Stimmen aus dem DAP

Wie der Kulturkampf in den USA in die Schulen getragen wird

Ein Bericht am Beispiel Floridas

Nicolas Lepartz verbrachte Ende 2022 zwei Monate als Praktikant bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, D.C. - gefördert durch das bei IJAB angesiedelte Deutsch-US-Amerikanische Praktikumsprogramm (DAP). Für IJAB beschäftigte er sich in einem Themenbeitrag damit, wie sich gesellschaftliche Konflikte in den Klassenzimmern der USA widerspiegeln.

15.03.2023 / Nicolas Lepartz

In den USA tobt seit einiger Zeit ein Kulturkampf, der immer wieder große Teile des öffentlichen Diskurses einnimmt und in viele Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens eindringt. Seine Akteure sind laut und beanspruchen die Wahrheit für sich. Fakten spielen dabei immer wieder eine untergeordnete Rolle. Was zählt, ist, was geglaubt wird. Der Kampf zieht sich durch eine Bandbreite an Themen und spaltet das Land und den politischen Diskurs.

Claudia Buckenmaier, langjährige ARD-Korrespondentin in den USA, resümiert in ihrem Buch „Wer rettet Amerika? Bericht aus einem verwundeten Land“ den Zustand des Landes folgendermaßen: „Jeder ist gegen jeden: Demokraten gegen Republikaner, Republikaner gegen Republikaner, Demokraten gegen Demokraten, Politiker gegen Nichtpolitiker, das Volk gegen das politische Establishment, die vermeintlich Aufrichtigen gegen die verpönten Geschmeidigen, Konservative gegen Liberale (…)“.

Häufig sind es für eine demokratische Gesellschaft existenzielle Themen wie Gleichheit, Freiheit und soziale Gerechtigkeit, die Bestandteil dieses Kulturkampfes sind. Damit verbunden sind tiefliegende Probleme, deren Ursache – ebenso wie die des Zustands, den Claudia Buckenmaier beschreibt – tief in der Geschichte und Gesellschaft der USA wurzeln. Dieser Text soll aber nicht die Ursachen der gesellschaftlichen Konflikte der USA analysieren und erläutern – zumal das den Rahmen dieses Artikels sprengen würde und schon vielfach behandelt wurde.

Vielmehr wird sich dieser Text bestimmten konkreten Auswirkungen dieses Konfliktes widmen. Denn dieser Kulturkampf wird nicht nur medial, politisch oder auf den Straßen ausgetragen. Er findet auch immer wieder den Weg in einen für die Demokratie ebenfalls existenziell wichtigen Bereich: die Bildung.

Schon längst sind Lehrpläne und Klassenzimmer in den USA zum Schauplatz gesellschaftlicher Konflikte geworden. Meinungen und Ansichten bestimmter Akteure – ob wissenschaftlich korrekt oder nicht – finden immer wieder ihren Weg in die Ausbildung junger Menschen und gefährden damit auch in Zukunft den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deutlich wird das anhand zweier Gesetze, die die republikanische Regierung in Florida im vergangenen Jahr verabschiedet hat. Mit den Gesetzen gehen Fragen von gesellschaftlicher Relevanz einher: Welche Auswirkungen kann es haben, wenn Meinungen und gesellschaftliche Konflikte in die Lehrpläne getragen werden und dabei wissenschaftliche Erkenntnisse ausgeblendet werden? Wie kann sich politische Einflussnahme auf die politische Meinungsbildung junger Menschen auswirken? Und zu welchem Preis werden politische und kulturelle Konflikte ausgetragen?

