Eine Gruppe junger Menschen sitzt in einem Raum. Eine Gruppe junger Menschen sitzt in einem Raum.
Trägerkonferenzen des BMFSFJ

Jugendbeteiligung muss aktiv gestaltet werden

Interview mit Laura Burger

Die Beteiligung junger Menschen war eines der beiden Top-Themen der Trägerkonferenz des Bundesjugendministeriums im Juni 2024. Laura Burger, Projektreferentin beim Hessischen Jugendring, beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema. Sie sagt: „Wenn wir Jugendbeteiligung in der europäischen und internationalen Jugendarbeit praktizieren wollen, dann müssen Fördermodalitäten auch so funktionieren, dass sie Beteiligung ermöglichen.“ Sandra Kleideiter hat sie interviewt.

01.08.2024 / Sandra Kleideiter

Sandra Kleideiter: Laura, du hast „Soziale Arbeit“ und „Interkulturelle Kommunikation und Bildung“ studiert. Während der Trägerkonferenz hast du beim Science Slam die Forschungsergebnisse aus deiner Masterarbeit zum Thema „Beteiligungsmöglichkeiten im Internationalen Jugendaustausch“ vorgestellt. Als eine Person, die sich also intensiv mit dem Thema Jugendbeteiligung insbesondere im Feld der europäischen und internationalen Jugendarbeit auseinandergesetzt hat, welcher Eindruck ist bei dir nach der Trägerkonferenz geblieben?

Laura Burger: Ich fand es schön, dass das Thema „Jugendbeteiligung“ während der Trägerkonferenz aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet wurde. Die Besetzung der Paneldiskussion, vom Jugendbeirat von Jugend für Europa, über die Jugendverbandsarbeit, die Jugendsozialarbeit, die Wissenschaft, einer themenspezifischen Fachorganisation bis hin zum Ministerium, führte dazu, dass die Debatten aus unterschiedlichen Expertisen heraus geführt worden sind. Neben der inhaltlichen Diskussion konnte man aber auch wahrnehmen, dass besonders das Thema „Finanzierung“ im Fokus stand, was darauf schließen lässt, dass hier (vor allem für die Fachkräfte) ein großer Veränderungsbedarf besteht.

Sandra Kleideiter: Die Frage der Finanzierung spielt in solchen Debatten immer wieder eine Rolle. Gerade in den aktuellen Zeiten sind das sicherlich auch wichtige Fragen und berechtigte Anliegen, wenn es um den Wunsch nach mehr Förderung geht. Aber bedeutet das auch das „Aus“ für Themen wie „Jugendbeteiligung in der europäischen und internationalen Jugendarbeit“?

Laura Burger: Ich glaube diese Frage muss man wieder aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Denn: Der Aspekt der Finanzierung ist häufig ein Grund, Partizipation nicht umzusetzen. Und selbstverständlich braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, um Beteiligung umsetzen zu können, wozu natürlich auch die Finanzierung gehört. Aber ich glaube auch, dass Beteiligung – als ein Grundpfeiler von Jugendarbeit – selbstverständlicher Teil der Arbeit ist und es viele Fachkräfte gibt, die Beteiligung auch jetzt schon (ohne ausreichende Finanzierung) umsetzen. Ein Aus bedeutet es also meiner Ansicht nach nicht, aber es macht Beteiligung personenabhängig.

Jugendbeteiligung ist ein Grundpfeiler von Jugendarbeit

Sandra Kleideiter: Das Argument „es gibt so viele andere Themen, denen wir uns widmen müssen“ kommt nicht selten aus der Praxis und die Forderung „die Rahmenbedingungen müssen gesichert sein, erst dann können wir über Themen wie Beteiligung reden“. Was sagst du zu solchen Aussagen?

Laura Burger: Jugendbeteiligung, aber auch internationale Jugendarbeit sind insgesamt Themen, die häufig als eine Ergänzung und nicht als Kerngeschäft angesehen werden. Deshalb sind fehlende Ressourcen auch häufig der Grund, dass diese Themen im Alltag hinten runterfallen. Dabei ist Jugendbeteiligung meiner Meinung nach kein On-top-Thema, sondern ein Grundpfeiler von Jugendarbeit. Einerseits bedeutet das, dass Fachkräfte Beteiligung als selbstverständlichen Teil ihrer Arbeit anerkennen müssen, andererseits müssen die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass es ihnen ermöglicht wird ohne woanders Abstriche machen zu müssen.

Sandra Kleideiter: Beteiligung erscheint erstmal für viele wie ein riesiger Berg.

