Wimmelbild mit vielen Menschen in einer Stadt Wimmelbild mit vielen Menschen in einer Stadt
Das Wimmelbild zur Vielfalt der Kinder- und Jugendarbeit war ein Highlight der Eröffnungsveranstaltung des Bundeskongresses. Es kann über den Webshop des Bayerischen Jugendrings (www.bjr.de) bestellt werden.
Internationalisierung

Forschung und Praxis kamen ins Gespräch

3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit

In Nürnberg fand vom 20. bis 22. September der 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit als Online-Veranstaltung statt. Wichtige Themen waren Demokratiebildung, Partizipation, Digitalisierung, die Folgen der Corona-Pandemie und Ganztagsschule. IJAB hat dazu beigetragen Kinder- und Jugendarbeit auch immer aus internationaler und europäischer Perspektive zu denken.

24.09.2021 / Christian Herrmann, Stephanie Bindzus, Cathrin Piesche, Susanne Klinzing

1.900 angemeldete Gäste, 400 Beitragende, 160 Veranstaltungen. Der 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit erwies sich als weit mehr, als nur ein virtueller Ersatz für eine Präsenzveranstaltung. Ein Blick in den Chat sprach Bände: Viele hatten das Online-Format genossen, weil es ihnen die Teilnahme ohne Anreise ermöglichte. Viele wünschen sich für die Zukunft ein hybrides Format.

Die Digitalisierung der Kinder- und Jugendarbeit, die aufgrund der Corona-Pandemie deutlich an Fahrt aufgenommen hat, war eines der Themen des Kongresses. Dass Digitalisierung aber mehr ist, als nur ein Ersatz für verunmöglichte physische Begegnungen wurde in der Session des IJAB-Projektes Internationale Jugendarbeit.digital deutlich. Im Praxisfeld der Internationalen Jugendarbeit wurden während der Corona-Pandemie verstärkt digitale Formate erprobt, um virtuelle Begegnungen, Kooperationen, Trainings und Konferenzen online durchzuführen. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt, digitale Formate können Barrieren abbauen und anderen Jugendlichen als bisher den Zugang zu internationalen Erfahrungen ermöglichen. Gleichzeitig werden neue Hürden aufgebaut – angefangen von Technik und Endgeräten bis hin zu ganz praktischen Problemen unterschiedlicher Zeitzonen, wenn Menschen aus mehreren Kontinenten digital zusammenkommen möchten. Doch wie Referent Lukas Wurtinger von IBG Workcamps sagte: Die "Wild-West-Zeit" ist mittlerweile vorbei. Es werden bereits die klassischen Formate um neu erprobte, virtuelle Möglichkeiten ergänzt. Systematisch geht daher Internationale Jugendarbeit.digital der Frage nach, wie digitale Ansätze und hybride Formate in die vorhandene Methodik der Internationalen Jugendarbeit eingepasst werden können, ohne bestehende Qualitätsstandards und erwünschte Lerneffekte zu vernachlässigen. Wissenschaftlich begleitet wird es dabei von JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.

Im Schatten der Pandemie

Trotz dem Hoffnungsschimmer Digitalisierung hing die noch immer nicht überwundene Corona-Pandemie wie eine drohende Wolke über dem Bundeskongress. Bereits in der Eröffnungsveranstaltung wurde das von den Veranstaltern Bayerischer Jugendring und vom Forschungsverbund der TU Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts thematisiert. In der Coronakrise sind für viele Kinder und Jugendliche die gewohnten Umgebungen von Kita, Schule und Freizeit zum Erliegen gekommen. Die Kinder- und Jugendarbeit konnte jedoch zeigen, dass sie präsent ist und weiterhin Ansprechpartner für junge Menschen ist. Ein Grund dafür ist, dass dem Bundesjugendministerium die Bedeutung des Arbeitsfeldes für das Aufwachsen junger Menschen bewusst ist. Dort hat man Geld in die Hand genommen, um das Arbeitsfeld strukturell abzusichern und non-formale Bildung auch weiterhin zu ermöglichen. Dennoch werden junge Menschen im öffentlichen Diskurs weiterhin hauptsächlich als Schüler*innen und Auszubildende wahrgenommen, beklagte Volker Rohde von der Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen in der Abschlussveranstaltung. Dass sich das ändern könnte, glaubt Caren Marks, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Mit der Eigenständigen Jugendpolitik sei die „Tür weit aufgestoßen worden“, um Jugend als eigenständiges Politikfeld zu etablieren und jungen Menschen Mitsprache bei allen sie betreffenden Entscheidungen zu geben. „In diesen Raum müssen wir nun hereindrängen und mit jungen Menschen Jugendpolitik gestalten“, forderte Prof. Dr. Wolfgang Schröer von der Uni Hildesheim.

