Eine gruppe junger Menschen baut Metallrahmen Eine gruppe junger Menschen baut Metallrahmen
Freiwillige von BUR bauen einen „Youth Space“ in der westukrainischen Stadt Drohobytsch
Demokratie und Menschenrechte

„Junge Menschen sind mehr als nur User“

Die NGO BUR weitet ihr Engagement mitten im Krieg aus

BUR – Building Ukraine together – wurde gegründet, um die Menschen in der Ukraine einander näher zu bringen. Ihre Freiwilligen reparieren Häuser, die im Krieg zerstört wurden, und involvieren junge Menschen in das Gemeindeleben vor Ort. Dieses Engagement hat seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sogar noch zugenommen. Internationale Freiwillige sind willkommen.

28.03.2023 / Christian Herrmann

IJAB: Was macht BUR und wofür wurde die Organisation gegründet?

Oleksii Lavrynenko: BUR wurde 2014 gegründet und unterstützt Menschen, deren Häuser im Krieg zerstört oder beschädigt wurden. Unsere Freiwilligen stellen sie wieder her – ursprünglich nur im Donbas, der bereits in unserem Gründungsjahr von Russland angegriffen wurde, jetzt im ganzen Land. Das hat eine praktische Seite, aber auch eine, die darüber hinaus geht. Wir unterstützen damit den Dialog und die Kommunikation in der ukrainischen Gesellschaft. Ich selber habe 2016 als Freiwilliger bei BUR angefangen, seit 2018 arbeite ich als hauptamtlicher.

Olena Lupova: Ich bin seit 2019 dabei.

IJAB: Du hast den gesellschaftlichen Dialog angesprochen. Worum geht es dabei und inwiefern ist das als Beitrag zum Frieden zu verstehen?

Oleksii Lavrynenko: Unsere Gründer, Yurko Didula und Kolya Dorokhov, wollten eine neue Kultur des Dialogs etablieren. Yurko hat in den USA studiert und dabei erlebt, wie man Menschen zusammenbringen kann, zum Beispiel indem man die helfenden Hände anbietet, die gerade für bestimmte Aufgaben gebraucht werden. Das ist das, was wir mit unseren Freiwilligen-Camps tun. Du musst dir vorstellen, dass die ukrainische Gesellschaft nicht besonders mobil ist, die Menschen reisen nicht viel. Die Menschen aus dem Westen reisen nicht unbedingt in den Osten des Landes und umgekehrt. Das verfestigt Vorurteile übereinander, besonders im Osten, wo russische Medien lange wirksam waren. Mit unseren Freiwilligen-Camps wollen wir das aufbrechen.
Seit 2016 wird bei all unseren Freiwilligeneinsätzen nicht zwischen Kriegs- und Nicht-Kriegsgebieten unterschieden. Wir arbeiten mit allen, die bereit sind, Problemlösungen mit einem Bottom-up-Ansatz innerhalb der Gemeinschaft zu verbinden – mit Engagement, inspirierenden Menschen und Beteiligung an der Entscheidungsfindung –, und auch mit non-formaler Bildung und Service Learning. Alles, was wir in der Ukraine mit unseren Händen tun und einen praktischen Wert für die Gemeinschaften hat – egal, ob es sich um einen Wiederaufbauprozess in den Kriegsgebieten oder um einen Wertschöpfungsprozess handelt –, kombinieren wir immer mit nicht-formaler Bildung. Sie dient dazu, dass sich Menschen individuell und als Gruppe und Gemeinschaft weiterzuentwickeln, indem sie starke Bindungen und eine Kommunikationsdynamik schafft, die ihnen hilft, sich nach den BUR-Aktivitäten und über die BUR-Gemeinschaft hinaus zu entwickeln.

Olena Lupova: Ich komme aus Charkiw. Bis ich zu BUR kam, hatte ich keinen Kontakt zu Menschen im Westen der Ukraine. Aber ich suchte eine Möglichkeit, mit den Menschen dort in Kontakt zu kommen. Darum habe ich an einem Freiwilligen-Camp in Drohobych teilgenommen.

