“Die Türkei ist nicht Ägypten, Erdogan ist nicht Gadaffi und Gezi-Park ist nicht der Maidan”, beginnt Dr. Özgehan Şenyuva von der Middle East Technical University seinen Vortrag. “Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht der Pressesprecher der Regierung. Im Gegenteil, meine Universität gilt als eine Hochburg der Opposition und meine Studenten praktisch alle als Terroristen, aber Gezi war kein Versuch eines Umsturzes der legitimen und demokratisch gewählten Regierung. Einige Hippies, die sich selbst ‘Baum-Umarmer’ nannten, wollten lediglich ein paar Bäume und etwas Grünfläche im Zentrum von Istanbul retten. Das hat mehr mit Stuttgart 21 zu tun, als mit der arabischen Revolution”.
Die politischen Unruhen, die im vergangenen Jahr begannen und teilweise bis heute anhalten, beeinflussen dennoch stark die Jugendarbeit und finden ihre Ursachen in einer verfehlten Jugendpolitik der Türkei, so die zwei Referenten, die als Dozenten, Trainer und Jugendarbeiter beschäftigt sind.
Ufuk Atalay von der Organisation “Youth for Understanding Turkey” (YFU Turkey) erklärte, dass die Zivilgesellschaft und eine freie Jugendarbeit in der Türkei nach dem Militärputsch der frühen 80er Jahre praktisch verboten waren. Zu sehr befürchtete man eine Revolution. Und auch die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren aufgebaute staatliche Jugendarbeit konzentriere sich darauf, die Jugend vor allem nach bestimmten politischen Leitbildern zu formen. “Regierung und politische Parteien haben alle ihr eigenes ‘Idealbild’ der Jugend. Jede Abweichung wird verurteilt”, ergänzt Şenyuva und kritisiert: “Jugend wird stets nur als ein ‘Projekt’ gesehen. Sie sei schwach, naiv und müsse angeblich vor ‘der bösen Gesellschaft’ beschützt werden.”
“Die eigentlichen Probleme der Jugend werden dabei oft vernachlässigt”, berichtet Atalay. Dazu gehöre das hochgradig zentralisierte und extrem leistungsorientierte Bildungssystem. “Du hast acht Stunden Schule am Tag, damit wird dir jede Möglichkeit, dich zu entfalten, genommen. Der Jugend wird kein Respekt entgegen gebracht, keine Kreativität gegönnt und keinerlei politische Einflussmöglichkeiten eingeräumt. Sie hat schlicht keinerlei Luft zum Atmen”, erklärt der Trainer für Jugendarbeit.
Der Frust und die Enge hätten sich aufgestaut und dann am Gezi-Park entladen. Möglich war dies, da soziale Medien die Jugend hochgradig vernetzen. Türkisch stünde deshalb im Ranking der meistgesprochenen Sprache auf Twitter auf Rang sieben. Die Bewegung sei gleichzeitig der Beweis, dass junge Leute in der Türkei viel politischer seien und sich nicht auf die Rolle als Konsumenten reduzieren ließen. “Die Proteste haben der Regierung gezeigt, dass sich die junge Generation mit Unterdrückung nicht aufhalten lassen wird”, so Ufuk Atalay weiter.
Die internationale Zusammenarbeit sahen beide Redner als sehr wichtig an. Sie verknüpfe die türkische Jugend international und sei somit ein wichtiger Beitrag zur demokratischen Reformbewegung.
Die Veranstaltung wurde durch IJAB und JUGEND für Europa organisiert.
Ansprechpersonen
Christiane Reinholz-Asolli
Referentin für internationale jugendpolitische Zusammenarbeit
Tel.: 0228 9506-112