Schröer betrachtete die Lage nüchtern: „Wir haben uns die örtlichen Kinder- und Jugendpläne in Bezug auf Internationale Jugendarbeit angesehen, gefunden haben wir fast nichts.“ Das mag hoffnungslos klingen, ist es aber nicht. Die 26 Projekte der Fachkräfteinitiative sind der Beweis dafür, dass sich sehr wohl etwas bewegen lässt.

Der politische Wille ist da

Gut gerüstet mit diesen Inputs reflektierten die Teilnehmenden ihre Projekte, die Rolle des eigenen Trägers und ihre Erwartungen an die Zukunft entlang der Themen Migration, Fachkräfteentwicklung und Resilienz in Krisenzeiten in wechselnden Gruppen. Die Gruppenarbeit sollte aufeinander aufbauen und schließlich zu Ergebnissen führen, die nach außen kommunizierbar waren. Das waren sie auch. Zugänge von Migrant*innen zur Beschäftigung bei Trägern sollen einfacher und verständlicher sein. Zugänge zu jungen Menschen müssen erhalten werden und nicht durch Schließung von Jugendzentren konterkariert werden. Internationale Jugendarbeit braucht Ressourcen und Anerkennung. Für Internationales zuständige Fachkräfte müssen gezielt gewonnen und auch gehalten werden. Und immer wieder dieser Wunsch: „Wir brauchen Räume, um uns austauschen zu können und unsere Arbeit mit Kolleg*innen reflektieren zu können.“ IJAB wird seinen Teil dazu beitragen, dass solche Räume immer wieder angeboten werden.

Am Ende der Tagung wurde Albert Klein-Reinhardt, Referent für europäische und internationale Jugendpolitik im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zugeschaltet. Die Projekte der Fachkräfteinitiative.International haben sich auf den Weg gemacht, Internationalität dort zu verankern, wo sie bisher wenig vorhanden war. Wichtig ist nun, dass die beteiligten Fachkräfte nicht allein gelassen werden und weiterhin Unterstützung, Begleitung und Beratung erfahren. Albert Klein-Reinhardt konnte zusichern, dass dafür der politische Wille vorhanden ist, denn Internationalität ist fester Bestandteil der Jugendstrategie der Bundesregierung. Er wünscht sich, dass die Ergebnisse der Projekte möglichst gut gesichert werden, damit sie in politische Prozesse eingespeist werden können. In einer abschließenden Vorausschau griffen die Koordinator*innen der Fachkräfteinitiative bei IJAB, Kerstin Giebel und Christoph Bruners, diesen Wunsch auf und sicherten zu, dass IJAB seinen Teil dazu beitragen wird. Gleichzeit bedarf es aber auch der breiten Unterstützung auf allen Ebenen – in der Politik, der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und nicht zuletzt von Seiten der bilateralen Jugendwerke und Koordinierungszentren.

Das IJAB-Team dankt allen Unterstützer*innen der Initiative für die bisher geleistete Arbeit in 2021-2022.

Skulptur 'Body of Knowledge' auf dem Campus Westend der Goethe-Universität in Frankfurt/Main
Über die Fachkräfteinitiative.International

Die Fachkräfteinitiative.International unterstützt Fachkräfte und Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe dabei, ihre interkulturellen und internationalen Kompetenzen zu stärken. Jugendliche werden aktiv in diesen Prozess eingebunden.

Vier Uhren mit unterschiedlichen Uhrzeiten
Über die Internationalisierung

Die Kinder- und Jugendhilfe mit ihren Fachkräften und Strukturen muss sich auf die wachsende Bedeutung grenzüberschreitender Lernerfahrungen einstellen.