Marija Bulat Marija Bulat
Marija Bulat
Demokratie und Menschenrechte

Es gibt nicht nur Konflikte auf dem Westbalkan

RYCO unterstützt die Kooperation der Zivilgesellschaften

RYCO wurde 2016 als Jugendwerk des Westbalkans gegründet, um zur friedlichen Entwicklung beizutragen und jungen Menschen eine gemeinsame Perspektive zu eröffnen. Wir haben Maija Bulat, die Leiterin des Belgrader Büros von RYCO, gefragt, welche Fortschritte dabei erzielt wurden.

18.04.2023 / Christian Herrmann

IJAB: Marija, wie gefährlich ist die Situation auf dem Balkan im Augenblick?

Marija Bulat: Eine Antwort auf diese Frage hängt von der Perspektive und dem lokalen Kontext ab. Das Leben in Konfliktzonen ist für die Betroffenen schwierig. Den Frieden aufzubauen ist immer noch eine Herausforderung, wir müssen mehr dafür tun. Einige Politiker*innen und deren Propaganda verschlechtern die Situation immer weiter. RYCO setzt sich für den Frieden ein, aber die Streitigkeiten zwischen Serbien und dem Kosovo beispielsweise haben auch Auswirkungen auf unsere Arbeit. In anderen Regionen des Balkans ist die Situation unverändert. Wir haben eine stabilere regionale Zusammenarbeit. Dabei helfen uns auch politische Initiativen, wie der Berlin-Prozess, der die Zusammenarbeit auf dem Westbalkan unterstützt, oder Open Balkans, die Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Albanien, Nordmazedonien und Serbien. Also, die Antwort auf deine Frage hängt davon ab, wen du fragst und wo du hinschaust.

IJAB: Als RYCO 2016 gegründet wurde, war das ein starkes Signal für den Frieden auf dem Balkan. Wie weit seid ihr als Organisation auf diesem Weg vorangekommen?

Marija Bulat: Die Gründung von RYCO war eine Selbstverpflichtung der beteiligten Regierungen für die Zusammenarbeit im Jugendbereich. Aber um ehrlich zu sein, nicht jede Regierung unterstützt das auf dem selben Niveau. Wir bekommen viel Unterstützung von Deutschland und Frankreich und das ist wichtig, damit unsere Regierungen diese Selbstverpflichtung weiterhin ernst nehmen. Seit 2016 sind wir ein großes Stück dabei vorangekommen, junge Menschen zusammenzubringen, ihnen Räume anzubieten, wo sie sich treffen und austauschen können, und sie dabei zu unterstützen, in der Region zusammenzuleben. Wir finanzieren Projekte der Zivilgesellschaft, haben ein Netzwerk von Schulen und Hochschulen aufgebaut und versuchen auch diejenigen anzusprechen, die bisher nicht an den Austauschen beteiligt waren und nichts von diesen Möglichkeiten wussten. Außerdem sprechen wir junge Unternehmer*innen an und versuchen sie davon zu überzeugen, in regionale Projekte zu investieren. Ein innerregionaler Freiwilligendienst ist ein weiteres Projekt, an dem wir gearbeitet haben.

„Jugend, Frieden und Sicherheit“ kommt auf die Agenda

IJAB: Welche Bedeutung hat die UN-Resolution zu „Jugend, Frieden und Sicherheit“ für euch und wie seht ihr die Rolle junger Menschen für den Frieden?