Laura Burger: Ja, aber ich bin davon überzeugt, dass es auch langfristig einen Mehrwert bringt, wenn wir Jugendbeteiligung jetzt umsetzen. Jugendliche, die wir jetzt beteiligen, müssen später nicht mehr lernen, was Beteiligung bedeutet und wie sie funktioniert. Dies kann zukünftig auch zur Entlastung im Arbeitsalltag führen, da sie viele Schritte – z.B. in der Planung und Umsetzung von internationalen Austauschen – eigenständig übernehmen können. Wenn wir jetzt in die Beteiligung junger Menschen investieren, investieren wir nachhaltig. Die Erkenntnisse aus meiner Masterarbeit zielen genau darauf ab. Beteiligung ist ein Prozess, der aktiv gestaltet werden muss und der am Anfang wohlmöglich sehr zeit- und ressourcenintensiv ist, am Ende aber eine mehrdimensionale Wirkung entfaltet.

Durch Beteiligung werden Fähigkeiten gestärkt, die man für das ganze Leben braucht

Sandra Kleideiter: Du hast gerade die Zeitintensität angesprochen. In den unterschiedlichen Debatten während der Trägerkonferenz kam immer wieder zur Sprache: Beteiligung braucht Zeit. Oftmals verweilen in der Praxis die jungen Menschen gar nicht so lange in den jeweiligen Organisationen.

Laura Burger: Wenn ich Beteiligung als Grundpfeiler meiner Arbeit sehe, dann kann und muss ich Beteiligung trotzdem umsetzen und die Prozesse transparent gestalten. Das bedeutet auch, einer Gruppe von jungen Menschen vielleicht zu sagen, dass sie zum Beginn der Jugendbegegnung möglicherweise nicht mehr da sind, sie sich aber dennoch beteiligen können, weil ja auch die Planung und Vorbereitung einen Mehrwert bringen kann. Durch Beteiligung werden Fähigkeiten gestärkt, die man für das ganze Leben braucht und nicht nur in dem spezifischen Kosmos von internationaler Jugendarbeit. Auch wenn die Gruppe sich verändert, kann das Grundprinzip „wir werden beteiligt“ in der peer-group weitergegeben werden. Wenn ich aber in einem Antragsverfahren schreiben muss, mit welchen Jugendlichen die Jugendbegegnung stattfindet, wird das natürlich zu einem Problem.

Sandra Kleideiter: Veränderungen im Antragsverfahren sind während der Trägerkonferenz immer wieder in den Debatten diskutiert worden. Prof. Dr. Ilg sprach in diesem Kontext von einem „Partizipations- Paradox“, genauer von einem „Partizipations-Förder-Paradox“. Das bedeutet u.a. der politische Anspruch und die Förderrealitäten stehen hier in einem Spannungsfeld. Wie hast du die Diskurse dazu wahrgenommen?

Laura Burger: Das Antragsverfahren muss mit Blick auf Jugendbeteiligung niedrigschwelliger gestaltet sein. Bei dieser Forderung bin ich 100 % dabei. Wir können echte Jugendbeteiligung nur schaffen, wenn diese in jedem Prozessbestandteil von europäischer und internationaler Jugendarbeit stattfinden kann. Wenn die Antragsformulare und -fristen so kompliziert und hochschwellig sind, dass die jungen Menschen schwerer beteiligt werden können, braucht es eine Weiterentwicklung. Hier fand ich die Hinweise von den Fördermittelgeber*innen, ehrliche Anträge zu schreiben und junge Menschen hierbei zu beteiligen, sehr wichtig. Anträge müssen vielleicht gar nicht so hochschwellig angegangen werden, wie wir es in der Praxis denken. Auch der Hinweis von Rolf Witte von der bkj, Kleinstprojektförderung zur partizipativen Vorbereitung einer Maßnahme beantragen zu können, war sehr hilfreich. Dennoch sehe ich die Notwendigkeit, an den Prozessen zu arbeiten, denn wenn etwas bei der Konferenz deutlich wurde, dann, dass die aktuellen Fördermechanismen viele Fachkräfte in ihrer Arbeit und damit auch in der Beteiligung von jungen Menschen einschränken.

„Traut euch und den Jugendlichen das zu“

Sandra Kleideiter: Eine der Abschlussfragen in der Paneldiskussion lautete passend hierzu: „Sollten wir als Fachkräfte nicht einfach mutiger sein und mehr Beteiligung junger Menschen wagen?“ Was wäre deine Antwort?

