Eine junge Frau und ein Mädchen bei einem Football-Spiel in einem Stadion in den USA. Eine junge Frau und ein Mädchen bei einem Football-Spiel in einem Stadion in den USA.
USA-Special 2022

Austausch und ein Blick über den Tellerrand

Schüleraustausch

Im Gespräch mit Bettina Wiedmann und Rüdiger Muermann von den gemeinnützigen Austauschorganisationen Experiment und Partnership International.

24.02.2022

Internationaler Schüler*innenaustausch – warum brennen Sie für das Thema?

Rüdiger Muermann: Pünktlich zum Ende der Rassen­trennung und zur ersten demokratischen Wahl verbrach­te ich 1994 über den Rotary Jugenddienst Deutschland e. V. einen 6-wöchigen reziproken Austausch in Johannes­burg, Südafrika. Auch, wenn dieses Format recht kurz im Vergleich zu einem akademischen Jahresaustausch war, war er für mich sehr prägend. Fortan bestimmten ver­schiedene Austausch- und Auslandsformate mein Leben. Vom Sprachenurlaub in England, Frankreich und Spanien, über die Erfahrung, Gastbruder zu sein oder Klassenka­merad von Gästen aus Südamerika, studierte ich schließ­lich für ein Jahr in Melbourne, Australien, und machte so einige interessante Erfahrungen.

Über die Jahre weckten diese Erlebnisse mein Interesse an fremden Kulturen und politischem Austausch, so dass ich mit Begeisterung seit 2005 für den gemeinnüt­zigen Verein Partnership International e. V. arbeite und meinen Beitrag für Frieden und Im-Dialog-Bleiben leiste.

Nichts ist zu vergleichen mit einem Schulbesuch und einem Leben in einer anfangs fremden Gastfamilie. Es ist für mich und meine Kolleginnen und Kollegen immer wieder faszinierend, wie sich junge Menschen während und auch nach ihrem Austausch entwickeln, denn die im Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch ange­siedelten Organisationen begleiten ihre Schüler*innen vor, während und nach ihrem Austauschjahr. Sie bieten durch ihre Vereinsstruktur eine Möglichkeit, sich ehren­amtlich zu engagieren und selbst einen akti­ven Beitrag für zivilge­sellschaftliches Enga­gement zu leisten.

Bettina Wiedmann: Ich kann das, was Herr Muermann sagt, zu 100 % unterstreichen. Auch bei mir waren es die eigenen Austauscherfahrun­gen, die meine Leidenschaft für das Thema geweckt haben. Angefangen hat meine „Austauschkarriere“ mit einem zweiwöchigen Austausch in Großbritannien, auf den dann ein dreiwöchiger Austausch im Rahmen einer Städtepartnerschaft mit einer Gastfamilie in Peoria, Illinois, folgte. Nach diesen drei Wochen in den USA war für mich klar, dass ich unbedingt für ein Schuljahr in die USA wollte. Ich hatte dann das große Glück, bei einer ganz tollen Gastfamilie in Arlington, Virginia, zu landen, mit denen ich heute noch in Kontakt bin.

Neben meinen Erfahrungen als Teilnehmerin sind es aber vor allem auch unsere Erfahrungen als Gastfamilie für Schüler*innen aus den USA und Brasilien, die nicht nur mich, sondern meine ganze Familie enorm geprägt haben und immer noch prägen.

Ich bin froh, dass ich in meiner alltäglichen Arbeit den interkulturellen Austauschgedanken, der mich selbst so sehr geprägt hat, weitertragen kann. Interessanterweise sind die Ursprünge von Experiment e. V. in den USA, denn Donald B. Watt, unser Gründer, brannte schon 1932 für den Kulturaustausch zwischen den USA und Deutschland und legte damit den Grundstein für die älteste, gemein­nützige Austauschorganisation Deutschlands.

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Was glauben Sie, warum sind die USA nach wie vor eines der beliebtesten Länder für den internationalen Schüler*innenaustausch?

