Eine lachende junge Frau Eine lachende junge Frau
Hanna Kühl hat einen Langzeitfreiwilligendienst in der Ukraine geleistet. Jetzt ist sie von dem Land begeistert.
Internationale Netzwerke

„Was in den Herzen der Menschen geschieht“

Deutsch-ukrainisches Future Lab

Die Ukraine hat ihre Grenzen geschlossen. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigt steil an – vor allem in den westlichen Landesteilen. Denkbar schlechte Voraussetzungen für Austausch und Begegnung. Die Aktiven im deutsch-ukrainischen Jugendaustausch schreckt dies jedoch nicht. Vom 8. bis 10. September kamen sie online im German-Ukrainian Future Lab zusammen, zu dem die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ) und IJAB eingeladen hatten, und schmiedeten Pläne für die Zukunft.

14.09.2020 / Christian Herrmann

Junge Menschen in der Ukraine schauen nach Westen. Seit der Annexion der Krim durch Russland und der Präsenz russischer Truppen hat Putins „russische Welt“ für sie jegliche Attraktivität eingebüßt. Mit der Demokratiebewegung, die im Herbst 2013 begann, als der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch überraschend ein geplantes Assoziierungsabkommen mit der EU aussetzte, hat sich eine starke Zivilgesellschaft entwickelt. Sie findet ihren Ausdruck auch in zahlreichen Jugend-NGOs. Mit dem Nationalen Jugendrat der Ukraine gibt es zudem eine funktionierende Dachorganisation für Jugendorganisationen, die bis in die lokale Ebene hinein präsent ist und beispielsweise vor Ort Jugendbeteiligungsprojekte durchführt. Das ukrainische Jugendministerium arbeitet inzwischen daran, Jugendpolitik aktiv zu gestalten und Jugendliche in die 5-jährige Planung einzubeziehen. Iryna Bieliaieva vom ukrainischen Jugendministerium erinnerte in ihrem Beitrag während des Future Lab daran, was für ein großes Potenzial Jugendarbeit und Jugendaustausch für die gesamte Gesellschaft haben. „Noch haben wir dieses Potenzial höchstens zu 50 % ausgeschöpft“, sagte sie. Immerhin sei es gelungen, mithilfe der UN ein funktionierendes Netzwerk von Jugendzentren aufzubauen.

Enthusiasten tragen den Austausch

Auf deutscher Seite war es lange Zeit eine übersichtliche Schar von Enthusiasten, die den Austausch mit der Ukraine vorangetrieben haben. Zu ihnen gehört Christian Scharf von GOEUROPE!, dem Europäischen Jugend Kompetenz Zentrum in Sachsen-Anhalt. Seine Bildungseinrichtung nimmt seit Jahren Langzeitfreiwillige aus der Ukraine auf und organisiert Jugendaustausche mit dem östlichen Nachbarn der EU. „Die Freiwilligen aus der Ukraine bringen frischen Wind in unser Haus und sind eine enorme Hilfe, wenn wir unsere Austausche umsetzen“, sagte Scharf in eine Diskussionsrunde des Future Lab. Nicht nur junge Menschen, auch Träger haben also im deutsch-ukrainischen Jugendaustausch etwas zu gewinnen.

Es gibt etwas zu lernen

Es sind beileibe nicht nur junge Menschen aus der Ukraine, die vom Austausch profitieren. Hanna Kühl war als Langzeitfreiwillige mit Aktion Sühnezeichen in der ukrainischen Stadt Tscherniwzi und hat dort im jüdischen Museum gearbeitet. Während ihres Aufenthalts hat sie sich mit der jüdischen Dichterin Selma Merbaum beschäftigt, die als 18-Jährige in einem deutschen Konzentrationslager an Typhus starb. Hanna hat dabei geholfen, Informationen über Selma Merbaum für Unterrichtsmaterialien aufzubereiten, die im Schulunterricht zum Einsatz kommen werden. „Das kommt einem sehr nahe“, sagte sie während des sich an das Future Lab anschließenden Online-Events, „heute verstehe ich vieles besser“. Hanna hat auch etwas Ukrainisch gelernt, hat in Tscherniwzi Freundschaften geschlossen und schwärmt ihren deutschen Freundinnen und Freunden von der Ukraine vor. Sobald es wieder möglich ist, möchte sie wieder in die Ukraine reisen – und am liebsten alle ihre Freundinnen und Freunde mitnehmen.

Hohes Niveau der gemeinsamen Projekte

Im deutsch-ukrainischen Jugendaustausch treffen unterschiedliche Strukturen aufeinander: Deutschland mit seiner gut organisierten und vergleichsweise gut ausgestatteten Jugendarbeit als Feld innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe und die Ukraine, ein Land das weiterhin im Aufbau und im Übergang ist. Dass die strukturellen Unterschiede gemeinsamen Projekten nicht im Wege stehen, zeigten die Workshops: beispielsweise die von Irina Vale präsentierten kreativen Collagen oder die Graphic Novels von Uliana Ustinova und Anne Reis. Was Deutsche an Struktur mitbringen, machen Ukrainerinnen und Ukrainer durch Originalität und frische Ideen wett. Das Speed-Dating wurde mit seiner rasanten Geschwindigkeit dem Namen mehr als gerecht und die Lehrerin aus der Region Charkiw, die an der Diskussionsrunde zum Schulaustausch teilnahm, drehte irgendwann ihr Laptop um – da saß die ganze Schulklasse.

In den Gesprächsrunden und Workshops wurde auch immer wieder deutlich: Es gibt viele Herausforderungen, die junge Menschen in beiden Ländern beschäftigen. Ungleiche Lebensbedingen zwischen Stadt und Land beispielsweise, Hate Speech und Fake News, die Sorge um die rasante Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. All dies gibt Anlass zu gemeinsamen Projekten. Fördermöglichkeiten für solche Projekte sind vorhanden, etwa bei MEET UP! Deutsch-ukrainische Jugendbegegnungen – dem Förderprogramm, das maßgeblich am Future Lab beteiligt war –, dem Kinder- und Jugendplan des Bundes oder bei JUGEND für Europa.

Warum der deutsch-ukrainische Austausch so wichtig ist, das brachte Johann Saathoff, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft im Auswärtiges Amt auf den Punkt. „Die politische und diplomatische Unterstützung der Ukraine bleibt weiterhin wichtig“, sagte Saathoff, „aber genauso wichtig ist es, dass die Menschen sich begegnen können und was dann in ihren Herzen geschieht“.

Internationale Netzwerke und Kooperationen

Die Kooperation in Netzwerken ist eine Chance für Innovation, fachlichen Austausch, konzeptionellen Diskurs und (Weiter-)Entwicklung von Jugendarbeit und Jugendpolitik.