Erfahrungsberichte TraX

TraX 2023 in Kalamazoo, Michigan

TraX Erfahrungsbericht

Viktoria Schulter, Sozialarbeiterin bei My Way Soziale Dienste gGmbH in Berlin, verbrachte mit dem Transatlantic Exchange in Social Work Programm im Herbst 2023 zwei Monate in den USA. Für IJAB berichtet sie von ihrem Aufenthalt in Kalamazoo, Michigan.

08.03.2024 / Viktoria Schulter

The 9th Circuit Court 

Ich absolvierte das Job-Shadowing im 9th Judicial Circuit Court auf der Gull Road in zweierlei Abteilungen. An zwei Tagen der Woche begleitete ich Sozialarbeitende und Bewährungshelfende, die für Kinder und Jugendliche des Juvenile Home tätig waren. An den anderen beiden Tagen arbeitete ich mit einer Sozialarbeiterin für Kalamazoo CASA, das sich als Programm des 9th Judicial Circuit Court (Familienabteilung) für missbrauchte oder vernachlässigte Kinder einsetzt. CASA schult und unterstützt Freiwillige, die sich für diese jungen Menschen engagieren wollen.

In den ersten beiden Tagen der Woche begleitete ich vor allem einen Bewährungshelfer für straffällig gewordene Jugendliche. Die lebten entweder noch im Juvenile Home oder wurden bereits nach Hause entlassen. Das Kalamazoo County Juvenile Home ist eine Einrichtung im Kalamazoo County, in der Jugendliche, die gegen das Gesetz verstoßen haben, untergebracht werden, bis die Gerichtsverfahren abgeschlossen sind und eine dauerhafte Unterbringung erfolgen kann.

Die Bewährungshelfenden haben wöchentliche Termine mit den Jugendlichen, die sie betreuen. Entweder trafen wir sie in der zum Juvenile Home gehörenden Schule oder in den Schulen, die sie regelhaft besuchten. Zu seinem Aufgabengebiet gehörten auch das Begleiten von Gerichtsterminen, Gespräche mit den Eltern oder weiteren Personen im System der jungen Menschen. Ich durfte mehrere Kolleg*innen hierbei begleiten.

Kalamazoo CASA bestand vor allem aus einer Mitarbeiterin und einer weiteren, die in der Woche aber nur ein paar Stunden für dieses Projekt arbeitet. Neben der Gewinnung Freiwilliger, das heißt Öffentlichkeitsarbeit, ging es an zwei Tagen der Woche auch um Spendensammeln und Spendenaufbereitung. Kelly, die Leiterin von CASA war selbst auch Advokatin für zwei Jugendliche, sodass ich die Treffen eines Geschwisterpaares begleiten durfte.

Meine sozialarbeiterischen Erfahrungen und Kenntnisse waren zunächst einmal in theoretischer Hinsicht sehr interessant für die KollegInnen. Den Unterschieden zwischen den deutschen und den amerikanischen Hilfestrukturen in Gesprächen auf den Grund zu gehen, war sehr spannend. Tatsächlich waren wir viel und bei jeder Gelegenheit im Austausch. Denn alle Mitarbeitenden, die ich im Laufe der Zeit kennenlernte, waren sehr neugierig und fasziniert davon, dass ich aus Deutschland komme und hatten Fragen über Fragen. Diese Unterhaltungen waren einerseits fachlich interessant, andererseits waren sie eine gute Möglichkeit, um Menschen kennenzulernen und bestenfalls Kontakte zu knüpfen, die ich auch außerhalb der Einrichtung vertiefen konnte.

Ein weiterer Teilnehmer des Austausches beschrieb es für mich sehr passend, in dem er sagte, im Grunde sind sich die Systeme ähnlich, aber im Detail ist alles anders. Beginnend mit Gesetzesgrundlagen, dem bürokratischen Aufwand, über die Verschiedenheit der Einsatzorte bis hin zum Umgang mit den Kindern und Jugendlichen. Hierbei muss ich einräumen, dass ich in Deutschland nie mit straffälligen jungen Menschen gearbeitet habe, sodass ich wenig Vergleiche ziehen kann. Für mich schließlich in Bezug auf den Umgang mit den Klienten ist besonders, dass er sehr wertschätzend, offen und auf Augenhöhe stattfand. Zwar fanden Termine aufgrund der teilweise prekären Lebenssituationen der jungen Menschen nicht immer regelmäßig statt, aber zumeist hatte ich das Gefühl, sie freuen sich grundsätzlich auf die Zusammenarbeit mit ihren Bewährungshelfenden und wussten, dass es sie ein Stück weit in die richtige Richtung bringen kann. Denn – und das erlebe ich in Deutschland teilweise anders –Versprechungen wurden nicht nur gemacht, sondern auch eingehalten.