Rüdiger Muermann: Die USA sind in den Köpfen der Jugendlichen weltweit sehr präsent. Durch Filmformate, Serien und Musik kommen auch deutsche Jugendliche von klein auf mit der amerikanischen Kultur regelmäßig in Kontakt. Dadurch entstehen besonders in Bezug auf die USA Teenager-Träume, wie beispielsweise einmal im Leben ein typisch-amerikanisches High-School-Jahr zu erleben. Hinzu kommt, dass der deutsch-amerikanische Schüler*innenaustausch in beiden Ländern durch ver­schiedene Programme schon seit vielen Jahren gefördert wird. Ein Beispiel dafür ist das Parlamentarische Paten­schafts-Programm, über das seit 1983 deutsch-amerika­nischer Austausch durch das Stipendium des Bundestags und des amerikanischen Kongresses ermöglicht wird.

Unzählige amerikanische Familien haben bereits Schüler*innen aus Deutschland bei sich auf­genommen. Was motiviert amerikanische Familien, deutsche Gäste in ihrer Familie willkommen zu hei­ßen?

Bettina Wiedmann: Ich glaube, zunächst einmal ist es so, dass US-amerikanische Familien generell einfach offen sind dafür, jemanden in der eigenen Familie auf­zunehmen. Sie haben außerdem ein großes Interesse daran, die eigene Kultur mit anderen Menschen zu tei­len. Etwas, was uns Deutschen eher fremd ist, was aber in den USA sehr ausgeprägt ist, ist Patriotismus. Damit einhergehend ist ein unglaublicher Stolz auf das eige­ne Land und die eigene Kultur, weshalb man ein Inter­esse daran hat, andere Menschen daran teilhaben zu lassen. Gleichzeitig haben viele amerikanische Familien aber auch Lust, eine andere Kultur kennenzulernen. Da die USA ein so großes Land sind, ist es für US-Amerika­ner*innen nicht selbstverständlich, international zu ver­reisen. Urlaub wird vor allem im eigenen Land gemacht, und wenn man nicht gerade an den Außengrenzen lebt, hat man häufig wenig Kontakt zu Kulturen außerhalb der USA. Austauschschüler*innen bei sich aufzunehmen ist da ein vergleichsweise einfacher Weg, eine andere Kultur kennenzulernen.

Rüdiger Muermann: Ja, die Hauptmotivation vieler Gast­familien ist der große Wunsch nach interkulturellem Aus­tausch und nach einem Blick über den Tellerrand. Einige der Familien haben auch selbst deutsche Wurzeln und freuen sich auf die Gelegenheit, diese näher kennenzu­lernen, indem sie eine*n deutsche Austauschschüler*in­nen aufnehmen.

Warum sollten deutsche Familien auch Schüler*innen aus den USA bei sich aufnehmen?

Rüdiger Muermann: Viele unserer ehrenamtlichen Gastfamilien berichten, dass es eine besondere Wir­kung auf das Familienleben haben kann, Schüler*innen aus anderen Kulturen für einen längeren Zeitraum als Familienmitglied zu integrieren. Oft werden die eige­nen Familienstrukturen noch einmal neu gedacht und erfunden! Das Heraustreten aus der eigenen Komfort­zone lockert familiäre Rituale auf und öffnet nicht selten Zugänge zu ganz neuen Blickwinkeln auf die Welt. Für Gastfamilien ist das Aufnehmen von Gastschüler*innen­gelebte interkulturelle Verständigung, die Vorurteile in den Köpfen abbaut und den Grundstein für eine offene Völkergemeinde legt.

Bettina Wiedmann: All dies kann ich aus unserer eige­nen Erfahrung als Gastfamilie definitiv bestätigen. Ich würde sogar noch weitergehen und sagen, dass es gera­de auch deshalb sehr interessant sein kann, ein Familien­mitglied auf Zeit aus den USA bei sich aufzunehmen, weil wir aufgrund der Medien alle glauben, dass wir die USA gut kennen. Aber die USA sind so viel mehr als McDo­nald´s und Basketball, als Trump und Obama. Die USA sind ein sehr facettenreiches Land, von dem wir oft einen ganz bestimmten, durch die Medien vorgeformten, Ein­druck haben und uns deshalb eine Meinung bilden. Ich glaube, es würde uns allen guttun, einmal eine*n Aus­tauschschüler*in aus den USA bei uns aufzunehmen. Das kann helfen, dieses Land besser zu verstehen und gerade auch dort, wo die Meinungen unterschiedlich sind, die Perspektive der Anderen zumindest nachzuvoll­ziehen, wenn auch nicht zu übernehmen.

