Schweden hat eine sehr hohe Mordrate im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Im Jahr 2021 wurden 41 Männer im Alter von 15 bis 29 Jahren getötet. Dies entspricht 4,2 Männern pro einer Million Einwohner*innen in der entsprechenden Altersgruppe. Laut der Global Study on Homicide lag die Zahl der Opfer tödlicher Gewalt in Europa im selben Jahr bei 28 (Brå 2024). Es gibt keinen eindeutigen Grund, warum die Tötungsdelikte in Schweden stärker zugenommen haben als in anderen Ländern, außer dass die organisierte Kriminalität auf dem Vormarsch ist.
Rekrutierung junger Menschen
Studien zeigen, dass ein großer Prozentsatz lokaler krimineller Netzwerke aktiv junge Menschen unter 18 Jahren für ihre Zwecke rekrutiert. Kriminelle Akteure instrumentalisieren Kinder und Jugendliche immer häufiger nicht nur für Drogenkriminalität, sondern auch für die Durchführung von Gewalt- und Risikokriminalität wie Schießereien, Explosionen oder Attentate. Dies zeigt sich deutlich in den Statistiken über Schießereien mit Verletzten oder Toten, bei denen der Anteil der Tatverdächtigen unter 18 Jahren in den letzten fünf Jahren rapide gestiegen ist. Im Jahr 2019 lag die Zahl der unter 18-Jährigen, die verdächtigt wurden, an einer Schießerei mit Verletzungs- oder Todesfolge beteiligt gewesen zu sein, bei neun; Mitte 2024 waren es bereits 29 (siehe Abbildung 2).
Schwere Kriminalität unter Kindern und Jugendlichen
Sowohl die Tatverdächtigen als auch die Opfer von Tötungsdelikten durch Schusswaffen werden immer jünger, da immer mehr Kinder und Jugendliche in Schweden in kriminelle Netzwerke verwickelt sind. In der Altersgruppe der 15- bis 20-Jährigen lag die Zahl der Tatverdächtigen bei Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge im Jahr 2014 bei 34. Bis 2023 hat sich diese Zahl auf 167 verfünffacht - ein Anstieg von 391 % gegenüber 2014. In der Altersgruppe der über 21-Jährigen war der Anstieg mit 37 % deutlich geringer (siehe Tabelle 1).
Die überwiegende Mehrheit der Verdächtigen sind Jungen und junge Männer, obwohl auch der Anteil der Mädchen und jungen Frauen zu steigen scheint. Im Jahr 2023 waren 21 der 167 Mordverdächtigen unter 20 Jahren Mädchen, gegenüber drei im Jahr 2022 und acht im Jahr 2021 (Brå, Kriminalitätsstatistik).
Im Allgemeinen nimmt die kriminelle Aktivität während der Jugend zu, erreicht im frühen Erwachsenenalter ihren Höhepunkt und geht danach zurück. Das gleiche Muster ist auch bei den Mitgliedern krimineller Netzwerke zu beobachten. Nach Angaben der schwedischen Polizeibehörde liegt die Zahl der Personen, die als aktiv in kriminellen Netzwerken gelten, bei 14.000. Etwa 1.700 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gelten als aktive Mitglieder eines kriminellen Netzwerks, was insgesamt 13 % ausmacht (Schwedische Polizeibehörde 2024).
Regierungsstrategie gegen das organisierte Verbrechen
Die Kriminalitätsprävention ist eine der aktuellen Prioritäten der Regierung. Schwedens erste umfassende nationale Strategie gegen die organisierte Kriminalität wurde 2024 verabschiedet (Justizministerium 2024a). Sie zielt darauf ab, ein breites Spektrum von Akteuren, einschließlich des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft, zusammenzubringen, um die Kriminalität auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu bekämpfen. Dazu gehört auch eine Überarbeitung des Strafgesetzbuchs, insbesondere der Bestimmungen zu Waffendelikten. Die Befugnisse der Polizei, Personen auf der Straße anzuhalten und zu durchsuchen sowie Hausdurchsuchungen vorzunehmen, sollen gestärkt werden.
Auch die institutionellen Betreuungsformen von Personen unter 18 Jahren werden derzeit überprüft. In Schweden gelten Kinder unter 14 Jahren als Minderjährige und können daher nicht für eine Straftat verurteilt werden. Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren können in Ausnahmefällen für schwere Straftaten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Erwachsene über 18 Jahre können nach den üblichen Strafvorschriften verurteilt werden, wobei für Jugendliche unter 21 Jahren besondere Jugendstrafen verhängt werden können.
Insgesamt konzentriert sich die Strategie der Regierung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vor allem auf repressive Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit auf große Zustimmung stoßen.
Regierungsstrategie zur Prävention von Kriminalität im sozialen Bereich
Die Bekämpfung der Kriminalität ist eine wichtige Aufgabe und ein frühzeitiges Eingreifen zur Verhinderung von Straftaten ist von zentraler Bedeutung. Neben der Strategie gegen die organisierte Kriminalität konzentriert sich die Regierung auch auf die Prävention von Kriminalität im sozialen Bereich. Hier geht es darum, zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche überhaupt in kriminelle Netzwerke gelangen und in Straftaten verwickelt werden. Außerdem soll Straftäter*innen geholfen werden, ein neues Leben zu starten. Die Strategie zur sozialen Kriminalitätsprävention umfasst sowohl breit angelegte als auch frühzeitige Maßnahmen, wie z.B. Kriminalitätsprävention in Schulen, die Stärkung der elterlichen Verantwortung, bessere Möglichkeiten für Sozialdienste, Kinder und Jugendliche zu unterstützen und Rückfälle zu verhindern. (Justizministerium 2024b).
