Die European Youth Work Convention
Seit 2010 findet alle fünf Jahre die European Youth Work Convention (EYWC) statt. Sie wird entweder von einem Land im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft oder von der Präsidentschaft des Ministerkomitees des Europarates organisiert. Die EYWC bringt Fachkräfte, politische Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen und junge Menschen zusammen, um über die Chancen und Herausforderungen von Youth Work in Europa zu diskutieren. Die Teilnehmenden sind in nationalen Delegationen organisiert und sie verbinden nationale Herausforderungen mit europäischen Diskursen. Diese einzigartige Mischung des Europäischen und des Nationalen soll die verschiedenen Diskurse in Europa miteinander verbinden und durch die enge Anbindung an die Europäische Union und den Europarat europapolitisch einbinden. Das Ergebnis ist eine europäische Plattform für fachliche Diskussionen und politische Weichenstellung, die die Zukunft von Youth Work in Europa gestaltet, indem sie die Standards, Anerkennung und Qualität von Youth Work verbessert (zum Hintergrund, siehe AeJP Infosheet 02/2025 Youth Work).
Die bisherigen European Youth Work Conventions standen im Zeichen der Diversität der Youth Work Praxis, Politik und Forschung in Europa (1. Convention in Gent 2010) und der gemeinsamen Grundlage, die daraus entstanden ist (2. Convention in Brüssel 2015). Bei der dritten European Youth Work Convention, die im Dezember 2020 während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der deutschen Präsidentschaft des Ministerkomitees des Europarates digital stattfand, wurde eine European Youth Work Agenda mit acht prioritären Bereichen entwickelt. Diese Agenda stellt seitdem die (politische) Basis für die Stärkung und Weiterentwicklung von Youth Work in Europa (Hofmann-van de Poll 2024 (PDF 294 kb)) dar. Die sich daraus ergebenden Chancen und Herausforderungen (Hofmann-van de Poll 2025) wurden nun bei der vierte EYWC aufgegriffen. In Malta ( aktuelle Präsidentschaft des Ministerkomitees des Europarates) wurde über den Kern (core), die Umgebung (environment) und das System (system) von Youth Work diskutiert. Workshops mit nationalen und internationalen Beispielen und good practices zeigten die Vielfalt und Verschiedenheit der Fragen, Methoden und Ansätze auf, mit der Youth Work in Europa ausgeübt wird.
Kern (core), Umgebung (environment) und System (system) von Youth Work
„Eine gemeinsame Vision für Youth Work und seine Zukunft“. So wurde der Kern (core) von Youth Work von den Organisator*innen formuliert. Warum diese gemeinsame Vision notwendig ist, machte Miriam Teuma, Direktorin vom maltesischen Jugendbüro Aġenzija Żgħażagħ, in ihrer Keynote Speech deutlich. In einem planetarischen Vergleich warf sie die These auf, dass Innen- und Außenwahrnehmung von Youth Work deutlich auseinandergehen. Während die Fachcommunity Youth Work als Planet Jupiter betrachtet - weitläufig, leuchtend, der größte Planet am politischen Himmel - sehen andere Handlungsfelder Youth Work eher als Pluto - am Rande, vage und nicht einmal mehr ein Planet. Ein zentrales Element in den Diskussionen war die Sichtbarkeit des Handlungsfeldes und der Profession Youth Work. Das kollektive Bewusstsein des Arbeitsfeldes für die eigene Rolle, d.h. das Handeln und die Folgen von Youth Work, ist ausgeprägt und war auf der Convention deutlich sichtbarer als in den vorangegangenen Conventions, was sich als deutlicher Entwicklungsschritt erwies. Gleichzeitig ist es notwendig, sowohl gegenüber der Politik als auch gegenüber anderen Handlungsfeldern, die Arbeit noch sichtbarer zu machen und zu zeigen, was Youth Work im Kern ist und macht. Hier wurde zudem deutlich, wie eng Handlungsfeld und Profession miteinander verbunden sind. Versuche, Youth Work als Handlungsfeld zu umschreiben, wurden größtenteils über die Frage, „was macht ein Youth Worker“ beantwortet.
