Demokratie und Menschenrechte

Mehr politische Bildung für die Internationale Jugendarbeit

Qualifzierung ist gefragt

Internationale Jugendarbeit ist politisch. Nicht nur durch ihre Einbettung in bilaterale (Regierungs-)Abkommen sowie in die Jugend- und Außenpolitik, sondern auch, weil sie in vielfältiger Weise das Politische im Alltag berührt. In Zeiten, in denen populistische Strömungen an Zulauf gewinnen, Europa attackieren und autoritäre Regierungsformen im Aufschwung sind, stehen Austausch und Begegnung vor neuen Herausforderungen. Der Umgang damit setzt mehr Qualifizierung voraus.

17.08.2021 / Marie-Luise Dreber

Die Bundesregierung hat den 16. Kinder- und Jugendbericht unter das Thema „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter “ gestellt. Das Thema ist nicht zufällig gewählt. In Deutschland beobachten wir seit Jahren eine Zunahme von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien aller Art. Politiker*innen, Aktivist*innen aus der Zivilgesellschaft und Journalist*innen, die sich für eine vielfältige und offene Gesellschaft einsetzen, werden verbal bedroht – und nicht selten folgen den Worten auch Taten. In vielen Ländern der Welt – auch in Europa – erleben wir die Rückkehr autoritärer Regierungsformen, schrumpfende Gestaltungsräume für die Zivilgesellschaft sowie Bürger- und Menschenrechte, die zunehmend unter Druck geraten. Die Coronakrise hat diese Tendenzen noch verstärkt. Als Internationale Jugendarbeit kann uns das nicht kalt lassen, denn es berührt Kernziele unserer Arbeit und unserer Partnerschaften in aller Welt. Ebenso berührt es die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen für die und mit denen wir arbeiten. Wir wünschen ihnen, dass sie in einer globalisierten Welt ihren Platz als Europäer*innen und Weltbürger*innen finden. Weltbürgerschaft setzt jedoch Bürger- und Menschenrechte voraus sowie Bedingungen, unter denen alle für ihre Anliegen friedlich streiten können.

Internationale Jugendarbeit hat ein großes Potenzial zur Förderung demokratischer Bildung. Sie ermöglicht transnationale Bildungserfahrungen und damit das Erkennen internationaler Zusammenhänge. Durch ihre Einbettung in die nationale Jugendpolitik, die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sowie die europäische Jugendpolitik ist sie per Definition politisch und orientiert sich entsprechend an Zielen wie Frieden, Verständigung, Toleranz und der Beachtung von Menschenrechten. Der 16. Kinder- und Jugendbericht kommt daher zu folgender Feststellung:

Das Handlungsfeld der internationalen Jugendarbeit ist ein wichtiger Ermöglichungsraum für politische Bildungsprozesse. […] Damit stellt das Feld der internationalen Jugendarbeit auch strukturell eine wichtige Schnittstelle zum Arbeitsfeld der politischen Jugendbildung und zur Jugendverbandsarbeit dar.*

Die Betonung liegt dabei auf dem Begriff „Ermöglichungsraum“. Internationale Jugendarbeit kann politische Bildungsprozesse ermöglichen – aber es gibt keinen Automatismus, dass sie tatsächlich stattfinden. Rufen wir uns ein paar Dinge ins Gedächtnis. Bei politischer Bildung geht es um politische Urteils- und Handlungsfähigkeit, das Erlernen einer Diskussionskultur, die Stärkung von Toleranz, die Befähigung zu Kompromissen und zur Akzeptanz mehrheitlicher Entscheidungen unter Wahrung von Menschen- und Minderheitenrechten. Politische Bildung, Teilhabe und Engagement gehören zusammen. Sie zielt auf die Fähigkeit eigene Meinungen zu begründen und sich in einem demokratischen Gemeinwesen zu beteiligen und zu engagieren. Dies gehört gleichermaßen zu den Grundlagen Internationaler Jugendarbeit.

Der internationale Jugend- und Fachkräfteaustausch hat eine lange Tradition darin, Menschen und zivilgesellschaftliche Organisationen miteinander ins Gespräch zu bringen. Oft ist dies mit lang anhaltenden Partnerschaften, persönlichen Freundschaften und Solidarität in Krisensituationen verbunden. Manchmal stellen solche Partnerschaften sogar einen gewissen Schutz zivilgesellschaftlicher Akteure dar.

