Ein Mann steht an einem Rednerpult und spricht. Ein Mann steht an einem Rednerpult und spricht.
Robert Helm-Pleuger von Eurodesk Deutschland
Eurodesk

Die Stimmung in der Gruppe spüren

Erfahrungen mit Online-Seminaren

Die Coronakrise zwingt viele Organisationen, ihre Seminare auf Online-Angebote umzustellen. Was sind die Vor- und Nachteile eines Formats, zu dem viele noch Erfahrungen sammeln müssen? Wir haben mit Robert Helm-Pleuger von Eurodesk Deutschland bei IJAB darüber gesprochen.

24.06.2020 / Christian Herrmann

ijab.de: Robert, Eurodesk führt regelmäßig Workshops mit Förderinformationen zu internationaler Moblität durch. Was genau macht ihr da?

Robert Helm-Pleuger: Wir beraten Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe und natürlich auch die Träger zur ganzen Palette der Fördermöglichkeiten für internationale Projekte. Das heißt, wir erklären ihnen das Jugendprogramm von Erasmus+, den Kinder- und Jugendplan des Bundes, das Europäische Solidaritätskorps, die Förderung durch Stiftungen und Jugendwerke oder was durch Fundraising möglich ist. Dabei erfahren sie auch, was gefördert wird und wie die Antragsverfahren aussehen. Häufig ist das eine Ein-Mann-Show. Ein Referent – meistens ich – erklärt das alles. Das hat sich jetzt in den Online-Workshops geändert.

ijab.de: Was ist anders geworden?

Robert Helm-Pleuger: Wir haben Gäste, die ihre Förderlinien selbst vorstellen können. Ein Kollege vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk erklärt, wie die Jugendwerke fördern, oder eine Kollegin von JUGEND für Europa erzählt, was es mit dem Europäischen Solidaritätskorps auf sich hat. So viele Referentinnen und Referenten hätten wir früher gar nicht an irgendeinen Ort in der Republik bringen können. Es ist schlicht eine Zeit- und Ressourcenfrage. Jetzt können wir sie einfach per Zoom dazuschalten.

Ich erlebe das als großen Gewinn. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern setzt es die Hürden herunter, Fragen zu stellen. Und sie bekommen einen Erstkontakt zu einer Förderinstitution, der bei der Antragstellung hilfreich sein kann.

ijab.de: Wie viele nahmen in der Vergangenheit an Förderworkshops teil und wie viele sind es bei eurem Online-Angebot?

Robert Helm-Pleuger: Wir haben eine Mindestteilnehmerzahl von 8 Personen für uns definiert, damit sich der Aufwand lohnt, und eine maximale Gruppengröße von 16 Personen, damit auch alle zu Wort kommen können. Das ist bei den Online-Förderworkshops nicht anders. Allerdings sind online nicht immer alle dabei, denn wir haben das Online-Format auf 6 Termine von jeweils 2 Stunden angelegt. Das hat Vor- und Nachteile. Einerseits ermöglicht es eine flexible Teilnahme, andererseits müssen wir sicherstellen, dass alle auch alles mitbekommen. Wir haben das dann so gelöst, dass wir die einzelnen Sitzungen aufgezeichnet und zur Verfügung gestellt haben.

ijab.de: Welche positiven Effekte beobachtest du noch?

Robert Helm-Pleuger: Die angesprochene Flexibilität ist ein wichtiger Fortschritt, denn sie ermöglicht uns Zugänge zu neuen Zielgruppen. Viele können nicht einfach zu einer zweitägigen Fortbildung reisen, online ist ihnen aber die Teilnahme möglich. Besonders aus den Kommunen haben uns viele Nachfragen erreicht. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Teile der kommunalen Jugendarbeit immer noch brachliegen und die Kolleginnen und Kollegen Zeit haben, die sie für Fortbildungen nutzen.

Ich erlebe die gegenwärtige Situation aber auch als großen Kompetenzzugewinn – sowohl persönlich, als auch in meinem Team und meiner Organisation. Hättest du mich vor 3 Monaten gefragt, wie man mit Zoom ein Seminar anbietet und leitet, hätte ich dir einen Vogel gezeigt. Jetzt können wir das und es ermutigt uns, neue Methoden auszuprobieren. Wir bieten jetzt zum Beispiel innerhalb der Workshops auch Kleingruppenarbeit an.