Laura Burger: Ja, die Aussage „Traut euch und den Jugendlichen das zu“ unterschreibe ich. Aber dennoch braucht es bessere Rahmenbedingungen. Die Verantwortung liegt schon bei beiden Seiten, also auf Seiten der Fachkräfte und der Fördergeldgeber*innen. Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass die Fachkräfte ihren Anspruch auf Beteiligung entfalten können. „Wir schaffen einen Rahmen, in dem ihr mutig sein könnt“ sollte aus dem Mund von Fördergeldgeber*innen ebenso kommen, wie auch aus dem von Fachkräften.

Sandra Kleideiter: Der Begriff Transparenz ist oft in den Debatten gefallen. Du bist selber als Projektreferentin für Inklusion, Integration und Internationale Jugendarbeit in der Praxis tätig. Von welchen Herausforderungen kannst du berichten?

Laura Burger: In der Praxis kann es immer wieder Situationen geben, in denen wir manche Entscheidungen nicht den Jugendlichen überlassen können. Zum Beispiel bei der Auswahl des Ortes aufgrund von bestehenden Partnerregionen. Da wird der Aspekt der Transparenz wichtig und bedeutet, offen damit umgehen und zu benennen, an welcher Stelle Entscheidungen von den jungen Menschen getroffen werden können und wo eben auch nicht. Wenn ich sie beteilige, dann muss es auch eine spürbare oder sichtbare Wirkung geben. Es ist sicherlich einfacher, nicht zu beteiligen. Weil dann Entscheidungen einfach getroffen werden, Dinge vorgegeben werden können. Aber ich hoffe, dass alle Jugendarbeiter*innen den Anspruch haben, dass zu tun, was für die jungen Menschen am besten ist. Und das wäre, sie zu beteiligen. Bei Simon Pladwig aus dem Jugendbeirat von Jugend für Europa, der an der Paneldiskussion beteiligt war, hat man gemerkt, junge Menschen haben Lust, mitzureden und Dinge mitzugestalten.

Wir müssen an den Grundprinzipien von Jugendarbeit festhalten

Sandra Kleideiter: Du hast in deiner Forschungsarbeit mit jungen Menschen gesprochen. Viele Engagierte im Bereich der europäischen und internationalen Jugendarbeit berichten von zahlreichen nachhaltigen Begegnungen mit jungen Menschen. Welche Stories hast du zu erzählen?

Laura Burger: Ich habe mit so tollen jungen Menschen gesprochen, die sich extrem weiterentwickelt haben, weil sie an einer internationalen Jugendmobilität teilgenommen haben und was vielleicht noch wichtiger ist, dabei beteiligt wurden. Dort wurde den jungen Menschen etwas ermöglicht, was sie in ihrer normalen Lebensrealität nicht oft erfahren. In der Schule nicht, viele auch im Alltag nicht, im Elternhaus nicht. Ich nenne immer wieder gerne die Aussage von einem Jugendlichen, der meinte, vor der internationalen Jugendbegegnung, konnte er nicht alleine zum Friseur gehen. Und seitdem er internationale Jugendbegegnung wirklich mitgestalten durfte, ist er in der Lage, auch andere Aktivitäten in seinem Alltag selber zu organisieren und umzusetzen. Die europäische und internationale Jugendarbeit kann ohnehin Räume bieten, in denen junge Menschen sich entfalten und ihre Persönlichkeit stärken können. Beteiligung verstärkt die Wirkung aber nochmal immens. Ich kann das nachvollziehen, dass man als Fachkraft ressourcenschonend arbeiten muss. Wir sind gerade in einer Situation, in der es für Fachkräfte schwierig ist. Aber genauso müssen wir an den Grundprinzipien von Jugendarbeit und damit auch an Beteiligung festzuhalten und sagen, wir machen es trotzdem. Denn: Beteiligung wirkt sich nicht nur positiv auf die Austauscherfahrungen aus, sondern auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen.

Sandra Kleideiter: Beteiligung wird im internationalen Jugendaustausch aber nicht überall selbstverständlich und bedarfsorientiert ermöglicht, so eine Erkenntnis aus deiner Forschungsarbeit. Was braucht das Praxisfeld der europäischen und internationalen Jugendarbeit in Bezug auf Jugendbeteiligung nun noch? Sind es neue Konzepte? Einen anderen Diskurs? Die Arbeit an einem Mindset?