Um zu verstehen, wie die gesellschaftlichen Konflikte in die Lehrpläne und Schulen getragen werden, bedarf es zunächst eines Blicks auf das Bildungssystem der USA. Die USA und entsprechend auch das Bildungssystem sind – ähnlich wie in Deutschland – föderalistisch organisiert. Konkret bedeutet das für die Bildungspolitik, dass die Gesetzgebung und Verwaltung überwiegend in der Verantwortung der Bundesstaaten und der lokalen Behörden liegen. Die Bundesregierung hat dabei nur begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten, da unter anderem auch die Finanzierung größtenteils Angelegenheit der Bundesstaaten ist. Daher sind es bundesstaatliche, kommunale und private Institutionen, die über die Schaffung von Schulen und Universitäten ebenso entscheiden wie über die Ausgestaltung von Lehrplänen. Entsprechend unterschiedlich können die Lehrpläne und Inhalte in den verschiedenen Bundesstaaten sein. Obwohl das System dem Bildungssystem in Deutschland ähnelt, hat dies in den USA – insbesondere in Anbetracht der aktuellen kulturell-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen – die Auswirkung, dass Lehrpläne zunehmend politisch beeinflusst sind. Um das Ausmaß dieser Beeinflussung zu erkennen, eignen sich die zwei bereits erwähnten, von der republikanischen Regierung unter Gouverneur Ron DeSantis eingeführten Gesetze in Florida.

Die beiden Gesetze sorgten landesweit für Aufsehen und Kritik. Im Frühling 2022 unterzeichnet DeSantis ein Gesetz mit dem offiziellen Titel „Parental Rights in Education“, das Eltern mehr Einfluss und Mitbestimmung bezüglich der Lehrinhalte an den Schulen ihrer Kinder zusichern soll. Von Kritikern wird das Gesetz auch das „Don’t Say Gay“-Gesetz genannt, denn das Gesetz verbietet Diskussionen oder Unterrichtsinhalte über LGBTQ-Themen für Kinder im Kindergarten bis zur dritten Klasse. Für ältere Schüler sieht das Gesetz vor, dass der Unterricht zu LGBTQ-Themen dem Alter und der Entwicklung der Schüler angemessen sein soll. Des Weiteren gibt es Eltern die Möglichkeit, Schulen zu verklagen, wenn ihnen Unterrichtsinhalte nicht passen beziehungsweise wenn sie sie für ihre Kinder als unangemessen empfinden, und Schulen werden verpflichtet, die Eltern zu informieren, wenn ihr Kind psychologische Betreuung in der Schule wahrnimmt.

Das Gesetz ist umstritten. Denn einerseits ist in Florida Sexualkunde bereits bis zur fünften Klasse untersagt. Das Gesetz beschäftigt sich also mit einer nicht existierenden Problematik. Andererseits befürchten Kritiker, dass Schulen für Kinder und Jugendliche kein sicherer Ort mehr sind, wenn die Eltern über psychologische Betreuung informiert werden. Insbesondere dann, wenn die Schüler mit der eigenen Sexualität hadern und über Themen der Sexualität und der sexuellen Orientierung zu Hause nicht sprechen können. Eine weitere große Sorge ist, dass durch die fehlende Aufklärung die Stigmatisierung und Diskriminierung von nicht-heterosexuellen Menschen weiter vorangetrieben und noch mehr Gewalt ermöglicht wird. Berichten zufolge haben Schulen bereits Bücher über Sexualität und insbesondere Bücher, die sich mit sexueller Vielfalt beschäftigen, aus ihren Bibliotheken entfernt, aus der Angst heraus, Eltern könnten die Schule verklagen. Ähnlich dürfte es sich bei Lehrern verhalten, die aus Sorge vor einer Klage durch Eltern Themen der sexuellen Vielfalt nicht mehr ansprechen.

Ein weiteres im Frühling 2022 in Florida verabschiedetes Gesetz greift ebenfalls radikal in die Bildung junger Menschen ein und ist nicht minder umstritten. Das „Stop the Wrongs to our Kids and Employees“-Gesetz, oder auch kurz das “Stop WOKE”-Gesetz soll regulieren, wie sich Schulen, Universitäten und Unternehmen mit Themen wie Rassismus auseinandersetzen: nämlich eigentlich gar nicht. Das Gesetz verbietet es sowohl Unternehmen als auch Bildungseinrichtungen, den Schülern, Studenten oder Mitarbeitern zu vermitteln, dass Menschen basierend auf race, Geschlecht oder Nationalität privilegiert sind oder diskriminiert werden und dass eine Person verantwortlich ist oder sich „schuldig fühlen“ muss aufgrund von Taten der eigenen race, des Geschlechts oder der Nationalität. Anders ausgedrückt soll das Gesetz den Kritikern zufolge verhindern, dass sich insbesondere weiße Menschen in den USA mit der eigenen Vergangenheit und insbesondere den Gräueltaten, die weiße Menschen in der Geschichte der USA begangen haben, auseinandersetzen. Verboten ist auch das Unterrichten der sogenannten Critical Race Theory, eines akademischen Konzepts, das sich mit institutionellem Rassismus auseinandersetzt. Auch untersagt werden Maßnahmen und Fortbildungen, die zugunsten von Diversität, Gleichheit und Inklusion andere Menschen „diskriminieren“ oder „benachteiligen“.