Der Kern von Youth Work kann nicht ohne sein Umfeld (environment) bestehen. Im Fokus der Diskussionen standen insbesondere Youth Worker, wobei über die Professionalisierung des Feldes diskutiert wurde und anhand der Aus- und Weiterbildung auch Brücken zwischen freiwilligem Engagement, Ehrenamt und Hauptamt - bezahltem Youth Work - gelegt wurden. Mit Blick auf die Sichtbarkeit des Handlungsfeldes bekam auch die Lobbyarbeit Aufmerksamkeit. An vielen Stellen wurde zudem diskutiert, wie Youth Worker besser darin unterstützt werden können, ihre Rolle in der aktuellen Lage von Demokratie zu verstehen und innerhalb dieser politischen Landschaft zu navigieren, die hinsichtlich der nationalen Kontexte sehr unterschiedlich sein kann.
Youth Work besteht nicht in einem Vakuum einzelner Angebote. So war der dritte Pfeiler der vierten European Youth Work Convention das System (system) von Youth Work. Gemeint ist das System von Abhängigkeiten zwischen europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Politik und Strategie, öffentlicher und freier Träger, Jugend- und Berufsorganisationen, Förderprogrammen sowie die Verbindungen zu anderen Handlungsfeldern. Hier wurde die Bedeutung von Ressourcen, Politik und Strategie für die Stärkung von Youth Work auf allen Ebenen deutlich.
Noise vs. Silence
Lärm vs. Stille. Wo ist Youth Work laut genug und wird gehört, wo macht Youth Work Lärm um nichts? Wo schreit Youth Work, aber wird nicht gehört? Wo herrscht eine Stille, die nicht sein sollte, und wo ist Youth Work schlichtweg zu leise, um gehört zu werden? Diese Fragen zogen sich als roter Faden durch die Convention. Die vier Themen, die im Vorfeld der Convention von der Arbeitsstelle europäische Jugendpolitik am Deutschen Jugendinstitut in ihrem Infosheet Youth Work identifiziert wurden, um sie auf der Convention voranzubringen, wurden unterschiedlich „laut und leise“ diskutiert:
- Das Wechselspiel zwischen nationalen und europäischen Diskursen voranbringen
- Strukturelle Absicherung des Arbeitsfeldes Youth Work
- Gemeinsame Werte in Zeiten politischer Unsicherheiten
- Qualifizierungsdiskurs
Das Wechselspiel zwischen nationalen und europäischen Diskursen voranbringen
Deutlich wurde, das Youth Work europaweit sich als Arbeitsfeld mit einem eigenen Selbstverständnis entwickelt hat und sich im Klaren über seine Bedeutung für junge Menschen und die Gesellschaft im Allgemeinen ist. In vielen Beiträgen wurde betont, dass Youth Work einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Integration leistet, ohne dazu instrumentalisiert zu werden. Die europäische Idee eines Handlungsfeldes, das auf demokratischen Werten, Teilhabe und Freiwilligkeit gründet, ist aber gleichwohl gefordert von einer großen Heterogenität von Youth Work in Europa, die sich auch bei der Convention zeigte. Diese Heterogenität wurde insbesondere dann deutlich, als Fragen nach der Beschreibung von Youth Work als Handlungsfeld und als Profession diskutiert wurden. In diesem Wechselspiel wurde zum Beispiel über die vorhandene oder nichtvorhandene Abgrenzung (je nach Land) zwischen Youth Work und Social Work diskutiert, sowie die unterschiedlichen Ansichten zum Emanzipationsauftrag (emancipation), Präventionsauftrag (prevention) und Vorbereitungsauftrag (preparedness) von Youth Work. Aus dem sich daraus ergebenden Spannungsverhältnis werden in absehbarer Zeit noch erhebliche Diskussionsbedarfe entstehen, wenn unterschiedliche Akteure den Begriff Youth Work für ihr Arbeitsfeld reklamieren.
Das Selbstbewusstsein des Handlungsfeldes über den wichtigen gesellschaftlichen Beitrag, den es liefert, reibt sich gleichzeitig an der Herausforderung, die sich nicht anders als eine gewisse Fragilität des Sektors umschreiben lässt. Auch wenn Youth Work ein selbstbewusstes Handlungsfeld ist, so ist es in vielen Ländern längst keine Selbstverständlichkeit. Diese Fragilität äußerte sich in Berichten über politischer Instrumentalisierung, finanzielle Kürzungen und fehlenden Strukturen.