Das sind Dinge, die wir auch für die Zeit nach Corona mitnehmen können. Sicher werden wir in der Zukunft nicht unsere gesamte Beratung auf Online-Formate umstellen, aber sie sind eine sehr sinnvolle Ergänzung, die wir beibehalten möchten.

ijab.de: Hast du auch negative Erfahrungen gemacht?

Robert Helm-Pleuger: Mir fällt es online schwerer, die Stimmung in einer Gruppe zu spüren, weil viel von unserer gewohnten non-verbalen Kommunikation wegfällt. Bei einem unserer Workshops ist es mir zum ersten Mal passiert – und ich leite seit rund 15, 20 Jahren Seminare –, dass mir jemand zurückmeldete „ich habe nichts gelernt“. Da musste ich erst mal schlucken. Wären wir alle in einem Raum gewesen, hätte ich mit Sicherheit gemerkt, dass etwas nicht stimmt und hätte die Person darauf angesprochen. Deshalb werden Online-Angebote nie ein hundertprozentiger Ersatz sein können.

ijab.de: Haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer spezifische Fragen, die sich aus der Coronakrise ergeben?

Robert Helm-Pleuger: Viele möchten natürlich wissen, ob es jetzt eine Extra-Förderung für „Coronaprojekte“ gibt, also zum Beispiel solche, die online stattfinden. Bei den großen Fördergebern geht das natürlich nur ganz begrenzt, denn die ändern ihre Richtlinien nicht so schnell. Ich weiß aber, dass zum Beispiel das Deutsch-Polnische Jugendwerk einige Projekte bewilligt hat und wir verweisen zum Beispiel auf die Aktion Mensch und die Stiftungen der Sparkassen, denn dort gibt es tatsächlich solche Mittel.

Wir fragen uns eher, was wir überhaupt noch guten Gewissens empfehlen können. Wir sehen, dass in Europa die Grenzen wieder aufgehen, aber wir sind natürlich noch weit, weit von der früheren Normalität entfernt. Wir können auch nicht sagen, ob uns bald eine zweite und dritte Infektionswelle droht und neigen daher dazu, Kurzzeitprojekte zu empfehlen.

ijab.de: Haben denn eure Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen bestimmten Zeithorizont im Sinn? Wann glauben sie, das bei euch erworbene Wissen anwenden zu können?

Robert Helm-Pleuger: Das ist schwer zu sagen. Im Augenblick bereiten sie sich eben mit Fortbildungen auf die Zeit nach Corona vor. Wir merken jedenfalls, dass die Nachfrage nach Informationen ganz deutlich gesunken ist. Das spüren wir vor allem bei Broschüren und Info-Flyern – da ist in den letzten Wochen kaum was rausgegangen. Normalerweise gehen wir täglich in den Keller, um Nachschub für den Versand zu holen. Seit ein paar Tagen ist der Aufzug defekt – das haben wir überhaupt nicht gemerkt.

Außerdem: Die meisten Kommunen und auch die Jugendverbände und andere Träger der Kinder- und Jugendhilfe planen nicht als Erstes einen internationalen Austausch für die Zeit nach Corona. Die werden alle Hände voll zu tun haben, ihre lokalen Strukturen wieder ans Laufen zu kriegen. Ich fürchte, dass in der Zwischenzeit viel von dem Bewusstsein, warum wir internationalen Austausch brauchen, kaputt gehen wird. Zudem wird uns auf lange Frist eine diffuse Angst vor dem Reisen begleiten. Auch jetzt, wo die europäischen Grenzen wieder offen sind, sind die Menschen sehr zurückhaltend, was Auslandsaufenthalte betrifft. Die ganze Reisebranche bekommt das zu spüren. Wir können uns schon jetzt mit der Frage beschäftigen, wie wir ein Bewusstsein für die Bedeutung Internationaler Jugendarbeit wiederaufbauen wollen.

INT 4.0 – Namensnennung CC BY 4.0
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