Mehr Freiwillige als üblich

IJAB: Was könnt ihr unter den Bedingungen des russischen Angriffskrieges überhaupt noch machen?

Olena Lupova: Wir haben unser diesjähriges Programm ganz regulär im April begonnen. Wir hatten keine Ahnung, ob das möglich sein würde oder nicht. Deshalb haben wir zunächst im Westen angefangen, in Drohobytsch und Iwano-Frankiwsk, wo die Situation sicherer ist als im Rest des Landes. Dort haben wir an Gebäuden gearbeitet, die der Stadtverwaltung gehören. In Drohobytsch haben wir zum Beispiel ein leerstehendes Studentenwohnheim für Flüchtlinge instandgesetzt und dabei auch einen Jugendclub eingerichtet. Wir haben auf die grundlegenden Sicherheitsvorkehrungen geachtet und sind zum Beispiel bei Luftalarm immer in den Luftschutzraum gegangen. Aber was sollten wir mit dem Osten und Norden tun? Nach dem Mai, nachdem die ukrainische Armee die ersten Gebiete befreien konnte, war uns klar, dass wir auch dorthin müssen. Junge Menschen wollen nicht herumsitzen, sie wollen etwas tun, sie wollen in den Osten. Wir haben erheblich mehr Anfragen von Freiwilligen bekommen als üblich. Viele schreiben uns, „lasst mich etwas tun“. Ein massives Problem sind allerdings die vielen Minen, die überall dort, wo Kampfhandlungen stattgefunden haben, herumliegen. Schon im März haben wir begonnen, unsere Kontakte in den Osten auszubauen und humanitäre Hilfsgüter in den Osten zu schicken. Manchmal mit der Post, aber auch mit der Unterstützung unserer Dachorganisation „Ukrainian Education Platform“, die über die nötigen Transporter und Fahrer verfügt. Es ging also erst mal um die dringendsten Grundbedürfnisse von Menschen.

IJAB: Kommen auch Freiwillige aus dem Ausland zu euch?

Oleksii Lavrynenko: Ja, durchaus. Vor allem, wenn es um die humanitäre Hilfe geht. Wir hatten in den letzten Monaten Freiwillige aus den USA, aus Polen und aus der Schweiz.

Olena Lupova: Einige kommen nicht nur, um zu helfen, sie bringen auch professionelle Fähigkeiten mit. Ein Freiwilliger aus der Schweiz hat zum Beispiel eines unserer Camps geleitet und professionelle Erfahrung mitgebracht.

Wie sicher sind die Freiwilligencamps?

IJAB: Auf eurer Webseite werbt ihr um Freiwillige aus dem Ausland. Die erste Frage, die sich aufdrängt, ist: Wie sicher ist ein freiwilliges Engagement in der Ukraine?

Olena Lupova: Das ist schwer zu sagen. Wir können keine hundertprozentige Sicherheit anbieten und weil das schwierig zu messen ist, können wir auch nicht sagen, zu wie viel Prozent es sicher ist. Ein großes Problem sind die vielen Minen. Deshalb arbeiten wir mit den Minenräumern und dem Katastrophenschutz zusammen. Wir gehen in die Gemeinden, in denen nach der Besatzung das Leben wieder zurückkehrt, wo es Wasser und Strom gibt. Es ist nicht nur der Osten, in dem es Risiken gibt. Die russischen Raketen treffen auch die Zentralukraine.

IJAB: Welche Hilfe aus dem Ausland könnt ihr gebrauchen?