Shrinking spaces

Zunehmend müssen Träger der Internationalen Jugendarbeit jedoch die Erfahrung machen, dass Bildungsziele, die sich an Demokratie und Menschenrechten orientieren, im internationalen Jugend- und Fachkräfteaustausch nicht mehr erwünscht sind. Die Anzahl der Tabuthemen im Bereich von Bürger-, Menschen und Minderheitenrechten wächst ebenso wie bei den politisch-historischen Themen. Zivilgesellschaftliche Partner werden zum Teil von ihren Regierungen gezielt unter Druck gesetzt, ihre Rahmenbedingungen verschlechtern sich bis hin zu Delegitimierung oder gar Auflösung oder Selbstauflösung der Organisationen. Es bleibt nicht immer bei der staatlichen Verweigerung gegenüber kritischen Themen, auch unterschwellige Drohungen gegen deutsche Kooperationspartner im Austausch stehen bisweilen im Raum. Jugend- und Fachkräfteaustausch drohen damit, eine ihrer Kernbedingungen verlustig zu gehen: dem Austausch auf Augenhöhe. Augenhöhe setzt voraus, dass alle Beteiligten ihre Meinung offen aussprechen können.

Träger werden damit vor die Wahl gestellt, Partnerschaften zu beenden, sich die Haltung des Gegenübers zu eigen zu machen oder sich Vermeidungsstrategien zurechtzulegen, mit denen sie kritische Themen umschiffen. Letzteres kann in der „Kulturalisierung“ von Konfliktthemen bestehen – die Verletzung von Menschenrechten kann dann durch unterschiedliche „Kulturen“ erklärt werden – oder der Austausch wird gänzlich jedes Inhalts entleert. „Wir sind ja froh, wenn wir mit denen wenigstens noch Fußball spielen können“, sagte einmal ein Kollege. Politische Bildungszugewinne sind allerdings nicht zu erwarten, wenn jenseits des Fußballspiels keine Reflexion mehr stattfindet. Der 16. Kinder- und Jugendbericht kommt daher zu dieser Feststellung:

Der besondere Zugang zur politischen Bildung erfolgt im Arbeitsfeld der internationalen Jugendarbeit vor allem über das ständige Mitlaufen politischer Themen, die Möglichkeiten bieten, um politische Fragestellungen programmatisch aufzunehmen und gegenstandsbezogen zu bearbeiten oder aber anlassbezogen zu diskutieren. Allerdings sind auch hier erst die Reflexion der politischen Dimension und ihre pädagogische Begleitung die notwendigen Schlüssel, um solche Lernerfahrungen im Handlungsfeld der internationalen Jugendarbeit zu ermöglichen (vgl. Schwinning u. a. 2014; Becker 2020).**

Reflexion über politische Themen ist keine triviale Angelegenheit und verlangt Teamer*innen, Gruppenleiter*innen und allen, die Austausch und Begegnung pädagogisch begleiten, einiges ab. Sie müssen über landesspezifische politische Kenntnisse verfügen, um Situationen und Konflikte einschätzen zu können. Im Sinne eines Globalen Lernens müssen sie internationale Zusammenhänge deuten können. Und sie müssen in den täglichen Erlebnissen und Gesprächen das Politische erkennen und thematisieren, sie müssen in Vor- und Nachbereitung Gesprächsanlässe schaffen. Gefragt ist auch Fingerspitzengefühl: Wann ist ein Thema für die gesamte Gruppe geeignet, wann nur für die eigene und wann ist gegebenenfalls sogar der Punkt erreicht, an dem man den internationalen Partner in Gefahr bringt?

Aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik wissen wir, dass die Mehrheit der internationalen Austausche in Themenfeldern stattfindet, die gut für politische Bildungsprozesse geeignet sind. In welchem Umfang diese tatsächlich stattfinden, darüber wissen wir wenig. Es wäre die Aufgabe von Forschung, mehr darüber herauszufinden. Bisherige Studien und die unterschiedlichen Zielstellungen der Träger, legen jedoch den Gedanken nahe, dass Kenntnisse und Fertigkeiten ungleich verteilt sind. Das macht Qualifizierung zu einer drängenden Aufgabe und eine vertiefte strategische Bindung zwischen den Arbeitsfeldern Internationaler Jugendarbeit und politischer Bildung ebenso.

*16. Kinder- und Jugendbericht, S. 354
** 16. Kinder- und Jugendbericht, S. 355

Dieser Beitrag erschien im IJAB journal 1/2021.

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