Dass es solche optimistischen Perspektiven nicht überall in Europa gibt, konnte man in einer von JUGEND für Europa angebotenen Session zu den Bildungswirkungen Internationaler Jugendarbeit erfahren. "Das Programm wirkt und das Programm bebt", das war das Fazit von Andreas Karsten vom Forschungsnetzwerk RAY. RAY untersucht die Bildungswirkungen des EU-Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION. "Das Programm wirkt", das ist die gute Nachricht. "Das Programm bebt" stimmt nachdenklich. Nur 6 % der befragten Jugendarbeiter*innen in Europa gab an, sie würden trotz Coronakrise weiterhin alle jungen Menschen erreichen, mit denen sie gewöhnlich arbeiten. Karsten: "Wir müssen die Internationale Jugendarbeit strukturell aus der Krise führen."

Vor einer sehr spannenden und lebendigen Diskussion mit Erfahrungsberichten aus der Praxis bot IJAB-Geschäftsbereichsleiter Robert Helm-Pleuger einen detaillierten Einblick in die unterschiedlichen Facetten der Auswirkungen der Pandemie auf das Arbeitsfeld Internationale Jugendarbeit. Klar wurde bei der Diskussion: "Die große Sehnsucht nach Mobilität ist da". Das bestätigten unter anderem Markus Krajc vom Landesjugendring Schleswig-Holstein, der von einer gerade durchgeführten Jugendbegegnung in Finnland berichtete, und auch Tom Kurz von Experiment e.V. für den Schüleraustausch. Ebenfalls deutlich wurde, dass alle Beteiligten mit viel Engagement und persönlichem Einsatz daran arbeiten, die Möglichkeiten, die es trotz Pandemie für den Austausch gibt, verantwortungsvoll zu nutzen. Unabdingbar bleiben dennoch gesellschaftliche und politische Unterstützung. Die notwendigen strukturellen Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, um auch den realen – und nicht nur digitalen – Austausch wieder anzuschieben. Denn bekannte Hürden, wie beispielsweise schwierige Visavorgaben, haben sich durch die Pandemie teilweise verschärft. Auch benachteiligte Jugendliche sind nun noch schwieriger erreichbar, berichtete Christina Wirth von IN VIA Köln und benötigen einen gezieltere Ansprache.

Angebote an den Bedürfnissen junger Menschen ausrichten

Ob Internationale Jugendarbeit Bildungswirkungen erzielen kann, hängt auch davon ab, ob sich ihre Angebote an den Interessen junger Menschen ausrichten. Das ist einer der Ansatzpunkte des IJAB-Projektes Learning Mobility in Times of Climate Change, das in einer Session des Bundeskongresses von IJAB-Referentin Claudia Mierzowski vorgestellt wurde. In einem ersten Schritt gab es hierzu im Sommer 2021 eine Jugendkonsultation in allen Partnerländern, die Auswertung läuft gerade und wir warten gespannt auf die Ergebnisse. In der anschließenden Diskussion zeigte sich schnell die Crux der zwei Themen, die hier unter einen Hut gebracht werden sollen: Mobilität und Nachhaltigkeit. Kann man in Zeiten des Klimawandels überhaupt noch guten Gewissens mit Jugendlichen ins Flugzeug steigen? Gibt es Alternativen? An welchen Schrauben kann gedreht werden, um Internationale Jugendarbeit möglichst klimaneutral zu gestalten? Welche Kompromisse sind möglich? Denn an internationalen realen Begegnungen muss festgehalten werden, damit Verständigung untereinander und Empathie füreinander nicht verlernt werden. Viele Teilnehmenden wünschen sich auch, Nachhaltigkeit als Thema vermehrt in Jugendbegegnungen zu tragen und so gezielt für das Thema zu sensibilisieren.