Strukturelle Absicherung des Arbeitsfeldes Youth Work
Laut war entsprechend der Ruf nach einer nachhaltigen finanziellen Förderung von Youth Work auf alle Ebenen. Diese Forderung wurde – und hier sind deutliche Parallelen zum 18. Kinder- und Jugendhilfetag zu beobachten – von den politischen Stakeholdern auf den Podien wiederholt und bezog sich insbesondere (wenn auch nicht nur) auf Jugendorganisationen und die Jugendverbandsarbeit. Eine offene Frage ist jedoch, wie sich diese Appelle in nationaler Politik umsetzen lassen, denn viele bestehende Youth Work Strukturen haben mit finanziellen Kürzungen, rigiden Vorschriften, erhöhter Kontrolle und komplizierten Förderstrukturen zu kämpfen. In einigen Ländern Europas werden Youth Work Projekte europäisch statt national finanziert und definiert und eine strukturelle Förderung ist nicht vorhanden. Damit verbunden ist auch die Frage nach der künftigen thematischen Ausrichtung europäischer Förderung für Youth Work. Demokratie, Mental Health junger Menschen sowie Klimawandel bleiben weiterhin wichtige Themen. Vorhandene Finanzierung sollte hier zu einer Verstetigung der geleisteten Arbeit beitragen.
Gemeinsame Werte in Zeiten politischer Unsicherheiten
Im Vergleich zu vorherigen Conventions wurde die Verbindung zwischen Youth Work, Demokratie und Active Citizenship sehr deutlich betont. Diese Verbindung gehört zum Fundament von Youth Work und wird als solche viel zu wenig laut ausgesprochen. Im Plenum wurde angemerkt, dass es Zeit wird, diese Verbindungen deutlich (und laut) auszusprechen. Youth Work ist unabhängig, ein Raum für freie Beteiligung, wo die Stimme und gelebte Erfahrung junger Menschen gewährleistet ist und die Methoden und Praktiken geschützt werden. Bei der Zusammenfassung der Workshops wurde betont, Youth Work sei in Europa ein Wegbereiter für Menschenrechte, Solidarität, Dialog, Beteiligung und Gemeinschaft und bleibe dem Anspruch nach als solches inhärent demokratisch. Die in den letzten Jahren immer wieder gestellte Frage, welchen Beitrag Youth Work zu Demokratiebildung oder politischer Bildung liefern kann, ist in diesem Sinne obsolet. Youth Work ist inhärent politisch bildend und trägt durch seine Existenz zu vielfältigen politischen Bildungs- und Sozialisationsgelegenheiten junger Menschen bei.
Während gemeinsame Werte betont wurden, fanden die politischen Herausforderungen vor denen Demokratien stehen, und welche die aktuelle Bedeutung ebendieser Werte durchaus in Frage stellen, kaum Erwähnung. An einigen Stellen wurden diese äußeren Gegebenheiten oder Kontexte, welche diese Verbindung umso wichtiger machen – Krieg in der Ukraine, Konflikte im Nahen Osten, demokratiefeindliche Strömungen in Europa, um nur einige zu nennen - sogar regelrecht ausgeblendet. Dies ist jedoch nicht ganz unerwartet, denn im Fokus der EYWC stand klar der Auftrag, das Handlungsfeld und die Profession zu festigen, und in diesem Sinne Bestände und Erreichtes abzusichern. Weniger stand der Kontext im Fokus, der diese bedingt und in vielen Ländern leider bereits wieder in Frage gestellt ist.
