Hanna Veiler Hanna Veiler
Hanna Veiler
Demokratie und Menschenrechte

Jüdische Studierende wehren sich gegen Antisemitismus

Interview mit Hanna Veiler

Seit den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres sehen sich jüdische Studierende in Deutschland mit zunehmendem Antisemitismus konfrontiert. Er reicht von Schmierereien bis zu tätlichen Angriffen. Hanna Veiler ist Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. Im Interview hat die Redaktion von ijab.de sie um eine Einordnung der Geschehnisse der letzten Monate gebeten und sie gefragt, wie man ihnen begegnen kann. Unter anderem fordert sie eine verpflichtende Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Studium – besonders für pädagogische Berufe.

22.10.2024 / Christian Herrmann

ijab.de: Frau Veiler, wie fühlen sich jüdische Studierende, wenn sie heute zur Uni gehen?

Hanna Veiler: Sie haben mindestens ein schlechtes Bauchgefühl und auch Angst vor körperlicher Gewalt. Nach dem 7. Oktober und den darauffolgenden Auseinandersetzungen haben viele auch Freundinnen und Freunde verloren. Sie gehen daher nur zur Uni, wenn es wirklich nötig ist. Sie vermeiden auch alle anderen Aktivitäten, die mit der Uni und dem Studium in Verbindung stehen, beispielsweise Uni-Partys, denn ihnen kann offener Antisemitismus entgegenschlagen. Auf der anderen Seite: Viele Studierende haben sich umeinander gekümmert, waren füreinander da und haben sich gegen Antisemitismus gewehrt.

ijab.de: Wie äußert sich Antisemitismus an Hochschulen?

Hanna Veiler: Das hängt von der Uni ab, die Situation ist nicht überall gleich. Es gibt die großen Fälle, die für Schlagzeilen und Aufsehen sorgen, aber viel präsenter sind Plakate und Schmierereien sowie Veranstaltungen und Protestcamps, bei denen der Terror von Hamas und Hisbollah als legitimer Akt des palästinensischen Widerstands verherrlicht wird und Israels Existenzrecht bestritten wird. Diese pro-palästinensische Bewegung, die ihre Solidarität mit Hamas und Hisbollah ausdrückt, ist gut organisiert und verfügt offenbar über einige Ressourcen. Man muss schon fragen, wo die herkommen. Seit dem 7. Oktober findet sich das auch verstärkt im digitalen Raum.

Jüdische Studierende brauchen Ansprechpartner*innen mit Expertise – und Uni-Leitungen auch

ijab.de: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum diese Bewegung gerade an den Universitäten so stark ist? In anderen Teilen der Gesellschaft ist das ja nicht der Fall oder zumindest nicht so sichtbar.

Hanna Veiler: Zunächst muss ich sagen, dass wir es mit einer kleinen, aber lautstarken Minderheit zu tun haben, der eine schweigende Mehrheit gegenübersteht. Viele von ihnen haben sich seit den Terroranschlägen der Hamas im digitalen Raum politisiert. Dazu kommt, dass die politische Linke eine lange Tradition der Solidarität mit den Palästinenser*innen und der Ablehnung Israels hat. Junge Menschen neigen dazu, sich der Linken zugehörig zu fühlen, wenn sie sich zum Beispiel für Menschenrechte engagieren wollen. Die postkoloniale Theorie, die seit Jahren an den Hochschulen auf dem Vormarsch ist, hat diese Entwicklung begünstigt. Der Nährboden war schon lange da. Dennoch würde ich zwischen harten Ideolog*innen und denjenigen unterscheiden, für die die pro-palästinensische Bewegung eine Art Trend ist, bei dem sie dabei sein möchten, weil sie glauben, etwas für die Einhaltung der Menschenrechte zu erreichen.

ijab.de: Die harten Ideolog*innen, wie Sie sie nennen, werden kaum durch Argumente zu erreichen sein. Was kann man gegen Antisemitismus tun?