Die USA haben in den vergangenen Jahren einige Veränderungen durchgemacht und innenpolitische Herausforderungen bestehen müssen. Merken Sie davon etwas in Ihrer Arbeit bzw. in der Zusammen­arbeit mit amerikanischen Partnerorganisationen?

Rüdiger Muermann: Die innenpolitischen Herausfor­derungen der USA haben sich nicht maßgeblich auf die Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen ausgewirkt. Für unsere Austauschschüler*innen haben sich dadurch allerdings viele spannende Erfahrungen ergeben. 2020 zum Beispiel hatten wir in Texas einen unserer Schüler platziert, der zudem politisch sehr in­teressiert war. Da er mit der Unterstützung eines unse­rer Stipendien in den USA war, hatte er die Aufgabe Er­fahrungsberichte zu schreiben, die er dann auch sehr interessant gestaltete. Er schrieb zum Beispiel über die amerikanische Wahl und seine Perspektive als deutscher Austauschschüler in Texas. Seine Erfahrungen haben ihm einige neue Perspektiven aufgezeigt und ihm vermit­telt, wie wichtig Schüleraustausch ist.

Sie haben natürlich viel Kontakt zu Kol­leg*innen in den USA, welche Heraus­forderungen bringt diese transatlantische Zusammenarbeit mit sich? Gibt es manch­mal interkulturelle Hürden zu überwinden?

Bettina Wiedmann: Ich glaube, dass es keine Zusammenarbeit gibt, in der nicht auch einmal Konflikte und Herausforderungen entstehen. Konflikte sind ja per se nichts Schlechtes, son­dern es geht zunächst einmal um unterschiedliche Interessen. Wenn dann noch interkulturelle Eigenheiten dazukommen, braucht man oft etwasmehr Geduld, um den Konflikt zu lösen.

Wirklich interessant, und manchmal beinahe ko­misch, wird es, wenn beide Seiten interkulturell geschult sind und versuchen, sich an die andere Seite anzupassen. Dann kommuniziert die US-amerikanische Seite auf einmal in deutscher Di­rektheit und die deutsche Seite redet zunächst über das Wetter … und irgendwann trifft man sich dann doch wieder in der Mitte und versucht, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten passt.

Im Endeffekt ist es in der Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen Partnerorganisationen wie im trans­atlantischen Schüler*innenaustausch: Wenn man sich persönlich kennenlernt und sich auf der menschlichen Ebene auf Augenhöhe begegnet, dann kann man alle Konflikte aus dem Weg räumen und findet Möglich­keiten, die gegensätzlichen Interessen auf einen Nen­ner zu bringen. Und genau das wollen wir mit unserer Arbeit fördern.

Experiment im Netz
www.experiment-ev.de/
Partnership International im Netz
www.partnership.de

Zu den Gesprächspartner*innen: Bettina Wiedmann ist Geschäftsführerin bei Experiment e. V. und Rüdiger Muermann ist Teil der Geschäftsführung bei Partnership International e. V. Beide Organisationen sind Mitlieder bei AJA, dem Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch.

Ein Junge auf einem Fahrrad und ein laufendes Mädchen mit US-Flaggen
USA-Special 2022:Beiträge
Deutsch-US-amerikanischer Jugendaustausch

Die Autor*innen und Interviewpartner*innen im USA-Special zeigen, dass sich ein transatlantischer Austausch für alle Beteiligten lohnt, allen voran für Jugendliche.

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USA-Special 2022

Mit dem „USA-Special“ ist im Frühjahr 2022 die erste IJAB-Publikation mit einem deutsch-US-amerikanischen Schwerpunkt erschienen, die bestehende Partnerschaften, erfolgreiche Projekte und Themen im transatlantischen Austausch darstellt und aufbereitet.

Ansprechpersonen
Elena Neu
Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-105
Julia Weber
Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit / Sachbearbeitung
Tel.: 0228 9506-165