Streetart auf Häuserwand, die Saxofon spielenden Polizisten zeigt Streetart auf Häuserwand, die Saxofon spielenden Polizisten zeigt
Stimmen aus dem DAP

No Justice No Peace

Strukturelle Polizeigewalt in den USA

Im Zeitraum von April bis Juni 2023 absolvierte Johanna Kaufmann ein Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, D. C. Das Praktikum wurde unterstützt durch das Deutsch-US-Amerikanische Praktikumsprogramm (DAP). In diesem Rahmen widmete sich Johanna Kaufmann in diesem jugendpolitischen Beitrag der Frage, wie Polizeigewalt junge Menschen in den USA beschäftigt und bewegt.

30.08.2023 / Johanna Kaufmann

In den letzten Jahren hat das Thema Polizeigewalt in den USA verstärkt Aufmerksamkeit auf sich gezogen und tiefe gesellschaftliche Diskussionen ausgelöst. Ein tragisches Ereignis, das diese Problematik ins Rampenlicht gerückt hat, war der Tod von George Floyd im Mai 2020. Sein qualvoller Tod, nachdem ein Polizeibeamter minutenlang auf seinem Nacken kniete, löste nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch international eine Welle der Empörung und des Protests gegen Rassismus und Polizeigewalt aus. Junge Menschen, insbesondere Angehörige von Minderheitengruppen, sind überproportional von dieser Gewalt betroffen. Besonders alarmierend ist dabei die Tatsache, dass Polizeigewalt sich zu einem strukturellen Problem entwickelt hat. Für viele Menschen war der Tod von George Floyd daher nicht nur ein Anlass zum Protest, sondern auch eine schmerzhafte Erinnerung an eigene Erfahrungen. Die Auswirkungen von Polizeigewalt auf junge Menschen sind vielfältig und tiefgreifend. Sie reichen von psychologischem Stress, Angst und Traumata hin zu einer weiteren Verschärfung des ohnehin schon bestehenden Misstrauens, das sie tagtäglich bei Begegnungen mit der Polizei empfinden.

Viele junge US-Amerikaner*innen, aber auch Europäer*innen, stellen sich die Frage, welche Befugnisse und Präsenz die Polizei haben sollte. Damit gehen aber auch Fragen der eigenen Wahrnehmung von Sicherheit einher, denn was für die einen (scheinbar) Sicherheit bedeutet, ist für andere Unsicherheit und Bedrohung. Die Nachwirkungen des Todes von George Floyd haben gezeigt, wie Jugendliche und junge Menschen eine treibende Kraft für sozialen Wandel sein können. Die breite Beteiligung an Protesten, die Forderung nach Gerechtigkeit und Veränderung sowie die Mobilisierung in sozialen Medien verdeutlichen, dass eine junge Generation gewillt ist, ihre Stimme zu erheben und gegen Ungerechtigkeit anzukämpfen.

Während meines Praktikums in Washington, D.C. beschäftigte ich mich mit dem Polizeiapparat in den Vereinigten Staaten, um die Präsenz von strukturellem Rassismus in der Polizeiarbeit besser zu verstehen. In diesem Beitrag werde ich mich näher mit den Auswirkungen von Polizeigewalt auf Jugendliche und junge Menschen in den USA beschäftigen. Dabei werden die psychologischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen beleuchtet, aber auch die Hoffnung und der Aktivismus, die aus solch tragischen Ereignissen hervorgehen können. Der Tod von George Floyd ist ein Mahnmal für die dringende Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um eine gerechtere und sicherere Zukunft für alle zu gestalten.

Das Polizeiwesen in den USA

Sobald man sich mit der Struktur der Polizei in den USA auseinandersetzt, wird klar, dass sie stark dezentralisiert ist. Dies bedeutet, dass es eine Vielzahl von Polizeibehörden gibt, die jeweils auf unterschiedlichen Ebenen der Regierung agieren und vor allem Variationen in den Einsatzrichtlinien, Ausbildungsniveaus und Verfahrensweisen aufweisen. Für eine erste Betrachtung erstellte ich diese einfache Übersicht über die verschiedenen Ebenen der Polizeiorganisation in den USA:

1) Federal Law Enforcement Agencies

Diese Agenturen agieren auf Bundesebene und sind für die Durchsetzung bundesweiter Gesetze und die Verfolgung von Verbrechen von nationaler Bedeutung zuständig sind. Bekannte Beispiele für Bundespolizeibehörden sind das FBI (Federal Bureau of Investigation), die DEA (Drug Enforcement Administration), das ATF (Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives) und der Secret Service.

2) State Police/Troopers

Jeder Bundesstaat in den USA unterhält eine Polizeitruppe, die auch als State Police bekannt ist, welche hauptsächlich für die Sicherung der Regierung im einzelnen Staat zuständig ist. Zu den Aufgaben zählt sowohl die Verfolgung von schweren Verbrechen als auch die Verkehrsüberwachung von höherrangigen Straßen.