Hanna Veiler: Wir werden immer wieder gefragt, ob wir an Dialogformaten beteiligt sind, ob wir mit anderen reden. Natürlich tun wir das, aber eins muss klar sein: Heute haben wieder 40 Vermummte Räume der TU hier in Berlin besetzt und drohen damit, die Technik der Hörsäle zu zerstören, sollte die Leitung der Hochschule die Polizei zur Hilfe rufen – diese Leute können keine Dialogpartner sein. Die Uni-Leitung muss in solchen Fällen sehr klar sein, bis hin zur Exmatrikulation. Wir brauchen außerdem mehr Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Studium. Man kann bis heute jeden beliebigen Studiengang durchlaufen, ohne sich ein einziges Mal mit Antisemitismus zu beschäftigen. Die bisherigen Angebote sind alle freiwillig, selbst für zukünftige Lehrer*innen. Das muss sich ändern. Außerdem brauchen wir mehr Forschung und mehr Publikationen in diesem Bereich und wir brauchen Zuständigkeiten bei antisemitischen Vorfällen. Jüdische Studierende brauchen Ansprechpartner*innen mit Expertise und die Uni-Leitungen brauchen das auch. Leider müssen wir feststellen, dass diese Expertise bei den Antidiskriminierungsstellen nicht immer vorhanden ist – im Gegenteil, bisweilen sitzen dort Menschen, die selbst an antisemitische Narrative glauben.

Nichts ist neu am neuen Antisemitismus

ijab.de: Es wird immer wieder die Frage gestellt, wo die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus verläuft. Wo ziehen Sie die Grenze?

Hanna Veiler: Die Grenze ist nicht so schwierig zu ziehen. Die modernen Formen des Antisemitismus sind oft israelbezogen, setzen aber auf den klassischen Stereotypen auf. Die mittelalterlichen Ritualmordlegenden kehren heute in Slogans wie „Kindermörder Israel“ wieder. Die „jüdische Weltverschwörung“ findet sich in der Vorstellung wieder, dass Juden irgendwo im Hintergrund die Strippen ziehen und viel zu viel Einfluss auf Politik und Medien haben. Wer die Geschichte des Antisemitismus ein wenig kennt, erkennt diese Bilder leicht wieder. Dazu kommt die Dämonisierung Israels als angebliches Zentrum alles Bösen in der Welt. Es gibt Plakate, auf denen israelische Politiker:innen mit Hörnern auf dem Kopf gezeigt werden. Israel das Existenzrecht abzuerkennen, weil man mit der gegenwärtigen Regierung nicht einverstanden ist, ist ein doppelter Standard, den man an keine andere Regierung in der Welt anlegen würde. Niemand muss von der aktuellen israelischen Regierung begeistert sein, man kann sie kritisieren und das geschieht ja auch in vielen Medien täglich. Aber die Vernichtung eines Staates und seiner Bevölkerung zu fordern, ist etwas ganz anderes.

ijab.de: Was macht solche Vorstellungen so attraktiv?

Hanna Veiler: Sie machen die Komplexität der Welt etwas leichter erträglich. Hamas und Hisbollah kann man als Befreiungsbewegungen umdeuten, nicht als Terrororganisationen. Was auch immer geschieht, es ist die Schuld Israels und die Palästinenser sind immer die Opfer – sie haben praktisch keine Wahl, wenn sie zu terroristischen Mitteln greifen. Das Opfer kann nie falsch handeln. Arabischen Nationalismus und Imperialismus kann man ausblenden – ebenso wie die Vertreibung von Jüdinnen und Juden aus den arabischen Ländern nach der Staatsgründung Israels. Befeuert wird das noch durch einen grundlegenden Hass auf den Westen.

Dieses Interview ist in Zusammenarbeit mit ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch entstanden.

Ein junger Mann spricht in ein Mikrofon
Über Demokratie und Menschenrechte

Internationale Jugendarbeit und jugendpolitische Zusammenarbeit versteht IJAB als Beitrag zur Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft und zur Förderung eines demokratischen Gemeinwesens.