Ambassadors in Sneakers ist ein vierwöchiges Studienprogramm für je zwölf Jugendgemeinderät*innen im Alter von 16 bis 20 Jahren aus Deutschland und den USA. Der thematische Fokus liegt auf den Menschenrechten, vor deren Hintergrund Kenntnisse über die politischen Strukturen beider Länder sowie die transatlantischen Beziehungen vermittelt werden. Auf gemeinsamen Reisen in Deutschland und den USA lernen die Jugendlichen Orte und Institutionen kennen, die für die Entwicklung und Verteidigung der Menschenrechte von besonderer Bedeutung sind, und vergleichen unterschiedliche Formen der Jugendbeteiligung.
Neuer Blick auf die eigene Geschichte
In Leipzig fing der interkulturelle Austausch an, noch bevor Team USA überhaupt eintraf. Team GERMANY bestand aus vier Teilnehmer*innen aus Sachsen sowie acht Baden-Württemberger*innen, von denen viele, inklusive mir, zuvor noch nie „im Osten“ gewesen waren. An Dingen wie der sinkenden Bevölkerungsdichte merkte ich, dass ein Stück Mauer irgendwie immer noch steht – und an unserem Schubladendenken von „dem Osten“ merkte ich, dass dies vor allem in unseren Köpfen der Fall ist. Das ein oder andere Vorurteil gab es also zunächst schon, aber im Endeffekt war die Stadt gar nicht so anders – eben geprägt von ihrer einzigartigen und manchmal auch tragischen Geschichte.
Mein Highlight in Leipzig war das Museum in der „Runden Ecke“. In der ehemaligen Stasi-Zentrale ist schon seit 1990 ein Museum, in dem man noch originale Ausstattung vorfindet. Das sorgt für eine authentische, fast schon unangenehme Atmosphäre und zeigt eindrücklich die Methoden der Stasi. Ich musste daran denken, wie entspannt ich oft mit meinen Daten im Internet umgehe. Die Technik-Unternehmen, die zum Großteil in Bildungden USA sitzen, sind bestimmt nicht mit der Stasi zu vergleichen, aber mir wurde vor Augen geführt, wie viel Macht Datenbesitz bedeutet.
Kurze Nächte, lange Gespräche und ein Stückchen USA mitten in Berlin
Zweiter Stopp: Berlin. Ob US-Botschaft, Konzentrationslager Sachsenhausen, Jüdisches Museum – unser Programm gab Anlass für viele Diskussionen. So wurden die abendlichen Gespräche in Berlin immer länger und die Nächte kürzer. „Durch die EU ist Deutschland uns einfach einige Schritte voraus“, fasste ein amerikanischer Jugendlicher eines Abends den Zustand Deutschlands aus seiner Sicht zusammen. Bedingungsloser amerikanischer Patriotismus? Fehlanzeige! Auch wenn diese Aussage nicht alle unterschreiben würden, kamen so spannende Gespräche über Vor- und Nachteile der EU zustande.
In der US-Botschaft kam uns sofort die kühle Luft der Klimaanlage entgegen und wir merkten, dass wir amerikanischen Boden betreten hatten. Mit Kulturattaché David Mees unterhielten wir uns über die Möglichkeiten, im diplomatischen Dienst Einfluss auf die Menschenrechtssituation in anderen Ländern zu nehmen. Durch das Gespräch habe ich viel über die Wichtigkeit dieser Arbeit herausgefunden, aber bin auch zu dem Entschluss gekommen, dass der Job nichts für mich wäre. Später diskutierten wir mit den Initiatoren der Free Interrail-Initiative, dem Aktivisten-Duo „Herr&Speer“, über europäische Identität und darüber, wie man auch als Mann Feminist sein kann.
Ehrenamtliches Engagement und viel Leidenschaft
Vier Wochen nach dem Deutschland-Programm flogen wir in die USA. In Ann Arbor angekommen, bemerkten wir überall das große gelbe oder blaue „M“ Logo der dort ansässigen University of Michigan und deren Sportteams. Sehr engagiert sind die Amerikaner*innen aber nicht nur im Sport, sondern auch in ihren Gemeinden. Die Bereitschaft, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen, scheint in den USA viel höher zu sein als in Deutschland. Zwar müssen die Bürger*innen in den USA oft weniger Steuern zahlen, dafür steht dem Staat entsprechend weniger Geld zur Verfügung und die Erfüllung vieler Aufgaben hängt stattdessen vom Engagement Einzelner ab. Ein Beispiel ist die ehrenamtliche Mitwirkung in einer Kommission, die Vorschläge für Umweltschutzmaßnahmen ausarbeitet, über die der Gemeinderat anschließend diskutiert und abstimmt. Das sind zeitintensive Aufgaben, für die sich aber in Ann Arbor Menschen begeistern. Mit vier Klimaschutz-Aktivist*innen kamen wir ins Gespräch und merkten dabei, dass ihre Arbeit Einfluss hat – von der Nachbarschaft bis zum Uni-Campus, von der Lokal- bis zur Bundesebene.
Für die letzte Programmwoche ging es mit dem Bus nach Chicago. Beim Schlendern durch die Stadt fielen uns die unzähligen Fast-Food-Ketten auf, deren Beliebtheit leider auch ihren Preis hat: Meistens gibt es Einweg-Geschirr, auch Plastiktüten bekommt man hier überall umsonst. Von der Fridays for Future-Bewegung haben einige amerikanische Jugendliche noch nie etwas gehört. Chicago an sich ist aber eine sehr coole Stadt mit einer schönen Lage direkt am Wasser.
Vertreter der Juvenile Justice Initiative erklärten uns, wie sie mit Richter*innen, Anwält*innen und Politiker*innen zusammenarbeiten, um die Rechtslage für Jugendliche in den USA zu verbessern. Diese bekommen dort oft unverhältnismäßig hohe Strafen und die Bedingungen in den Gefängnissen sind – vor allem im Vergleich zu Deutschland – sehr schlecht. Der leidenschaftliche amerikanische Aktivismus, der oft von einzelnen Personen abhängt, fasziniert mich.
Raus aus der Komfortzone, rein ins politische Geschehen
Nach vielen Meetings feierten wir schließlich gemeinsam den Abschluss. Wir verbrachten den letzten Abend alle gemeinsam: 24 Jugendliche und vier Betreuer*innen, wobei nicht alle Augen trocken blieben. Am Morgen sagten wir Goodbye, was hoffentlich ein See you later ist. Wir haben vier unglaublich informierende und inspirierende Wochen erlebt, uns dabei als Gruppe super verstanden und viele neue Freundschaften geschlossen. Mein persönliches Resümee: Durch das Programm habe ich viel gelernt, einen anderen Blick auf die USA – und auch auf Deutschland – erhalten. Zudem hat sich für mich bestätigt: Sich für gesellschaftliche Entwicklungen zu interessieren, sich zu engagieren und dabei aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, lohnt sich. Im Sommer 2022 werde ich mein Bachelorstudium abschließen und möchte danach in der Politikberatung für Internationale Sicherheitsstrategien arbeiten – vielleicht ja in Washington DC …