Ähnlich wie schon bei dem „Don’t Say Gay“-Gesetz argumentieren Kritiker, dass beispielsweise die Critical Race Theory nie offizieller Bestandteil der Lehrpläne in Florida waren. Eine weitere Kritik ist auch hier, dass mit dem Gesetz die wichtige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wie der Sklaverei ebenso wie mit nach wie vor aktuellen Debatten wie jene um Rassismus ausgesetzt wird. Auch in diesem Fall gab es bereits vor Verabschiedung des Gesetzes Schulen und Universitäten, die Veranstaltungen zu Themen wie civil rights oder Rassismus aus Angst vor Sanktionen abgesagt haben. Auch bundesstaatliche Behörden haben bereits Maßnahmen ergriffen, die man nur mit Zensur vergleichen kann. So hat das Bildungsministerium in Florida im März 2022 – also ebenfalls vor Verabschiedung des Gesetzes – 54 von 132 Mathematikbücher abgelehnt, weil diese in Aufgaben unter anderem auf die Critical Race Theory verwiesen.

Viel spricht dafür, dass die Gesetze weniger einer akademischen Notwendigkeit entspringen als einer politischen Motivation. Selbst wenn man der Meinung sein sollte, dass die Auseinandersetzung mit Sexualität, sexueller Orientierung und institutionellem Rassismus nicht in die Lehrpläne junger Menschen gehören, erschließt sich die Notwendigkeit der Gesetze nicht. Denn wie bereits erwähnt waren diese Themen offenbar schon zuvor kein offizieller Bestandteil der Lehrpläne in Florida. Vielmehr scheinen diese Gesetze ein Schritt radikaler Republikaner zu sein, die eigenen Narrative zu institutionalisieren und die ihnen zu Verfügungen stehenden Möglichkeiten zur politischen Profilierung zu nutzen. Beobachter gehen davon aus, dass die Gesetze eher als Wahlkampf-Manöver seitens Gouverneur Ron DeSantis dienten, denn im Herbst fanden in den USA die Zwischenwahlen statt. Tatsächlich schaffte DeSantis mit großem Erfolg die Wiederwahl zum Gouverneur. Dabei gelang ihm auch, eigentlich urbane und traditionell eher demokratisch orientierte Wahlkreise zu gewinnen. Dafür werden nicht allein die oben genannten Gesetze verantwortlich sein. Doch sie passen in die allgemeine Strategie radikaler konservativer Abgeordneten der sogenannten Grand Old Party.

DeSantis gehört auch innerparteilich zum Lager des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Obwohl es nach den Zwischenwahlen Spannungen zwischen den beiden Politikern gab, ist DeSantis Strategie auch in der Bildungssystem durchaus auf Linie des Trumpismus. Trump verabschiedete seinerzeit als US-Präsident ähnliche Vorhaben. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit berief der ehemalige Präsident die sogenannte „1776 Kommission“ ein. Die Kommission sollte Forderungen Trumps nach einem „patriotischen Geschichtsunterricht“ stärken. Trumps demokratischer Nachfolger im Amt des Präsidenten, Joe Biden, ließ die Kommission kurz nach Amtsantritt auflösen und den fertigen Bericht von der Website des Weißen Hauses nehmen. Der Bericht zog ebenfalls viel Kritik auf sich – und das nicht nur, weil in dem gesamten Gremium nicht ein einziger Historiker saß. Die American Historical Association kritisierte den Bericht auch inhaltlich, unter anderem wegen „Falschheiten“, „Ungenauigkeiten“ und „irreführenden Aussagen“.

