Eine Gruppe junger Menschen sitzt im Halbkreis in einem kellerartigen Raum Eine Gruppe junger Menschen sitzt im Halbkreis in einem kellerartigen Raum
Veranstaltungen von NUMO finden bei Luftangriffen in Luftschutzräumen statt. Die Organisation wählt ihre Veranstaltungsorte so, dass immer ein Luftschutzraum in der Nähe ist.
Internationale Netzwerke

Gerade im Krieg ist Jugendarbeit wichtig

Interview mit Olena Podobied-Frankivska

Olena Podobied-Frankivska ist Vorsitzende der National Ukrainian Youth Association (NUMO). Dem Verband gehören Jugendorganisationen und 200 Jugendzentren an. Kürzlich ist NUMO ERYICA beigetreten, dem europäischen Netzwerk von nationalen Jugendinformationseinrichtungen. Welche Bedeutung hat Jugendarbeit im Krieg und was bedeutet die ERYICA-Mitgliedschaft für die Jugendarbeit in der Ukraine?

04.06.2024 / Christian Herrmann

ijab.de: Olena, deine Heimatstadt Kyjiw ist in der vergangenen Nacht wieder bombardiert worden. Wahrscheinlich war es eine unruhige Nacht für dich. Wie gehen junge Menschen mit der ständigen Gefahr um?

Olena Podobied-Frankivska: Umso jünger sie sind, desto routinierter gehen sie mit der Gefahr um. Das ist unser heutiges Leben und sie müssen sich daran anpassen. Sie sind sehr kaltblütig und hart geworden in den vergangenen zwei Jahren – fast wie ein Stein. Die ständigen Luftangriffe sind nicht die einzige Herausforderung für junge Menschen. Viele haben Eltern oder Geschwister in der Armee. Damit hat sich auch ihre Rolle verändert, sie müssen viel mehr anpacken und helfen. Der Bruder ist irgendwo an der Front, ein Freund ist nicht mehr am Leben – das sind typische Erfahrungen. Unser Team geht immer wieder zu Beerdingungen von Freunden und Kollegen, etwa einmal im Monat. Das ist schwerer als die Luftangriffe, aber es mobilisiert auch Kräfte. Wir haben einen 25jährigen Freund im Team, sein Bruder und sein Vater sind in der Armee und trotzdem ist er sehr engagiert in seinem Projekt, treibt Dinge auf, um anderen zu helfen – Medikamente oder einfach einen Snack.

Das Bildungssystem verändert sich

ijab.de: Ist Jugendarbeit unter solchen Bedingungen überhaupt möglich oder zeigt sich gerade jetzt, wie wichtig sie ist?

Olena Podobied-Frankivska: Jugendarbeit ist enorm wichtig. NUMO hat gerade eine Advocacy-Plattform online gestellt und wir versuchen alle zu unterstützen, die mit jungen Menschen arbeiten, zum Beispiel durch projektbezogene Trainings. Außerdem verändert sich unser Bildungssystem. Der Unterricht an Schulen und Universitäten findet in vielen Fällen wegen des Krieges nur noch online statt. Aber nicht alle jungen Menschen können dem folgen. Damit kommt der non-formalen Bildung in Jugendorganisationen und Jugendzentren eine neue Bedeutung zu. Das haben wir uns natürlich nicht ausgesucht, aber wir haben jetzt 35 Bildungsberater, die die Jugendarbeit vor Ort unterstützen. Es geht dabei nicht nur um Wissen, es geht auch um sichere Räume. Wir haben sehr viele Binnenflüchtlinge, die in Notunterkünften leben – in einem Raum gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern. Bei Luftalarm sind sie in den Luftschutzräumen. Sie haben überhaupt keinen Raum für sich selbst. Unsere Jugendzentren bieten ihnen einen Raum. Durch die Flucht sind sie in einer fremden Umgebung, haben alles Vertraute hinter sich lassen müssen. Sie fühlen sich allein, haben ihre Freunde aus den Augen verloren. Wir unterstützen sie durch Mentoren, denen sie vertrauen können und die ihnen helfen, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und neue Freunde zu finden. Der Bedarf dafür ist riesig. Diese Art der Unterstützung ist etwas neues für die Ukraine.

Die Ukraine hat die Unterstützung der Welt

ijab.de: Ihr seid jetzt Teil des ERYICA-Netzwerks. Welche Bedeutung hat das für euch?

Olena Podobied-Frankivska: Es ist für uns ein sehr sichtbarer Beweis, dass die Ukraine die Unterstützung der Welt hat. Früher gab es keine Jugendzentren, jetzt erreichen sie Massen von jungen Menschen. Seit unserem ersten Seminar vor 6 Jahren haben wir die Pandemie und den Krieg erlebt und sind kürzlich ERYICA beigetreten. Der Krieg beleuchtet, wie wichtig Jugendarbeit ist und dass wir nicht alleingelassen werden, dass es Taten gibt und nicht nur Reden.

ijab.de: Was kann die Jugendarbeit in anderen Ländern Europas von der Ukraine lernen?

Olena Podobied-Frankivska: Selbst unter Druck ist Jugendarbeit möglich – sogar im Krieg – und gerade jetzt zeigt sich, wie wichtig sie unter schwierigen Umständen ist. Diese Erfahrung möchten wir mit unserem europäischen Netzwerk teilen. Wir sind auch für Freiwillige offen. Wir bekommen jetzt so viel Aufmerksamkeit, dass wir daraus gemeinsame Projekte entwickel und implementieren sollten.

Internationale Netzwerke und Kooperationen

Die Kooperation in Netzwerken ist eine Chance für Innovation, fachlichen Austausch, konzeptionellen Diskurs und (Weiter-)Entwicklung von Jugendarbeit und Jugendpolitik.