Die Zusammenarbeit mit all den Mitarbeitenden war für mich der wertvollste Aspekt. Dabei vor allem der kollegiale Umgang. Egal wie hart, unfair und unlösbar Fälle wirkten, die positive Grundstimmung hat darunter nie gelitten. Mitunter war Stress natürlich spürbar, doch blieb der Alltag humorvoll und

optimistisch. Egal wie zäh Gerichtsverhandlungen waren, es herrschte immer eine angenehme Stimmung, in dem Mensch Mensch sein durfte. Wir haben zusammen viel gelacht und das war definitiv nicht nur für mich Motivation, sich Tag für Tag den Herausforderungen zu stellen.

Genau diese täglichen Kontakte benenne ich als Erfolg, denn so viel Neues zu sehen, zu lernen und dabei so viel zu lachen, sich wohlzufühlen, ist nicht selbstverständlich. Jede Autofahrt zu Schulen oder zu Klient*innen, war für mich so spannend. Die Stadt zu erleben, Orte von innen zu sehen, die man sonst nur aus Filmen und Fernsehen kennt, den Gesprächen beizuwohnen und dabei Spaß zu haben – ich empfand das als sehr belebend.

Und diesen Erfolg empfinde ich auch als Unterschied zu meiner Arbeit in Deutschland. Meine amerikanischen Kolleg*innen betrachteten die Dinge viel entspannter und machten aus gewissen Angelegenheiten keine unnötig große Sache. Den Arbeitsaufwand habe ich in Kalamazoo nicht etwa geringer als in Deutschland eingeschätzt– ich denke, es liegt an einer anderen Grundeinstellung, die US-Amerikaner*innen mitbringen. Ich erinnere mich so gern an die unzähligen Momente, in denen wir ausgelassen lachen konnten – tatsächlich hat mich das nachhaltig beeindruckt und es fehlt mir hier sehr. Bestenfalls kann ich mir genau diese Einstellung ein Stück weit beibehalten und meinen Arbeitsalltag optimistischer angehen. Gelingt mir dies, wäre es schön, dies färbt auf meine Kolleg*innen ab.

Unabhängig von meiner Tätigkeit in Kalamazoo, war die Obdachlosigkeit natürlich sehr sichtbar. Ich arbeite in Berlin in der Wohnungslosenhilfe und weiß nun umso mehr zu schätzen, was für ein breit gefächertes und wachsendes Hilfesystem wir für Menschen haben, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind.

Leben in Kalamazoo

Die Menschen in Kalamazoo sind uns alle sehr wohlwollend begegnet, sodass es uns in der Freizeit nie langweilig wurde. Marci, meine Gastgeberin, hatte immer Ideen und lud mich zu verschiedenen Essen oder Spaziergängen ein. Gleich am ersten Wochenende durfte ich sie in ihr Haus am See begleiten, wo wir bei schönstem Sommerwetter schwimmen waren und eine Boots- und eine Kayaktour gemacht haben.

Ich hatte Glück und habe mich mit den weiteren Teilnehmer*innen sehr gut verstanden, vor allem mit Wirginia, die auch etwa im selben Alter wie ich ist. Wir haben die meiste Zeit gemeinsam verbracht, haben die Cafes, Vintageshops und die Musikszene der Stadt erkundet. Sie wohnte bei dem Kopf von Global Ties, der ein sehr geselliger Mensch ist und uns mehr oder weniger in sein Leben einlud. Wir haben mehrere Wochenenden in seinem Haus am See verbracht und hatten dort wundervolle gemeinsame Stunden.

Michigan ist ein sehr wasserreicher Bundesstaat mit Seen weit und breit. Michigan hat eine Gesamtgröße von 250.494 km2, davon 103.372km2 Wasser. Durch die verschiedenen Touren und Ausflüge haben wir eine Menge Wasser gesehen und es verschiedentlich genutzt. Einmal sogar mit Motorboot, Wein und Musik. Die Größe und die Wasserqualität des Great Lake, des Lake Michigan, war für mich besonders schön.

One Random Fact

Meine persönliche kulinarische Entdeckung ist Sweet Corn! Meine Gastgeberin sagte zu Beginn, dass wir eine echt amerikanische Hausfrau aus mir machen, indem ich lerne, alles in der Mikrowelle zu kochen. Und ich muss sagen, ich war begeistert. Ich hätte und habe sicherlich auch, tagelang nur Mais gegessen. Die Saison war aber leider bald vorbei. Also stieg ich um auf Kartoffeln, Karotten oder Blumenkohl. Vielleicht sind wesentliche Nährstoffe dabei abhandengekommen, doch der Geschmack hat das für mich wieder gut gemacht.

Für eine Fortbildung in die USA?

Das Transatlantic Exchange in Social Work-Programm (TraX) ermöglicht es Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, für ein Job-Shadowing in die USA zu gehen.