Laura Burger: Ich glaube das Praxisfeld braucht Unterschiedliches. Das Mindset ist im Praxisfeld meistens vorhanden. Es gibt Qualitätsstandards zur Jugendbeteiligung, die bekannt sind. Es gibt vieles auch in Sachen Methodik, es muss nur noch mehr in der Praxis verankert werden. Und in meiner Masterarbeit habe ich gemerkt, dass dies nicht nur von den Fachkräften abhängt, sondern auch von den Organisationen, in denen die Fachkräfte arbeiten. Ich glaube, dass die Rahmenbedingungen sich grundsätzlich verändern müssen. Wenn wir Jugendbeteiligung in der europäischen und internationalen Jugendarbeit praktizieren wollen, dann müssen Fördermodalitäten auch so funktionieren, dass sie Beteiligung ermöglichen. Vor allem braucht es andere Antragsfristen und Abläufe.

Jungen Menschen fehlt oftmals die Information, dass sie ein Recht auf Beteiligung haben

Sandra Kleideiter: Du hast in deiner Masterarbeit unterschiedliche Handlungsimplikationen genannt. Eine war die Informationsweitergabe. Was braucht es deiner Meinung nach hier an Veränderung, damit mehr junge Menschen beteiligt werden können?

Laura Burger: Tatsächlich fehlt jungen Menschen oftmals die Information, dass sie ein Recht auf Beteiligung haben. Die wenigsten wissen, dass sie ihre Meinung einbringen können, dass sie in so Prozesse eingebunden werden können und wie dies geht. Ich wünsche mir hier eine Verbesserung, so dass junge Menschen vielleicht auch von sich aus die Forderung stellen können, mehr beteiligt zu werden. Insgesamt müssen wir meiner Ansicht nach in allen Bereichen mehr von den jungen Menschen aus denken. Stärker empowernd denken. Die Perspektive junger Menschen fehlt oftmals in den Fachdebatten. Und dabei sollten junge Menschen nicht nur nach ihrer Meinung gefragt werden, sondern wir sollten sie vermehrt einladen, mit zu denken. Und dabei müssen wir z.B. auch die Beteiligungsformate selbst an den Bedürfnissen junger Menschen ausrichten und sie wohlmöglich sogar mit ihnen gemeinsam gestalten.

Sandra Kleideiter: Bisher haben wir überwiegend über die Beteiligung von jungen Menschen bei der Gestaltung von Begegnungsmaßnahmen gesprochen. In der europäischen und internationalen Jugendarbeit kann Beteiligung auch zum Thema einer Begegnung werden oder dort ausprobiert werden. Diese Perspektive legt Wert darauf, dass Jugendliche die Möglichkeit haben sollten, ihre eigenen Interessen zu identifizieren, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und Verantwortung für ihre eigenen Entscheidungen zu übernehmen, sich für soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung in internationalen Kontexten einzusetzen. Wie hast du hierzu den Austausch während der Trägerkonferenz wahrgenommen?

Laura Burger: Ich habe so viele schöne Best-Practice-Beispiele kennengelernt. In dem Workshop zu dem Thema Beteiligung hat die Deutsch-Türkische Jugendbrücke ihr Programm „Gestalte Deine Stadt“ vorgestellt. Eine jugendpolitische Beteiligung auf lokaler Ebene, die auch Auswirkungen in den Partnerregionen zeigt. Ich halte dies für ein gutes Beispiel, wie man mit Jugendbeteiligung demokratiebildende Wirkung erzielen kann: Das Thema als inhaltliche Ausrichtung von Austauschen nutzen und Beteiligung erlebbar machen, sich mit dem Hintergrund beschäftigen. Das Thema bewusst in den Fokus stellen. Das macht auch Hoffnung: Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel, in Zeiten nach Corona, das einen großen Schnitt in die Arbeit reingebracht hat, ist der Zusammenhalt eins der wichtigsten Dinge, die man stärken kann. Und junge Menschen zu befähigen, gemeinsam eine Stimme zu erheben und miteinander zu arbeiten, ist ein super wichtiges Werkzeug, wenn es um die weltweite Entwicklung geht.


Das Interview führte Sandra Kleideiter, plan BeE – Beratung und Expertise.

Laura Burger hat einen Bachelor in Sozialer Arbeit (Hochschule Rhein Main, Wiesbaden) und einen Master in interkultureller Kommunikation und Bildung. Schon während des Studiums hat sie sich mit verschiedenen Themen im Kontext der internationalen Jugendarbeit beschäftigt. Während des Masters war sie u. a. für das Portal Kinder- und Jugendhilfe tätig. Seit Juni 2023 arbeitet sie als Projektreferentin beim Hessischen Jugendring.

Ein Mann beugt sich über einen Tisch und schreibt etwas, im Hintergrund diskutieren mehrere Menschen.
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Alle zwei Jahre lädt das Bundesjugendministerium zur "Zentralen Trägerkonferenz zur Fortentwicklung der europäischen und internationalen Jugendpolitik und Jugendarbeit" ein.