Eine Reihe von Polizisten steht mit Schilden hinter einer Absperrung aus Stacheldraht. Eine Reihe von Polizisten steht mit Schilden hinter einer Absperrung aus Stacheldraht.
Demokratie und Menschenrechte

„Menschenrechte sind keine innere Angelegenheit“

Auch Jugendorganisationen von Repression in Belarus betroffen

In Belarus nimmt die Repression durch das Lukaschenko-Regime zu. Inzwischen sind mehr als 10.000 Menschen verhaftet und in fragwürdigen Verfahren verurteilt worden. Es gibt alarmierende Fälle von Vergewaltigung, schwerer Körperverletzung, um die Herausgabe persönlicher Daten von Mobiltelefonen zu erzwingen, und Berichte über Folter in den Gefängnissen. Das betrifft auch die Aktivistinnen und Aktivisten von Jugendorganisationen. Lavon Marozau ist Anwalt für Internationales Recht und der Internationale Sekretär von RADA, dem Dachverband der unabhängigen Jugendorganisationen in Belarus. IJAB hat mit ihm über die aktuelle Situation gesprochen.

21.09.2020 / Christian Herrmann

ijab.de: Lavon, wofür bist du als Internationaler Sekretär von RADA zuständig?

Lavon Marozau: Ich kümmere mich um unsere internationalen Kontakte und die unserer Mitgliedsorganisationen. Dazu gehört auch unsere Mitgliedschaft im Europäischen Jugendforum und die Teilnahme am Runden Tisch zwischen der EU und Belarus. Ein wichtiger Schwerpunkt von RADA ist die Situation der Menschenrechte in Belarus. RADA berichtete über Jugendrechte an den UN-Menschenrechtsrat. Im Oktober 2020 werde ich persönlich im Auftrag des RADA-Teams den Universal Periodic Review – UPR – präsentieren. [Mit dem Universal Periodic Review wird in regelmäßigen Abständen die Lage der Menschenrechte in den UN-Mitgliedsstaaten überprüft. Anmerkung der Redaktion] Dieses Jahr haben wir eine Resolution gegen die Todesstrafe in Belarus erarbeitet und werden sie dem Europäischen Jugendforum vorstellen.

ijab.de: Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl in Belarus sind tausende von Menschen verhaftet worden. Hat das auch RADA und seine Mitgliedsorganisationen betroffen?

Lavon Marozau: Ja, Irina Sukhy ist Mitglied von Ecohome. Sie ist Gründerin und Führungsfigur der Umweltbewegung in Belarus, eine herausragende Führerin der Zivilgesellschaft. Ihre Organisation Ecohome ist eine unserer Mitgliedsorganisationen. Irina wurde verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Inzwischen ist sie wieder frei. Stanislava Gusakova – Vorstandsmitglied von RADA von 2017 bis 2019 – wurde ebenfalls verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sie wurde heute entlassen. Eines unserer gegenwärtigen Vorstandsmitglieder, Uladzimer Bulauski, wurde auch verhaftet und verurteilt. Wir kennen die Details seines Verfahrens noch nicht, werden aber alle Prozesse verfolgen und auf unserer Webseite darüber berichten, ob sie fair verlaufen sind oder nicht. Unsere bisherige Erfahrung sagt uns: Diese Gerichtsverhandlungen sind ein Zirkus, aber nichts, das etwas mit internationalen rechtsstaatlichen Standards zu tun hat. Auch andere Aktivisten unserer Mitgliedsorganisationen sind von den Verhaftungen betroffen.

ijab.de: Die staatliche Propaganda und Lukaschenko sagen, die Proteste seien aus dem Ausland gesteuert. Mal werden Polen, Litauen, Deutschland, die EU oder die NATO genannt. Seid ihr als Organisation, die viele Kontakte in westliche Länder hat, dadurch in besonderer Gefahr?