3) Local Police Departments

Ebenso hat jeder Verwaltungsbezirk in den Bundesstaaten eine Polizei, die als County Police bekannt ist und sich vor allem mit der Sicherheit in ländlichen Gegenden beschäftigt. Vielerorts versteht man unter diesen Polizist*innen einen Sheriff. Diese Behörden kümmern sich um eine Vielzahl von Aufgaben, einschließlich Verbrechensbekämpfung, Verkehrsdurchsetzung und Notfallreaktion.

In den USA gibt es somit rund 18.000 Polizeibehörden. Die Ausbildung der Polizist*innen ist je nach Behörde unterschiedlich geregelt, denn es gibt keine einheitliche Struktur der lokalen Polizeibehörden. Unzureichende polizeifachliche Ausbildung wird daher oft als Ursache für rassistische Diskriminierung und ungerechtfertigte Tötungen in den USA angeführt.

Struktureller Rassismus in der Polizeiarbeit

Der Tod von George Floyd ist für viele Menschen zum Symbol geworden, wie durch polizeiliche Organisationsstrukturen Verhaltensweisen oder Maßnahmen begünstigt werden, die zu rassistischem Polizeihandeln führen, welches schließlich Leben kostet. Junge Afroamerikaner*innen können in ihrem Alltag vermehrt Polizeikontrollen, -stopps und -durchsuchungen erfahren, die aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Aussehens erfolgen. Um das zu verstehen, ist der Begriff des Racial Profiling ausschlaggebend. Darunter versteht man polizeiliche Maßnahmen, die nicht wegen eines Verdachtsgrundes, sondern allein auf Grund äußerer Merkmale erfolgen. Diese Merkmale betreffen die Hautfarbe von Menschen, andere ethnische Merkmale oder auch einfach den Kleidungsstil, die als Entscheidungsgrundlage für Kontrollen herbeigezogen werden. Seit Jahrzehnten gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass Angehörige ethnischer Minderheiten überproportional von Polizeikontrollen betroffen sind.

Diese Erfahrungen können zu einem Gefühl der Stigmatisierung und Ungerechtigkeit führen. In einigen Schulsystemen sind Polizeibeamte präsent vor Ort, School Resource Officers, die für Sicherheit sorgen sollen. Oftmals werden jedoch Fälle von unverhältnismäßiger Disziplinierung und Verhaftungen von jungen Afroamerikaner*innen gemeldet, was zu einem ungerechten Bildungssystem und einer Kriminalisierung in jungen Jahren führen kann. Ebenso gilt, dass in benachteiligten Stadtvierteln oder Gegenden mit überproportional hoher Kriminalitätsrate Polizeipräsenz oft verstärkt wird. Auch dabei wird angenommen, dass sich an den entsprechenden Orten vermehrt Menschen aufhalten, die von "Rassifizierung" (also der Zuschreibung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe) betroffen sind. Diese werden auf Basis von Racial Profiling häufiger kontrolliert, da ihnen eine erhöhte Gefährlichkeit zugeschrieben wird. Diese Intensivierung der Polizeipräsenz kann zu einer ständigen Überwachung und einem Gefühl der Unsicherheit für junge Menschen führen.

Mittlerweile haben anhaltende Protestbewegungen gegen Polizeibrutalität und Rassismus dazu beigetragen, das Bewusstsein für das Problem zu schärfen und politischen Druck für Reformen zu erzeugen. Polizeibehörden bieten bereits Schulungen an, um die Beamten für die Auswirkungen von Racial Profiling zu sensibilisieren. Diese Schulungen sollen dazu beitragen, dass Polizist*innen bewusster und gerechter handeln. Ebenso kann die Sammlung und Analyse von Daten über Polizeikontakte dazu beitragen, Racial Profiling zu identifizieren und sichtbar zu machen. Vielversprechend ist auch der Ansatz des sogenannten Community Policing. Dieser betont die enge Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Gemeinschaften, die sie bedienen und fördert eine offene Kommunikation, gegenseitiges Verständnis und den Aufbau von Vertrauen. Ebenso können Bildungsprogramme und Initiativen zur Stärkung der Bürger*innen dazu beitragen, das Bewusstsein für Rassismus zu schärfen und sie dazu befähigen, ihre Rechte zu verstehen und einzufordern. Bisher sind diese Maßnahmen jedoch oftmals nicht ausreichend, um strukturelle Probleme langfristig zu lösen. Ein umfassender Ansatz erfordert daher Veränderungen auf institutioneller, struktureller und kultureller Ebene und es ist wichtig, dass diese Maßnahmen von der Gesellschaft insgesamt unterstützt werden, um nachhaltig Veränderung zu bewirken.

Eine Gesellschaft ohne Polizeiapparat?

