Im Mai 2024 führte IJAB mit Giorgi Kikalishvili, dem Leiter der Jugendorganisation DRONI in Georgien, über die damaligen Proteste von jungen Menschen in Georgien ein Interview. Aufgrund der aktuellen Lage berichtet Giorgi erneut über die Situation vor Ort, was sich in den letzten Monaten entwickelt hat und wie er in die Zukunft blickt.
IJAB: Wie erleben Sie derzeit die Stimmung in der Gesellschaft und bei den Protesten in ihrem Land? Inwieweit hat sich die Lage im Vergleich zum vergangenen Sommer verändert?
Giorgi Kikalishvili: Die Stimmung ist angespannt, aber gleichzeitig gibt es dieses unglaubliche Gefühl der Einigkeit und Entschlossenheit. Im Vergleich zum letzten Sommer sind die Dinge definitiv eskaliert, die Menschen sind organisierter, hartnäckiger und wissen besser, was auf dem Spiel steht. Es geht nicht mehr nur darum, auf einzelne Ereignisse zu reagieren, sondern darum, die Zukunft des Landes zu gestalten. Natürlich gibt es Frustration, aber auch viel Hoffnung. Man spürt, dass die Menschen nicht bereit sind, klein beizugeben.
IJAB: Welche Ziele und Forderungen stehen hinter den aktuellen Protesten?
Giorgi Kikalishvili: Im Kern geht es um ein einfaches Ziel: Georgien gehört zu Europa. Dies ist nicht nur ein politischer Slogan, sondern eine tiefe Überzeugung, die von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird. Wir wollen Teil der europäischen Gemeinschaft sein, nicht nur geografisch, sondern auch politisch und kulturell.
Die wichtigste Forderung im Moment sind freie und faire Wahlen. Wir, das Volk, glauben, dass die Regierung nicht mehr den wahren Willen des Volkes repräsentiert, und das muss sich ändern. Es gibt ein starkes Gefühl, dass die Demokratie untergraben wird. Die Proteste sind eine Antwort darauf, indem sie ein System fordern, das den Willen der Mehrheit widerspiegelt.
IJAB: Welche Rolle haben dabei die jungen Menschen? Wie sieht ihr Protest aus (auch z.B. in Schulen und Universitäten)? Sind die Aktivitäten anders als noch vor 6 Monaten?
Giorgi Kikalishvili: Die jungen Menschen stehen im Mittelpunkt dieser Bewegung. Sie sind es, die die Energie am Leben erhalten. Wenn ich anfange, die Hoffnung zu verlieren, erinnern mich ihr Mut, ihre Kreativität und ihre unermüdliche Tatkraft daran, warum wir weiterkämpfen müssen.
Sie organisieren, mobilisieren und erfinden neue Formen des Protests - Streiks, künstlerische Darbietungen, Flashmobs, Kampagnen in den sozialen Medien. Universitäten und Schulen sind zu zentralen Orten des Aktivismus geworden. Im Vergleich zu vor sechs Monaten sind die Proteste strukturierter und strategischer geworden. Der Schwerpunkt liegt nun stärker auf gewaltfreiem Widerstand, kreativer Störung und der Aufrechterhaltung der Dynamik auf lange Sicht.
IJAB: Wo überall (z.B. Städte und Regionen) finden die Proteste im Land statt?
Giorgi Kikalishvili: Tbilissi ist natürlich das wichtigste Zentrum, und jeden Tag kommen so viele Menschen, dass die Hauptstraße der Stadt blockiert ist. Aber es ist nicht nur die Hauptstadt. Batumi, Zugdidi und Kutaisi sind ebenfalls sehr aktiv, mit regelmäßigen Protesten, Aufführungen und von der Gemeinschaft geführten Aktionen. Es ist wirklich inspirierend zu sehen, dass dies nicht nur eine Bewegung ist, die auf einen Ort beschränkt ist, sondern dass die Menschen im ganzen Land aufstehen.
IJAB: Was sehen Sie auf Georgien in den nächsten Monaten zukommen? Welche Hoffnung haben Sie?
Giorgi Kikalishvili: Ich möchte in einem Land leben, in dem die Institutionen fair sind, in dem die Polizei die Menschen schützt, anstatt sie einzuschüchtern, in dem die Gerichte unabhängig sind und in dem die Gesetze im Interesse der Menschen und nicht im Interesse der Machthaber gemacht werden. Ich möchte, dass Georgien vorankommt, näher an Europa, näher an die Demokratie, näher an einer Zukunft, in der sich die Menschen sicher und wertgeschätzt fühlen.
Trotz allem glaube ich immer noch an diese Zukunft. An manchen Tagen ist es schwieriger als an anderen, aber Aufgeben ist keine Option. Georgien hat etwas Besseres verdient, und ich bin fest davon überzeugt, dass sich ein echter Wandel vollziehen wird, wenn wir uns weiter anstrengen.
IJAB: Vielen Dank!
Giorgi Kikalishvili ist Leiter der Jugendorganisation DRONI in Georgien. Seit 2017 arbeitet DRONI mit dem EU-Förderprogramm Erasmus+ als Infozentrum und Einsatzstelle des Europäischen Solidaritätskorps in Georgien mit dem Ziel, das Programm bei jungen Menschen und verschiedenen Interessengruppen, einschließlich staatlicher Institutionen und lokalen Kommunen, bekannter zu machen. Ihr Interesse liegt in der Stärkung der Organisation durch die Teilnahme an diesem Programm. DRONI hat 200 aktive Mitglieder, die sich für die Förderung der lokalen Jugendgemeinschaft engagieren. Die Organisation nimmt auch internationale Freiwillige auf.