Qualifizierungsdiskurs und die Profession Youth Work
Der bei der Convention geführte Diskurs über die Profession Youth Work hatte viele Facetten. Wenig wurde über das Arbeitsfeld und die Arbeitsbedingungen (z.B. mental health von Youth Workern, Fachkräftemangel) diskutiert. Vielmehr wurde „Professionalisierung“ (professionalisation) als eine Abgrenzung von Youth Work zu anderen Professionen, die mit jungen Menschen arbeiten, verstanden. Die Convention machte sich dabei für ein inklusives Verständnis stark. „Professionell“ ist in diesem Sinne mehr als die formale Anerkennung der Profession durch eine Ausbildung oder Studium. Vielmehr schließt sie ehrenamtliches Engagement, zivilgesellschaftliche Selbstorganisation etc. mit ein. In den Workshops wurde Anerkennung – als eine der thematischen „Laut/Leise-Fragen“ - viel unter dem Begriff Sichtbarkeit diskutiert. Wenn Youth Work in seiner gesellschaftlichen Leistung sichtbar ist, so die Argumentation, geht dies auch mit gesellschaftlicher Anerkennung einher. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass insbesondere bei jungen Menschen, die ehrenamtlich oder bezahlt in Youth Work beschäftigt sind, ein Risiko der sog. performance anxiety (Leistungsangst) besteht. Die Gesellschaft wird zunehmend von Leistung bestimmt, und das Arbeitsfeld Youth Work sollte, aufgrund seiner besonderen Bedingungen, dennoch vermeiden, Leistung zu seiner Maxime zu machen.
Wie geht es weiter?
Im Gegensatz zu den früheren Conventions liegt am Ende der vierte European Youth Work Convention keine Abschlusserklärung vor, sondern soll im Herbst 2025 ein Convention-Bericht mit einer Roadmap für die Umsetzung einer europäischen Strategie für die Entwicklung von Youth Work Politik, Anerkennung und Qualitätspraktiken veröffentlicht werden. Diese Roadmap soll Vorschläge beinhalten, wie die Fachcommunity die Ergebnisse der Convention weitertragen kann. Damit wird die European Youth Work Agenda, welche die prioritären Bereiche zur Stärkung von Youth Work in Europa identifizierte, in konkreten Empfehlungen weiterentwickelt.
Auch auf der politischen Ebene soll die Convention Früchte tragen: der Ergebnisbericht soll in die Vorschläge für eine neue EU-Jugendstrategie (Verabschiedung geplant für 2027) und eine neue Jugendsektorstrategie des Europarats (ab 2030) fließen. Weitere politische Relevanz bekommt die Convention, in dem die im Bericht festgehaltenen Ergebnisse in die 10. Konferenz der für Jugendfragen zuständigen Minister*innen des Europarats einfließen. Diese findet im Oktober 2025 in Malta statt.
In Deutschland organisiert die Nationale Kontaktstelle für die Umsetzung der European Youth Work Agenda am 3. Juli 2025 eine digitale Veranstaltung "Von der 4th European Youth Work Convention zur Praxis – Jugendpolitik im Dialog", wo über die Convention berichtet wird und weitere Schritte der Fachcommunity in Deutschland diskutiert werden sollen.
Quellen und weitere Informationen
- Mehr Informationen über die European Youth Work Convention, inkl. Programm und Aufnahmen der Plenarsitzungen:
https://pjp-eu.coe.int/en/web/youth-partnership/4th-european-youth-work-convention- - Mehr Informationen zu den Hintergründen der European Youth Work Convention und zu der Verbindung mit Themen und Herausforderungen des deutschen Youth Work Diskurses:
Hofmann-van de Poll, Frederike/Rottach, Andreas/Wielath, Svenja/Pelzer, Marit (2025): Youth Work. Herausforderungen in Deutschland und Europa am Vorabend der vierten European Youth Work Convention. AeJP Infosheet 02/2025. München: DJI. Download - Mehr Informationen zu der Umsetzung der European Youth Work Agenda:
Hofmann-van de Poll, Frederike (2025): The State of Play of National Processes within the European Youth Work Agenda Implementation. Survey Report 2025. Bonn: JUGEND für Europa. Download - Für einen Überblick des europäischen Youth Work Diskurses:
Hofmann-van de Poll, Frederike (2024): European Youth Work Developments and Challenges. A Meta-Synthesis. In: Youth. Beyond Youth Development: Generating Alternative Narratives of Change in Youth Work. (hrsg. v. Ord, Jon/Coburn, Annette/Kiilakoski, Tomi/Rannala, Ilona-Evelyn), 4. Jg., H. 3, S. 1194-1210. Download