Die meisten Maßnahmen - sowohl repressive als auch präventive Bemühungen - konzentrieren sich auf Jungen und junge Männer aus Stadtteilen oder Gebieten, in denen sich Armutslagen konzentrieren, von denen viele aus der Einwanderergemeinschaft stammen.
Neues Programm der Regierung für Freizeitkarten ab 2025
Neben der Strategie zur Prävention von Kriminalität im sozialen Bereich wird die Regierung Anfang 2025 ein breit angelegtes Programm für Freizeitkarten für Kinder und Jugendliche einführen, das sich insbesondere an diejenigen richtet, die nicht oder nur selten an organisierten Freizeitaktivitäten teilnehmen. Ziel ist es, jungen Menschen im Alter von 8 bis 16 Jahren einen besseren Zugang zu sportlichen, kulturellen, Outdoor- und anderen sozialen Aktivitäten zu ermöglichen. Die Karte wird mit einem Betrag aufgeladen, der als Zahlungsmittel für diese Aktivitäten verwendet werden kann. Der Betrag ist unterschiedlich hoch und soll Kinder und Jugendliche, insbesondere aus sozioökonomisch schwachen Haushalten, zur Teilnahme an solchen Aktivitäten ermutigen.
Die Rolle der Jugendarbeit
Obwohl diese Strategie die Bedeutung einer sinnvollen Freizeitgestaltung für Kinder und Jugendliche anerkennt, sieht sie - abgesehen von dem bereits erwähnten Freizeitkartenprogramm - keine konkreten Maßnahmen der Jugendarbeit vor. Dies mag daran liegen, dass in Schweden die Jugendarbeit als Teil der Jugendpolitik betrachtet wird, für die die lokale Ebene zuständig ist.
Mit anderen Worten: Jugendarbeit ist eine kommunale Aufgabe, die lokal verwaltet und finanziert wird, wenn es um aufsuchende Jugendarbeit, Jugendzentren und Jugendclubs geht. Darüber hinaus wird der Begriff „Jugendarbeit“ nur selten verwendet; stattdessen steht in den Positionspapieren der Regierung das Konzept einer sinnvollen Freizeitgestaltung im Mittelpunkt. Dabei kann es sich vor allem um mitgliedschaftliche Aktivitäten in Jugendorganisationen und um offene Treffpunkte für Jugendliche, wie Jugendzentren, handeln.
Seit den 1990er Jahren haben viele Städte und Gemeinden nur noch Freizeiteinrichtungen in prekären Wohnlagen bezuschusst und aufrechterhalten, die soziale und ökonomische Probleme aufwiesen In den letzten Jahren sind in diesen Gebieten durch die zunehmende Bandenkriminalität Probleme entstanden. Einige Nutzer*innen der Einrichtungen sind Mitglieder krimineller Jugendgruppen, die immer wieder für Ärger sorgen. Es hat aber auch Fälle gegeben, in denen Mitarbeiter*innen der Einrichtungen in die organisierte Kriminalität verwickelt waren.
Dies zeigt, wie wichtig es ist, die richtigen Fähigkeiten und Qualifikationen der Jugendbetreuer*innen sicherzustellen. In Schweden gibt es keine spezifischen Standards oder Mindestqualifikationen für Mitarbeiter*innen in diesem Bereich. Die Ausbildung für Jugendbetreuer*innen wird hauptsächlich von den schwedischen Volkshochschulen (Schwedisch: folkhögskolor) angeboten. Sie bieten zweijährige Studienprogramme an, die mit einem Diplom in Jugendarbeit abschließen. Im Jahr 2019 führte die schwedische Agentur für Jugend und Zivilgesellschaft (MUCF) eine Umfrage zur Jugendarbeit durch, die sich speziell auf die beruflichen Qualifikationen von Jugendarbeiter*innen konzentrierte. Die Umfrage ergab, dass über 60 % der in offenen Freizeitzentren tätigen Mitarbeiter*innen keine formale Ausbildung haben. Es gibt eine laufende Diskussion darüber, wie die Qualifikationen von Jugendbetreuer*innen verbessert werden können, doch wurden bisher keine konkreten Vorschläge vorgelegt.
Rolle der Schwedischen Agentur für Jugend und Zivilgesellschaft (MUCF)
Als eine Maßnahme zur Bekämpfung dieses Problems wurde die Schwedische Agentur für Jugend und Zivilgesellschaft (MUCF) mit der Entwicklung eines Unterstützungsprogramms für die Verantwortlichen für offene Freizeitaktivitäten beauftragt. Ziel ist es, die Kompetenzen der Jugendbetreuer*innen zu stärken, wenn es darum geht, Gewalt zu verhindern und ein sicheres Umfeld für alle Besucher*innen zu schaffen. Zu den Leitlinien der MUCF gehören Strategien zur Früherkennung gefährdeter Kinder und Jugendlicher und Möglichkeiten der Zusammenarbeit, um weitere negative Entwicklungen zu verhindern, sowie eine Debatte über problematische Männlichkeitsnormen. Dies ist ein besonderer Auftrag an die MUCF vor dem Hintergrund breiterer staatlicher Bemühungen, jungen Menschen Zugang zu sinnvollen Freizeitaktivitäten zu verschaffen, die ihrer Entwicklung zugutekommen.