Was glauben Sie, warum sind die USA nach wie vor eines der beliebtesten Länder für den internationalen Schüler*innenaustausch?
Rüdiger Muermann: Die USA sind in den Köpfen der Jugendlichen weltweit sehr präsent. Durch Filmformate, Serien und Musik kommen auch deutsche Jugendliche von klein auf mit der amerikanischen Kultur regelmäßig in Kontakt. Dadurch entstehen besonders in Bezug auf die USA Teenager-Träume, wie beispielsweise einmal im Leben ein typisch-amerikanisches High-School-Jahr zu erleben. Hinzu kommt, dass der deutsch-amerikanische Schüler*innenaustausch in beiden Ländern durch verschiedene Programme schon seit vielen Jahren gefördert wird. Ein Beispiel dafür ist das Parlamentarische Patenschafts-Programm, über das seit 1983 deutsch-amerikanischer Austausch durch das Stipendium des Bundestags und des amerikanischen Kongresses ermöglicht wird.
Unzählige amerikanische Familien haben bereits Schüler*innen aus Deutschland bei sich aufgenommen. Was motiviert amerikanische Familien, deutsche Gäste in ihrer Familie willkommen zu heißen?
Bettina Wiedmann: Ich glaube, zunächst einmal ist es so, dass US-amerikanische Familien generell einfach offen sind dafür, jemanden in der eigenen Familie aufzunehmen. Sie haben außerdem ein großes Interesse daran, die eigene Kultur mit anderen Menschen zu teilen. Etwas, was uns Deutschen eher fremd ist, was aber in den USA sehr ausgeprägt ist, ist Patriotismus. Damit einhergehend ist ein unglaublicher Stolz auf das eigene Land und die eigene Kultur, weshalb man ein Interesse daran hat, andere Menschen daran teilhaben zu lassen. Gleichzeitig haben viele amerikanische Familien aber auch Lust, eine andere Kultur kennenzulernen. Da die USA ein so großes Land sind, ist es für US-Amerikaner*innen nicht selbstverständlich, international zu verreisen. Urlaub wird vor allem im eigenen Land gemacht, und wenn man nicht gerade an den Außengrenzen lebt, hat man häufig wenig Kontakt zu Kulturen außerhalb der USA. Austauschschüler*innen bei sich aufzunehmen ist da ein vergleichsweise einfacher Weg, eine andere Kultur kennenzulernen.
Rüdiger Muermann: Ja, die Hauptmotivation vieler Gastfamilien ist der große Wunsch nach interkulturellem Austausch und nach einem Blick über den Tellerrand. Einige der Familien haben auch selbst deutsche Wurzeln und freuen sich auf die Gelegenheit, diese näher kennenzulernen, indem sie eine*n deutsche Austauschschüler*innen aufnehmen.
Warum sollten deutsche Familien auch Schüler*innen aus den USA bei sich aufnehmen?
Rüdiger Muermann: Viele unserer ehrenamtlichen Gastfamilien berichten, dass es eine besondere Wirkung auf das Familienleben haben kann, Schüler*innen aus anderen Kulturen für einen längeren Zeitraum als Familienmitglied zu integrieren. Oft werden die eigenen Familienstrukturen noch einmal neu gedacht und erfunden! Das Heraustreten aus der eigenen Komfortzone lockert familiäre Rituale auf und öffnet nicht selten Zugänge zu ganz neuen Blickwinkeln auf die Welt. Für Gastfamilien ist das Aufnehmen von Gastschüler*innengelebte interkulturelle Verständigung, die Vorurteile in den Köpfen abbaut und den Grundstein für eine offene Völkergemeinde legt.
Bettina Wiedmann: All dies kann ich aus unserer eigenen Erfahrung als Gastfamilie definitiv bestätigen. Ich würde sogar noch weitergehen und sagen, dass es gerade auch deshalb sehr interessant sein kann, ein Familienmitglied auf Zeit aus den USA bei sich aufzunehmen, weil wir aufgrund der Medien alle glauben, dass wir die USA gut kennen. Aber die USA sind so viel mehr als McDonald´s und Basketball, als Trump und Obama. Die USA sind ein sehr facettenreiches Land, von dem wir oft einen ganz bestimmten, durch die Medien vorgeformten, Eindruck haben und uns deshalb eine Meinung bilden. Ich glaube, es würde uns allen guttun, einmal eine*n Austauschschüler*in aus den USA bei uns aufzunehmen. Das kann helfen, dieses Land besser zu verstehen und gerade auch dort, wo die Meinungen unterschiedlich sind, die Perspektive der Anderen zumindest nachzuvollziehen, wenn auch nicht zu übernehmen.
Die USA haben in den vergangenen Jahren einige Veränderungen durchgemacht und innenpolitische Herausforderungen bestehen müssen. Merken Sie davon etwas in Ihrer Arbeit bzw. in der Zusammenarbeit mit amerikanischen Partnerorganisationen?
Rüdiger Muermann: Die innenpolitischen Herausforderungen der USA haben sich nicht maßgeblich auf die Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen ausgewirkt. Für unsere Austauschschüler*innen haben sich dadurch allerdings viele spannende Erfahrungen ergeben. 2020 zum Beispiel hatten wir in Texas einen unserer Schüler platziert, der zudem politisch sehr interessiert war. Da er mit der Unterstützung eines unserer Stipendien in den USA war, hatte er die Aufgabe Erfahrungsberichte zu schreiben, die er dann auch sehr interessant gestaltete. Er schrieb zum Beispiel über die amerikanische Wahl und seine Perspektive als deutscher Austauschschüler in Texas. Seine Erfahrungen haben ihm einige neue Perspektiven aufgezeigt und ihm vermittelt, wie wichtig Schüleraustausch ist.
Sie haben natürlich viel Kontakt zu Kolleg*innen in den USA, welche Herausforderungen bringt diese transatlantische Zusammenarbeit mit sich? Gibt es manchmal interkulturelle Hürden zu überwinden?
Bettina Wiedmann: Ich glaube, dass es keine Zusammenarbeit gibt, in der nicht auch einmal Konflikte und Herausforderungen entstehen. Konflikte sind ja per se nichts Schlechtes, sondern es geht zunächst einmal um unterschiedliche Interessen. Wenn dann noch interkulturelle Eigenheiten dazukommen, braucht man oft etwasmehr Geduld, um den Konflikt zu lösen.
Wirklich interessant, und manchmal beinahe komisch, wird es, wenn beide Seiten interkulturell geschult sind und versuchen, sich an die andere Seite anzupassen. Dann kommuniziert die US-amerikanische Seite auf einmal in deutscher Direktheit und die deutsche Seite redet zunächst über das Wetter … und irgendwann trifft man sich dann doch wieder in der Mitte und versucht, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten passt.
Im Endeffekt ist es in der Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen Partnerorganisationen wie im transatlantischen Schüler*innenaustausch: Wenn man sich persönlich kennenlernt und sich auf der menschlichen Ebene auf Augenhöhe begegnet, dann kann man alle Konflikte aus dem Weg räumen und findet Möglichkeiten, die gegensätzlichen Interessen auf einen Nenner zu bringen. Und genau das wollen wir mit unserer Arbeit fördern.