Viele junge Menschen stellen sich die Frage, was die gesellschaftliche Funktion der Polizei für sie sein sollte. Auch die Frage, ob die Polizei in den USA abgeschafft werden kann, ist komplex und wird bereits kontrovers diskutiert. Die Forderung nach einer Gesellschaft ohne Polizei ist in erster Linie eine Reaktion auf die weit verbreiteten Bedenken hinsichtlich des Missbrauchs von Macht, struktureller Ungerechtigkeiten und rassistischen Verhaltens. Dabei wird auch sichtbar, dass Sicherheitsempfinden etwas sehr Individuelles ist. Ein hohes Polizeiaufgebot kann überflüssig gemacht werden, indem direkte Gewalt reduziert und anders damit umgegangen wird. In einem ersten Schritt fordern viele Menschen, neue Systeme zu etablieren, um konkret mehr Geld für Streetworker, Obdachlosenhilfe, Telefonseelsorge, Therapiefinanzierung, Frauenhäuser, Beratungsstellen etc. bereitzustellen. Verwendet wird dabei auch der Begriff der Abolition. Dieser bedeutet wörtlich übersetzt Abschaffung oder Aufhebung und stammt historisch aus der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in den USA. Abolitionismus geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass gewaltvolle Methoden, die zur Bestrafung und Kontrolle eingesetzt werden, grundlegend abgeschafft werden sollten. Ein vielversprechender Ansatz ist daher die Neugestaltung der Rolle der Polizei. Dies könnte bedeuten, dass die Polizei sich auf spezialisierte Aufgaben wie Gewaltschutz, Ermittlungen schwerer Verbrechen und Notfallintervention konzentriert, während andere Dienstleistungen wie psychische Gesundheitsversorgung und soziale Unterstützung von spezialisierten Fachkräften erbracht werden. Es wird sichtbar, dass eine Abschaffung und eine Welt ohne Polizei viele Herausforderungen mit sich bringen würde. Deshalb ist es wichtig, tatsächlich die Polizei zu reformieren, um Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt zu fördern.

Initiativen für Gerechtigkeit

Junge Menschen in den USA engagieren sich bereits in verschiedenen gemeinnützigen Organisationen und Bewegungen, um sich gegen Polizeigewalt und rassistische Ungerechtigkeit einzusetzen. Black Lives Matter ist eine der bekanntesten Bewegungen, die sich gegen rassistische Gewalt, Polizeibrutalität und strukturellen Rassismus einsetzt. Die Bewegung wurde von jungen Aktivist*innen gegründet und hat weltweit Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten. Ebenso setzt sich Campaign Zero für die Beendigung von Polizeibrutalität und rassistischer Gewalt ein. Diese Organisation wurde von Aktivist*innen gegründet, die sich besonders für umfassende Datenanalyse und Transparenz in der Polizeiarbeit einsetzen, aber auch konkret politische Maßnahmen fördern, um das Polizeiwesen verantwortlicher und gerechter zu gestalten. Unabhängige Ermittlungen bei Fällen von Polizeigewalt sind ein weiterer Schwerpunkt für die Organisation. Aber auch Plattformen wie Twitter, Instagram und TikTok werden mittlerweile vielfältig genutzt, um Informationen zu verbreiten, Bewusstsein zu schaffen und Videos von Polizeibrutalität zu teilen. Diese Beiträge können mitwirken, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Druck auf Verantwortungsträger auszuüben. Dieser digitale Aktivismus ist Teil einer breiteren Bewegung zur Bekämpfung von Polizeigewalt und rassistischer Ungerechtigkeit. Während die Diskussion über Polizeigewalt und das Engagement von Jugendlichen in den USA unbestreitbar Fortschritte gemacht hat, bleibt das strukturelle Problem von Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit weiterhin eine Herausforderung in der amerikanischen Gesellschaft.

Für mich steht die Debatte um Polizeigewalt immer auch in Verbindung mit der Fortführung der historischen rassistischen Unterdrückung in den USA (aber auch in Europa), denn die Ursprünge von Polizeigewalt reichen tief in die Geschichte der USA und sind verknüpft mit rassistischen und sozialen Ungleichheiten, die bis heute nachhallen. Damit einher gehen auch Fragen der Klasse, denn die Sicherung und Aufrechterhaltung von Klassenverhältnissen ist verwachsen mit den historischen Ursprüngen der Polizei. Die Anerkennung der strukturellen Probleme von Rassismus und sozialer Klasse ist der erste Schritt zur Veränderung. Das Engagement von jungen Menschen kann darauf abzielen, das Fundament dieser Probleme anzugehen und eine tiefgreifende Transformation der Gesellschaft zu erreichen. Die jüngsten Bewegungen, die von Jugendlichen angeführt werden, sind ein Beweis für die Entschlossenheit, eine gerechtere Zukunft aufzubauen.

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Nahaufnahme der US-amerikanischen Flagge
Über den Länderbereich USA

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Ansprechpersonen
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Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-105
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Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit / Sachbearbeitung
Tel.: 0228 9506-165