Oleksii Lavrynenko: Wir brauchen etwas, das ich eine Kultur der Diplomatie nenne. Die Menschen müssen verstehen, dass die Ukraine kein Objekt ist, über das andere bestimmen können. Wir geben uns unsere eigenen Regeln. Kommt zu uns, zeigt uns, wie ihr lebt, und versteht, wie wir leben. Wir brauchen diese Verbindungen mit Menschen überall in der Welt. Wir brauchen Solidarität. In einigen Ländern ist das inzwischen verstanden worden, aber ob es für unsere Situation eine Wahrnehmung in Indien, China oder Brasilien gibt, weiß ich nicht.
Was die praktische Ebene angeht: Bringt Europa in die Ukraine und die Ukraine nach Europa. Wir müssen Institutionen aufbauen, wir müssen die Jugendarbeit entwickeln. Was praktische Dinge angeht, sind wir ziemlich gut. Manchmal schaue ich mir über Erasmus+ geförderte Austauschprogramme an. Ich wünsche mir einen gezielteren Austausch, bei dem Themen, die groß genug sind, um globale Werte und Prinzipien zu sein – wie zum Beispiel Frieden –, aufgeschlüsselt und auf Fähigkeiten und Kenntnisse zurückgeführt werden, die wir als aktive, verantwortungsvolle Bürger nutzen können. Dass wir einerseits globale Konzepte betrachten und überdenken können, aber gleichzeitig bereit, willens und mit exaktem Wissen darüber ausgestattet sind, wie man an einer lokalen Entscheidungsfindung teilnimmt, wie man eine Petitionskampagne erstellt und durchführt, wie man Internetmöglichkeiten nutzt, um die Demokratie von unten nach oben und horizontal zu beeinflussen. Wir könnten diese Aktionen während des Austauschs erproben und sofort an den realen Kontext und die Bedürfnisse anpassen. Wir brauchen Kommunikation, Austausch, Sprachkenntnisse, Zusammenarbeit. Europa steht uns dabei am nächsten.

„Wir wollen näher an die Kriegszone herankommen“

Olena Lupova: Wir hatten 2019 ein internationales Camp in Poltawa, an dem junge Menschen aus der Ukraine, der Türkei – Kurdistan – und Polen beteiligt waren. Wir haben gemerkt, dass wir die gleichen Probleme in unseren Ländern haben. Wie arbeiten wir als Organisationen? Wie können wir junge Menschen an Entscheidungen beteiligen? Wie schaffen wir Gemeinden, in denen wir nicht alles top-down funktioniert? Wie können wir Korruption bekämpfen? In der Türkei und Polen stellt man sich dieselben Fragen, wie in der Ukraine. Also können wir auch versuchen, darauf gemeinsame Antworten zu finden. Ich möchte, dass mehr junge Menschen aus Europa zu uns kommen, dass wir etwas entwickeln, das gut für uns alle ist. Junge Menschen sollen und wollen die Gesellschaft gemeinsam gestalten. Sie sind mehr als nur „User“.

IJAB: Was habt ihr als nächstes vor?

Olena Lupova: Wir möchten mit unserer Arbeit näher an die Kriegszone herankommen und mit den Menschen dort in Kontakt kommen. Bei einem Projekt, das wir begonnen haben, geht es um das reparieren von Fenstern, von denen viele bei Raketenangriffen oder den Beschuss durch Artillerie zu Bruch gegangen sind. Fenster sind teuer, nicht alle Menschen können es sich leisten, sie zu reparieren – und es ist Winter. Aus Schottland haben wir die Idee, wie man sie mit erheblich billigerem Plastik ersetzen kann. Das hilft zumindest für eine Weile, während die Leute auf die richtigen Fenster warten. Weil so viele Fenster repariert werden müssen, geht das nur mit der Unterstützung von Freiwilligen. Das bringt uns zu unserem Ausgangspunkt: Wie können wir Freiwillige gewinnen, wie können wir sie am Leben vor Ort beteiligen? Wir moderieren aus der Distanz und bauen Gruppen vor Ort auf. Wir glauben, dass das eine psychologische Wirkung auf die Menschen vor Ort hat – sie können selbst etwas tun. Das mag seltsam klingen, aber solche Unterstützung von außen ist wichtig. Viele dieser Menschen benutzen keine Online-Medien, um sich Know-how zugänglich zu machen – schon gar nicht in Fremdsprachen. Wir treten also direkt mit ihnen in Kontakt. So kommen wir näher an die Kriegszone und können helfen.

Mehr Informationen über BUR: https://www.bur.org.ua/en

Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
Über Demokratie und Menschenrechte

Internationale Jugendarbeit und jugendpolitische Zusammenarbeit versteht IJAB als Beitrag zur Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft und zur Förderung eines demokratischen Gemeinwesens.