Donald Trumps Forderungen nach einem „patriotischen Geschichtsunterricht“ schlagen in die gleiche Kerbe wie DeSantis‘ „Stop-WOKE“-Gesetz. Im Kern geht es um das sogenannte „Whitewashing“, also das Ausblenden beziehungsweise Verschweigen der Schattenseiten der US-amerikanischen Geschichte insbesondere mit Blick auf den unmenschlichen Umgang mit und die Gräueltaten an schwarzen Menschen und Indigenen. Dieses „Whitewashing“ gibt es nicht erst seit Kurzem in den USA, aber es geht einher mit dem aktuellen Kulturkampf. Dieser wird insbesondere von radikalen Republikanern immer wieder befeuert. Ein Narrativ taucht dabei immer wieder auf: Linke und Liberale besetzen und verbreiten ihre Ansichten in Politik, Medien und Bildung und schaden damit der USA.

Gesetze wie die von DeSantis erfüllen dabei in erste Linie den Zweck, den Anschein zu erwecken, dem „linken Mainstream“ etwas entgegenzusetzen. Daraus macht DeSantis kein Geheimnis. In Bezug auf das „Stop WOKE“-Gesetz sagte er, man werde die „linksextreme woke Agenda“ nicht die Schulen und Arbeitsplätze in Florida „übernehmen lassen“. Insofern ist es kein Zufall, dass das Gesetz in Kurzform eben jenen Begriff „woke“ beinhaltet, der oftmals abfällig für Menschen verwendet wird, die Bewusstsein schaffen für soziale und politische Ungerechtigkeiten. Es ist ein klassisches Schema, das sich in den ganzen USA wiederfindet. Ähnliche Gesetze beziehungsweise Gesetzesvorhaben wie in Florida gab es im vergangenen Jahr auch in Ohio, Alabama, Tennessee und Texas – allesamt republikanisch regierte Bundesstaaten.

Welche konkreten Auswirkungen die Gesetze auf die Entwicklung der Schüler und entsprechend auf die zukünftige Gesellschaft haben werden, lässt sich nur erahnen. Dass sie zu einer für alle gerechteren Zukunft führen, ist aber unwahrscheinlich. Vielmehr dürften die Gesetze die gesellschaftliche Spaltung in den USA weiter vorantreiben und auch in Zukunft Konflikte verstärken. Denn gute Bildung sollte nicht nur die Grundlage für die individuelle Zukunft junger Menschen schaffen, sie sollte auch Werte und Grundlagen für das Zusammenleben in der Gesellschaft vermitteln. In einer Demokratie gehören dazu einerseits Werte wie Solidarität und Empathie, andererseits auch die Fähigkeit zur eigenständigen Meinungsbildung. Für diese bedarf es jedoch einer Grundlage, auf die sich alle einigen können. Bislang beruhte diese auf Fakten. Wenn nun aber historische und biologische Fakten in den Lehrplänen junger Menschen einfach ausgelassen oder sogar geleugnet werden, untergräbt dies auch die Grundlage für eine streitbare Demokratie, was wiederum erneut zu Spaltung führt.

Auch wenn diese Aussichten düster erscheinen, so kann man doch Grund zur Hoffnung haben. Umfragen haben gezeigt, dass die Mehrheit der US-Bürger Gesetze wie in Florida ablehnen, und Schüler in Florida protestierten nach der Verabschiedung der Gesetze gemeinsam mit LBGTQ-Aktivisten. Ron DeSantis konnte in Florida zwar einen Erfolg bei den Zwischenwahlen feiern, viele andere extrem konservative und extrem rechte Kandidaten, die dem Trump-Lager zuzuordnen sind, verloren aber bei den Wahlen. Beobachter sehen den Grund dafür unter anderem darin, dass viele Wahlberechtigte die extremen Einstellungen ablehnen. Insofern darf man wohl hoffen, dass die US-Gesellschaft und insbesondere auch große Teile der Jugend womöglich doch relativ resistent gegen die Auswüchse dieses Kulturkampfes sind.

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