Lavon Marozau: Wir lachen über solche Berichte. Es ist an der Zeit, dass sich der Präsident einen neuen Drehbuchschreiber zulegt. Wir kennen diese Propagandageschichten von allen Wahlen. Ständig ist von Einflussnahme aus dem Ausland die Rede. Mal sind es russische Söldner, mal sind es ukrainische Nationalisten, die sich hier einmischen wollen. Das können nur Menschen glauben, die dem Staatsfernsehen vertrauen. Aber die Leute haben durch das Internet längst Zugang zu anderen Nachrichtenquellen. Wir sprechen von einer Telegram-Revolution. [Telegram ist ein populärer Messenger-Dienst. Anmerkung der Redaktion]
Ja, natürlich haben wir Angst. Wenn ich über Menschenrechte berichte, zum Beispiel darüber, dass wir hier immer noch die Todesstrafe haben, dann fühle ich mich wie ein Staatsfeind. Ich habe als Dozent für Menschenrechte und Internationales Recht an einer der Universitäten von Belarus gearbeitet, wurde regelmäßig vom KGB besucht und habe schließlich meinen Job verloren. Jetzt unterrichte ich manchmal Internationales Recht im Ausland. Wenn ich mit der Leitung der Universität spreche, dann fühle ich mich wie ein Staatsfeind. Das ist absurd. Wir haben hier eine Situation wie in den Büchern von George Orwell.

ijab.de: Was muss sich in den internationalen Beziehungen in naher Zukunft ändern?

Lavon Marozau: Wir brauchen effektivere Maßnahmen der EU. Sie muss Menschenrechtsverletzungen klar benennen und auf die Verbrechen, die hier verübt werden, reagieren. Wir rufen dazu auf, die offiziellen Partnerschaften zu beenden. Wir brauchen außerdem wirtschaftliche Unterstützung. Putin hat Lukaschenko kürzlich 1,5 Milliarden gezahlt, um sein Regime zu retten. Aber Putin ist auch nicht Superman und kann nicht einfach das Land kaufen. Es ist wichtig, eine internationale Kommission einzusetzen, die alle Fälle von Folter, Misshandlung und Mord in Belarus untersucht.
Wir brauchen Visafreiheit für die Verhafteten und Gefolterten. Die Welt muss verstehen, dass Menschenrechte keine innere Angelegenheit eines Landes sind. Die Welt muss offen aussprechen, was hier geschieht, und nicht zusehen, wie sich Belarus zu einem zweiten Jugoslawien oder einer zweiten Ukraine entwickelt.

ijab.de: Was kann die Zivilgesellschaft in Europa, in Deutschland, tun, um euch zu unterstützen?

Lavon Marozau: Wir haben ja gute Beziehungen zu Europa und nach Deutschland. Trotzdem könnten unsere Beziehungen zu Jugendorganisationen enger sein und wir würden uns über mehr gemeinsame Projekte freuen.
Viele Menschen verstehen nicht, wie wir hier gerade leben. Die Polizei kann um 5 Uhr morgens kommen – ohne Uniform und Ausweise – und uns verhaften. Ich kenne viele, die Pillen schlucken oder Alkohol trinken, um überhaupt schlafen zu können. Fragt uns bitte nicht immer, was ihr tun könnt. Wir haben hier alle Hände voll zu tun, um Geld aufzutreiben, um bei Prozessen verhängte Geldstrafen zu bezahlen oder mit Anwälten zu reden. Macht einfach was! Ihr könnt Protestschreiben an die Botschaften von Belarus in euren Ländern richten. Ihr könnt in den Medien, die ihr habt, über das berichten, was geschieht. Wir spüren eure Unterstützung! Bis bald in einem freien und demokratischen Belarus!

Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
Über Demokratie und Menschenrechte

Internationale Jugendarbeit und jugendpolitische Zusammenarbeit versteht IJAB als Beitrag zur Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft und zur Förderung eines demokratischen Gemeinwesens.