Marija Bulat: Tatsächlich planen wir, „Jugend, Frieden und Sicherheit“ in den kommenden Jahren auf die regionale Agenda zu setzen. Die Rolle junger Menschen für den Frieden ist entscheidend. Sie müssen bei allem, was sie betrifft, mitreden können und Frieden und Sicherheit sind eine ganz elementare Angelegenheit. Frieden ist auch nicht etwas, das einem einfach geschenkt wird, sondern man muss ihn aktiv aufbauen und nachhaltig machen, ihn gestalten. Deshalb bringen wir junge Menschen mit Entscheidungsträgern zusammen. Aber auch der informelle Austausch ist hilfreich. Wir konfrontieren junge Menschen mit ihren Perspektiven, und das hat eine langfristige Wirkung. Selbst wenn die Teilnehmer eines Austausches sich dessen nicht bewusst sind, tragen sie etwas zum Frieden bei. Ich erwähne das alles, weil es nicht um Phrasen wie "der Jugend gehört die Zukunft" geht, sondern darum, wie wir einander mit Respekt begegnen und uns als gleichberechtigte Bürger in der Gegenwart anerkennen können. Für junge Menschen ist es einfacher, eine Vision für die Zukunft zu entwickeln, da die jungen Generationen schon immer besser darin waren, Visionen zu entwickeln als die älteren Generationen. Wir sollten dieses Potenzial nutzen, aber den jungen Menschen auch Entscheidungsbefugnisse einräumen, sie lehren, viele Dinge zu hinterfragen und mehr Verantwortung zu übernehmen. Wenn sie das Gefühl haben, dass sie nicht machtlos sind, fangen sie an zu denken und etwas zu verändern, und sie fangen auch an, diejenigen, die Machtpositionen innehaben, zur Verantwortung zu ziehen. Aus diesem Grund arbeiten wir an einer Agenda für "Jugend, Frieden und Sicherheit" auf dem Balkan. Einerseits wollen wir eine Plattform für grenzüberschreitende Koalitionen aufbauen, andererseits müssen wir auch lokale Aspekte berücksichtigen. Dazu arbeiten wir in Serbien zum Beispiel mit dem Nationalen Jugendrat zusammen, der die Jugendorganisationen in Serbien vereint. Wir werden jungen Menschen den Raum bieten, sich zum Thema "Jugend, Frieden und Sicherheit" zu treffen und auszutauschen, ohne dass wir ihnen etwas von außen aufzwingen. In den nächsten Jahren wird dies konkrete Formen annehmen und sichtbarer werden.

Die Erinnerung an den Krieg ist auch nach 30 Jahren noch da

IJAB: Wie stark ist die Erinnerung an die Kriege, die auf das Auseinanderfallen Jugoslawiens folgten, nach 30 Jahren noch und welche Rolle spielt das für eure Arbeit?

Marija Bulat: In den westlichen Balkanländern gibt es keinen einheitlichen Ansatz für das Gedenken. Die Erinnerung an den Krieg ist wahrscheinlich in Bosnien-Herzegowina am stärksten, weil die Menschen dort am härtesten betroffen waren und sie immer noch in einer geteilten Gesellschaft leben. Es ist praktisch unmöglich, miteinander zu reden, ohne auch über den Krieg und seine Folgen zu sprechen. Das ist wirklich ein sensibler Bereich. Das spüren wir zum Beispiel bei der Vorbereitung von Veranstaltungen in Bosnien-Herzegowina. Wen sollen wir einladen und wer könnte sich ausgeschlossen fühlen? Wie können wir die Menschen zusammenbringen und wann laufen wir Gefahr, sie zu spalten? Auch im Kosovo ist die Erinnerung sehr präsent. In Serbien ist dies weniger der Fall. Hier gibt es leider immer noch Menschen, die das Massaker von Srebrenica nicht als Völkermord ansehen und die Kriegsverbrecher nicht als Kriegsverbrecher bezeichnen wollen. Es ist wohl der Trend der Zeit, dass Nationalisten immer mehr Raum bekommen – nicht nur in Serbien. Der Krieg gegen die Ukraine zeigt das leider deutlich. Junge Menschen lesen, sehen und hören natürlich auch, was und wie die Medien hier berichten. Wir versuchen, Räume zu schaffen, in denen sie nicht einer einseitigen Propaganda ausgesetzt sind.
Übrigens hat der Krieg gegen die Ukraine auf dem Balkan alte Wunden aufgerissen und auch Auswirkungen auf unsere Arbeit gehabt. Als der Krieg begann, hatten wir mehrere Austauschprogramme geplant und erhielten dann besorgte Anrufe von Eltern, ob ein Austausch mit Serbien sicher sei. Sie wollten ihre Kinder nicht schicken. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Serbien keine klare Position zu dem Angriff auf die Ukraine bezogen hat. Das schürt alte Ängste. Ja, auch nach 30 Jahren ist der Krieg noch da.
Wir sagen immer: Erinnern wir uns, aber tun wir es auf eine konstruktive Art und Weise. Deshalb schauen wir uns auch an, wie andere Länder mit der Vergangenheit umgehen – Deutschland und Frankreich zum Beispiel. Auch dort ist Versöhnung möglich gewesen, und das ist für uns eine beständige Inspiration.

Mehr Informationen zu RYCO: https://www.rycowb.org/

Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
Über Demokratie und Menschenrechte

Internationale Jugendarbeit und jugendpolitische Zusammenarbeit versteht IJAB als Beitrag zur Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft und zur Förderung eines demokratischen Gemeinwesens.