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Interview

Wahl zwischen Vergangenheit und Zukunft

Für Yasemin Efiloglu ist die Europawahl eine Richtungswahl

Yasemin Efiloglu kandidiert bei der Europawahl für die europäische Bewegung Volt. Im Interview hat sie der Redaktion von ijab.de gesagt, warum sie diese Wahl für eine Richtungswahl hält.

17.05.2024 / Christian Herrmann

ijab.de: Frau Efiloglu, was steht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament auf dem Spiel?

Yasemin Efiloglu: Bei den Wahlen wird sich entscheiden, welche Richtung Europa nehmen wird, ob wir mehr Europa bekommen oder ob wir in nationalstaatliche Lösungen zurückfallen. Dabei wissen wir, dass alle wichtigen Herausforderungen nicht mehr von Nationalstaaten allein gelöst werden können – egal ob das die Klimakrise, die Migration oder die Digitalpolitik ist. Es ist also eine Wahl zwischen Vergangenheit und Zukunft.

ijab.de: Durch ihre Mandate im Europaparlament haben rechtspopulistische Parteien viel Geld bekommen und damit auch ihre nationalen Projekte finanziert. Wie kann man das in der Zukunft verhindern?

Yasemin Efiloglu: Sehr einfach: Wählen gehen und für demokratische Parteien stimmen! Eine geringe Wahlbeteiligung würde den Populisten und Rechtsextremisten helfen. Mit Rechtsmitteln allein wird man diesen Leuten nicht beikommen, denn das sind komplizierte Verfahren.

Die Rechten profitieren vom Ausfall der älteren Parteien in sozialen Medien

ijab.de: Einer Studie der Hertie-Stiftung (Link: ijab.de/alle-kurzmeldungen/junge-menschen-in-deutschland-sorgen-sich-um-ihre-zukunft) zufolge ist die AfD zur Zeit die populärste Partei bei jungen Menschen zwischen 14 und 29. Wenn das zutrifft, findet gerade eine gravierende Veränderung statt. Wie soll man damit umgehen?

Yasemin Efiloglu: Ja, als ich das gelesen habe, war ich auch schockiert. Es deckt sich aber mit meinen Beobachtungen bei Schulbesuchen und das liegt auch an der starken Präsenz der AfD in sozialen Medien, vor allem bei TikTok. Die meisten Parteien haben es verschlafen, eine richtige Strategie für TikTok zu entwickeln – und damit meine ich tatsächlich eine Strategie und nicht einfach die Eröffnung eines Accounts. Dadurch sind junge Menschen ständig mit den Botschaften der AfD konfrontiert. Krah, der Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl, spricht besonders junge Männer an und profitiert dabei vom Ausfall der älteren Parteien.

ijab.de: Junge Menschen haben oft den Eindruck, dass ihre Meinung nicht zählt. Was kann man gegen die daraus folgende Frustration tun?

Yasemin Efiloglu: Meiner Erfahrung nach hilft es, sich zu engagieren, sich zusammenzutun, auf die Straße zu gehen. Ich war bei Fridays for Future und habe mich später auch für Frauen im Iran eingesetzt und für ihre Rechte protestiert. Wenn man damit nicht allein ist, setzt das sehr viel Energie frei. Mein Gefühl persönlicher Ohnmacht hat dadurch nachgelassen. Ich habe mich selbstwirksamer gefühlt und engagiere mich deswegen weiter in der Politik. Wir müssen uns aber auch mehr Mühe geben, Themen zu vermitteln. Mit dem Thema Klimakrise müssen wir zum Beispiel in die Schulen.

Jugendbeteiligung und Digitalpolitik sind auch soziale Fragen

ijab.de: Braucht die von Ihnen angesprochene Selbstwirksamkeit nicht auch einen politischen Rahmen? Kann Europa etwas dazu beitragen, dass junge Menschen etwas bewirken können?

Yasemin Efiloglu: Dafür gibt es keine einfachen Lösungen, denn Bildung ist ja keine EU-Kompetenz. Wie können sich junge Menschen zum Beispiel über Jugendorganisationen einbringen und wie erfahren sie überhaupt, welche Möglichkeiten sie haben? Diejenigen, die aktiv sind, stammen meist aus der Mittelklasse. Es ist also eine soziale Frage. Wie müssen mehr jungen Menschen Zeit und Raum geben, sich zu engagieren, und dann auch entsprechende Fördertöpfe aufmachen. Bis vor zwei Jahren war Engagement für mich auch kein Thema und meine Eltern haben mit mir nie über Politik gesprochen. Das hat sich geändert, aber wenn ich mich umschaue sehe ich nicht viele Kinder aus Migrantenfamilien, die sich engagieren.

ijab.de: Sie haben die Digitalpolitik als wichtiges Zukunftsthema angesprochen. Was wollen Sie erreichen?

Yasemin Efiloglu: Das große Thema ist KI, zum Beispiel ChatGPT. Wir sind es gewohnt, die wirtschaftlichen Vorteile von KI zu sehen. Aber Digitalpolitik ist auch Sozialpolitik. KI wird sich zum Beispiel negativ auf Frauen auswirken, denn sie reproduziert Geschlechtervorurteile. Firmen werden KI in Bewerbungsverfahren nutzen und dann werden die negativen Auswirkungen sichtbar werden. Ein weiterer Punkt ist: Werden alle Zugang zu dieser Technologie haben? Denken wir wirklich an alle, an Arbeiter*innen, Kinder, alte und junge Menschen? Die digitale Transformation wirft viele gesellschaftliche Fragen auf und wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. Dazu kann die EU etwas beitragen, vor allem, was den gerechten Zugang angeht.