Die Öffnung der Internationalen Jugendarbeit für alle jungen Menschen gehört seit vielen Jahren zu den wichtigen Zielen von IJAB. Inklusion ist ein wesentlicher Aspekt dabei. Das Team des IJAB-Projektes VISION:INCLUSiON stellte im Rahmen einer Session auf dem Bundeskongress Leitfäden für eine inklusivere Internationale Jugendarbeit vor. Die Qualifizierungsmodule und interaktiven Comics – auf Deutsch, Englisch, in einfacher Sprache und barrierefrei – bieten Fachkräften viel Knowhow und praxisnahe Anleitungen zur Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung inklusiver internationaler Jugendbegegnungen. Die Broschüren fanden bei den Teilnehmenden großen Anklang. Denn ganz wichtig, und das wurde auch im anschließenden Austausch deutlich, Inklusion ist ein Prozess und es braucht die Geduld, auch kleine Schritte zu gehen.

Internationales in die gesamte Kinder- und Jugendarbeit tragen

Wann immer IJAB auf großen Veranstaltungen aktiv ist, versuchen wir Begeisterung für die Möglichkeiten des internationalen Austauschs zu wecken. Warum mehr Internationales und Europa in der Kinder- und Jugendarbeit? "Aus der Chance für wenige muss eine Chance für alle werden", sagte Albert Klein-Reinhardt. Daniel Poli (IJAB) und Rita Bergstein (JUGEND für Europa) diskutierten mit Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Agnetha Bartels (beide Uni Hildesheim), Albert Klein-Reinhardt (Bundesjugendministerium) und Rolf Witte (BKJ und Vorsitzender von IJAB). Wolfgang Schröer: "Internationales muss ganz selbstverständlich im Alltag von Organisationen der Kinder- und Jugendarbeit verankert werden."

Was brauchen Fachkräfte, um sich der internationalen Herausforderung stellen zu können? Rita Bergstein, Elena Weber (beide JUGEND für Europa) und Christoph Bruners (IJAB) informierten über Qualifizierungsangebote. Eines davon: Der neue IJAB-MOOC zur Organisation internationaler Begegnungen. Er startet am 2. November.

Coaching als strukturierter Weg der Organisationsentwicklung zur Internationalisierung und Europäisierung von Strukturen der Jugendarbeit ist ein weiterer Weg, Organisationen und ihre Mitarbeiter*innen auf neue Aufgaben vorzubereiten. Die von IJAB in Zusammenarbeit mit der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) und dem Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen (BJKE) angebotene Session auf dem Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit wollte für das Thema Internationalisierung werben und Trägern Mut machen, die europäische und internationale Dimension in ihren Strukturen zu stärken. Dass Coaching ein Mittel ist, um Internationalisierungsprozesse umzusetzen, verdeutlichte Kerstin Giebel (IJAB) in ihrem Einstiegsreferat, aber auch, dass es nicht eine einzige Definition von Internationalisierung gibt.

Christina Lorenz (BKJ) stellte die Initiative „Welt-Öffner“ vor, die 12 Mitgliedsorganisationen dabei unterstützt, die internationale Dimension in der kulturellen Bildung nachhaltig und langfristig stärken. Dazu gehört auch der BJKE. Rolf Witte (BKJ) bat den Bundesverband, vertreten durch den Vorsitzenden Peter Kamp und die stellvertretende Geschäftsführung Sirit Klimeš, um Einblicke in diesen Prozess der Internationalisierung. „Schritt für Schritt gehen und sich Meilensteine setzen“, so Klimeš, sei eine der wichtigsten Gelingensbedingungen. Und, so Werner Müller-Hirschfeld, der den Prozess als Coach bis dato begleitete: „Es braucht Leute, die vom Thema Internationalisierung auch begeistert sind, sonst funktioniert es nicht.“

Mehr zum Thema Internationalisierung und auch zur neuen Fachkräfteinitiative.International von IJAB, die Fachkräfte und Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe dabei unterstützt, ihre interkulturellen und internationalen Kompetenzen zu stärken, findet sich im Themenbereich Internationalisierung auf ijab.de.

Der 3. Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit kam bei den Besucher*innen gut an. Davon zeugt auch die große Bereitschaft, Sessions nicht nur zu konsumieren, sondern sich auch an den Diskussionen aktiv zu beteiligen. In der Politik ist der Ruf nach einer Verstetigung der Veranstaltung gehört worden – quer über Parteigrenzen hinweg. Auch das macht Hoffnung.

INT 4.0 – Namensnennung CC BY 4.0
Dieses Werk ist lizenziert unter einer INT 4.0 – Namensnennung CC BY 4.0 Lizenz.
Vier Uhren mit unterschiedlichen Uhrzeiten
Über die Internationalisierung

Die Kinder- und Jugendhilfe mit ihren Fachkräften und Strukturen muss sich auf die wachsende Bedeutung grenzüberschreitender Lernerfahrungen einstellen.